Urteil des BVerfG vom 17.11.2009

BVerfG: eigenkapital, verrechnung, unternehmensbesteuerung, rechtfertigung, gesellschafter, verfassungsbeschwerde, finanzen, reform, realisierung, körperschaft

Entscheidungen
Leitsatz
zum Beschluss des Ersten Senats vom 17. November 2009
1 BvR 2192/05
Es ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, dass die Übergangsregelungen vom körperschaftsteuerrechtlichen
Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren bei einzelnen Unternehmen zu einem Verlust von
Körperschaftsteuerminderungspotential führen, der bei einer anderen Ausgestaltung des Übergangs ohne Abstriche an
den gesetzgeberischen Zielen vermieden werden könnte.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2192/05 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der P... AG
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Berthold Goerdeler, Martin Schnurr,
c/o Bayerische Treuhandgesellschaft AG,
Ganghoferstraße 29, 80339 München und
Rechtsanwalt Hans-Jochen Gutike,
c/o Deutsche Treuhand-Gesellschaft AG,
Marie-Curie-Straße 30, 60439 Frankfurt -
1. unmittelbar gegen
a) das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 31. Mai 2005 - I R 107/04 -,
b) den Gerichtsbescheid des Finanzgerichts München vom 9. September 2004 - 7 K 2991/03
-,
c) den Feststellungsbescheid des Finanzamts München für Körperschaften vom 31. März
2004 - Steuernummer: ... -,
2. mittelbar gegen
§ 36 Abs. 3 und 4 KStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober
2000 (BGBl I Seite 1433)
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung der Richterin und Richter
Präsident Papier,
Hohmann-Dennhardt,
Bryde,
Gaier,
Eichberger,
Schluckebier,
Kirchhof,
Masing
am 17. November 2009 beschlossen:
1. § 36 Absatz 3 und Absatz 4 Körperschaftsteuergesetz in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes vom 23.
Oktober 2000 (BGBl I Seite 1433) ist unvereinbar mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit diese
Regelung zu einem Verlust des Körperschaftsteuerminderungspotentials führt, das in dem mit 45%
Körperschaftsteuer belasteten Teilbetrag im Sinne des § 54 Absatz 11 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes
in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. April 1999 (BGBl I Seite 817), das zuletzt durch Artikel 4 des
Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen vom 14. Juli 2000 (BGBl I Seite 1034) geändert
worden ist, enthalten ist.
2. Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 31. Mai 2005 - I R 107/04 -, der Gerichtsbescheid des Finanzgerichts
München vom 9. September 2004 - 7 K 2991/03 - und der Feststellungsbescheid des Finanzamts München für
Körperschaften vom 31. März 2004 - Steuernummer 802/32110 - verletzen die Beschwerdeführerin in Artikel 3
Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil des Bundesfinanzhofs wird aufgehoben. Die Sache wird an den
Bundesfinanzhof zurückverwiesen.
3. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
A.
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verfassungsmäßigkeit der Übergangsregeln vom Anrechnungsverfahren
zum Halbeinkünfteverfahren bei der Körperschaftsteuer zum Jahreswechsel 2000/2001, die durch das
Steuersenkungsgesetz vom 23. Oktober 2000 (BGBl I S. 1433) in das Körperschaftsteuergesetz eingefügt worden
sind.
I.
2
1.
Von
1977
bis
Ende
2000
wurde
das
Einkommen
der
Körperschaften
nach
dem
Körperschaftsteueranrechnungsverfahren besteuert (§§ 27 ff. KStG 1977/1999). Es sah auf der Ebene der
Körperschaft zwei Steuersätze vor: Der von der Körperschaft einbehaltene und nicht ausgeschüttete Gewinn wurde
zunächst mit dem Thesaurierungssatz von (zuletzt) 40% besteuert (§ 23 Abs. 1 KStG 1999). Wurde der Gewinn
später ausgeschüttet, reduzierte sich die Körperschaftsteuer auf 30% (§ 27 Abs. 1 KStG 1977/1999). Auf der Ebene
der Anteilseigner erfolgte dann die Besteuerung der Ausschüttung mit dem individuellen Einkommensteuersatz des
Steuerpflichtigen. Hierbei wurde die von der Kapitalgesellschaft entrichtete Körperschaftsteuer auf die
Einkommensteuer des Anteilseigners angerechnet (§ 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG 1999), um eine Doppelbelastung
durch Körperschaftsteuer und Einkommensteuer zu vermeiden.
3
Die Differenz zwischen dem Thesaurierungssteuersatz von (zuletzt) 40% und der reduzierten
Ausschüttungssteuerbelastung von 30% wurde an die Gesellschaft erstattet, wenn es zur Ausschüttung kam. Die
Minderung galt als für die Gewinnausschüttung verwendet (§ 28 Abs. 6 Satz 1 KStG 1977). Dies erfolgte im Regelfall
durch eine entsprechende Minderung der von der Gesellschaft laufend zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Wegen
des gespaltenen Körperschaftsteuersatzes stand mit der Thesaurierungsbelastung eines einbehaltenen Gewinns fest,
dass diesem belasteten Eigenkapital im Falle der Ausschüttung ein Erstattungsbetrag in Höhe der Differenz zwischen
Thesaurierungs- und Ausschüttungssteuersatz zugeschlagen wird (§ 27 Abs. 1 KStG 1977/1999). Es entstand also
bei Gewinnthesaurierung bis zum Zeitpunkt der Ausschüttung des belasteten Eigenkapitals auf der Ebene der
Gesellschaft ein Körperschaftsteuerminderungspotential, das sich nach der Höhe dieser Steuersatzdifferenz
bestimmte.
4
Der Körperschaftsteuersatz für die Thesaurierungsbelastung war in der Vergangenheit häufigen Änderungen
ausgesetzt (unter anderem von 56% im Jahre 1977 auf 50%, dann 1994 auf 45% und 1999 auf 40%). Auch die
Ausschüttungsbelastung änderte sich von 36% auf 30% seit dem Jahr 1994. Dementsprechend variierte die Höhe des
Körperschaftsteuerminderungspotentials. Wurde ein Gewinn einbehalten und mit einem Thesaurierungssteuersatz von
45% Körperschaftsteuer belastet, enthielt er bei einer Ausschüttungsbelastung von 30% ein Minderungspotential von
15 Prozentpunkten (oder 15/55). War er mit 40% belastet, enthielt er ein Minderungspotential von 10 Prozentpunkten
(oder 10/60).
5
Um bei Ausschüttungen angesichts der unterschiedlichen Steuersätze den jeweiligen Erstattungsbetrag bestimmen
zu können, musste die entsprechende Vorbelastung des zur Ausschüttung kommenden Eigenkapitals bekannt sein.
Im System des Anrechnungsverfahrens geschah dies durch eine die Vorbelastung wiedergebende Gliederung des
„verwendbaren Eigenkapitals“ - vEK - (§ 29 KStG 1977/1999). Das Eigenkapital der Gesellschaften wurde in
verschiedene „Eigenkapitaltöpfe" - EK - gegliedert, je nach Vorbelastung durch die Thesaurierungsbesteuerung (§ 30
KStG 1977/1999). Eine Belastung des thesaurierten Gewinns mit 45% wurde im sogenannten „EK 45“ vermerkt, eine
Belastung mit 40% im „EK 40“ (§ 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und 2 KStG 1977/1999). Steuerfreie Vermögensmehrungen,
die aufgrund spezialgesetzlicher Steuerbefreiungen keiner Belastung mit Körperschaftsteuer unterfielen, mussten
ebenfalls im Eigenkapital abgebildet werden. Sie wurden bei einer Ausschüttung mit dem Ausschüttungssteuersatz
von 30% nachbelastet, enthielten also ein Steuererhöhungspotential. Das nicht mit einer Thesaurierungssteuer
belastete Kapital wurde in dem „EK 0“ erfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 KStG 1977/1999). Dieses unterteilte sich
(§ 30 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 KStG 1977/1999) in die nach Doppelbesteuerungsabkommen steuerfreien ausländischen
Gewinne und Verluste (EK 01), in den Zugang aus steuerfreien inländischen Einkünften wie Investitionszulagen sowie
als Abgang in Verluste, die gegebenenfalls auch zu einem Negativbestand führen konnten (EK 02), in Altrücklagen
aus den Jahren vor Inkrafttreten des KStG 1977 (EK 03) und in offene und verdeckte Einlagen der Gesellschafter (EK
04).
6
Um die im Körperschaftsteueranrechnungsverfahren erforderliche Gliederung des Eigenkapitals angesichts der
häufigen Wechsel in der Höhe des gespaltenen Steuersatzes nicht zu unübersichtlich werden zu lassen, sah der
Gesetzgeber nach einem Übergangszeitraum von regelmäßig fünf Jahren jeweils die Umgliederung noch vorhandener
Eigenkapitalbeträge mit einer Vorbelastung nach dem alten Thesaurierungstarif in solche mit der Belastung nach dem
neuen Satz vor. So war unter anderem das EK 45 mit Ablauf des Jahres 2003 in das mit 40% vorbelastete EK 40
umzugliedern (§ 54 Abs. 11 KStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März
1999, BGBl I S. 402).
7
2. Der im Jahr 2001 vollzogene Wechsel im System der Ertragsbesteuerung der Körperschaften vom Anrechnungs-
zum Halbeinkünfteverfahren führte dazu, dass auf der Ebene der Gesellschaft für thesaurierte und ausgeschüttete
Gewinne nur noch eine einheitliche und endgültige Körperschaftsteuer in Höhe von 25% (seit 2008 in Höhe von 15%)
erhoben wird. Auf der Ebene des Anteilseigners - soweit er eine natürliche Person ist - wird der ausgeschüttete
Kapitalertrag nur zur Hälfte (seit 2009 zu 60%) versteuert (§ 3 Nr. 40 EStG). Ist der Anteilseigner eine Körperschaft,
wird der Ertrag aus der Kapitalbeteiligung zur Vermeidung einer Mehrfachbelastung grundsätzlich von der
Körperschaftsteuer freigestellt (§ 8b KStG).
8
3. Den Übergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren gestaltete der Gesetzgeber durch die neu mit dem
Steuersenkungsgesetz vom 23. Oktober 2000 (BGBl I S. 1433) in das Körperschaftsteuergesetz eingefügten §§ 36 -
40 KStG in der Weise, dass er die unterschiedlich mit Thesaurierungssteuer belasteten vorhandenen Teilbeträge an
verwendbarem Eigenkapital in mehreren Schritten zusammenfasste und umgliederte. So wurde erreicht, dass in den
Gesellschaften allenfalls noch ein Teilbetrag von mit 40% Körperschaftsteuer vorbelastetem Eigenkapital (EK 40)
vorhanden war. Das darin enthaltene Körperschaftsteuerminderungspotential wurde in ein Körperschaftsteuerguthaben
umgewandelt, das während einer Übergangszeit von - ursprünglich - 15 Jahren unter Beibehaltung des bisherigen
Anrechnungsverfahrens in eingeschränkter und modifizierter Form abgebaut werden konnte.
9
Die Umgliederungsschritte sind im Einzelnen wie folgt ausgestaltet:
10
a) In § 36 Abs. 3 KStG ist geregelt, dass ein positiver Bestand der belasteten Eigenkapitalanteile des EK 45 in
Teilbeträge von EK 40 und EK 02 umzugliedern ist. Dies geschieht in der Weise, dass das EK 40 um 27/22 des
Bestandes des EK 45 erhöht wird, während sich das EK 02 um 5/22 dieses Bestandes verringert. Mit der
Umgliederung des EK 45 durch § 36 Abs. 3 KStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes wird die ursprünglich
nach § 54 Abs. 11 KStG 1999 für den 31. Dezember 2003 vorgesehene Umgliederung des EK 45 auf den Zeitpunkt
des Systemwechsels vorgezogen.
11
b) Nach § 36 Abs. 4 1. Alternative KStG sind anschließend die unbelasteten Teilbeträge des EK 01 bis EK 03
untereinander zu verrechnen. Verbleibt nach deren Verrechnung eine negative Summe, so ist dieser Negativbetrag
nach § 36 Abs. 4 2. Alternative KStG mit den belasteten Teilbeträgen des verwendbaren Eigenkapitals zu verrechnen.
Dabei erfolgt die Verrechnung in der Reihenfolge der belasteten Teilbeträge, in der deren Belastung zunimmt.
12
c) Die nach § 36 Abs. 1 bis 6 KStG ermittelten Endbestände des verwendbaren Eigenkapitals werden gesondert
festgestellt (§ 36 Abs. 7 KStG). Diese Feststellung bildet die Grundlage für die Ermittlung des
Körperschaftsteuerguthabens. Es wird in Höhe von 1/6 aus dem nach Maßgabe des § 36 KStG errechneten EK 40
ermittelt (§ 37 Abs. 1 KStG). Das festgestellte Körperschaftsteuerguthaben mindert sich nach § 37 Abs. 2 KStG in
der Fassung des Steuersenkungsgesetzes im 15-jährigen Übergangszeitraum jeweils um 1/6 der in den folgenden
Jahren getätigten offenen Gewinnausschüttungen und wird an die Gesellschaft - im Wege der Verrechnung mit zu
zahlender Körperschaftsteuer oder durch Erstattung - ausgekehrt.
13
Die streitige Vorschrift des § 36 Abs. 3 und 4 KStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes lautet wie folgt:
14
§ 36 Endbestände
15
(…)
16
(3) 1Ein positiver belasteter Teilbetrag im Sinne des § 54 Abs. 11 Satz 1 des
Körperschaftsteuergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. April 1999 (BGBl. I
S. 817), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 14. Juli 2000 (BGBl. I S. 2601)
geändert worden ist, ist dem Teilbetrag, der nach dem 31. Dezember 1998 einer
Körperschaftsteuer in Höhe von 40 vom Hundert ungemildert unterlegen hat, in Höhe von
27/22 seines Bestands hinzuzurechnen. 2In Höhe von 5/22 dieses Bestands ist der Teilbetrag
im Sinne des § 30 Abs. 2 Nr. 2 des Körperschaftsteuergesetzes in der Fassung der
Bekanntmachung vom 22. April 1999 (BGBl. I S. 817), das zuletzt durch Artikel 4 des
Gesetzes vom 14. Juli 2000 (BGBl. I S. 1034) geändert worden ist, zu verringern.
17
(4) 1Ist die Summe der unbelasteten Teilbeträge im Sinne des § 30 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 des
Körperschaftsteuergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. April 1999 (BGBl. I
S. 817), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 14. Juli 2000 (BGBl. I S. 1034)
geändert worden ist, nach Anwendung der Absätze 2 und 3 negativ, so wird sie mit den mit
Körperschaftsteuer belasteten Teilbeträgen in der Reihenfolge verrechnet, in der ihre
Belastung zunimmt.
18
(…)
19
4. Die Umgliederung sollte nach dem Willen des Gesetzgebers in einer Weise erfolgen, die sicherstellt, dass die
Körperschaftsteuerminderungen bei Fortgeltung des Anrechnungsverfahrens im Ergebnis erhalten bleiben (BTDrucks
14/2683, S. 121). Dies vermochten die den Übergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren regelnden
Bestimmungen der §§ 36 ff. KStG im Grundsatz zu leisten.
20
Zu Einbußen an Körperschaftsteuerminderungspotential infolge der Umgliederung kam es jedoch insbesondere bei
Körperschaften, die über hohe Bestände an EK 45 und keine oder negative Bestände an EK 02 verfügten. Für solche
Körperschaften war es in aller Regel sinnvoll, das EK 45 noch vor der Umgliederung nach § 36 KStG durch
Gewinnausschüttungen zu realisieren, um diesem Verlust zu entgehen. Dabei war aber zu berücksichtigen, dass eine
Ausschüttung des EK 45 auf der Ebene der Gesellschafter zu einer entsprechenden Erhöhung der
einkommensteuerpflichtigen Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 EStG führte. Um etwa drohenden Nachteilen
aus der Umgliederung zu entgehen, wurde von den Körperschaften in den Übergangsjahren 2000 und 2001 häufig von
den steuerlichen Gestaltungsmodellen des „Schütt-aus-Leg-ein-Verfahrens“ und des „Leg-ein-Hol-zurück-Verfahrens“
Gebrauch gemacht (vgl. unten B I 5 c).
21
5. Die Übergangsregeln sind nach dem Inkrafttreten des Steuersenkungsgesetzes mehrfach geändert worden. Mit
dem Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbG) vom 16. Mai 2003 (BGBl I S. 660) wurde ein nahezu dreijähriges
Moratorium bei der Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens eingeführt, womit eine Verlängerung des
Übergangszeitraums um drei Jahre bis 2019 verbunden war. Im Rahmen des Gesetzes über steuerliche
Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher
Vorschriften (SEStEG) vom 7. Dezember 2006 (BGBl I S. 2782) wurde das System des Körperschaftsteuerguthabens
von der früheren ausschüttungsabhängigen Körperschaftsteuerminderung auf eine ausschüttungsunabhängige
ratierliche Auszahlung des restlichen Guthabens umgestellt. Mit dem Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008) vom 20.
Dezember
2007
(BGBl I S. 3150)
wurde
die
Ablösung
des
im
EK
02
enthaltenen
Körperschaftsteuererhöhungspotentials erheblich erleichtert. Das Gesetz zur Modernisierung und Entbürokratisierung
des Steuerverfahrens (Steuerbürokratieabbaugesetz) vom 20. Dezember 2008 (BGBl I S. 2850) führte schließlich eine
einmalige Vollauszahlung für Kleinbeträge des Körperschaftsteuerguthabens ein.
II.
22
1. Die Beschwerdeführerin ist eine Aktiengesellschaft. Das Finanzamt stellte mit dem angegriffenen Bescheid vom
31. März 2004 gegenüber der Beschwerdeführerin auf den 31. Dezember 2001 die Teilbeträge des verwendbaren
Eigenkapitals wie folgt fest:
23
EK 45
10.591.535 DM
EK 40
1.697.322 DM
EK 01
36.151 DM
EK 02
./. 142.039 DM
EK 04
2.000.000 DM
24
Nach Verringerung des Bestandes an EK 45 auf Grund von Ausschüttungen um 445.107 DM und einer Erhöhung
des EK 45 um 2.498 DM wurde das verbleibende EK 45 (10.148.926 DM) gemäß § 36 Abs. 3 KStG zu 27/22 in EK 40
(12.455.500 DM) und zu ./. 5/22 in EK 02 (./. 2.306.574 DM) umgegliedert. Anschließend wurde die negative Summe
aus EK 01 (36.151 DM) und EK 02 (nun insgesamt ./. 2.412.462 DM) mit dem EK 40 verrechnet. Daraus ergab sich
unter Berücksichtigung einer Erhöhung des EK 40 um Gewinne, die mit 40% der Körperschaftsteuer unterlegen
hatten, ein EK 40 von (14.187.292 DM ./. 2.412.462 DM =) 11.774.830 DM. Aus diesem wurde gemäß § 37 Abs. 1
KStG ein verbleibendes Körperschaftsteuerguthaben in Höhe von (11.774.830 x 1/6 =) 1.962.472 DM ermittelt. Das
zuvor im EK 45 ruhende Körperschaftsteuerminderungspotential der Beschwerdeführerin in Höhe von 2.767.889 DM
wurde durch diese Umgliederung um 1.076.401 DM auf ein nunmehr im EK 40 enthaltenes Minderungspotential in
Höhe von 1.691.488 DM vermindert.
25
2. Die von der Beschwerdeführerin gegen die Feststellungsbescheide erhobene Sprungklage blieb ohne Erfolg. Die
Revision wurde vom Bundesfinanzhof als unbegründet zurückgewiesen (BFHE 210, 256). Der Bundesfinanzhof führte
aus, die von der Beschwerdeführerin beanstandete Reduzierung des Körperschaftsteuerminderungspotentials beruhe
zum einen darauf, dass das bisherige EK 45 in EK 40 und negatives EK 02 aufgeteilt werde und sich damit das
Minderungspotential von 15/55 des zur Ausschüttung verwendeten Betrags auf 10/60 reduziere. Weiter verschlechtere
sich die anrechnungsrechtliche Position der Beschwerdeführerin dadurch, dass das EK 45 mit 5/22 seines Betrags
das unbelastete EK 02 mindere und ein verbleibendes negatives EK 02 mit belasteten Teilbeträgen zu verrechnen sei.
Ob das nach der früheren Rechtslage vorhandene Körperschaftsteuerminderungspotential dem Eigentumsbegriff des
Art. 14 GG unterfalle, könne offen bleiben. Selbst wenn das Körperschaftsteuerminderungspotential eine
eigentumsrechtlich geschützte Anwartschaft sei, habe der Gesetzgeber in diese nicht verfassungswidrig eingegriffen.
Bei den Umgliederungsregelungen handele es sich um eine verfassungsrechtlich zulässige Bestimmung der
Schranken des Eigentumsrechts. Bei der Neuordnung eines Rechtsgebiets habe der Gesetzgeber, was die
Berücksichtigung bestehender Eigentumsrechte angehe, einen weiten Gestaltungsspielraum. Zudem hätten die bisher
dem Anrechnungsverfahren unterliegenden Kapitalgesellschaften grundsätzlich die Möglichkeit gehabt, mit der
Umgliederung verbundene Nachteile durch eigene Maßnahmen zu vermeiden. So habe durch ein „Leerschütten" des
belasteten verwendbaren Eigenkapitals dessen Umgliederung verhindert werden können. Im Schrifttum sei schon vor
Inkrafttreten des Steuersenkungsgesetzes auf diese Gestaltungsmöglichkeit hingewiesen worden. Dass die
Möglichkeit im Fall der Beschwerdeführerin nicht bestanden haben mag, führe nicht zur Verfassungswidrigkeit der
gesetzlichen Vorschriften. Sofern das Verfassungsrecht bei einer Systemumstellung die Schaffung einer
Übergangsregelung gebiete, verlange es nicht zugleich, dass diese Regelung auf alle denkbaren Fallgestaltungen
Rücksicht nehme. Auch bei der Ausgestaltung einer Übergangsregelung habe der Gesetzgeber einen gewissen
Spielraum. Aus verfassungsrechtlicher Sicht könne seine Entscheidung nur daraufhin überprüft werden, ob bei einer
Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und den Gründen für die getroffene Regelung die Grenze der
Zumutbarkeit überschritten sei. Der Gesetzgeber habe beim Übergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren
berücksichtigen dürfen, dass der alsbaldige Übergang auf eine einheitliche gesetzliche Systematik die praktische
Handhabung des Anrechnungsverfahrens im Übergangszeitraum erleichtert habe. Zudem habe er davon ausgehen
dürfen, dass die von der Systemumstellung betroffenen Unternehmen im Regelfall einen drohenden Verlust von
Körperschaftsteuerminderungspotential durch rechtzeitige Maßnahmen verhindern konnten.
III.
26
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte, namentlich aus
Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 14 Abs. 1 sowie, der Sache nach darin enthalten, aus
Art. 3 Abs. 1 GG.
27
Ihr sei durch die Umgliederung ein gesetzlich gewährter Anspruch auf Körperschaftsteuerminderung in Höhe von
1.076.401 DM entzogen worden. Bei dem Minderungspotential handele es sich um ein eigentumsähnliches Recht im
Sinne des Art. 14 GG, das ihr zuzuordnen sei. Das Bundesverfassungsgericht habe diejenigen
Steuererstattungsansprüche, die mit Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums entstanden seien, als Eigentum im
Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG anerkannt. Der Qualifikation des Körperschaftsteuerminderungspotentials als Eigentum
stehe nicht entgegen, dass seine Verrechnung oder Erstattung von Maßnahmen wie Gewinnausschüttungen abhänge.
Anwartschaften und Rechtspositionen, deren Erstarken zu einem Vollrecht nur vom Verhalten des Gläubigers oder
vom Eintritt sonstiger Umstände, nicht jedoch vom Verhalten des Schuldners abhänge, komme Eigentumsqualität in
gleicher Weise zu wie dem entsprechenden Vollrecht. Der besonderen Bedeutung des durch Art. 14 GG garantierten
Schutzes der individuellen Rechtsposition werde der Bundesfinanzhof nicht gerecht. Der Bundesfinanzhof verkenne
überdies, dass der Gesetzgeber anlässlich des Systemwechsels eine Übergangsregelung, die darauf ausgerichtet
gewesen sei, die Nachteile aus den Umgliederungsregelungen in § 36 Abs. 3 und 4 KStG zu vermeiden, überhaupt
nicht getroffen habe. Dem Gesetzgeber sei nicht einmal bewusst gewesen, dass das damals geltende Steuerrecht in
Gestalt des „Leg-ein-Hol-zurück-Verfahrens" Möglichkeiten geboten habe, diese Nachteile zu vermeiden. Die
Regelungen des § 36 Abs. 3 und 4 KStG stellten sich auch nicht als gesetzliche Inhalts- und
Schrankenbestimmungen dar. Wegen des Fehlens einer von jedem Betroffenen nutzbaren Möglichkeit, den Verlust
seiner Rechtsposition zu vermeiden, habe vielmehr eine übergangs- und ersatzlose Beseitigung einer
bestandsgarantierten Rechtsposition vorgelegen. Der Entzug dieser Rechtsposition sei nur dann verfassungsrechtlich
gerechtfertigt, wenn hierfür zusätzliche, schwerwiegende Gründe des öffentlichen Interesses vorliegen würden.
Derartige, über das berechtigte Ziel eines Systemwechsels hinaus bestehende Gründe seien aber nicht ersichtlich.
28
Das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG in Gestalt des Vertrauensschutzes und damit die allgemeine
Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG seien ebenfalls betroffen. Sie, die Beschwerdeführerin, habe auf die
Regelung des § 54 Abs. 11 Satz 2 KStG 1977 vertraut, die bis zum 31. Dezember 2003 Zeit gegeben habe, das
Minderungspotential des EK 45 durch entsprechende Gewinnausschüttungen zu realisieren. Mit der Frist des § 54
Abs. 11 Satz 2 KStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 habe der Gesetzgeber einen
Vertrauenstatbestand geschaffen.
IV.
29
Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium der Finanzen namens der Bundesregierung, der
Deutsche Industrie- und Handelskammertag e.V., die Bundessteuerberaterkammer, die Bundesrechtsanwaltskammer
und der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. Stellung genommen. Der Senat hat außerdem eine schriftliche
Stellungnahme von Prof. Dr. B. nach § 27a BVerfGG eingeholt.
30
1. Das Bundesministerium der Finanzen hält die Umgliederungsregeln für verfassungsgemäß.
31
Die Umgliederungsregeln beruhten auf dem Gedanken der Vollausschüttung. Zudem dienten sie der Vereinfachung.
Ziel des Gesetzgebers sei eine möglichst einfache Gestaltung des Übergangs vom Anrechnungs- zum
Halbeinkünfteverfahren gewesen. Ein längeres Nebeneinander von altem und neuem System habe vermieden werden
sollen, ebenso eine Fortführung der Eigenkapitalgliederung während der Übergangszeit. Insoweit sei der
Rechtsgedanke früherer Regelungen, die bei einer Umgliederung von Teilbeträgen angewandt worden seien,
herangezogen worden. Dass durch die Übergangsregelungen Teile des Anrechnungspotentials auf der Ebene der
Körperschaft verfallen, sei aber bereits bei Umgliederungen während der Geltung des Anrechnungsverfahrens der Fall
gewesen.
32
Art. 14 GG sei nicht verletzt. Das Körperschaftsteuerminderungspotential unterfalle schon nicht der
Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG
;
Schrankenbestimmung des Eigentums vor. Die Regelungen seien verhältnismäßig und verletzten nicht die
Grundsätze des Vertrauensschutzes. Die Umstellung vom Anrechnungs- auf das Halbeinkünfteverfahren sei in erster
Linie aufgrund der Europarechtswidrigkeit des Anrechnungsverfahrens sowie wegen der bestehenden
Umgehungsmöglichkeiten erfolgt. Die Vernichtung eines Teils des Minderungspotentials sei als maßvolle Reduzierung
im Dienste einer haushaltsverträglichen Kompromisslösung anzusehen. Bei der Neuordnung eines Rechtsgebiets
müsse der Gesetzgeber nicht alte Rechtspositionen konservieren. Hier habe zudem die Möglichkeit bestanden, mit
Ausschüttungen aus dem EK 45 auf den bevorstehenden Systemwechsel und die Umgliederung des verwendbaren
Eigenkapitals zu reagieren. Dadurch hätten Nachteile vermieden werden können. Der Gesetzgeber könne nicht
verpflichtet werden, im Rahmen einer Systemumstellung zu gewährleisten, dass jeder Betroffene bei der
Neugestaltung eines Rechtsgebiets hinterher nicht anders dastehe als vorher. Dies schränke seine
Handlungsmöglichkeiten unangemessen ein.
33
Art. 3 Abs. 1 GG sei ebenfalls nicht verletzt. Zwar würden im Rahmen der Verrechnung der Eigenkapitalbestände
Körperschaften unterschiedlich behandelt. Ein Grund für die Ungleichbehandlung sei die Berücksichtigung der
unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der Körperschaften, die ihre Fähigkeit zur Gewinnausschüttung beeinflusse. Zur
Abwicklung des Anrechnungsverfahrens sei das Körperschaftsteuerguthaben ermittelt worden, das bei einer
unterstellten Gesamtausschüttung zum Zeitpunkt des Systemwechsels realisierbar gewesen sei. Ein weiterer
Sachgrund für die Ungleichbehandlung im Rahmen des Systemwechsels sei das Ziel, dadurch europarechtlich
umstrittene Steuervergünstigungen zu modifizieren. Im Hinblick auf die Beanstandungen des deutschen
Vollanrechnungsverfahrens durch die EU-Kommission und ein vor dem Europäischen Gerichtshof anhängiges
Verfahren sei eine Anpassung an die europarechtlichen Vorgaben notwendig gewesen.
34
2. Nach Auffassung der Bundessteuerberaterkammer ist § 36 Abs. 3 und 4 KStG im Ergebnis verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden. Allerdings unterfalle das Körperschaftsteuerminderungspotential der Eigentumsgarantie nach
Art. 14 GG, da die Erstattung bei einer Ausschüttung zwangsläufig und automatisch von Amts wegen erfolge. Mit der
Umgliederung halte sich der Gesetzgeber aber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums. Bei der Neuordnung eines
Rechtsgebiets müssten nicht alle Rechtspositionen erhalten bleiben. Die Umgliederung habe sich für Körperschaften
sowohl negativ als auch positiv auswirken können. Außerdem habe die Möglichkeit bestanden, mit Ausschüttungen
aus dem EK 45 auf den bevorstehenden Systemwechsel und die damit drohenden Verluste zu reagieren.
35
3. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag e.V., der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. und die
Bundesrechtsanwaltskammer halten die Umgliederungsregeln wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs.
1 GG für verfassungswidrig. Die Umgliederungsvorschriften hätten in einer Vielzahl von Fällen zur Vernichtung von
Körperschaftsteuerguthaben geführt. Es handele sich nicht nur um eine atypische Situation, die im Rahmen einer
Pauschalierung und Typisierung vernachlässigt werden könne. Bei einer getrennten Ermittlung der Minderungsbeträge
aus EK 45 und EK 40 habe der Verlust von Körperschaftsteuerguthaben vermieden werden können. Dass die vom
Gesetzgeber gewählte Lösung eine verfahrenstechnische Vereinfachung für den Übergangszeitraum mit sich bringe,
möge zutreffen. Es sei dafür aber nicht erforderlich gewesen, den betroffenen Unternehmen einen Teil ihres
Körperschaftsteuerguthabens zu nehmen. Gründe des Gemeinwohls, die den Verlust von Körperschaftsteuerguthaben
infolge der Umgliederung rechtfertigten, lägen nicht vor. Weder die Gründe der Haushaltsverträglichkeit noch
Vereinfachungs- oder Praktikabilitätsgesichtspunkte rechtfertigten den Verlust des Körperschaftsteuerguthabens. Die
Möglichkeit entsprechender Gestaltungen, mit denen der Verlust des Körperschaftsteuerguthabens habe vermieden
werden können, greife nicht als Rechtfertigung. Wirtschaftlich schwache Körperschaften und Anteilseigner verfügten
nicht über die zur Durchführung des „Schütt-aus-Leg-ein-Verfahrens“ oder des „Leg-ein-Hol-zurück-Verfahrens“
notwendige Liquidität. Zudem sei der für Gestaltungen zur Verfügung stehende Zeitraum zu kurz bemessen gewesen.
36
4. Prof. Dr. B. hält die körperschaftsteuerrechtlichen Umgliederungsregeln für verfassungswidrig. Die Belastung von
Steuerpflichtigen, die unter die Übergangsvorschriften fielen, sei höher als die Belastung derjenigen Steuerpflichtigen,
die infolge vorheriger Gewinnausschüttungen keine Bestände an verwendbarem Eigenkapital hätten. Diese höhere
Belastung hätte durch eine von der gesetzlichen Regelung abweichende und erheblich einfachere Lösung verhindert
werden können. Hinreichend gewichtige Sachgründe, welche die gesetzliche Regelung rechtfertigen könnten, lägen
nicht vor.
37
Die Gründe, die den Gesetzgeber zur Schaffung des § 36 Abs. 3 und 4 KStG veranlasst hätten, lägen darin, dass
bereits bestehende Regelungen des Körperschaftsteuergesetzes für den Systemwechsel als verwendbar angesehen
worden seien. Bei Weitergeltung des Anrechnungsverfahrens habe dies als noch sachgerecht akzeptiert werden
können. Die Übertragung von Normen, die für eine Weitergeltung des Anrechnungsverfahrens konzipiert worden seien,
auf den Systemwechsel sei aus ökonomischer Sicht aber nicht begründbar. Das technische Prinzip der Umgliederung
werde in einer Situation angewendet, die zu ganz anderen Folgen führe als bei Weitergeltung des
Anrechnungsverfahrens. Für die Verrechnung des verbleibenden negativen EK 0 und des erst durch die Umgliederung
entstandenen negativen EK 02 mit dem EK 40 sei keine Rechtfertigung erkennbar.
38
Die Finanzrechtsprechung rechtfertige die Umgliederung und Vernichtung von Körperschaftsteuerguthaben mit
Vereinfachungsgesichtspunkten. Dies könne nicht als Begründung anerkannt werden. Denn die Vernichtung von
Körperschaftsteuerguthaben und die dadurch bewirkte höhere Gesamtbelastung sei weder eine
Vereinfachungsmaßnahme noch diene sie dem Gemeinwohl. Sie sei auch nicht verhältnismäßig und verletze den
Gleichheitsgrundsatz. Dem Gesetzgeber habe ein einfacheres Verfahren für die Umgliederung zur Verfügung
gestanden.
39
Soweit die Rechtsprechung der Finanzgerichte hervorhebe, betroffene Körperschaften hätten geeignete
Abwehrstrategien gegen unerwünschte Folgen der Übergangsregelung treffen können, überzeuge dies nicht. Die
Abwehrmaßnahmen seien nicht ohne weiteres und einfach durchzuführen. So erfordere das „Leg-ein-Hol-zurück-
Verfahren“ zumindest zeitweise Liquidität bei den Gesellschaftern sowie entsprechende Beschlüsse, die bei einer
anderen gesetzlichen Regelung nicht nötig seien.
40
Die Übergangsregelungen führten zu ganz erheblichen Mehrbelastungen, die weder aus dem Gesichtspunkt der
Leistungsfähigkeit der Gesellschaft noch der Gesellschafter abgeleitet werden könnten. Zudem seien die
Auswirkungen intransparent und hingen zusätzlich von der Höhe eines eventuell vorhandenen EK 02 ab. Es verbleibe
damit zur Rechtfertigung des § 36 Abs. 3 und 4 KStG allein das Argument der Vereinfachung. Dieses greife aber
nicht, da auch eine einfachere Möglichkeit der Umgliederung vorhanden gewesen sei.
41
Die Verminderung von EK 02 im Rahmen der Umgliederung nach § 36 Abs. 3 KStG sei dem Grunde nach nicht zu
beanstanden. Dies gelte jedenfalls, solange positives EK 02 vorhanden sei, das dann im Rahmen der Umgliederung
reduziert werde. Es sei zweifelhaft, ob die Regelungen, die ursprünglich für Änderungen des Steuersatzes bei
Fortgeltung des Anrechnungsverfahrens gedacht seien, auch für den Fall des Übergangs zum Halbeinkünfteverfahren
angewendet werden könnten. Es sei nicht sachgerecht, wenn das durch die Umgliederung des EK 45 entstehende
negative EK 02 mit belastetem Eigenkapital verrechnet werde. Für diese Vernichtung von Körperschaftsteuerguthaben
gebe es keine Rechtfertigung. Die Umrechnung nach § 36 Abs. 4 KStG führe bereits vorab zu einer Definitivsteuer
von 8,33% auf das betroffene EK 45. Da die Ausschüttungsbelastung von 30% in Halbeinkünfteverfahren nicht mehr
angerechnet werden könne, habe dies unter Geltung des Halbeinkünfteverfahrens im Fall einer späteren Ausschüttung
eine Gesamtbelastung des EK 45 von insgesamt 35,83% zur Folge.
42
Die Mehrbelastungen durch die Übergangsregelungen könnten nur dann gerechtfertigt werden, wenn dem
Gesetzgeber ausschließlich diese Möglichkeit zur Verfügung gestanden hätte. An Stelle der vom Gesetz gewählten
Umgliederung wäre es aber auch möglich gewesen, das im Übergangszeitpunkt in den (belasteten)
Eigenkapitalklassen „gespeicherte“ Körperschaftsteuerminderungspotential ohne jegliche Umrechnung zu bestimmen.
B.
43
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet. Die Regelung des § 36 Abs. 3 und 4 KStG in der Fassung
des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar.
Deshalb verletzen auch der hierauf gestützte Feststellungsbescheid des Finanzamts München, der Gerichtsbescheid
des Finanzgerichts München und das Urteil des Bundesfinanzhofs die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus
Art. 3 Abs. 1 GG. Da die Verfassungsbeschwerde schon aus diesem Grund Erfolg hat, bedarf es keiner
Entscheidung, ob die angefochtenen Entscheidungen und die ihnen zugrunde liegende Regelung des § 36 Abs. 3 und
4 KStG auch gegen Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen.
I.
44
Die Umgliederungsregelung des § 36 Abs. 3 und 4 KStG ist am allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu
messen (1), da sie zu einer ungleichen Körperschaftsteuerbelastung von Kapitalgesellschaften bei dem Wechsel vom
Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren führt (2). Mit der Ausgestaltung der Umgliederungsbestimmungen verfolgt
der Gesetzgeber zwar legitime Ziele (3). Für die mit dieser Regelung einher gehende Ungleichbehandlung gibt es indes
keinen sachlichen Grund, denn sämtliche gesetzgeberischen Ziele könnten mit schonenderen Ausgestaltungen der
Übergangsregelung erreicht werden, die eine solche ungleiche Belastung der Unternehmen vermeiden (4). Sonstige
Sachgründe, die die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich (5).
45
1. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu
behandeln (vgl. BVerfGE 120, 1 <29>; stRspr). Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche
Begünstigungen
(vgl. BVerfGE 110, 412 <431>; 122, 210 <230>). Aus ihm ergeben sich je nach
Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom
bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfGE 110,
274 <291>; 117, 1 <30>; 120, 1 <29>; 122, 39 <52>; stRspr). Der Grundsatz der gleichen Zuteilung steuerlicher
Lasten (vgl. BVerfGE 110, 274 <292>; 120, 1 <44> m.w.N.) verlangt eine gesetzliche Ausgestaltung der Steuer, die
den Steuergegenstand in den Blick nimmt und mit Rücksicht darauf eine gleichheitsgerechte Besteuerung des
Steuerschuldners sicherstellt. Ausnahmen von dem jedenfalls für die Ertragsteuern und damit auch für die
Körperschaftsteuer geltenden Gebot gleicher Besteuerung bei gleicher Ertragskraft bedürfen eines besonderen
sachlichen Grundes (vgl. BVerfGE 107, 27 <47>; 116, 164 <180 f.>; 117, 1 <31>; 120, 1 <45>). Bei der Bestimmung
der Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz ist allerdings zu berücksichtigen, dass das
Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber gerade bei der Umstrukturierung komplexer Regelungssysteme stets
einen besonders weiten Spielraum bei der Ausgestaltung der Übergangsvorschriften einräumt (vgl. BVerfGE 43, 242
<288 f.>; 58, 81 <121>; 67, 1 <15 f.>; 100, 1 <39 ff.>; stRspr).
46
Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender
oder sonst wie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (vgl.
BVerfGE 1, 14 <52>; 105, 73 <110>; stRspr).
47
2. Die für den Systemwechsel im Recht der Körperschaftsteuer vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren
vorgesehene Umgliederung der Teilbeträge belasteten Eigenkapitals nach § 36 Abs. 3 KStG und die Verrechnung mit
den unbelasteten Teilbeträgen nach § 36 Abs. 4 KStG führt grundsätzlich zum erstrebten Erhalt, bei einem Teil der
Kapitalgesellschaften aber zu einem Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotential und damit im Ergebnis zu
einer ungleichen Belastung mit Körperschaftsteuer. Zwar bleibt das in dem mit 45% Thesaurierungssteuer belasteten
Teilbetrag an Eigenkapital enthaltene Körperschaftsteuerminderungspotential bei der Umgliederung nach § 36 KStG
im Regelfall erhalten; die Umgliederung führt jedoch bei solchen Kapitalgesellschaften zu Einbußen, die zum
maßgeblichen Überleitungszeitpunkt am 31. Dezember 2000 über einen hohen Betrag an mit 45% belasteten
Eigenkapital und zugleich über einen nur geringen oder gar einen negativen Bestand an EK 02 verfügten.
48
Dies hat seine Ursache in der vom Gesetz angeordneten Umrechnungstechnik
,
Überführung des Bestands an EK 45 in den Bestand von EK 40 unter Beibehaltung des
Körperschaftsteuerminderungspotentials erreichen will. Die in einem ersten Schritt nach § 36 Abs. 3 Satz 1 KStG
vorgesehene Hinzurechnung des Bestands an EK 45 mit dem Faktor 27/22 zu dem EK 40 führt dazu, dass dort ein
gegenüber dem EK 45 in absoluten Zahlen höherer Betrag an EK 40 entsteht, dem aber - entsprechend der
angenommenen unterschiedlichen Vorbelastung von EK 45 und EK 40 mit Thesaurierungssteuer - ein geringeres
Körperschaftsteuerminderungspotential entspricht. Denn das EK 45 enthält ein Körperschaftsteuerminderungspotential
in Höhe von 15/55, das EK 40 hingegen nur ein solches von 1/6 des jeweiligen Teilbetrags (vgl. § 27 Abs. 1 KStG
1977/1999). Die in einem zweiten Schritt nach § 36 Abs. 3 Satz 2 KStG vorgeschriebene Verringerung des Bestands
des EK 02 um 5/22 des Bestands an EK 45 führt nun im Regelfall den vollständigen Erhalt des
Körperschaftsteuerminderungspotentials herbei, da auf diese Weise das in einem positiven EK 02 enthaltene
Körperschaftsteuererhöhungspotential entsprechend reduziert wird. Durch die Kombination dieser beiden
Rechenschritte erreicht der Gesetzgeber in der Regel, dass die Höhe des Körperschaftsteuerminderungspotentials im
Ergebnis auch nach der Umgliederung erhalten bleibt. Zugleich bleibt die Übereinstimmung von verwendbarem
Eigenkapital und steuerbilanziellem Eigenkapital gewährleistet.
49
Verfügt eine Kapitalgesellschaft jedoch zum maßgeblichen Umrechnungszeitpunkt über einen erheblichen Bestand
an EK 45 und über einen geringen oder gar einen negativen Bestand an EK 02, hat der beschriebene zweite
Rechenschritt nach § 36 Abs. 3 Satz 2 KStG zur Folge, dass der dem EK 02 zugeordnete Betrag negativ wird oder
sich dessen ohnehin negativer Bestand erhöht. Statt der vom Gesetzgeber mit der Umgliederungstechnik
beabsichtigten Reduzierung des Körperschaftsteuererhöhungspotentials beim EK 02 tritt dann der gegenteilige Effekt
ein. Die mit § 36 Abs. 4 KStG angeordnete Verrechnung der negativen Summe der EK 0-Bestände mit dem EK 40
führt zur Verringerung des Körperschaftsteuerminderungspotentials.
50
3. Mit dem Vorhaben, für den Systemwechsel bei der Körperschaftsteuer eine Übergangsregelung zu schaffen, die
das Körperschaftsteuerminderungspotential der Unternehmen aus dem bisherigen Anrechnungsverfahren erhält und
zugleich einfach und zügig umgesetzt werden kann, verfolgt der Gesetzgeber legitime Ziele.
51
Durch das Steuersenkungsgesetz vom 23. Oktober 2000 wurde im Körperschaftsteuerrecht ein Systemwechsel vom
Anrechnungs-
zum
Halbeinkünfteverfahren
vollzogen.
Diese
Umstellung
sollte
Schwächen
des
Anrechnungsverfahrens beseitigen, die ihre Ursache vor allem in der Kompliziertheit und der daraus folgenden
Verwaltungsaufwendigkeit des bisherigen Systems und in der ihm zugeschriebenen Europarechtsuntauglichkeit
hatten. Das Halbeinkünfteverfahren sollte demgegenüber zu einer wettbewerbsfähigen, europatauglichen und
leistungsgerechten Unternehmensbesteuerung führen (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 92 ff., 120). Die grundsätzliche
Befugnis des Steuergesetzgebers, einen solchen Strukturwandel im System der Körperschaftsbesteuerung
herbeizuführen, wird von der Beschwerdeführerin nicht infrage gestellt und ist damit nicht Gegenstand dieses
Verfassungsbeschwerdeverfahrens. Sie steht im Übrigen verfassungsrechtlich auch nicht in Zweifel.
52
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich demgegenüber gegen die Ausgestaltung des Übergangs vom alten in das
neue Körperschaftsteuersystem. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte dieser Übergang zum einen möglichst
einfach und zügig vonstatten gehen (a), zum anderen sollte der Wechsel in das neue Körperschaftsteuerrecht in einer
Weise erfolgen, die die Unternehmen vor einem Verlust des angesammelten Körperschaftsteuerminderungspotentials
bewahrt (b). Auch war der Gesetzgeber bestrebt, bei der von ihm hierfür angeordneten Umgliederung der Teilbeträge
verwendbaren Eigenkapitals den rechnerischen Betrag der Thesaurierungsbelastung und die Summe der Teilbeträge
des verwendbaren Eigenkapitals möglichst unverändert zu lassen (c).
53
a) Eines der wesentlichen Anliegen des Gesetzgebers beim Wechsel vom Anrechnungs- zum
Halbeinkünfteverfahren war die damit bezweckte Vereinfachung der Besteuerung von Körperschaften (vgl. BTDrucks
14/2683, S. 93 ff., 121; Otto, Die Besteuerung von gewinnausschüttenden Körperschaften und Anteilseignern nach
dem Halbeinkünfteverfahren, 2006, S. 53 f.). Auch der Übergang vom alten zum neuen
Körperschaftsbesteuerungssystem selbst sollte möglichst einfach abgewickelt werden. Dies war ersichtlich der
eigentliche Grund für die in § 36 Abs. 3 KStG vorgesehene Zusammenführung der belasteten Teilbeträge
verwendbaren Eigenkapitals aus EK 45 und EK 40, die Bildung eines einheitlichen Endbestands hieraus und dessen
Überführung in ein Körperschaftsteuerguthaben nach § 37 Abs. 1 KStG. Auf diese Weise sollten die mit
(Thesaurierungs-)
Körperschaftsteuer
belasteten
Teile
des
verwendbaren
Eigenkapitals
auf
die
Ausschüttungsbelastung von 30% herabgeschleust werden (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 121). Der Vertreter des
Bundesministeriums der Finanzen beantwortete die an ihn im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages bei der
Beratung des Gesetzesvorhabens gerichtete Frage, ob zwingend eine Zusammenfassung der belasteten
Eigenkapitalbestände in einem Betrag erforderlich sei, dahin, dass die in § 36 KStG geregelte Umgliederung der
Vereinfachung diene (vgl. Kurzprotokoll der 60. Sitzung des Finanzausschusses, Protokoll Nr. 14/60, S. 13 f.). Eine
weitergehende Begründung zur Zusammenfassung des EK 45 und des EK 40 unter Einbezug des EK 02 findet sich
im Gesetzgebungsverfahren nicht (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 127). Das Vereinfachungsargument führt auch der
Bundesfinanzhof in dem hier angegriffenen Urteil mehrfach zur Rechtfertigung der streitigen Umgliederungsregelung
an. In Übereinstimmung damit wird in der Stellungnahme des Bundesministeriums der Finanzen betont und in den
übrigen in diesem Verfassungsbeschwerdeverfahren abgegebenen Stellungnahmen bestätigt, dass die in den
Umgliederungsbestimmungen der §§ 36 ff. KStG vorgesehene Reduzierung und Zusammenführung der Teilbeträge
belasteten Eigenkapitals der Vereinfachung bei der Abwicklung des Anrechnungsverfahrens in der Übergangszeit
dienen sollen.
54
b) Die Umgliederungsregelungen verfolgten ausweislich des Gesetzentwurfs der Regierungsfraktionen zum
Steuersenkungsgesetz darüber hinaus das Ziel sicherzustellen, „dass die bei Fortgeltung des Anrechnungsverfahrens
bei einer Ausschüttung künftig entstandenen Körperschaftsteuerminderungen im Ergebnis erhalten bleiben“ (vgl.
BTDrucks 14/2683, S. 121). Hierauf waren die durch das Steuersenkungsgesetz in das Körperschaftsteuergesetz
eingefügten Umgliederungsregelungen ausgerichtet und konnten dieses Ziel im Regelfall auch erreichen (s.o. unter 2).
55
c) Weder das Erhaltungs- noch das angestrebte Vereinfachungsziel begründen indes ohne Weiteres die in § 36
Abs. 3 und 4 KStG konkret gewählte Umgliederungstechnik. Die komplizierte doppelte Umrechnung des Bestands an
EK 45 mit 27/22 in das EK 40 und negativen 5/22 in das EK 02 wird erst durch die vom Bundesministerium der
Finanzen in diesem Verfahren abgegebene Stellungnahme nachvollziehbar erläutert. Danach wird mit dem in § 36
Abs. 3 Satz 1 KStG vorgesehenen Faktor 27/22 sichergestellt, dass bei der damit erfolgten Umrechnung von dem mit
45% thesaurierungssteuerbelasteten Eigenkapital aus dem EK 45 zum EK 40 die gezahlte Körperschaftsteuer auch
nach der Umgliederung rechnerisch gleich hoch bleibt. Der zweite Schritt in § 36 Abs. 3 Satz 2 KStG - die
Verminderung des EK 02 um 5/22 des EK 45-Wertes - sorgt sodann im Regelfall dafür, dass im Ergebnis das im
EK 45 enthaltene Körperschaftsteuerminderungspotential erhalten bleibt, weil dies mit dem ersten
Umgliederungsschritt nach § 36 Abs. 3 Satz 1 KStG noch nicht erreicht wird (s.o. unter 2).
56
Der zweite Rechenschritt gewährleistet darüber hinaus, dass die Summe der Teilbeträge verwendbaren
Eigenkapitals durch die Umgliederung nicht verändert wird. Das in der Steuerbilanz ausgewiesene verwendbare
Eigenkapital muss - davon ist der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 36 Abs. 3 und 4 KStG ausgegangen -
Maßstab und Grenze für die Umgliederung sein. Denn nach § 30 Abs. 1 GmbHG darf für Gewinnausschüttungen nur
der Teil des bilanziellen Eigenkapitals verwendet werden, der nicht zum Stammkapital gehört (Hueck/Fastrich, in:
Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 18. Aufl. 2006, § 30 Rn. 1 und 10 f.). Gleiches gilt bei der Aktiengesellschaft für
das gezeichnete Nennkapital nach § 57 Abs. 1 AktG (vgl. Hüffer, Aktiengesetz, 8. Aufl. 2008, § 57 Rn. 1). Während
der Geltung des Anrechnungsverfahrens war der Gesetzgeber folglich stets bestrebt, zwischen steuerbilanziellem
Eigenkapital und verwendbarem Eigenkapital laut Gliederungsrechnung einen Gleichklang herzustellen. Dies zeigte
sich auch an den früheren, zur Zusammenfassung verschiedener Teilbeträge führenden Umgliederungsregelungen des
§ 54 Abs. 8 KStG in der Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I S. 1093), des § 54 Abs.
11a und 11b in der Fassung des Standortsicherungsgesetzes (Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen
Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt - StandOG - vom
13. September 1993, BGBl I S. 1569) und des § 54 Abs. 11 KStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002.
57
Auch mit diesen die konkrete Umgliederungstechnik leitenden (Unter-) Zielen verfolgt das Gesetz legitime Zwecke,
indem es eine korrekte Abbildung der geleisteten Thesaurierungssteuer in dem umgegliederten Eigenkapitalbetrag
anstrebt und durch die Wahrung der Summe des verwendbaren Eigenkapitals Verwerfungen mit der Handelsbilanz der
Körperschaften vermeidet.
58
4. Einen tragfähigen Sachgrund für die durch Umgliederungsverluste verursachte ungleiche Steuerbelastung liefern
diese Ziele, welche die Ausgestaltung des Übergangs bestimmen, jedoch nicht. Dem Gesetzgeber standen andere
Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, die sämtliche Übergangsziele hätten einhalten können, ohne
umgliederungsbedingte Verluste von Körperschaftsteuerminderungspotential zu verursachen. Der dem Gesetzgeber
gerade bei der Umgestaltung komplexer Regelungssysteme - wie hier beim Wechsel der Körperschaftsteuer vom
Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren - zustehende weite Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfGE 43, 242 <288 f.>;
58, 81 <121>; 67, 1 <15 f.>; 100, 1 <39 ff.>; stRspr) befreit ihn nicht von der Bindung an den Gleichheitssatz. Eine
erhebliche Ungleichbehandlung, die jeglichen sachlichen Grundes entbehrt, weil alle vom Gesetzgeber angestrebten
Regelungsziele auch unter Vermeidung der ungleichen Belastung und ohne Inkaufnahme anderer Nachteile erreicht
werden können, braucht von den Betroffenen nicht hingenommen zu werden.
59
Eine solche Situation ist beim Übergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren im Körperschaftsteuerrecht
gegeben. Zumindest eine Alternativgestaltung der Übergangsregelung drängt sich auf, die bei einer nur geringfügigen
Änderung der gesetzlich vorgesehenen Übergangsbestimmungen die Abwicklung des Anrechnungsverfahrens gleich
einfach
und
zügig
erreicht
und
dabei
den
allein
umgliederungsbedingten
Verlust
von
Körperschaftsteuerminderungspotential vermeidet.
60
a) Die mit der angegriffenen Übergangsregelung verfolgten Ziele hätte der Gesetzgeber auch dadurch erreichen
können, dass er das Körperschaftsteuerguthaben nach § 37 KStG unmittelbar aus den zum Stichtag vorhandenen
Teilbeträgen belasteten Eigenkapitals, dem EK 45 und dem EK 40, bildet, ohne zuvor die Umgliederung nach § 36
Abs. 3 KStG vorzunehmen. Auf diese Weise würde das für den Abbau des Körperschaftsteuerminderungspotentials in
der Übergangszeit vorgesehene Körperschaftsteuerguthaben mit 10/60 aus dem Bestand des vorhandenen EK 40 und
mit 15/55 aus dem Bestand des EK 45 ermittelt, mithin ein Körperschaftsteuerminderungspotential aus zwei
Teilbeträgen belasteten Eigenkapitals berücksichtigt, deren Endbestand zum Stichtag je gesondert festgestellt werden
müsste. Dieses Konzept kommt ohne die in § 36 Abs. 3 KStG vorgesehene Umgliederung aus und bedarf daher auch
nicht der in § 36 Abs. 3 Satz 2 KStG geregelten Verminderung des EK 02. Dadurch wird der nach der geltenden
Übergangsregelung bei einem hohen Bestand an EK 45 und niedrigem oder negativen EK 02 drohende Verlust an
Körperschaftsteuerminderungspotential vermieden, soweit er seine Ursache allein in der Technik der
Umgliederungsrechnung hat. Zugleich bleibt es auch im Falle der je gesonderten Einspeisung des EK 45 und des
EK 40 in das Körperschaftsteuerguthaben bei der vom Gesetzgeber damit angestrebten Herabschleusung der mit
(Thesaurierungs-)Körperschaftsteuer
belasteten
Teile
des
verwendbaren
Eigenkapitals
auf
die
Ausschüttungsbelastung von 30% (s.o. 3 a).
61
Ein derartiger Lösungsvorschlag wurde von den Wirtschaftsverbänden bereits im Gesetzgebungsverfahren zum
Steuersenkungsgesetz eingebracht (vgl. die vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag e.V. mit seiner
Stellungnahme in diesem Verfahren vorgelegte Eingabe vom 16. März 2000 an den Finanzausschuss des Deutschen
Bundestages). Auch die Expertenkommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung hat in ihrem
Abschlussbericht, den sogenannten „Brühler Empfehlungen“, in dem sie sich eingehend mit verschiedenen
Lösungsmöglichkeiten zur Gestaltung des Systemwechsels zu einer neuen Unternehmensbesteuerung
auseinandersetzt, keine Zusammenführung der zum Stichtag bestehenden verschiedenen Teilbeträge belasteten
Eigenkapitals vorgeschlagen (vgl. Bericht der Kommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung, BMF-
Schriftenreihe, Heft 66 <1999>, S. 71; vgl. ferner S. 7 f., 41 des Gutachtens des vom Senat in diesem Verfahren
gehörten Prof. Dr. Peter Bareis sowie die auf entsprechende Lösungsmöglichkeiten verweisenden Bauschatz, in:
Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 36 Rn. 122; Prinz, GmbHR 2001, S. 125 <131>).
62
b) Die Alternativlösung, das Körperschaftsteuerguthaben aus den getrennten Teilbeträgen belasteten Eigenkapitals
zu ermitteln, ohne diese vorher zusammenzuführen, wird allen Zielen gerecht, die den Gesetzgeber bei der
Ausgestaltung des Übergangs vom Vollanrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren geleitet haben.
63
aa) Das Körperschaftsteuerminderungspotential bleibt in diesem Fall vollständig erhalten, da es aus jedem
Teilbetrag belasteten Eigenkapitals entsprechend dem zum Stichtag festgestellten Endbestand ungeschmälert in das
Körperschaftsteuerguthaben nach § 37 KStG einfließt. Die Gefahr einer sogenannten „EK 02-Falle“ kann mangels
Verrechnung von EK 45-Beträgen mit dem EK 02 nicht eintreten. Da keine Umgliederung vorgenommen wird, bleiben
die Abstimmung der Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals mit dem steuerbilanziellen Eigenkapital für den
Zeitpunkt der mit dem Stichtag fingierten Vollausschüttung gewährleistet und der in den Teilbeträgen belasteten
Eigenkapitals abgebildete Betrag geleisteter Körperschaftsteuer erhalten.
64
bb) Bei dieser Lösung kann der Übergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren zumindest ebenso einfach
abgewickelt werden, wie vom Gesetzgeber geplant. Insbesondere könnte der mit der gesetzgeberischen Konzeption
beabsichtigte Vereinfachungseffekt, der darin besteht, dass während der Übergangs- und Abwicklungszeit des alten
Anrechnungsverfahrens nicht die Gliederung des belasteten Eigenkapitals in mehrere Teilbeträge fortgeführt werden
muss, in gleicher Weise umgesetzt werden. Lediglich bei der Bildung des Körperschaftsteuerguthabens müssten noch
beide Teilbeträge, EK 45 und EK 40, berücksichtigt werden. Zu einer spürbaren Verkomplizierung des
Übergangsrechts führte die geringfügig längere Beibehaltung dieser Teilbeträge belasteten Eigenkapitals indes nicht.
Das Gegenteil ist der Fall. Beide Eigenkapitalbestände könnten ohne erkennbaren Mehraufwand in die
Schlussfeststellung nach § 36 Abs. 7 KStG eingehen und wären dann mit der entsprechenden Summe in das
Körperschaftsteuerguthaben nach § 37 Abs. 1 KStG aufzunehmen. Stattdessen bliebe der Finanzverwaltung die
komplizierte Umgliederungsrechnung nach § 36 Abs. 3 KStG erspart.
65
Die mit der gesetzlichen Übergangsregelung im Übrigen einhergehenden Erleichterungen bei der Abwicklung des
Anrechnungsverfahrens könnten bei der Alternativlösung hingegen in gleicher Weise erreicht werden. Vereinfachend
wirkt die Umwandlung der auf den 31. Dezember 2000 nach § 36 Abs. 7 KStG festgestellten Endbeträge aus dem
EK 40 in ein Körperschaftsteuerguthaben nach § 37 Abs. 1 KStG, das ursprünglich mit jeder Gewinnausschüttung
kontinuierlich abgebaut wurde und mittlerweile seit 2008 ratierlich ausgezahlt wird (§ 37 Abs. 4 bis 7 KStG i.d.F. des
SEStEG). Dies erspart zusammen mit den übrigen Verrechnungsvorschriften die Fortführung der
Eigenkapitalgliederung über den Zeitraum von - zunächst - 15 Jahren, währenddessen das
Körperschaftsteuerguthaben abgebaut werden kann. Diese Zusammenfassung im Körperschaftsteuerguthaben hängt
indes nicht von der in § 36 Abs. 3 KStG angeordneten vorherigen Umgliederung des EK 45 in das EK 40 ab. Sie kann
genauso erfolgen, wenn das Körperschaftsteuerminderungspotential aus dem EK 45 unmittelbar mit 15/55 in das
Guthaben nach § 37 Abs. 1 KStG einfließt. Ein erkennbarer verwaltungstechnischer Mehraufwand ist damit nicht
verbunden, es bleibt vielmehr umgekehrt das komplizierte Umgliederungsverfahren nach § 36 Abs. 3 Satz 1 und 2
KStG in EK 40 und EK 02 erspart (ähnlich Hey, in: Herrmann/Heuer/Raupach, KStG, vor § 36 Rn. R 33 ).
66
cc)
Abstimmungsprobleme
zwischen
bilanziellem
Eigenkapital
und
dem
Eigenkapital
laut
körperschaftsteuerrechtlicher Gliederungsrechnung treten bei dieser Lösung ebenfalls nicht auf. Eine Realisierung des
aus dem EK 45 stammenden Guthabens ist über die Vorschrift des § 37 KStG auch in diesem Fall nur dann möglich,
wenn handelsrechtlich zulässige Gewinnausschüttungen erfolgen. Zwar wäre bei einer Ausschüttung aus dem
Körperschaftsteuerguthaben nach § 37 KStG nicht ersichtlich, ob und inwieweit dieses Guthaben ursprünglich aus
dem EK 40 oder dem EK 45 stammt. Dies ist allerdings auch bei der Gesetz gewordenen Regelung nicht anders, da
das dort allein in das Körperschaftsteuerguthaben nach § 37 KStG überführte Körperschaftsteuerminderungspotential
aus dem EK 40 sich zusätzlich aus dem zuvor mit 27/22 aus dem EK 45 umgegliederten EK 40 zusammensetzt. Ob
das im Ausschüttungsfall realisierte Guthaben ausschließlich aus dem ursprünglichen EK 40 oder aus dem
vormaligen EK 45 stammt, ist also auch im geltenden Recht nicht ersichtlich und für die Handhabung und die
Bewertung der Übergangsregelung im Übrigen unerheblich.
67
Die nach § 37 Abs. 2 KStG vorgesehene einheitliche Minderung des Körperschaftsteuerguthabens um jeweils 1/6
des Betrags der Gewinnausschüttung führt bei der Alternativlösung ebenso wenig zu einer Verzerrung der
maßgeblichen Kenngrößen wie im Falle der gesetzlichen Übergangsregelung. Sie hat für beide Varianten in gleicher
Weise lediglich zur Folge, dass die Realisierung des Körperschaftsteuerguthabens länger dauert oder einen höheren
Ausschüttungsbetrag verlangt, als es nach dem früheren Anrechnungsverfahren bei einer Ausschüttung unmittelbar
aus dem EK 45 heraus der Fall gewesen wäre. Der Gesetzgeber wäre im Übrigen nicht gehindert, dem durch die Wahl
eines höheren Minderungsfaktors - etwa 1/5 - in § 37 Abs. 2 KStG Rechnung zu tragen.
68
Es wäre im Übrigen aber auch kein gravierender Mehraufwand erkennbar, wenn - als weitere Gestaltungsvariante -
die Eigenkapitalgliederung unter anderem mit den beiden Teilbeträgen aus EK 45 und EK 40 während der
vorgesehenen Abwicklungszeit für zunächst 15 Jahre getrennt, also ohne Zusammenfassung in einem
Körperschaftsteuerguthaben, fortgeführt würde. Dies hätte zumindest den Vorteil, dass die Realisierung des
Körperschaftsteuerminderungspotentials mit dem jeweils angemessenen Ausschüttungsfaktor (von 15/55 bei EK 45
und 10/60 bei EK 40) erfolgen könnte. Jedenfalls hätte der mit einer solchen Übergangsalternative einher gehende
Vereinfachungsverlust kein solches Gewicht, dass gemessen daran die mit der gesetzlichen Umgliederungsregelung
verbundenen Verluste von Körperschaftsteuerminderungspotential hinnehmbar erschienen.
69
dd) Den Übergang zum Halbeinkünfteverfahren wollte der Gesetzgeber zügig vornehmen und ein längeres
Nebeneinander mit dem auslaufenden Anrechnungsverfahren vermeiden (vgl. die entsprechenden Vorschläge im
Bericht der Kommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung, a.a.O., S. 71, die der Gesetzgeber ausdrücklich
aufgegriffen hat ). Der Zeitraum, in dem alte und neue Unternehmensbesteuerung
gleichzeitig Anwendung finden, sollte - von der letztmaligen Feststellung der Endbeträge des Eigenkapitals auf den
31. Dezember 2000 nach § 47 Abs. 1 KStG 1977 bis zur erstmaligen Ermittlung des Körperschaftsteuerguthabens
und des Endbetrags des EK 02 nach § 37 und § 38 KStG auf den 31. Dezember 2001 - maximal ein Jahr betragen
(vgl. Bericht der Kommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung, a.a.O., S. 71; Hey, a.a.O., vor § 36 Rn. 4
). Danach waren in den Folgejahren nur noch das Körperschaftsteuerguthaben und sonstige Endbestände
verwendbaren Eigenkapitals nach § 36 Abs. 7 KStG unter Anknüpfung an das Anrechnungsverfahren abzuwickeln.
Überlegungen, das Anrechnungsverfahren noch für einen längeren Zeitraum fortzuführen (Rödder/Wochinger, FR 2000,
S. 1 <12>), ist der Gesetzgeber nicht gefolgt, weil zu befürchten war, dass die Parallelführung von zwei Systemen
„verwaltungsmäßige“ Schwierigkeiten mit sich bringe (vgl. Bericht der Kommission zur Reform der
Unternehmensbesteuerung, a.a.O., S. 64).
70
Das nahe liegende, verfassungsrechtlich jedenfalls nicht zu beanstandende Bestreben des Gesetzgebers, die
Systemumstellung schnell zu vollziehen, rechtfertigt indes nicht die aus dem Verlust von
Körperschaftsteuerminderungspotential herrührende ungleiche Belastung der Unternehmen mit Körperschaftsteuer.
Denn die Zügigkeit des Übergangs hängt in keiner Weise von der Umgliederung des EK 45 in das EK 40 und das EK
02 ab. Der Übergang zum Halbeinkünfteverfahren hätte zumindest ebenso schnell ohne diese Umgliederung
bewerkstelligt werden können. Auf den Zeitrahmen für den Übergang ist die Alternativlösung ohne Einfluss, hätte also
in gleicher Weise bis 2000 beziehungsweise 2001 und sodann mit einer Abwicklungszeit von zunächst 15, später 18
Jahren ins Werk gesetzt werden können, während der im Übrigen bereits das Halbeinkünfteverfahren Anwendung
findet.
71
5. Andere Sachgründe, aus denen sich eine Rechtfertigung der ungleichen Körperschaftsteuerbelastung ergeben
könnte, die durch die in § 36 Abs. 3 und 4 KStG vorgeschriebene Umgliederung der Teilbeträge belasteten
Eigenkapitals verursacht wird, liegen nicht vor.
72
Ohne Erfolg beruft sich das Bundesministerium der Finanzen darauf, dass bereits in früheren Jahren unter Geltung
des Anrechnungsverfahrens die Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals, die mit einem nicht mehr aktuellen
Thesaurierungssteuersatz belastet waren, regelmäßig in gleicher Weise wie nunmehr das EK 45 in einen mit dem
geltenden Thesaurierungssteuersatz belasteten Teilbetrag umgegliedert wurden, dass eine derartige Umgliederung für
das EK 45 nach § 54 Abs. 11 KStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 ohnehin zum 31.
Dezember 2003 vorgesehen war und dass Vereinfachungsmaßnahmen dieser Art in der Vergangenheit stets als
verfassungsrechtlich unbedenklich beurteilt worden waren (vgl. dazu Hey, a.a.O., vor § 36 Rn. R 33 ).
Dieser Umstand erklärt zwar, warum für die Umgliederung nach § 36 Abs. 3 KStG jetzt die gleiche Regelungstechnik
mit denselben Umrechnungsfaktoren gewählt wurde, rechtfertigt aber nicht die damit bewirkte ungleiche
Steuerbelastung durch die teilweise Vernichtung von Körperschaftsteuerminderungspotential. Der Hinweis auf die
früher verwendeten Umgliederungsregelungen lässt jedoch außer Acht, dass sie einer Reduzierung der Teilbeträge
belasteten Eigenkapitals bei einem Fortbestand des Anrechnungsverfahrens im Übrigen dienten und zudem jeweils
mit einer mehrjährigen Übergangsfrist versehen waren. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die
Verfassungsmäßigkeit dieser früheren Übergangsregelungen nicht in Frage gestellt wurde. Da das
Anrechnungsverfahren in jenen Fällen fortgeführt wurde, bedurfte es nicht der nunmehr in § 36 Abs. 4 KStG
vorgesehenen, den Verlust an Körperschaftsteuerminderungspotential wesentlich verursachenden Verrechnung eines
negativen Bestands an EK 02 mit den Teilbeträgen belasteten Eigenkapitals. Außerdem hatten die Unternehmen
aufgrund der mehrjährigen Übergangsfristen in der Regel ausreichend Zeit, ungünstige Umgliederungsergebnisse
durch rechtzeitige Gewinnausschüttungen zu vermeiden.
73
Unter der Geltung des Anrechnungsverfahrens bestand außerdem ein legitimes Interesse des Gesetzgebers, aus
Gründen der Verwaltungsvereinfachung und auch der Praktikabilität für den Steuerpflichtigen, die Zahl der Teilbeträge
des verwendbaren Eigenkapitals überschaubar zu halten, das bei der Beendigung des Anrechnungsverfahrens nicht in
gleicher Weise gilt. Wäre es nicht im Laufe der Jahre regelmäßig zu einer solchen Reduzierung der Teilbeträge
gekommen, hätten im Jahr 2000 aufgrund der zwischenzeitlichen Änderungen des Steuersatzes insgesamt 13
verschiedene Teilbeträge berücksichtigt werden müssen (vgl. die Übersicht bei Dötsch, in: Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die
Körperschaftsteuer, § 30 KStG a. F., Rn. 50 ). Mit der Beendigung des Anrechnungsverfahrens war
dieses Bedürfnis zur Reduzierung der Teilbeträge aber entfallen. Die Frage einer Verkomplizierung durch zu viele
Teilbeträge stellte sich nicht mehr. Der Gesetzgeber hatte sich entschlossen, als einzige Teilbeträge den Teilbetrag
des (positiven) EK 02 nach § 38 KStG sowie den Teilbetrag des EK 04 nach § 39 KStG in das neue System hinüber
zu nehmen (BTDrucks 14/2683, S. 127). Alle übrigen Teilbeträge, insbesondere der belastete Teilbetrag des EK 40,
sollten hingegen nach der gesonderten Feststellung des jeweiligen Endbestands nicht weitergeführt werden. Vielmehr
war vorgesehen, lediglich das EK 40 in Form des Körperschaftsteuerguthabens nach § 37 KStG in das neue Recht
überzuleiten (BTDrucks 14/2683, S. 127). Das Problem einer zunehmenden Zahl von Teilbeträgen, die über einen
längeren Zeitraum fortgeführt werden müssten, stellte sich nach der Abschaffung des Anrechnungsverfahrens also
nicht mehr. Der Hinweis auf die daran orientierten Umgliederungsregelungen früheren Rechts geht daher ins Leere.
74
b) Der gesetzlichen Ausgestaltung des Übergangs vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren liegt die Fiktion
einer Vollausschüttung des gesamten verwendbaren Eigenkapitals der jeweiligen Körperschaft zum Zeitpunkt der
Beendigung des Anrechnungsverfahrens zugrunde. Danach soll bei den betroffenen Körperschaften der
Körperschaftsteuerminderungsbetrag erhalten bleiben, der sich bei einer Vollausschüttung im Anrechnungsverfahren
auf den Zeitpunkt des Systemwechsels ergeben hätte. Diese Konzeption geht auf die Empfehlung der Kommission
zur Reform der Unternehmensbesteuerung (a.a.O., S. 71) zurück. Sie ist konsequent, denn sie trägt dem Umstand
Rechnung, dass das Anrechnungsverfahren kurzfristig binnen eines Jahres beendet werden sollte. Ausgehend hiervon
ist es folgerichtig, den Erhalt des Körperschaftsteuerminderungsbetrags daran zu knüpfen, ob nach Ablauf dieses
Jahres die Realisierung des Körperschaftsteuerminderungspotentials möglich gewesen wäre. Dies hing maßgeblich
davon ab, ob und in welchem Umfang negatives EK 02 vorlag. Negatives EK 02 spiegelte unter Geltung des
Anrechnungsverfahrens die Situation wieder, dass das in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital unter der
Summe der Teilbeträge an belastetem verwendbaren Eigenkapital lag und wirkte daher im Ergebnis wie eine
handelsrechtliche Ausschüttungssperre. Denn das laut Gliederungsrechnung verwendbare Eigenkapital konnte nur in
Höhe des vorhandenen bilanziellen Eigenkapitals zu Ausschüttungen verwendet werden (§ 30 Absatz 1 GmbHG, § 57
Absatz 1 und 3 AktG).
75
Soweit ein negativer Bestand an EK 02 indes allein durch die - als solche nicht erforderliche (s.o. B I 4) - Technik
der Umgliederung des EK 45 in das EK 40 entsteht, hat der damit einher gehende Verlust an
Körperschaftsteuerminderungspotential seine Ursache nicht in der Fiktion der Vollausschüttung und kann daher auch
nicht mit dieser Annahme gerechtfertigt werden. Denn der Verlust ist in diesem Fall nicht Konsequenz der
mangelnden wirtschaftlichen Stärke des Unternehmens im Zeitpunkt der Systemumstellung, sondern wird durch diese
Umstellung erst geschaffen.
76
Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin unter altem Recht aufgrund einer handelsrechtlichen
Ausschüttungssperre ihr Körperschaftsteuerminderungspotential nicht hätte realisieren können, sind auch nicht
ersichtlich. Die Beschwerdeführerin verfügte ausweislich der von ihr vorgelegten Bilanz auf den 31. Dezember 2000 in
den Jahren 2000 und 2001 über ausreichende Beträge an bilanziellem Eigenkapital, um ohne Verstoß gegen das
Gebot zur Erhaltung des Stammkapitals entsprechende Ausschüttungen vornehmen zu können. Sie hätte daher -
bezogen auf den Umstellungszeitpunkt - ihr Körperschaftsteuerminderungspotential realisieren können. Ohne die
Umgliederung nach § 36 Abs. 3 KStG hätte sich für die Beschwerdeführerin allenfalls eine Ausschüttungssperre in
Höhe des Betrags einer negativen Summe aus - bereits vorhandenem - EK 01 und negativem EK 02 ergeben. Nur in
dieser geringen Höhe hätte gegebenenfalls das EK 45 nicht ausgeschüttet werden können. Lediglich in dieser Höhe
wäre nach der Konzeption der Vollausschüttung gemäß § 36 Abs. 4 KStG aufgrund der Verrechnung mit belasteten
Eigenkapitalbeträgen die Realisierung des Körperschaftsteuerminderungspotentials nicht möglich gewesen.
77
c) Der Bundesfinanzhof ist in dem angegriffenen Urteil verfassungsrechtlichen Angriffen der Beschwerdeführerin
gegen die Übergangsregelung vor allem mit dem Hinweis darauf entgegengetreten, dass die von einem Verlust an
Körperschaftsteuerminderungspotential bedrohten Unternehmen dem durch entsprechende steuerliche Gestaltung
hätten entgehen können und der Gesetzgeber sich deshalb mit den in Frage stehenden Bestimmungen noch im
Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit gehalten habe. Den in den Umgliederungsvorschriften angelegten
Gleichheitsverstoß vermögen die den Betroffenen jedenfalls überwiegend offen stehenden Ausweichmöglichkeiten des
„Schütt-aus-Leg-ein-Verfahrens“ oder des „Leg-ein-Hol-zurück-Verfahrens“ jedoch nicht zu rechtfertigen.
78
aa) Das Bundesverfassungsgericht hat es in seiner Rechtsprechung allerdings nicht von vornherein für
ausgeschlossen gehalten, dass steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten des Steuerpflichtigen von Einfluss auf die
verfassungsrechtliche Beurteilung einer belastenden Steuervorschrift sein können. So hat es in seinem Beschluss zur
sogenannten Abfärberegelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG die Rechtsfolge dieser Norm, dass die gesamte Tätigkeit
einer nur teilweise gewerbliche Einkünfte erzielenden Personengesellschaft als Gewerbebetrieb gilt, unter anderem
deshalb als den Steuerpflichtigen nicht übermäßig belastend angesehen, weil er sich der Wirkung dieser Vorschrift
durch gesellschaftsrechtliche Gestaltung ohne Weiteres entziehen könne (vgl. BVerfGE 120, 1 <51 ff.>). Das
Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang jedoch betont, dass eine Ausweichoption gegenüber einem
belastenden Steuergesetz, die ein bestimmtes steuerlich relevantes Verhalten des Steuerpflichtigen voraussetzt, im
Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung dieses Steuergesetzes aus rechtsstaatlichen Gründen nur dann als
belastungsmindernd berücksichtigt werden kann, wenn das in Frage kommende Verhalten zweifelsfrei legal ist, keinen
unzumutbaren Aufwand für den Steuerpflichtigen bedeutet und ihn auch sonst keinem nennenswerten finanziellen oder
rechtlichen Risiko aussetzt.
79
bb) Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf die hier in Streit stehenden Regelungen des Übergangs vom
Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren nicht erfüllt. Die anlässlich des Systemwechsels in der steuerrechtlichen
Fachliteratur diskutierten und in vielen Fällen auch angewandten Ausweichmöglichkeiten in Gestalt des „Schütt-aus-
Leg-ein-Verfahrens“ und des „Leg-ein-Hol-zurück-Verfahrens“ (vgl. u.a. Dörner, Inf 2000, S. 589 <591, 593>;
Günkel/Fenzl/Hagen, DStR 2000, S. 445 <452>; Jost, DStR 2001, S. 961 <964 f.>; Kiesel, BB 2000, S. 1014
<1017>; Klapdor/Hild, DStZ 2000, S. 737 <742 f.>; Laß, VersorgW 2001, S. 101 <102 ff.>; Roser, GmbHR 2000, S.
1189; Schiffers, GmbHR 2000, S. 901 ff.; Wesselbaum-Neugebauer, DStR 2000, S. 1896 <1900 f.>) können die mit
dem Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotential verbundene Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Die
nachteiligen Folgen der Umgliederung für das Körperschaftsteuerminderungspotential konnten von den Unternehmen
zwar durch entsprechende steuerliche Gestaltung vermieden oder zumindest verringert werden. Die Verweisung auf
eine solche Gestaltungsmöglichkeit brauchen sich die Körperschaften aber schon deshalb nicht entgegenhalten zu
lassen, weil dem Gesetzgeber selbst ohne Weiteres eine die Belastung vermeidende Gesetzesgestaltung möglich
gewesen wäre.
80
Zudem handelt es sich bei dem „Schütt-aus-Leg-ein-Verfahren“ und dem „Leg-ein-Hol-zurück-Verfahren“ nicht um
einfach durchzuführende Gestaltungen. So musste entweder auf der Ebene der Körperschaft oder auf der Ebene der
Gesellschafter ausreichend Liquidität zur Verfügung stehen, um von den Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch machen
zu können (vgl. Binnewies, GmbHR 2005, S. 1450 f.), und die Gesellschafter mussten entsprechende Beschlüsse
fassen. Während im Fall des „Schütt-aus-Leg-ein-Verfahrens“ Ausschüttungen noch bis zum 31. Dezember 2001
vorgenommen werden konnten, um auf die Endbestände des verwendbaren Eigenkapitals Einfluss nehmen zu
können, mussten im Fall des „Leg-ein-Hol-zurück-Verfahrens“ die Einlagen bis zum 31. Dezember 2000 und damit in
einem sehr engen Zeitfenster nach Verkündung des Steuersenkungsgesetzes erfolgen. Schließlich sind
Gestaltungsüberlegungen im Zusammenhang mit Ausschüttungen immer abhängig von der steuerlichen Situation bei
den Anteilseignern der Kapitalgesellschaft. Dies verkompliziert sich noch, wenn die steuerlichen und finanziellen
Interessen unterschiedlicher Anteilseignergruppen zu berücksichtigen sind (vgl. Klapdor/Hild, a.a.O., S. 741 ff.;
Schiffers, a.a.O., S. 905 ff.).
81
Gerade der Fall der Beschwerdeführerin zeigt, dass diese Gestaltungen mit nicht unerheblichen finanziellen Risiken
verbunden waren, die sie nicht in Kauf zu nehmen brauchte. So wäre es der Beschwerdeführerin zwar technisch wohl
möglich gewesen, eines der in der Diskussion befindlichen Ausweichmodelle zu nutzen, das aber aller Voraussicht
nach für ihre Gesellschafter zu erheblichen finanziellen Nachteilen geführt hätte. Denn die Beschwerdeführerin
verfügte ausweislich ihrer Angaben in den Jahren 2000 und 2001 über ausreichendes
,
Ausschüttungsvolumen, um im Wege des „Schütt-aus-Leg-ein-Verfahrens“ eine Ausschüttung des gesamten
Bestands an EK 45 vorzunehmen. Diese Ausschüttung hätte allerdings von den Anteilseignern nach den allgemeinen
einkommensteuerlichen Vorschriften versteuert werden müssen, wobei hinzu kommt, dass sich der mit 73,35%
unmittelbar beteiligte Mehrheitsgesellschafter der Beschwerdeführerin im Bereich des Spitzensteuersatzes befand.
82
Es kommt hier nicht darauf an, ob oder wie weit derartige Risiken den Gestaltungsmöglichkeiten überhaupt die
Eignung nehmen, belastende Steuernormen in einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Weise
abzufedern. Maßgeblich ist vielmehr, dass nicht alle körperschaftspflichtigen Unternehmen gleichermaßen zur
Verhinderung von Steuernachteilen auf diese Gestaltungsmöglichkeiten angewiesen sind, sondern ohne sachliche
Rechtfertigung nur solche, die zum maßgeblichen Umrechnungszeitpunkt über einen erheblichen Bestand an EK 45
und über wenig oder einen negativen Bestand an EK 02 verfügten und somit in die sogenannte „EK 02-Falle“ geraten.
Die Ungleichbehandlung zwischen den Unternehmen je nach ihrem Bestand an EK 45 und EK 02 wird durch diese
Gestaltungsmöglichkeiten folglich nicht aufgehoben oder minimalisiert, sondern setzt sich in ihnen fort.
83
d)
Zur
Rechtfertigung
des
durch
die
Umgliederung
entstandenen
Verlusts
von
Körperschaftsteuerminderungspotential bei der Beschwerdeführerin kann auch nicht in der Art eines
Vorteilsausgleichs darauf abgestellt werden, dass das neue Halbeinkünfteverfahren - seit 2009 fortentwickelt zu einem
Teilanrechnungsverfahren mit einer Besteuerung von 60% der Gewinnausschüttungen mit einem Definitivsteuersatz
von 15% - in einer Gesamtschau der Belastung von Gesellschaft und Gesellschafter insgesamt zu steuerlichen
Vorteilen für Unternehmer und Anteilseigner führt. Solche Vorteile der neuen Körperschaftsteuer sind, falls sie bei der
Beschwerdeführerin im maßgeblichen Zeitraum überhaupt auftreten sollten, generell nicht dazu geeignet,
Umgliederungsverluste zu kompensieren.
84
aa) Unter der Geltung des Halbeinkünfteverfahrens unterliegen künftige Gewinne nach § 23 KStG beim Unternehmen
einheitlich einer Besteuerung von 25%, die allerdings - anders als nach dem bisherigen Anrechnungsverfahren -
definitiv ist. Diese Besteuerung betrifft jedoch nur unter neuem Recht erzielte Gewinne. Gewinne nach altem Recht
sollen im Ausschüttungsfall nach wie vor einer Belastung von 30% unterfallen (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 121), die
nach der Umstellung auf das Halbeinkünfteverfahren in der Übergangszeit der Abwicklung des Anrechnungsverfahrens
nunmehr ebenfalls definitiv bleibt, da es auf Gesellschafterebene nicht mehr zur Anrechnung kommt. Mit dem
Untergang von Körperschaftsteuerminderungspotential werden unter altem Recht erzielte und nach der
Systemumstellung ausgeschüttete Gewinne im Ergebnis aber höher als mit den vorgesehenen 30% belastet. Das
steht weder in Einklang mit dem Ziel einer Definitivbelastung von 30% noch mit dem Unternehmenssteuersatz des
Halbeinkünfteverfahrens von 25%.
85
bb) Der Untergang des Körperschaftsteuerminderungspotentials kann auch nicht mit Blick auf die Ebene des
Anteilseigners damit gerechtfertigt werden, dass die Anteilseigner zukünftige Ausschüttungen nach § 3 Nr. 40 EStG
nur noch zur Hälfte versteuern müssen und zudem in den Genuss der ab 2000 von 51% auf 42% sinkenden
Einkommensteuersätze kommen. Unabhängig von der Frage, ob die Neuregelung des Halbeinkünfteverfahrens der
Beschwerdeführerin im konkreten Fall für den in Streit stehenden Zeitraum einen steuerlichen Vorteil bringt oder nicht
(vgl. zur steuerlichen Behandlung von Ausschüttungen vor und nach dem Systemwechsel unter anderem Schiffers,
a.a.O., S. 907 ff.), können damit, selbst wenn das Halbeinkünfteverfahren insgesamt zu einer steuerlichen Entlastung
von Unternehmen und Anteilseignern auch in der Übergangszeit führen sollte, Umgliederungsverluste der
Beschwerdeführerin schon deshalb nicht kompensiert werden, weil diese Vorteile allen Unternehmern und
Anteilseignern in gleicher Weise zugutekommen, die Verluste an Körperschaftsteuerminderungspotential durch die
Umgliederung hingegen nur eine bestimmte Gruppe von Unternehmen und Anteilseignern treffen.
86
e) Die ungleiche Belastung durch die Umgliederungsverluste kann schließlich auch nicht unter Berufung auf die dem
Gesetzgeber zustehende Pauschalierungs- und Typisierungsbefugnis gerechtfertigt werden.
87
aa) Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass dem Gesetzgeber namentlich
bei Steuergesetzen in der Regel ein Pauschalierungs- und Typisierungsspielraum zusteht, weil sie Massenvorgänge
des Wirtschaftslebens betreffen. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerlichen
Folgen knüpfen, typisieren und dabei in weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen. Die
wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr
müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig
verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen. Außerdem darf eine gesetzliche Typisierung keinen
atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (vgl. BVerfGE
110, 274 <292>; 117, 1 <31>; 120, 1 <30>; stRspr).
88
bb) Dass die Umgliederung des Körperschaftsteuerminderungspotentials in EK 40 und EK 02 in bestimmten Fällen
zu einem Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotential führt, lässt sich schon deshalb nicht mit dem Prinzip
notwendiger und damit zulässiger Typisierung in Massenverfahren begründen, weil die Vorteile der Typisierung hier
nicht, wie geboten, im rechten Verhältnis zu den mit der Typisierung verbundenen Nachteilen der dadurch ungleich
Belasteten stehen. Denn die Bestimmungen über die Umgliederung des EK 45 sind - gemessen an den vom
Gesetzgeber beim Übergang zum neuen Körperschaftsteuerrecht verfolgten Zielen - einerseits entbehrlich, können
andererseits aber - wie gerade der Fall der Beschwerdeführerin zeigt - bei geringem oder negativem EK 02 zu einem
erheblichen Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotential führen. Die drohenden Umgliederungsverluste sind
außerdem auch nicht, wie schon die in der steuerrechtlichen Literatur umfangreich geführte Diskussion um die
sogenannte „EK 02-Falle“ zeigt, auf vom Gesetzgeber vernachlässigbare atypische Einzelfälle beschränkt.
II.
89
Die Übergangsregelungen in § 36 Abs. 3 und 4 KStG verstoßen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, soweit sie
umgliederungsbedingt zu einem Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotential führen. Insoweit ist ihre
Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG festzustellen, denn dem Gesetzgeber stehen andere Gestaltungsmöglichkeiten
zur Verfügung, die einen gleichheitsgerechten Erhalt des Körperschaftsteuerminderungspotentials bei der von ihm
beabsichtigten Abwicklung des Anrechnungsverfahrens gewährleisten (zur Unvereinbarkeitsfolge bei solchen
Verfassungsverstößen vgl. BVerfGE 99, 280 <298>; 104, 126 <149>; 105, 73 <133>; 117, 1 <69>; 121, 317 <373>;
122, 210 <244>; stRspr). Hierzu kann er etwa die oben (B I 4 a) näher erläuterte Lösung wählen, das
Körperschaftsteuerguthaben nach § 37 KStG unmittelbar aus den zum Stichtag vorhandenen Teilbeträgen belasteten
Eigenkapitals, dem EK 45 und dem EK 40, zu bilden, ohne zuvor die Umgliederung nach § 36 Abs. 3 KStG
vorzunehmen. Verfassungsgemäß und ebenfalls nicht mit einem unvertretbaren Verwaltungsmehraufwand verbunden
wäre aber zum Beispiel auch eine Lösung, die die Eigenkapitalgliederung mit den beiden Teilbeträgen belasteten
Eigenkapitals, dem EK 45 und dem EK 40, während der vorgesehenen Abwicklungszeit des Anrechnungsverfahrens
getrennt, also ohne Zusammenfassung in einem Körperschaftsteuerguthaben, fortführt. Dies hätte immerhin den
Vorteil, dass die Realisierung des Körperschaftsteuerminderungspotentials mit dem jeweils zugehörigen
Ausschüttungsfaktor (von 15/55 bei EK 45 und 10/60 bei EK 40) erfolgen könnte.
90
Die Feststellung der Unvereinbarkeit des § 36 Abs. 3 und 4 KStG mit dem Grundgesetz wirkt auf den Zeitpunkt
seines Inkrafttretens zum 1. Januar 2001 zurück. Gründe dafür, ausnahmsweise von dieser Rechtsfolge abzusehen
und die verfassungswidrige Norm gleichwohl für anwendbar zu erklären (vgl. dazu BVerfGE 93, 121 <148>; 105, 73
<134>; 117, 1 <70>), liegen nicht vor. Gerichte und Verwaltungsbehörden dürfen die Norm im Umfang der
festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden, laufende Verfahren sind auszusetzen (stRspr; vgl. BVerfGE 73,
40 <101>; 105, 73 <134>).
91
Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens mit Wirkung zum 1. Januar 2011 für die noch nicht bestandskräftig
abgeschlossenen Verfahren eine Neuregelung zu treffen, die den Erhalt des im Zeitpunkt des Systemwechsels in dem
Teilbetrag EK 45 enthaltenen und zu diesem Zeitpunkt realisierbaren Körperschaftsteuerminderungspotentials
gleichheitsgerecht sicherstellt.
C.
92
Die Entscheidung ist mit 6:2 Stimmen ergangen.
Papier
Hohmann-Dennhardt
Bryde
Gaier
Eichberger
Schluckebier
Kirchhof
Masing