Urteil des BVerfG vom 16.03.2006

BVerfG: arzneimittel, vollstreckung der strafe, unverletzlichkeit der wohnung, faires verfahren, verfassungsbeschwerde, anwendungsbereich, bewährung, strafverfahren, beweisverwertungsverbot

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 954/02 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn K ...,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Prof. Dr. Rainer Hamm und Koll.,
Wolfsgangstraße 92, 60322 Frankfurt am Main -
gegen
a)
den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 3. März 2004 - 2 StR 480/03 -,
b)
das Urteil des Landgerichts Gießen vom 9. Juli 2003 - 9 KLs 9 Js 26229.2/93 -,
c)
den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 19. März 2003 - 2 StR 23/03 -,
d)
das Urteil des Landgerichts Gießen vom 24. Oktober 2002 - 1 KLs 502-9 Js
26229.2/93 -,
e)
den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26. April 2002 - 2 StR 55/02 -,
f)
das Urteil des Landgerichts Gießen vom 28. September 2001 - 2 KLs 502-9 Js
26229.2/93 -,
g)
das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3. Dezember 1997 - 2 StR 270/97 -,
h)
§ 96 Nr. 4 AMG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 5 und § 13 AMG
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richter Di Fabio
und Landau
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 16. März 2006 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Bestimmtheit von § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG, die Verwertbarkeit bei nicht
verfassungskonformen Durchsuchungsmaßnahmen gewonnener Beweise, die Frage der überlangen Dauer von
Strafverfahren und die richterliche Besetzung von Auffangspruchkörpern bei Ergänzung der Geschäftsverteilung nach
Zurückweisung der Strafsache durch das Revisionsgericht an das Tatgericht gemäß § 354 Abs. 2 StPO.
I.
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1. Die Strafverfolgungsbehörden erwirkten im November 1993 gegen den Beschwerdeführer einen unter anderem auf
Durchsuchung der ihm gehörenden Räumlichkeiten gerichteten richterlichen Beschluss. Der Beschwerdeführer war
Beschuldigter eines wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz geführten
Ermittlungsverfahrens. Der Durchsuchungsbeschluss wurde im Juli 1994 vollstreckt. Bei dem Beschwerdeführer
konnten die chemischen Substanzen Methyl-Methaqualon und MBDB sichergestellt werden. Beide Substanzen waren
zum Zeitpunkt der Sicherstellung nicht in der Anlage I zu § 1 BtMG als Betäubungsmittel aufgeführt. Am 6. Februar
1995 erhob die Staatsanwaltschaft wegen der sichergestellten chemischen Substanzen Anklage wegen Verstoßes
gegen das Arzneimittelgesetz.
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Nachdem das Landgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens zunächst abgelehnt hatte, fand auf Anordnung des
Oberlandesgerichts die Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer im Februar 1997 statt. Das Landgericht
sprach den Beschwerdeführer frei. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das freisprechende Urteil hatte Erfolg.
Der Bundesgerichtshof befand in seinem Urteil vom 3. Dezember 1997, dass die beim Beschwerdeführer
sichergestellten chemischen Substanzen - entgegen der Auffassung des Landgerichts - als Arzneimittel im Sinne des
§ 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG anzusehen seien.
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Obwohl die Verfahrensakten nach Durchführung des Revisionsverfahrens dem Landgericht bereits im Januar 1998
wieder vorlagen, fand die neue Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer erst im September 2001 statt.
Nunmehr verurteilte das Landgericht den Beschwerdeführer wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Auf die Revision des
Beschwerdeführers hob der Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 26. April 2002 das Urteil im Strafausspruch auf
und verwies die Sache insoweit zu neuerlicher Verhandlung an das Landgericht zurück.
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Die dritte Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer fand im Oktober 2002 statt. Das Landgericht verurteilte
diesen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten. Auch die Vollstreckung dieser Strafe wurde zur Bewährung
ausgesetzt. Die Revision des Beschwerdeführers gegen dieses Urteil hatte wiederum Erfolg. Mit Beschluss vom 19.
März 2003 hob der Bundesgerichtshof den Strafausspruch erneut auf. Entgegen ausdrücklichen Vorgaben im
Beschluss vom April 2002 - so der Bundesgerichtshof - habe das Landgericht die Auswirkungen der inzwischen
eingetretenen Verfahrensdauer auf die Strafbemessung nicht hinreichend konkretisiert.
6
Die Sache wurde wiederum an das Ausgangsgericht zurückverwiesen. Da die dortige Geschäftsverteilung keinen
Spruchkörper vorsah, der für die Bearbeitung von Strafsachen nach deren dritter Zurückverweisung durch den
Bundesgerichtshof zuständig gewesen wäre, beschloss das Präsidium des Landgerichts die Einrichtung einer
Auffangstrafkammer unter namentlicher Benennung der dieser Kammer angehörenden Richter. Zum Zeitpunkt der
Einrichtung der Strafkammer war das Verfahren gegen den Beschwerdeführer die einzige Strafsache, die nach dritter
Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof anhängig war. In der vierten Hauptverhandlung gegen den
Beschwerdeführer verurteilte das Landgericht diesen wegen der Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten. Die Vollstreckung der Strafe setzte das Landgericht zur Bewährung aus. Die
Revision des Beschwerdeführers gegen dieses Urteil hatte keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof verwarf sie durch
Beschluss vom 3. März 2004 als unbegründet.
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2. Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die verurteilenden Erkenntnisse des Landgerichts, das Urteil des
Bundesgerichtshofs und dessen Beschlüsse vom April 2002, März 2003 und März 2004 sowie §§ 96 Nr. 4 AMG in
Verbindung mit 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG und § 13 AMG.
8
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 103 Abs. 2, Art. 13, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
9
Er trägt vor, der Arzneimittelbegriff des § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG sei, soweit er in Verbindung mit der Strafvorschrift des
§ 96 Nr. 4 AMG Anwendung finde, generell zu unbestimmt.
10
Zudem habe im vorliegenden Fall § 1 Abs. 3 BtMG einer Einordnung der sichergestellten chemischen Substanzen
unter die Arzneimittel entgegengestanden. Nach dieser Vorschrift könnten nur solche Substanzen als
Betäubungsmittel eingestuft werden, die keine Arzneimittel seien. Sowohl Methyl-Methaqualon als auch MBDB seien
in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts in die Liste der Betäubungsmittel aufgenommen worden, weshalb
sie nicht zugleich Arzneimittel sein könnten. Die Auslegung des Bundesgerichtshofs, § 1 Abs. 3 BtMG nehme nur
zugelassene Arzneimittel, um die es sich bei Methyl-Methaqualon und MBDB nicht gehandelt habe, davon aus,
zugleich als Betäubungsmittel behandelt zu werden, sei mit Blick auf die Gesetzgebungshistorie der Vorschrift nicht
tragfähig.
11
Als Beweismittel hätten die in amtlichen Gewahrsam überführten Chemikalien ohnehin nicht herangezogen werden
dürfen. Ihrer Verwendung im gerichtlichen Verfahren habe ein Beweisverwertungsverbot entgegengestanden. Die zu
ihrer Auffindung führende Durchsuchungsmaßnahme habe gegen Art. 13 GG verstoßen. Der die Maßnahme
legitimierende gerichtliche Beschluss sei zum Zeitpunkt seiner Vollstreckung bereits älter als sechs Monate gewesen.
12
Die vierte Verhandlung vor dem Landgericht habe den Anspruch auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1
Satz 2 GG verletzt. Die Richter der einzurichtenden Auffangstrafkammer seien in Ansehung des Umstands, dass sie
nur über ein Verfahren zu entscheiden hatten, gleichwohl namentlich bestimmt worden.
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Ungeachtet dessen hätte das Strafverfahren angesichts seiner Dauer sowieso einer Einstellung zugeführt werden
müssen.
II.
14
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2
BVerfGG nicht vorliegt.
15
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
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1. Weder die vom Beschwerdeführer angegriffenen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG) noch die auf ihnen
beruhenden gerichtlichen Entscheidungen verstoßen gegen den Bestimmtheitsgrundsatz.
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a) Die Strafvorschrift des § 96 Nr. 4 AMG ist in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG hinreichend bestimmt im
Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG.
18
Das Gebot der Gesetzesbestimmtheit verpflichtet den Gesetzgeber, die Tatbestandsmerkmale einer Strafvorschrift
so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich des Tatbestands zu erkennen sind und sich
durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 55, 144 <152>). Der Normadressat soll vorhersehen können, welches
Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist (vgl. BVerfGE 96, 68 <97>; stRspr). Demgegenüber schützt Art. 103
Abs. 2 GG den Normbetroffenen nicht vor dem Inhalt oder dem Regelungsgehalt eines Strafgesetzes. Auch eine
sachlich missglückte Strafbestimmung ist, gemessen an Art. 103 Abs. 2 GG, verfassungsgemäß, wenn sie nur
hinreichend deutlich erkennen lässt, welches Verhalten sie unter Strafe stellt (vgl. BVerfGE 47, 109 <123 f.>; 105,
135 <152 ff.>).
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Nach diesen Maßstäben ist § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG, soweit er der Definition eines Arzneimittels in der Strafvorschrift
des § 96 Nr. 4 AMG dient, hinreichend bestimmt. Auch der medizinisch und pharmazeutisch nicht vorgebildete
Normadressat vermag Stoffe und Substanzen dahingehend zu bewerten, ob sie geeignet sind, "die Beschaffenheit,
den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen". Damit wird die Definition des
Arzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG zwar zunächst sehr weit gefasst, was es erlaubt, unter den Wortlaut des
Gesetzes Stoffe und Substanzen zu subsumieren, die – wie Gifte - landläufig nicht als Medikamente angesehen
werden. Diese tatbestandliche Weite ist – da das Gesetz in seinen Voraussetzungen klar formuliert ist - jedoch kein
Problem der Normbestimmtheit, sondern wirft allenfalls die Frage auf, ob der materielle Inhalt der Norm einer an
teleologischen Wertungen ausgerichteten einschränkenden Auslegung bedarf.
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b) Eine solche einschränkende – und durch die Zweckbestimmung des Arzneimittelgesetzes in § 1 AMG wohl nicht
nur nahe gelegte, sondern sogar veranlasste (vgl. Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Stand: 97. Ergänzungslieferung
2005, § 2 AMG Anm. 43) – Interpretation des Arzneimittelbegriffs, der das Landgericht gefolgt ist, hat der
Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 3. Dezember 1997 vorgenommen und damit zugleich die möglichen Fälle
strafbaren Verhaltens reduziert. Indem der Bundesgerichtshof grundsätzlich nur diejenigen Stoffe und Substanzen als
Arzneimittel ansehen will, die auch von der Verkehrsanschauung – ersatzweise der Wissenschaft - als solche
bewertet werden, begrenzt er zugleich den Anwendungsbereich der Strafvorschrift des § 96 Nr. 4 AMG. Limitierende
Wirkung hat auch sein Rückgriff auf die Vorstellung des Produktherstellers in den Fällen, in denen es an einer
Verkehrsanschauung (noch) fehlt. Auch das Kriterium der subjektiven Zweckbestimmung, dessen Notwendigkeit für
eine umfassende Definition des Arzneimittelbegriffs auch in der wissenschaftlichen Literatur anerkannt wird (vgl.
Kloesel/Cyran, a.a.O., Anm. 9), führt zu einer Strafbarkeitsbegrenzung, indem es Substanzen, die zwar die von § 2
Abs. 1 Nr. 5 AMG geschilderten Wirkungsweisen aufweisen, aber nach dem Herstellerwillen nicht zum Zweck der
Einflussnahme auf den menschlichen oder tierischen Körper eingesetzt werden sollen, dem Anwendungsbereich des
§ 96 Nr. 4 AMG entzieht.
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Zwar lässt sich dem Gesetzeswortlaut kein Hinweis auf die vom Bundesgerichtshof verwandten einschränkenden
Kriterien zur Bestimmung des Arzneimittelbegriffs entnehmen. Dies führt jedoch zu keiner Verletzung des
Bestimmtheitsgebots. In Konflikt mit Art. 103 Abs. 2 GG gerät nur die gerichtliche Normauslegung, die unter
Überschreitung des Wortsinns des Gesetzes zu einer Begründung oder Verschärfung von Strafbarkeit führt (vgl.
BVerfGE 71, 108 <115>; 75, 329 <341>).
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c) Auch die von den Fachgerichten vorgenommene Einordnung der beim Beschwerdeführer sichergestellten
chemischen Substanzen unter die Arzneimittel begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Bei Stoffen, die
nach dem Willen ihres Produzenten halluzinogen bzw. wie Psychopharmaka wirken sollen, handelt es sich begrifflich
um Arzneimittel (vgl. Kloesel/Cyran, a.a.O., Anm. 42). Dass die sichergestellten Substanzen Methyl-Methaqualon und
MBDB zugleich Betäubungsmittel sind, steht dem nicht entgegen. Nach § 81 AMG bleiben die Vorschriften des
Betäubungsmittelgesetzes durch die Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes unberührt. Dieses von Gesetzes
wegen vorgesehene Nebeneinander der Regelungen des AMG und des BtMG spricht – entgegen dem
Beschwerdevorbringen – weniger für eine Exklusivität als vielmehr für eine Vereinbarkeit der Begriffe Arzneimittel und
Betäubungsmittel (vgl. Körner, Betäubungsmittelgesetz, Arzneimittelgesetz, 5. Aufl. 2001, § 1 BtMG Rn. 12).
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§ 1 Abs. 3 BtMG stellt dieses Ergebnis nicht in Frage. Zwar schließt die Verordnungsermächtigung des § 1 Abs. 3
BtMG es aus, Stoffe und Zubereitungen in die Anlagen I bis III zu § 1 BtMG aufzunehmen, bei denen es sich um
Arzneimittel handelt. Gegen die Interpretation dieser Regelung durch den Bundesgerichtshof, wonach nur zugelassene
Arzneimittel nicht zu Betäubungsmitteln erklärt werden dürften, ist von Verfassungs wegen jedoch nichts zu erinnern.
Diese Auslegung befindet sich im Einklang mit der gesetzgeberischen Intention, durch die Formulierung "die nicht
Arzneimittel sind" Patienten, die bestimmte Medikamente benötigen, vor überraschender Strafbarkeit durch
Rechtsverordnung zu schützen (vgl. Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des BR für ein OrgKG,
BTDrucks 12/989, S. 54; BRDrucks 74/1/90, S. 115).
24
Zudem überschreitet sie nicht den Wortsinn des Gesetzes. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
belegen die Gesetzesmaterialien zu § 1 Abs. 3 BtMG, der mit dem Gesetz zur Bekämpfung des illegalen
Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) eingeführt wurde, ein
Ausschlussverhältnis von Arznei- und Betäubungsmitteln nicht. Zwar fand der von einem Bundesland im
Unterausschuss des Rechtsausschusses des Bundesrats am 18. April 1990 eingebrachte Vorschlag, den Terminus
"zugelassene Arzneimittel" ausdrücklich in den Wortlaut der Verordnungsermächtigung aufzunehmen, keine
Zustimmung (vgl. Niederschrift der Sitzung des Unterausschusses des Rechtsausschusses des BR vom 18. April
1990, S. 47). Der Grund für die Zurückweisung des Vorschlags ist jedoch nicht mitgeteilt. Angesichts der weiteren
Gesetzeshistorie liegt es fern, ihn darin zu finden, dass der Gesetzgeber auch nicht zugelassene Arzneimittel von
einer Aufnahme in die Anlagen I bis III zu § 1 BtMG ausnehmen wollte. In dem vom Bundesrat am 11. Mai 1990
beschlossenen Gesetzesentwurf findet sich eine Einschränkung der Verordnungsermächtigung des
Bundesgesundheitsministers in Bezug auf Arzneimittel nämlich nicht wieder. Sämtliche Stoffe und Zubereitungen
sollten vorbehaltlos in die Anlagen I bis III zu § 1 BtMG aufgenommen werden können, sofern die Sicherheit und
Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs dies erforderte (vgl. BRDrucks 74/90, S. 15, 93). Erst auf Initiative der
Bundesregierung wurden Arzneimittel hiervon ausgenommen. Zweck der gesetzlichen Einschränkung war allein der
Patientenschutz, was dafür spricht, dass mit "Arzneimitteln" im Sinne des § 1 Abs. 3 BtMG nur zugelassene
Medikamente gemeint sind. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber auch sein Anliegen verfehlt, auf neuartige
synthetische Drogen, die wegen ihrer psychischen Wirkungen auf den Konsumenten auch den Arzneimitteln
zuzurechnen sind, mit den schärferen und komplexeren Strafvorschriften des BtMG reagieren zu können (zur
Intention des OrgKG vgl. BTDrucks 12/989, S. 21).
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d) Es begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Fachgerichte einen Verbotsirrtum des
Beschwerdeführers verneint haben. Dabei ist es unerheblich, ob die zur Tatzeit gängige Kommentarliteratur den
Umgang mit sogenannten Designerdrogen für straflos hielt. Mit seinem Handeln beabsichtigte der Beschwerdeführer
aus seiner Sicht bestehende Strafbarkeitslücken auszunutzen. Ein solches Vorgehen setzt die gedankliche
Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens voraus und schließt jedenfalls dann, wenn
höchstrichterliche Entscheidungen noch nicht vorliegen, die Vorstellung der Möglichkeit mit ein, sich bei einer
Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen.
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2. Ebenfalls erfolglos bleibt die Verfassungsbeschwerde, soweit sie eine Verletzung des Beschwerdeführers in
seinen Grundrechten auf Unverletzlichkeit der Wohnung und auf informationelle Selbstbestimmung geltend macht.
Zwar ist die gegen den Beschwerdeführer vollstreckte Durchsuchungsmaßnahme nicht mehr grundrechtskonform
gewesen, da sie auf einem gerichtlichen Beschluss beruhte, der aufgrund des Zeitpunkts seines Erlasses einen
Eingriff in die Grundrechte des Beschwerdeführers nicht mehr rechtfertigen konnte (vgl. BVerfGE 96, 44 <54>). Auf
dieser Grundrechtsverletzung beruht die strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers jedoch nicht. Die
rechtswidrige Durchsuchungsmaßnahme zog kein Verwertungsverbot nach sich. Ein Beweisverwertungsverbot ist
grundsätzlich nur dann Folge einer fehlerhaften Durchsuchung, wenn die zur Fehlerhaftigkeit der
Ermittlungsmaßnahme führenden Verfahrensverstöße schwerwiegend waren oder bewusst bzw. willkürlich begangen
wurden (vgl. BVerfG, NJW 2005, S. 1917 <1923>).
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Verfahrensverstöße dieser Art sind vorliegend nicht auszumachen. Hierbei ist zum einen zu berücksichtigen, dass
die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur "Geltungsdauer" erlassener Durchsuchungsbeschlüsse zum
Zeitpunkt der gegen den Beschwerdeführer vollstreckten Maßnahme noch nicht ergangen war, was gegen einen
bewusst begangenen Verfahrensfehler spricht. Zum anderen war die von Verfassungs wegen gebotene Frist von
sechs Monaten für die Vollstreckung einer richterlichen Durchsuchungsanordnung vorliegend noch nicht erheblich -
sondern erst um zwei Monate - überschritten.
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3. Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge des Beschwerdeführers, das Ergehen einer Sachentscheidung in dem gegen ihn
geführten Strafverfahren habe sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Die von den Justizbehörden verschuldeten
Verzögerungen des Verfahrens zwangen die Gerichte noch nicht zu dessen Einstellung.
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Als der gegen den Beschwerdeführer ergangene Schuldspruch in Rechtskraft erwuchs, dauerte das Verfahren zwar
bereits acht Jahre an. Allein die Länge eines Strafverfahrens ist aber für sich genommen noch kein Grund für den
Staat, auf die Durchsetzung seines Strafanspruchs in vollem Umfang zu verzichten. Die Annahme eines zur
Einstellung führenden Verfahrenshindernisses kommt erst dann in Betracht, wenn außergewöhnliche Umstände des
Einzelfalls das Absehen von einer Verurteilung notwendig machen. Für solche außergewöhnlichen Umstände ist zu
fordern, dass das Verfahren den Beschuldigten besonderen, schwerwiegenden Belastungen ausgesetzt hat, die es
unverhältnismäßig erscheinen lassen, gegen ihn eine strafrechtliche Sanktion zu verhängen (vgl. BVerfGK 1, 269
<280>; BVerfG, NJW 1993, S. 3254 <3255>; NJW 2003, S. 2225 <2226>).
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Hier sind solche Belastungen bis zum Eintritt der Rechtskraft des Schuldspruchs nicht festzustellen.
Entsprechendes gilt für das sich daran anschließende Verfahren. Die Fachgerichte waren daher von Verfassungs
wegen nicht daran gehindert, die von der Justiz zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen erst im
Rechtsfolgenausspruch eines Sachurteils zu kompensieren. Diese Kompensation mag zwar - wie der
Beschwerdeführer vorträgt - unter anderem wegen Nichtbeachtung des § 47 StGB nicht frei von Rechtsfehlern
gewesen sein. Sie beruht jedoch nicht auf einer Verkennung von Grundrechten bzw. grundrechtsgleichen Positionen
des Beschwerdeführers, weshalb ein korrigierendes Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts nicht angezeigt ist.
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4. Auch der Anspruch des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht
verletzt. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Präsidium des Landgerichts die
Berufsrichter der für die vierte Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer neu zu bildenden Strafkammer
namentlich selbst bestimmt hat. Es ist ein aus § 21 e Abs. 3 GVG zu entnehmendes Rechtsprinzip, dass der
Geschäftsverteilungsplan eines Gerichts während des laufenden Geschäftsjahres wegen zwingender Gründe durch
Beschluss des Präsidiums geändert werden kann. Hierzu zählt auch der Fall, dass wegen mehrfacher
Zurückverweisung einer Strafsache nach § 354 Abs. 2 StPO eine Auffangstrafkammer gebildet werden muss (vgl.
BGH, NStZ 1981, S. 489; OLG München, JR 1978, S. 301 <302>; OLG Schleswig, SchlHAnz 1977, S. 165). Nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine wegen Vorliegens zwingender Gründe erforderlich
werdende Änderung der Geschäftsverteilung möglich, wenn sie eine abstrakte Regelung für eine Vielzahl möglicher
zukünftiger Fälle enthält (vgl. BVerfGE 24, 33 <54 f.>; s.a. OLG Karlsruhe, MDR 1980, S. 690 <691>). Wird dieses
Erfordernis beachtet und stellt sich die Änderung nicht als sachfremd dar, ist es unschädlich, dass es ein bereits
anhängiges Verfahren war, das zu ihr Anlass gegeben hat (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 27. September 2002 - 2 BvR 1843/00 -, NJW 2003, S. 345).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hassemer
Di Fabio
Landau