Urteil des BVerfG vom 18.12.2000
BVerfG: anspruch auf rechtliches gehör, persönliches erscheinen, verfassungsbeschwerde, trauung, arbeitsstelle, bundesamt, arbeitsausweis, grundrecht, fahndung, anerkennung
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 926/99 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des türkischen Staatsangehörigen D...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwältin Martha-Lina Bode und Koll.,
Alleestraße 24, Bochum -
gegen
a)
den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. April 1999 -
11 L 1643/99 -,
b)
das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 22. Februar 1999 - 5 A 1083/96 -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Sommer,
Broß
und die Richterin Osterloh
gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.
August 1993 (BGBl I S. 1473) am 18. Dezember 2000 einstimmig beschlossen:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 22. Februar 1999 - 5 A 1083/96 - verletzt den Beschwerdeführer in
seinem Grundrecht aus Artikel 16a Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das
Verwaltungsgericht Oldenburg zurückverwiesen.
Damit wird der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. April 1999 - 11 L 1643/99 -
gegenstandslos.
Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
A.
1
Die  Verfassungsbeschwerde  betrifft  die  verfassungsrechtlichen  Anforderungen  an  die  fachgerichtliche  Würdigung
des Vorbringens eines Asylbewerbers.
I.
2
1.  Der  1967  geborene  Beschwerdeführer,  ein  türkischer  Staatsangehöriger  kurdischer  Volks-  und  alevitischer
Religionszugehörigkeit,  stammt  aus  der  zur  Schwarzmeerregion  gehörenden  Provinz  Amasya.  Im  Jahr  1989  zog  er
nach Istanbul, wo er bis zu seiner Ausreise lebte und als Kellner tätig war. Seine Eheschließung mit einer türkischen
Staatsangehörigen wurde am 31. Dezember 1992 in seinem Heimatort standesamtlich registriert.
3
2.  a)  Seinen  Angaben  zufolge  reiste  der  Beschwerdeführer  im  Januar  1996  mit  einem  gefälschten  Pass  auf  dem
Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte politisches Asyl. Zum Nachweis seiner Identität legte
er  einen  Arbeitsausweis  aus  Istanbul  vor.  In  seinem  schriftlichen  Asylantrag  trug  er  im  Wesentlichen  vor,  er  sei
aktiver  Sympathisant  der  PSK  gewesen  und  habe  in  seinem  Heimatort  und  später  in  Istanbul  Publikationen  und
Flugblätter verteilt, Plakate geklebt und Propaganda gemacht. Bei einem Besuch in seinem Heimatdorf sei er im März
1991  wegen  des  -  zutreffenden  -  Vorwurfs,  Plakate  zum  Newroz-Fest  geklebt  zu  haben,  verhaftet  und  auf  der
Gendarmerie  misshandelt  worden.  Nach  13  Tagen  sei  er  in  das  örtliche  Gefängnis  verlegt  und  nach  weiteren  fünf
Wochen freigelassen worden, da ihm eine Beteiligung nicht habe nachgewiesen werden können. Einer Meldeauflage
habe er sich entzogen und sich nach Istanbul abgesetzt. In der Folgezeit seien sowohl sein Vater als auch seine in
Istanbul  lebenden  Geschwister  von  Sicherheitskräften  nach  ihm  befragt  worden.  Sein  Aufenthaltsort  und  sein
Arbeitsplatz  seien  den  Sicherheitskräften  nicht  bekannt  gewesen.  Im  Dezember  1995  seien  jedoch  bei  einer  Razzia
an seinem Arbeitsplatz Publikationen gefunden worden, die er zuvor dort versteckt habe. Er sei rechtzeitig von einem
Kollegen gewarnt worden und habe flüchten können.
4
b)  Bei  seiner  persönlichen  Anhörung  durch  das  Bundesamt  für  die  Anerkennung  ausländischer  Flüchtlinge  gab  der
Beschwerdeführer u.a. an, sein Nüfus (Personalausweis) sei ihm bereits 1991 abgenommen worden. Seit dieser Zeit
habe  er  sich  bei  verschiedenen  Freunden  aufgehalten  und  in  Istanbul  keine  feste  Anschrift  gehabt.  Nachdem  im
Dezember  1995  bei  seiner  Arbeitsstelle  einige  Zeitschriften  und  Flugblätter  gefunden  worden  seien,  habe  er
befürchtet, wie 1991 gefoltert zu werden, und sei deshalb mit Hilfe einer Schlepperorganisation ausgereist.
5
3.  Mit  Bescheid  vom  4.  März  1996  lehnte  das  Bundesamt  für  die  Anerkennung  ausländischer  Flüchtlinge  den
Asylantrag  des  Beschwerdeführers  als  offensichtlich  unbegründet  ab,  stellte  fest,  dass  die  Voraussetzungen  eines
Abschiebungsverbots  nach  §  51  Abs.  1  AuslG  offensichtlich  nicht  vorlägen  und  Abschiebungshindernisse  im  Sinne
von  §  53  AuslG  nicht  gegeben  seien,  und  forderte  den  Beschwerdeführer  unter  Androhung  der  Abschiebung  zur
Ausreise  auf.  Zur  Begründung  wurde  ausgeführt,  das  Vorbringen  des  Beschwerdeführers  sei  schon  deshalb  nicht
glaubhaft,  weil  er  offenkundig  versuche,  seinen  Aufenthalt  in  der  Türkei  mit  einem  gefälschten  Arbeitsnachweis  zu
belegen.  Sein  Verhalten  dränge  den  Schluss  auf,  dass  er  mangels  eigener  Asylgründe  mit  einem  erfundenen
Verfolgungsschicksal ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland erreichen wolle. Dafür spreche auch die
angebliche Abnahme seines Nüfus im Jahr 1991. Da er am 31. Dezember 1992 die Ehe geschlossen habe, müsse er
zu diesem Zeitpunkt noch Personalunterlagen gehabt haben und auch mit Behörden in Verbindung getreten sein.
6
4.  Im  März  1996  erhob  der  Beschwerdeführer  fristgerecht  Klage  und  trug  zur  Begründung  u.a.  vor,  ohne  seinen
Nüfus habe er als  Arbeitnehmer  nicht  registriert  werden  können.  Der  Geschäftsführer  eines  Hotels,  der  ihn  gemocht
habe, habe ihm jedoch einen Arbeitsausweis besorgt, damit wenigstens formal alles in Ordnung gewesen sei. Dieser
Arbeitsausweis sei das einzige Papier gewesen, das er bei seiner Flucht und auch in den Jahren zuvor benutzt habe.
Deshalb habe er ihn beim Bundesamt mangels eines anderen Identitätsnachweises vorgelegt.
7
5.  In  der  mündlichen  Verhandlung  vertiefte  der  Beschwerdeführer  sein  bisheriges  Vorbringen  und  erklärte  auf
Befragen zu seiner Eheschließung,  zwar  sei  in  seinen  Urkunden  eingetragen  worden,  dass  er  1992  geheiratet  habe.
Diese  Eintragungen  seien  jedoch  erst  später  gemacht  worden.  Er  sei  nicht  persönlich  anwesend  gewesen,  vielmehr
sei ein Verwandter von ihm hingegangen und habe die Formalitäten erledigt. Auch ohne persönliches Erscheinen sei
es möglich gewesen, die Ehe zu schließen, weil sie in einem kleinen Ort gewohnt hätten und der zuständige Beamte
ihn gekannt habe. Seinen Nüfus habe er nach der Festnahme im März 1991 nicht wieder erhalten.
8
6. Mit dem angegriffenen Urteil wies das Verwaltungsgericht die Klage des Beschwerdeführers ab: Das Gericht habe
die  Überzeugung  gewonnen,  dass  die  Angaben  des  Beschwerdeführers,  jedenfalls  soweit  sie  den  Zeitraum  vor  dem
Dezember  1995  beträfen,  in  wesentlichen  Teilen  unschlüssig,  ungereimt  und  widersprüchlich  und  damit  insgesamt
nicht glaubhaft seien. Insbesondere stehe seine Behauptung, sein Nüfus sei nach der Verhaftung im März 1991 von
der  Polizei  einbehalten  worden,  in  erheblichem  Widerspruch  zu  den  vorgelegten  Dokumenten,  wonach  er  im  Jahre
1992  offiziell  standesamtlich  geheiratet  habe,  wozu  in  der  Türkei  ein  Ausweis  benötigt  werde.  Gänzlich  unglaubhaft
sei,  dass  er  bei  seiner  standesamtlichen  Trauung  nicht  persönlich  anwesend  gewesen  sei.  Es  sei  dem  Gericht  aus
einer  Vielzahl  anderer  Verfahren  und  der  Auswertung  der  vorliegenden  Erkenntnismittel  bekannt,  dass  eine
standesamtliche Trauung in der Türkei nur in Anwesenheit der Heiratswilligen vorgenommen werden könne und auch
nur so vorgenommen werde. Die Einhaltung dieser formalen Anforderungen werde - auch im Hinblick auf das offizielle
Verbot der Mehrfrauenehe - in der Türkei besonders streng gehandhabt. Wenn der Beschwerdeführer 1992 geheiratet
habe,  müsse  er  zu  diesem  Zeitpunkt  in  seinem  Dorf  anwesend  gewesen  sein,  was  den  dortigen  Sicherheitskräften
angesichts der geringen Größe des Dorfes nicht habe verborgen bleiben können. Daher sei nicht davon auszugehen,
dass  nach  dem  Beschwerdeführer  zu  diesem  Zeitpunkt  polizeilich  gefahndet  worden  sei.  Damit  sei  aber  auch  sein
übriges Vorbringen nicht mehr glaubhaft, weil sich dann nichts dafür ergebe, weshalb die Polizei nach ihm zu einem
späteren  Zeitpunkt  gefahndet  haben  sollte  und  es  im  Zuge  dieser  Fahndung  zu  einer  Durchsuchung  seiner
Arbeitsstelle gekommen sei.
9
7.  Seinen  fristgerechten  Antrag,  die  Berufung  gegen  das  Urteil  zuzulassen,  stützte  der  Beschwerdeführer  auf  die
grundsätzliche  Bedeutung  der  Rechtssache  sowie  eine  Verletzung  seines  Anspruchs  auf  rechtliches  Gehör.  Die
Auffassung  des  Verwaltungsgerichts,  dass  eine  standesamtliche  Trauung  in  der  Türkei  nur  in  Anwesenheit  der
Heiratswilligen  vorgenommen  werde,  sei  grundsätzlich  falsch.  Es  entspreche  zwar  der  geltenden  türkischen
Rechtslage,  dass  eine  Ehe  nur  in  Anwesenheit  der  zukünftigen  Ehegatten  und  nach  Vorlage  von  Ausweisen
geschlossen  werden  könne;  das  Verwaltungsgericht  verwechsele  aber  die  Rechtslage  mit  der  Lebenswirklichkeit  in
der  Türkei.  Er  -  der  Beschwerdeführer  -  habe  zu  den  Umständen  seiner  Eheschließung  die  plausible  Erklärung
abgegeben,  gerade  unter  den  von  ihm  geschilderten  Umständen  sei  es  kein  Problem,  die  Ehe  ohne  Beachtung  der
gesetzlichen  Formalitäten  einzugehen.  Die  fehlerhafte  Auffassung  des  Verwaltungsgerichts  sei  von  grundsätzlicher
Bedeutung, weil sie sich in einer Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle auswirke.
10
Ihm  sei  zudem  rechtliches  Gehör  versagt  worden,  weil  das  Gericht  seine  Erklärungen,  weshalb  er  in  Abwesenheit
und ohne Vorlage eines Nüfus habe heiraten können, nicht zur Kenntnis genommen und in seiner Entscheidung auch
nicht  erörtert  habe.  Er  habe  davon  ausgehen  dürfen,  das  Gericht  werde  seine  Erklärungen  zu  den  Umständen  der
Eheschließung  berücksichtigen.  Zumindest  aber  hätte  das  Gericht  seine  Auffassung  bekannt  geben  und  mitteilen
müssen,  welches  die  vorliegenden  Erkenntnismittel  seien,  die  die  gerichtliche  Überzeugung  begründeten.  Das
Verwaltungsgericht habe die Grenzen seines Wertungsrahmens überschritten, wenn es zur Frage der Möglichkeit der
Eheschließung in Abwesenheit und ohne Nüfus auf seine eigene Sachkunde vertraut habe, ohne sich dazu der Hilfe
eines Sachverständigen zu bedienen.
11
8.  Mit  dem  mit  der  Verfassungsbeschwerde  ebenfalls  angegriffenen  Beschluss  lehnte  das  Niedersächsische
Oberverwaltungsgericht  den  Berufungszulassungsantrag  ab.  Die  vom  Beschwerdeführer  aufgeworfene  Frage  sei  in
einem  Berufungsverfahren  nicht  klärungsbedürftig,  denn  es  entspreche  der  Erkenntnislage  und  sei  dem  Senat  aus
verschiedenen  Verfahren  bekannt,  dass  in  Einzelfällen  bei  Eheschließungen  in  der  Türkei  die  gesetzlichen
Vorschriften  nicht  beachtet  würden.  Die  Frage,  ob  das  Verwaltungsgericht  vor  diesem  Hintergrund  die  Angaben  des
Beschwerdeführers  zu  Recht  insgesamt  als  unglaubhaft  gewürdigt  habe,  betreffe  die  Richtigkeit  der
Sachverhaltswürdigung  und  Rechtsanwendung  im  konkreten  Einzelfall  und  gebe  der  Rechtssache  keine
grundsätzliche Bedeutung. Der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör sei nicht verletzt.
II.
12
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 16a Abs. 1 und 103 Abs. 1
GG durch das Urteil des Verwaltungsgerichts sowie eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG durch den Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts.
13
a)  Die  Schlussfolgerungen  des  Verwaltungsgerichts  beruhten  auf  einer  falschen  und  unzulässig  ermittelten
Grundlage.  Nach  den  Ausführungen  des  Gerichts  ergebe  sich  "aus  einer  Vielzahl  anderer  Verfahren  und  der
Auswertung der vorliegenden Erkenntnismittel", dass auch in der türkischen Rechtswirklichkeit eine standesamtliche
Trauung nur in Anwesenheit der Ehegatten und unter Vorlage gültiger Ausweispapiere vollzogen werden könne. Diese
Erkenntnismittel  habe  das  Gericht  jedoch  nicht  in  das  Verfahren  eingeführt.  Dem  Beschwerdeführer  sei  es  daher
verwehrt  gewesen,  diese  Erkenntnisse  zu  hinterfragen  und  den  Gegenbeweis  anzutreten.  Damit  habe  das
Verwaltungsgericht  auch  seinen  Anspruch  auf  rechtliches  Gehör  verletzt.  Erst  im  Urteil  sei  er  damit  überrascht
worden,  dass  angeblich  vorliegende  objektive  Erkenntnismittel  die  Richtigkeit  seiner  Darstellung  ausschlössen  und
damit seiner gesamten Verfolgungsgeschichte den Boden entzögen. Damit habe er nach dem Gang des Verfahrens
nicht rechnen können. Die der Beweiswürdigung zugrunde liegenden Erkenntnisse würden in den Urteilsgründen nicht
konkret  benannt  und  könnten  auch  nicht  benannt  werden,  weil  es  sie  nicht  gebe.  Zu  Recht  weise  das
Oberverwaltungsgericht  insoweit  auf  die  entgegengesetzte  Erkenntnislage  hin.  Das  angegriffene  Urteil  nehme  mithin
seine Sachverhaltsbewertung auf einer nicht verlässlichen Grundlage vor.
14
b)  Der  Beschluss  des  Oberverwaltungsgerichts  verkürze  den  Rechtsweg  unter  Verletzung  von  Art.  19  Abs.  4  GG.
Die Berufung habe zugelassen werden müssen, weil der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung vorgelegen
habe.  Das  Oberverwaltungsgericht  habe  die  aufgeworfene  tatsächliche  Frage  unter  Hinweis  auf  vorliegende
Erkenntnisse  als  geklärt  angesehen.  Eine  Klärung  könne  jedoch  nur  durch  ober-  und  höchstrichterliche
Entscheidungen erfolgen. Wenn das verwaltungsgerichtliche Urteil auf einer von den übergeordneten Instanzen noch
nicht entschiedenen Grundsatzfrage beruhe, sehe § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zwingend die Zulassung der Berufung
vor; es reiche nicht aus, die Frage für zukünftige Fälle im Nichtzulassungsbeschluss zu beantworten.
15
2. Den gemäß § 94 BVerfGG Äußerungsberechtigten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
B.-I.
16
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1
BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
Die  Verfassungsbeschwerde  ist  zulässig  und  -  in  einer  die  Entscheidungszuständigkeit  der  Kammer  begründenden
Weise - auch offensichtlich begründet; denn die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat
das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
17
Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf
Asyl gemäß Art. 16a Abs. 1 GG.
II.
18
1. Da die Frage der Asylberechtigung die unmittelbare Anwendung der Grundrechtsbestimmung des Art. 16a Abs. 1
GG  betrifft,  hat  das  Bundesverfassungsgericht  in  Bezug  auf  das  Tatbestandsmerkmal  "politisch  Verfolgter"  sowohl
hinsichtlich  der  Ermittlung  des  Sachverhalts  als  auch  hinsichtlich  seiner  rechtlichen  Bewertung  zu  prüfen,  ob  die
tatsächliche und rechtliche Wertung der Gerichte sowie Art und Umfang ihrer Ermittlungen den Anforderungen des Art.
16a Abs. 1 GG gerecht werden (vgl. BVerfGE 54, 341 <356>; 76, 143 <162>). Die Verfassungsbeschwerde eröffnet
allerdings auch im Asylverfahren keine weitere Tatsachen- oder Revisionsinstanz. Den Fachgerichten ist vielmehr ein
gewisser  Wertungsrahmen  eröffnet,  der  sich  einerseits  auf  die  rechtliche  Bewertung  des  ermittelten  Sachverhalts,
andererseits auf die Einschätzung von Sachverhaltselementen selbst bezieht. Die fachgerichtlichen Ermittlungen zum
Tatbestand sind vom Bundesverfassungsgericht freilich daraufhin zu überprüfen, ob sie einen hinreichenden Grad an
Verlässlichkeit  aufweisen  und  auch  dem  Umfang  nach,  bezogen  auf  die  besonderen  Gegebenheiten  im Asylrecht,
zureichend  sind  (vgl. BVerfGE  76,  143  <162>;  83,  216  <234>).  Verfassungsrechtlich  zu  beanstanden  ist  eine
fachgerichtliche  Beurteilung  dann,  wenn  sie  anhand  der  gegebenen  Begründung  nicht  mehr  nachvollziehbar  ist
und/oder nicht auf einer verlässlichen Grundlage beruht (vgl. nur Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 1990 - 2 BvR 1727/89 -, InfAuslR 1991, S. 85 <88>; vom 12. März 1992 - 2
BvR 721/91 -, InfAuslR 1992, S. 231 <233>; vom 22. Juli 1996 - 2 BvR 1416/94 -, InfAuslR 1996, S. 355 <357>; vom
15. Februar 2000 - 2 BvR 752/97 -, InfAuslR 2000, S. 254 <258>).
19
2.  Gemessen  an  diesen  Grundsätzen  halten  die  maßgeblichen  Erwägungen  des  Verwaltungsgerichts  zur
Unglaubhaftigkeit  des  Vorbringens  des  Beschwerdeführers  der  verfassungsgerichtlichen  Überprüfung  nicht  stand.
Seine  Erwägung,  aufgrund  der  ihm  vorliegenden  Erkenntnisse  sei  gänzlich  unglaubhaft,  dass  der  Beschwerdeführer
bei  seiner  standesamtlichen  Trauung  nicht  persönlich  anwesend  gewesen  sei,  lässt  die  Erfüllung  der  gebotenen
Ermittlungspflicht  nicht  erkennen.  Mit  ihr  hat  das  Verwaltungsgericht  den  ihm  eröffneten  fachgerichtlichen
Wertungsrahmen überschritten.
20
Das  Gericht  hat  sich  für  seine  Einschätzung  auf  Erfahrungen  aus  anderen  Verfahren  und  die  Auswertung  der
vorliegenden  Erkenntnisse  berufen,  ohne  die  behaupteten  Quellen  näher  zu  bezeichnen.  Die  insoweit  getroffenen
Feststellungen  sind  daher  nicht  nachprüfbar,  so  dass  es  an  der  Darlegung  einer  gesicherten  und  hinreichend
verlässlichen Tatsachengrundlage fehlt. Der Offenlegung der vom Gericht in Bezug genommenen Erkenntnisse hätte
es insbesondere deswegen bedurft, weil sich die Feststellungen des Gerichts nicht etwa als offensichtlich zutreffend
erweisen.  Vielmehr  ergeben  sich  erhebliche  Zweifel  an  ihrer  Richtigkeit,  wie  die  gerade  entgegengesetzte
Einschätzung  des  Oberverwaltungsgerichts  und  die  vom  Beschwerdeführer  vorgelegte  Stellungnahme  des
Auswärtigen  Amtes  vom  5.  Januar  1998  an  das  Verwaltungsgericht  Bremen,  die  im  Übrigen  auch  Gegenstand  der
vom  Verwaltungsgericht  Oldenburg  eingeführten  Auskunftsliste  war,  dokumentieren.  Es  ist  auch  nicht  ersichtlich,
dass  das  Verwaltungsgericht  seine  Einschätzung  zu  den  tatsächlichen  Möglichkeiten  einer  Eheschließung  und  -
registrierung  in  der  Türkei  in  der  mündlichen  Verhandlung  offen  gelegt  hätte.  Dies  hätte  jedoch  insbesondere
deswegen  geschehen  müssen,  weil  diesem  Punkt  nach  Einschätzung  des  Gerichts  ausschlaggebende  Bedeutung
beizumessen war. So hat das Verwaltungsgericht aus der Eintragung der Eheschließung nicht nur geschlossen, dass
der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt persönlich in seinem Heimatdorf anwesend war und einen Nüfus vorgelegt
hat,  sondern  es  hat  deshalb  auch  sowohl  eine  polizeiliche  Fahndung  nach  dem  Beschwerdeführer  aufgrund  der
Ereignisse von 1991 als auch die Durchsuchung seiner Arbeitsstelle 1995 für unglaubhaft gehalten. Damit wurde dem
gesamten  Asylvorbringen  des  Beschwerdeführers  die  Grundlage  entzogen,  ohne  dass  das  Verwaltungsgericht  die
dafür maßgeblichen Erkenntnisgrundlagen dargelegt hätte.
III.
21
1.  Das  Urteil  des  Verwaltungsgerichts  Oldenburg  ist  demnach  aufzuheben,  ohne  dass  es  auf  die  zusätzlich
erhobene  Gehörsrüge  ankommt.  Die  Sache  ist  an  das  Verwaltungsgericht  Oldenburg  zurückzuverweisen  (vgl.  §  93c
Abs.  2  i.V.m.  §  95  Abs.  2  BVerfGG),  damit  über  das  Asylbegehren  des  Beschwerdeführers  erneut  entschieden
werden kann.
22
2. Der ebenfalls angegriffene Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts ist damit gegenstandslos.
23
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
24
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Sommer
Broß
Osterloh