Urteil des BVerfG vom 17.12.2013

BVerfG: vaterschaftsanerkennung, verfassungskonforme auslegung, entziehung, verzicht, staatenlosigkeit, geburt, ex tunc, einreise, echte rückwirkung, häusliche gemeinschaft

Leitsätze
zum Beschluss des Ersten Senats vom 17. Dezember 2013
- 1 BvL 6/10 -
1. Die Regelung der behördlichen Vaterschaftsanfechtung (§ 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB) ist als
absolut verbotene Entziehung der Staatsangehörigkeit anzusehen (Art. 16 Abs. 1 Satz 1
GG), weil der mit der Behördenanfechtung verbundene Wegfall der Staatsangehörigkeit
durch die Betroffenen teils gar nicht, teils nicht in zumutbarer Weise beeinflussbar ist.
2. Die Regelung genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen sonstigen
Verlust der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG), weil sie keine Möglichkeit
bietet, zu berücksichtigen, ob das Kind staatenlos wird, und weil es an einer dem
Grundsatz des Gesetzesvorbehalts genügenden Regelung des
Staatsangehörigkeitsverlusts sowie an einer angemessenen Fristen- und Altersregelung
fehlt.
3. Verfassungsrechtliche Elternschaft (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) besteht bei einer durch
Anerkennung begründeten rechtlichen Vaterschaft auch dann, wenn der Anerkennende
weder der biologische Vater des Kindes ist noch eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind
begründet hat. Allerdings hängt die Intensität des verfassungsrechtlichen Schutzes davon
ab, ob die rechtliche Vaterschaft auch sozial gelebt wird.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvL 6/10 -
Bundesadler
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob § 1600 Abs. 1 Nr. 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur
Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13. März 2008 (Bundesgesetzblatt I
Seite 313) in Verbindung mit Art. 229 § 16 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen
Gesetzbuch in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der
Vaterschaft vom 13. März 2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 313) mit dem Grundgesetz vereinbar
ist,
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 15. April 2010
(350 F 118/09) -
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsident Kirchhof,
Gaier,
Eichberger,
Schluckebier,
Masing,
Paulus,
Baer,
Britz
am 17. Dezember 2013 beschlossen:
§ 1600 Absatz 1 Nummer 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur
Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13. März 2008 (Bundesgesetzblatt I
Seite 313) und Artikel 229 § 16 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch in der
Fassung des Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13. März
2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 313) verstoßen gegen Artikel 16 Absatz 1, gegen Artikel 6
Absatz 2 Satz 1, gegen Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 und gegen
Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes und sind nichtig.
Gründe:
A.
1
Die Vorlage betrifft die Frage, ob die Regeln zur sogenannten Behördenanfechtung, welche die
Vaterschaft und die durch Vaterschaftsanerkennung begründete deutsche Staatsangehörigkeit
des Kindes rückwirkend entfallen lässt, mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
I.
2
1. Das in § 1600 ff. BGB geregelte Recht der Vaterschaftsanfechtung wurde im Jahr 2008 um die
hier zu überprüfenden Regeln zur Behördenanfechtung ergänzt. Hintergrund war der Eindruck
des Gesetzgebers, dass das im Familienrecht gezielt voraussetzungsarm ausgestaltete
Instrument der Vaterschaftsanerkennung (§ 1592 Nr. 2 BGB) in bestimmten Konstellationen zur
Umgehung der gesetzlichen Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts genutzt wird. Die
Regelungen der Vaterschaftsanerkennung lassen es zu, die Vaterschaft für ein ausländisches
Kind anzuerkennen, um beim Kind den automatischen Abstammungserwerb der deutschen
Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 oder 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (im Folgenden:
StAG) herbeizuführen und so mittels Familiennachzugs nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des
Aufenthaltsgesetzes (Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von
Ausländern im Bundesgebiet, im Folgenden: AufenthG) ein Aufenthaltsrecht des ausländischen
Elternteils zu begründen oder zu stärken (vgl. BTDrucks 16/3291, insbesondere S. 1 f., 9 und
11).
3
2. a) Die Anfechtungsberechtigung der Behörde und die materiellen
Anfechtungsvoraussetzungen sind in § 1600 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 und 4 BGB geregelt:
4
§ 1600 BGB
(1) Berechtigt, die Vaterschaft anzufechten, sind:
[…]
5
5. die zuständige Behörde (anfechtungsberechtigte Behörde) in den Fällen des § 1592 Nr. 2.
6
(3) Die Anfechtung nach Absatz 1 Nr. 5 setzt voraus, dass zwischen dem Kind und dem
Anerkennenden keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt der Anerkennung
oder seines Todes bestanden hat und durch die Anerkennung rechtliche Voraussetzungen für
die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteils geschaffen
werden.
(4) Eine sozial-familiäre Beziehung nach den Absätzen 2 und 3 besteht, wenn der Vater im
Sinne von Absatz 1 Nr. 1 zum maßgeblichen Zeitpunkt für das Kind tatsächliche Verantwortung
trägt oder getragen hat. Eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung liegt in der Regel vor,
wenn der Vater im Sinne von Absatz 1 Nr. 1 mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit
dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat.
7
b) Die Anfechtungsfristen und der Beginn der Anfechtungsfrist sind in § 1600b BGB geregelt:
8
§ 1600b BGB
(1) Die Vaterschaft kann binnen zwei Jahren gerichtlich angefochten werden. Die Frist beginnt
mit dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft
sprechen; das Vorliegen einer sozial-familiären Beziehung im Sinne des § 1600 Abs. 2 erste
Alternative hindert den Lauf der Frist nicht.
(1a) Im Fall des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 kann die Vaterschaft binnen eines Jahres gerichtlich
angefochten werden. Die Frist beginnt, wenn die anfechtungsberechtigte Behörde von den
Tatsachen Kenntnis erlangt, die die Annahme rechtfertigen, dass die Voraussetzungen für ihr
Anfechtungsrecht vorliegen. Die Anfechtung ist spätestens nach Ablauf von fünf Jahren seit der
Wirksamkeit der Anerkennung der Vaterschaft für ein im Bundesgebiet geborenes Kind
ausgeschlossen; ansonsten spätestens fünf Jahre nach der Einreise des Kindes.
(2) Die Frist beginnt nicht vor der Geburt des Kindes und nicht, bevor die Anerkennung wirksam
geworden ist.
9
c) Die Überleitungsvorschrift lautet:
10
Art. 229 § 16 EGBGB
Im Fall der Anfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs beginnt die Frist
für die Anfechtung gemäß § 1600b Abs. 1a des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht vor dem 1. Juni
2008.
II.
11
Die zu überprüfenden Regelungen sind Teil des Abstammungsrechts (§§ 1591 ff. BGB), das die
rechtliche Zugehörigkeit eines Kindes zu seinen Eltern regelt.
12
1. Nach § 1592 BGB ist Vater eines Kindes der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der
Mutter des Kindes verheiratet ist (Nr. 1), der die Vaterschaft anerkannt hat (Nr. 2) oder dessen
Vaterschaft gerichtlich festgestellt wurde (Nr. 3). Eine behördliche Anfechtung der Vaterschaft
kommt nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB nur in Betracht, wenn die Vaterschaft durch
Vaterschaftsanerkennung nach § 1592 Nr. 2 BGB begründet wurde. Die Anerkennung begründet
die Vaterschaft mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Geburt (vgl. Rauscher, in: Staudinger
BGB, 2011, §§ 1589-1600d, § 1594, Rn. 9; Schmidt-Recla, in: Soergel BGB, Band 19/1, 13. Aufl.
2012, § 1594, Rn. 14; Wellenhofer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 8, 6. Aufl. 2012,
§ 1594, Rn. 16). Materiellrechtliche Voraussetzung der Vaterschaftsanerkennung ist nach § 1594
Abs. 2 BGB lediglich, dass nicht die Vaterschaft eines anderen Mannes besteht. Die
Anerkennung ist ansonsten nach §§ 1595 ff. BGB nur an formelle Anforderungen, insbesondere
an die Zustimmung der Mutter (§ 1595 Abs. 1 BGB) geknüpft. Die Wirksamkeit der
Vaterschaftsanerkennung hängt nicht von der biologischen Abstammung des Kindes ab. Auch
eine im Wissen um die fehlende biologische Vaterschaft erfolgte Anerkennung ist wirksam.
Daraus ergibt sich die Möglichkeit, einem Kind durch Vaterschaftsanerkennung die deutsche
Staatsangehörigkeit zu verschaffen, um aufenthaltsrechtliche Vorteile für das Kind und den
ausländischen Elternteil zu begründen (s.u., III.1.).
13
2. Die hier zu überprüfenden Regelungen über die behördliche Anfechtung der Vaterschaft
ergänzen bereits bestehende Anfechtungsmöglichkeiten. Nach § 1600 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BGB
kann eine rechtliche Vaterschaft, die auf der Ehe des Mannes mit der Kindesmutter oder einer
Vaterschaftsanerkennung beruht - die mithin ohne Rücksicht auf die biologischen
Abstammungsverhältnisse entstanden ist - mit dem Argument angefochten werden, der
rechtliche Vater sei nicht der biologische Vater des Kindes. Anfechtungsberechtigt sind nach
heutiger Rechtslage der rechtliche Vater (§ 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB), der mutmaßliche
biologische Vater (§ 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB), die Mutter (§ 1600 Abs. 1 Nr. 3 BGB), das Kind
(§ 1600 Abs. 1 Nr. 4 BGB) und nunmehr die zuständige Behörde (§ 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB).
14
Im Fall der Behördenanfechtung setzt die Anfechtung voraus, dass zwischen dem Kind und dem
Anerkennenden keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt der Anerkennung
oder seines Todes bestanden hat und dass durch die Anerkennung rechtliche Voraussetzungen
für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteils
geschaffen werden (§ 1600 Abs. 3 BGB).
15
Die Voraussetzungen der Behördenanfechtung sind im Wesentlichen der Regelung der
Anfechtung durch den mutmaßlichen biologischen Vater (§ 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB)
nachgebildet, beziehungsweise mit dieser zusammengefasst (§ 1600 Abs. 3 und Abs. 4 BGB).
Der Gesetzgeber hatte früher im Interesse des Kindes und der rechtlich-sozialen Familie ein
Anfechtungsrecht des mutmaßlichen biologischen Vaters wiederholt abgelehnt (vgl. BTDrucks
V/2370, S. 32; BTDrucks 13/4899, S. 57 f.). Das Bundesverfassungsgericht entschied jedoch im
Jahr 2003, es verstoße gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, dem biologischen, aber nicht rechtlichen
Vater eines Kindes ausnahmslos das Anfechtungsrecht zu verweigern (BVerfGE 108, 82 ff.).
Daraufhin wurde im Jahr 2004 die Anfechtungsmöglichkeit des mutmaßlichen biologischen
Vaters in § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB eingeführt, wobei der Gesetzgeber allerdings dem Bestand
einer sozial gelebten Eltern-Kind-Beziehung mit dem rechtlichen Vater den Vorrang gegenüber
der rechtlichen Zuordnung des Kindes zum biologischen Vater einräumte. Männer, die
eidesstattlich versichern, der Kindesmutter während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben,
können die rechtliche Vaterschaft eines anderen Mannes nur anfechten, wenn zwischen dem
Kind und dem rechtlichen Vater keine „sozial-familiäre Beziehung“ besteht (§ 1600 Abs. 2 BGB).
Dieses negative Tatbestandsmerkmal wurde später bei der hier zur Prüfung gestellten Regelung
der Behördenanfechtung aufgegriffen (§ 1600 Abs. 3 BGB) und ist in § 1600 Abs. 4 BGB für
beide Fälle einheitlich konkretisiert.
III.
16
Da die Behördenanfechtung letztlich darauf gerichtet ist, die Umgehung gesetzlicher
Bedingungen des Aufenthaltsrechts durch eine Vaterschaftsanerkennung zu verhindern, richten
sich die Voraussetzungen (1.) und Folgen (2.) der Behördenanfechtung auch nach dem
Aufenthalts- und dem Staatsangehörigkeitsrecht.
17
1. Die anfechtungsberechtigte Behörde kann die Vaterschaft gerichtlich anfechten, wenn durch
die Anerkennung rechtliche Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten
Aufenthalt eines Beteiligten geschaffen werden (§ 1600 Abs. 3 BGB). Nach der Vorstellung des
Gesetzgebers ist dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt, wenn „für das Kind oder einen Elternteil ein
ausländerrechtlicher Vorteil entstanden ist“ (BTDrucks 16/3291, S. 14). Ein solcher Vorteil
entsteht durch die Vaterschaftsanerkennung, wenn das Kind auf diese Weise die deutsche
Staatsangehörigkeit erwirbt und damit auch einem Elternteil einen günstigeren Aufenthaltsstatus
vermittelt. Praktisch stehen dabei zwei Konstellationen im Vordergrund: Erkennt ein deutscher
Mann die Vaterschaft für das Kind einer unverheirateten ausländischen Mutter an, erwirbt das
Kind die deutsche Staatsangehörigkeit (§ 4 Abs. 1 StAG) und damit die Berechtigung zum
Aufenthalt in Deutschland. Für die Kindesmutter ergibt sich ein Anspruch auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG.
Auch wenn ein ausländischer Mann mit unbefristetem Aufenthaltsrecht, der seit acht Jahren
rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, die Vaterschaft für das Kind einer
ausländischen Staatsangehörigen anerkennt, erwirbt das Kind über den Vater die deutsche
Staatsangehörigkeit (§ 4 Abs. 3 StAG). Die Kindesmutter hat wiederum einen Anspruch auf eine
Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG.
18
2. Hat die Vaterschaftsanfechtungsklage Erfolg, entfallen die durch die Vaterschaftsanerkennung
begründete Staatsangehörigkeit des Kindes und das Aufenthaltsrecht der Mutter. Mit der
formellen Rechtskraft der Entscheidung über das Nichtbestehen der Vaterschaft fallen
rückwirkend auf den Tag der Geburt des Kindes sowohl die bisherige Vaterschaftszuordnung als
auch die deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes weg. Der Verlust der Staatsangehörigkeit
durch Vaterschaftsanfechtung ist zwar nicht ausdrücklich geregelt. Er wird aber aus der
generellen Anknüpfung des Abstammungserwerbs der Staatsangehörigkeit an das
familienrechtliche Abstammungsrecht abgeleitet. Abstammungsrechtlich fällt die Vaterschaft bei
erfolgreicher Anfechtung nach ständiger Rechtsprechung der Zivilgerichte rückwirkend weg (vgl.
BGH, Urteil vom 11. Januar 2012 - XII ZR 194/09 -, NJW 2012, S. 852; stRspr). Mit dem
rückwirkenden Wegfall der Vaterschaft entfällt nach der verwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung ex tunc auch die nach § 4 Abs. 1 oder Abs. 3 StAG auf Abstammung gründende
deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes. Denn bei rückwirkendem Wegfall der Vaterschaft
haben bei nachträglicher Betrachtung auch die Voraussetzungen für den auf die Abstammung
gestützten Staatsangehörigkeitserwerb des Kindes nie vorgelegen (vgl. nur VG Düsseldorf,
Urteil vom 10. September 1985 - 17 K 10.419/85 -, NJW 1986, S. 676; VG Gießen, Urteil vom
8. November 1999 - 10 E 960/99 -, juris, Rn. 14; OVG Hamburg, Beschluss vom 10. Februar
2004 - 3 Bf 238/03 -, NVwZ-RR 2005, S. 212 <213>; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom
1. Oktober 2004 - 2 M 441/04 -, juris, Rn. 6; OVG NRW, Beschluss vom 31. Juli 2007 - 18 A
2065/06 -, juris, Rn. 8; Bay. VGH, Beschluss vom 11. September 2007 - 5 CS 07.1921 -, juris,
Rn. 3). Mit dem Wegfall der Staatsangehörigkeit des Kindes verliert nicht nur dieses sein mit der
Staatsangehörigkeit verbundenes Aufenthaltsrecht, vielmehr entfällt auch das Aufenthaltsrecht
seiner Mutter, das die deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes voraussetzt (§ 28 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3 AufenthG). Gerade dies ist der Zweck der Behördenanfechtung.
IV.
19
1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Freie und Hansestadt Hamburg, vertreten durch die
Behörde für Inneres, focht mit ihrer Klage gegen den Beklagten zu 1) des Ausgangsverfahrens,
ein minderjähriges Kind, und den Beklagten zu 2), den Mann, der die Vaterschaft für den
Beklagten zu 1) anerkannt hat, dessen Vaterschaft an, indem sie beim Amtsgericht Hamburg-
Altona beantragte festzustellen, dass der Beklagte zu 2) nicht der Vater des Beklagten zu 1) ist.
20
Der Beklagte zu 1) wurde 2005 in Deutschland geboren. Seine Mutter ist vietnamesische
Staatsangehörige und war im Zeitpunkt der Geburt mit einem Vietnamesen verheiratet, von dem
sie später geschieden wurde. Das Kind besaß ebenfalls die vietnamesische
Staatsangehörigkeit. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet war unerlaubt, der seiner Mutter geduldet.
Der Beklagte zu 2) ist deutscher Staatsangehöriger. Er erkannte bereits vor der Geburt des
Kindes die Vaterschaft durch notarielle Urkunde an. Die Kindesmutter und der damalige
Ehemann der Kindesmutter stimmten der Vaterschaftsanerkennung zu. Mit Rechtskraft des
Scheidungsurteils wurde die Anerkennung gemäß § 1599 Abs. 2 BGB wirksam.
21
Weil der Beklagte zu 2) deutscher Staatsangehöriger ist, erwarb das Kind durch die
Vaterschaftsanerkennung nach § 4 Abs. 1 StAG ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit.
Zum Zweck des Zusammenlebens mit ihrem deutschen Kind wurde der Mutter des Beklagten zu
1) eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erteilt.
22
Bei einer Befragung des Beklagten zu 2) vor der Ausländerbehörde der Stadtverwaltung über
das Kennenlernen der Kindesmutter erklärte er zunächst seine Bereitschaft zu einem
Vaterschaftstest, widerrief diese aber in einem späteren Schreiben. Er hatte und hat mit dem
Kind und dessen Mutter keine gemeinsame Wohnung. Ein gerichtlich eingeholtes
Abstammungsgutachten ergab, dass er nicht der biologische Vater des Kindes ist.
23
2. Mit Beschluss vom 15. April 2010 hat das Amtsgericht das Verfahren gegen die Beklagten zu
1) und 2) ausgesetzt, um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen,
ob § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB in Verbindung mit Art. 229 § 16 EGBGB mit dem Grundgesetz
vereinbar ist.
24
Die Frage sei entscheidungserheblich, da die Klage abzuweisen sei, wenn die Vorschriften
verfassungswidrig wären. Aus einfachrechtlicher Sicht lägen die Voraussetzungen einer
Behördenanfechtung vor. Der Beklagte zu 2) habe die Vaterschaft für das Kind zwar bereits 2005
anerkannt. Der zum 1. Juni 2008 eingeführte § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB finde aber gemäß Art. 229
§ 16 EGBGB auch auf Altfälle Anwendung. Zwischen den Beklagten zu 1) und zu 2) habe keine
sozial-familiäre Beziehung im Zeitpunkt der Anerkennung bestanden und durch die
Anerkennung seien die rechtlichen Voraussetzungen für den erlaubten Aufenthalt des Kindes
und der Kindesmutter geschaffen worden.
25
§ 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB in Verbindung mit Art. 229 § 16 EGBGB sei verfassungswidrig. Die
Normen verstießen wegen unzulässiger Rückwirkung gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Bei der
Neueinführung der Anfechtungsberechtigung auch für Altfälle handle es sich um eine
unzulässige echte Rückwirkung, die aber auch als unechte Rückwirkung nicht zu rechtfertigen
sei, weil bereits die Einführung der Behördenanfechtung selbst wegen der damit verbundenen
Grundrechtsverletzungen verfassungswidrig sei. Insbesondere sei nicht belegt, dass die
Einführung eines Anfechtungsrechts der Behörde erforderlich gewesen sei. Das Interesse des
Gesetzgebers, missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen entgegenzuwirken, um
Verbleibensrechte von Ausländern und damit verbundene sozialstaatliche Belastungen der
Allgemeinheit zu verhindern, habe zwar grundsätzlich einen hohen Stellenwert. Dieser
relativiere sich jedoch, weil die vorgelegte statistische Erhebung nicht belege, in wie vielen
Fällen es sich tatsächlich um eine missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung handele und
binationale Verbindungen und ausländische Familien unter einen Generalverdacht gestellt
würden. Dem stehe das Vertrauen des anerkannten Kindes auf die mit der Abstammung
verbundenen unterhalts-, erb-, steuer- und sozialrechtlichen Folgen sowie insbesondere das
Vertrauen auf die Auswirkungen auf sein Statusrecht gegenüber. Das Kind sei insbesondere in
seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 5 GG verletzt. Kinder, die während einer bestehenden Ehe
geboren würden, seien von dem behördlichen Anfechtungsrecht nicht betroffen, obwohl
insbesondere bei einer Scheinehe anzunehmen sei, dass das Kindschaftsverhältnis ebenfalls
missbräuchlich herbeigeführt worden sei. Die Ungleichbehandlung sei dabei jedenfalls mittelbar
an das Merkmal der Unehelichkeit geknüpft. Eine Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung
sei nicht ersichtlich.
26
3. In ihren schriftlichen Stellungnahmen vertreten die Bundesregierung wie auch die Freie und
Hansestadt Hamburg als Klägerin des Ausgangsverfahrens die Auffassung, die Vorschrift des
§ 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB in Verbindung mit Art. 229 § 16 EGBGB sei mit dem Grundgesetz
vereinbar. Hingegen halten der Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V., der
Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V., das Deutsche Rote Kreuz e.V. und das
Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V. die Regelungen für
verfassungswidrig. Der Deutsche Familiengerichtstag e.V. hat verfassungsrechtliche Bedenken
gegen die Regelung, soweit die Anfechtung ältere Kinder betreffen kann, hält die Regelungen im
Übrigen aber für verfassungsgemäß.
B.
27
Die Regelungen über die Behördenanfechtung (§ 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB und Art. 229 § 16
EGBGB) sind verfassungswidrig. Sie verstoßen gegen Art. 16 Abs. 1 GG (I.), gegen Art. 6 Abs. 2
Satz 1 GG (II.), gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG (III.) und gegen
Art. 6 Abs. 1 GG (IV.). Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 5 GG liegt hingegen nicht vor (V.).
I.
28
Die Regelung der behördlichen Vaterschaftsanfechtung verstößt in ihrer konkreten
Ausgestaltung gegen Art. 16 Abs. 1 GG, weil sie in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise den
Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes herbeiführt. Durch die
Vaterschaftsanfechtung wird in die durch Art. 16 Abs. 1 GG geschützte (1.) Staatsangehörigkeit
des Kindes eingegriffen (2.). Der Grundrechtseingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Art. 16 Abs. 1 GG unterscheidet zwischen der Entziehung der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1
Satz 1 GG) und einem sonstigen Verlust der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG) und
stellt an beide Verlustformen unterschiedliche verfassungsrechtliche Anforderungen. Die
Entziehung ist nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG ausnahmslos verboten. Im Gegensatz dazu kann
ein sonstiger Verlust der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG unter Umständen
verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. In ihrer konkreten Ausgestaltung sind die
Regelungen über die Behördenanfechtung als nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG absolut verbotene
Entziehung der Staatsangehörigkeit anzusehen (3.), weil der Staatsangehörigkeitsverlust durch
die Betroffenen nicht oder nicht in zumutbarer Weise beeinflussbar war. Zwar wäre es
angesichts der Umstände eines Staatsangehörigkeitserwerbs durch anfechtbare
Vaterschaftsanerkennung denkbar, den Kindern die hierbei bestehenden Einflussmöglichkeiten
ihrer Eltern zuzurechnen (3.a) und b)). Der Staatsangehörigkeitsverlust entzieht sich jedoch auch
dem Einfluss der Eltern, soweit die Behördenanfechtung Vaterschaftsanerkennungen betrifft, die
vor Inkrafttreten der zu überprüfenden Normen erfolgten (3.c)). Darüber hinaus ist eine
Beeinflussung des Staatsangehörigkeitsverlusts durch Verzicht auf eine anfechtbare
Vaterschaftsanerkennung nicht zumutbar, wenn die Vaterschaftsanerkennung nicht gerade auf
die Erlangung aufenthaltsrechtlicher Vorteile zielt (3.d)). Dessen ungeachtet genügen die
Regelungen auch nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG
an einen sonstigen Verlust der Staatsangehörigkeit (4.), weil sie keine Möglichkeit bieten zu
berücksichtigen, ob das Kind staatenlos wird (4.a)) und weil es an einer ausdrücklichen
gesetzlichen Regelung des Staatsangehörigkeitsverlusts (4.b)) sowie an einer angemessenen
Fristen- und Altersregelung fehlt, die verhindern könnte, dass auch ältere Kinder, die die
deutsche Staatsangehörigkeit über einen längeren Zeitraum besessen haben, diese noch
verlieren können (4.c)).
29
1. Art. 16 Abs. 1 GG schützt vor dem Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit. Dieser Schutz
kommt auch Kindern zu, die die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 oder 3 StAG
aufgrund einer Vaterschaftsanerkennung erworben haben. Dem verfassungsrechtlichen Schutz
der Staatsangehörigkeit steht nicht entgegen, dass die den Staatsangehörigkeitserwerb
auslösende Vaterschaft behördlicher Anfechtung unterliegt. Die gerichtliche Feststellung des
Nichtbestehens der Vaterschaft, an die der Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit
des Kindes geknüpft ist, beseitigt eine zuvor bestehende deutsche Staatsangehörigkeit
des Kindes und nicht etwa nur den Schein einer solchen. Nach § 1592 Nr. 2 BGB ist der Mann,
der die Vaterschaft anerkannt hat, Vater dieses Kindes. Bis zur Rechtskraft eines auf Anfechtung
hin ergehenden Urteils, in dem das Nichtbestehen der Vaterschaft festgestellt wird, besteht im
Rechtssinne die Vaterschaft dieses Mannes. Die durch Anerkennung erworbene Vaterschaft ist
eine rechtlich vollwertige Vaterschaft, keine bloße Scheinvaterschaft. Schon deshalb ist auch
die nach Maßgabe des § 4 Abs. 1 oder 3 StAG von ihr abgeleitete deutsche Staatsangehörigkeit
keine bloße Scheinstaatsangehörigkeit (vgl. BVerfGK 9, 381 <383 f.> entsprechend zur
Vaterschaftsanfechtung durch den rechtlichen Vater nach § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Am
verfassungsrechtlichen Schutz der zwischenzeitlich bestehenden deutschen
Staatsangehörigkeit ändert auch der Umstand nichts, dass der Verlust der Staatsangehörigkeit
durch Vaterschaftsanfechtung einfachrechtlich als anfängliche Unwirksamkeit der Vaterschaft
und Staatsangehörigkeit konstruiert wird und damit rückwirkend entfällt. Es handelt sich insoweit
lediglich um eine Regelungstechnik zur nachträglichen Korrektur eines bestimmten Ergebnisses,
das die zwischenzeitlich Realität gewordene rechtliche Anerkennung von Vaterschaft
beziehungsweise Staatsangehörigkeit nicht ungeschehen und ihre Schutzwürdigkeit nicht
automatisch hinfällig macht (vgl. BVerfGE 116, 24 <46>).
30
2. Eine erfolgreiche Behördenanfechtung der Vaterschaft greift in die grundrechtlichen
Gewährleistungen des Art. 16 Abs. 1 GG ein. Die Vaterschaftsanfechtung führt beim betroffenen
Kind zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, wenn das Kind die deutsche
Staatsangehörigkeit allein von dem Mann, der die Vaterschaft anerkannt hat, also dem
bisherigen rechtlichen Vater, ableitet. Zwar verhält sich das von der Behörde durch die
Vaterschaftsanfechtung erwirkte familiengerichtliche Urteil ausdrücklich allein zur Vaterschaft.
Mit dem nach ständiger Rechtsprechung der Zivilgerichte rückwirkenden Wegfall der Vaterschaft
tritt jedoch, ohne dass dies gesetzlich ausdrücklich geregelt wäre, nach ebenfalls gefestigter
Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte automatisch auch der Verlust der Staatsangehörigkeit
ein (s.o., A.III.2.), der an Art. 16 Abs. 1 GG zu messen ist. Der Senat legt seiner Beurteilung
regelmäßig die Auslegung der zu prüfenden Vorschrift nach der Auffassung des vorlegenden
Gerichts zugrunde. Dieses geht hier davon aus, dass bereits die erfolgreiche
Vaterschaftsanfechtung nach § 1600 Abs. 1 BGB einen Verlust der Staatsangehörigkeit des
Kindes herbeiführen kann. Obwohl sich diese Rechtsfolge nicht unmittelbar aus dem Wortlaut
der Norm ergibt, geht der Senat angesichts der nicht unvertretbaren Ansicht des Gerichts in
seiner Prüfung ebenfalls von dieser Annahme aus.
31
Ein Eingriff in Art. 16 Abs. 1 GG ist auch nicht etwa deshalb zu verneinen, weil der Verlust der
Staatsangehörigkeit nur eine ungewollte Nebenfolge der behördlichen Vaterschaftsanfechtung
wäre. Abgesehen davon, dass eine solche Einordnung der Behördenanfechtung nicht ihren
Eingriffscharakter nähme, trifft sie auch in der Sache nicht zu; die Beseitigung der
Staatsangehörigkeit des Kindes ist das eigentliche Ziel der Maßnahme, da die
aufenthaltsrechtlichen Vorteile für den anderen Elternteil, die damit beseitigt werden sollen,
gerade aus dem Staatsangehörigkeitserwerb des Kindes resultieren.
32
3. Der Grundrechtseingriff ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, weil die Regelungen
über die Behördenanfechtung als absolut verbotene Entziehung der Staatsangehörigkeit im
Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG anzusehen sind.
33
Eine Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG ist
„jede Verlustzufügung, die die - für den Einzelnen und für die Gesellschaft gleichermaßen
bedeutsame - Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter
Zugehörigkeit beeinträchtigt. Eine Beeinträchtigung der Verlässlichkeit und Gleichheit des
Zugehörigkeitsstatus liegt insbesondere in jeder Verlustzufügung, die der Betroffene nicht oder
nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann“ (BVerfGE 116, 24 <44> m.w.N.).
34
Die Regelung über die Behördenanfechtung ist als verfassungswidrige Entziehung der
Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG) anzusehen, weil die Betroffenen den
Staatsangehörigkeitsverlust teils gar nicht, teils nicht in zumutbarer Weise beeinflussen können:
Die Kinder selbst können den Staatsangehörigkeitsverlust ohnehin nicht selbst beeinflussen (a).
Angesichts der Umstände eines Staatsangehörigkeitserwerbs durch anfechtbare
Vaterschaftsanerkennung käme in Betracht, den Kindern die hierbei bestehenden
Einflussmöglichkeiten ihrer Eltern zuzurechnen (b). Die Eltern hatten jedoch selbst keinen
Einfluss auf den Staatsangehörigkeitsverlust, soweit die Regelungen auf Vaterschaften
angewendet werden, die vor Inkrafttreten von § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB anerkannt wurden (c).
Außerdem ist den Eltern die Wahrnehmung ihrer Einflussnahmemöglichkeit nicht zumutbar,
soweit die Vaterschaftsanerkennung nicht gerade darauf zielt, durch den Abstammungserwerb
der Staatsangehörigkeit des Kindes (§ 4 Abs. 1 und 3 StAG) aufenthaltsrechtliche Vorteile zu
erlangen (d).
35
a) Die betroffenen Kinder können den infolge der Behördenanfechtung eintretenden Verlust der
Staatsangehörigkeit nicht selbst beeinflussen. Die Vaterschaftsanfechtung liegt in der Hand der
Behörde und des Gerichts. Der Staatsangehörigkeitsverlust vollzieht sich nach der ständigen
Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte automatisch. Ob die Voraussetzungen für eine
Behördenanfechtung vorliegen, ist durch das Kind nicht nennenswert beeinflussbar. Auch der
durch die Vaterschaftsanerkennung vermittelte Staatsangehörigkeitserwerb selbst, den
rückgängig zu machen das eigentliche Ziel der Behördenanfechtung ist, entzieht sich
regelmäßig dem Einfluss des Kindes. Die Vaterschaftsanerkennung liegt in den Händen der
Eltern, der Staatsangehörigkeitserwerb vollzieht sich infolge der Vaterschaftsanerkennung
automatisch von Gesetzes wegen.
36
b) Grundsätzlich kommt in Betracht, den Kindern Einflussmöglichkeiten ihrer Eltern (aa)
zuzurechnen (bb).
37
aa) Auch die Eltern können den Staatsangehörigkeitsverlust des Kindes nicht direkt
beeinflussen, der bei erfolgreicher Behördenanfechtung automatisch eintritt.
38
Der Vorwurf einer nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG verbotenen Entziehung der Staatsangehörigkeit
lässt sich auch nicht schon mit dem Hinweis ausräumen, die Eltern hätten zur Vermeidung des
Staatsangehörigkeitsverlusts bereits auf den Staatsangehörigkeitserwerb verzichten können.
39
Besondere Umstände des Staatsangehörigkeitserwerbs können es allerdings erlauben, den
Einfluss auf den Erwerbsvorgang ausnahmsweise auch als Einfluss auf den
Staatsangehörigkeitsverlust zu werten (vgl. Becker, NVwZ 2006, S. 304 <306>). Tragen die
Betroffenen bereits beim Erwerb Verantwortung für eine spezifische Instabilität der
Staatsangehörigkeit, hatten sie die Situation, die schließlich zum Verlust der Staatsangehörigkeit
führt, in der eigenen Hand, so dass der Verlust als beeinflussbar gelten kann (vgl. Kämmerer, in:
Bonner Kommentar, August 2005, Art. 16 Rn. 51; Masing, in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2004, Art. 16
Rn. 74). Eine solche Instabilität kann daraus resultieren, dass die Art und Weise des
Staatsangehörigkeitserwerbs rechtlich missbilligt ist und der Gesetzgeber Regelungen getroffen
hat, nach denen der rechtlich missbilligte Staatsangehörigkeitserwerb rückgängig gemacht
werden kann. Führen die Betroffenen unter diesen Voraussetzungen den Erwerb einer rechtlich
bemakelten Staatsangehörigkeit herbei, tragen sie Verantwortung für deren Instabilität und
müssen sich dies als Einfluss auf den Staatsangehörigkeitsverlust zurechnen lassen.
40
In den Fällen der Behördenanfechtung ist die Einflussmöglichkeit der Eltern danach darin zu
sehen, dass sie auf die Anerkennung einer nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 BGB
anfechtbaren Vaterschaft verzichten und damit vermeiden können, dass eine Situation entsteht,
die später zum Staatsangehörigkeitsverlust des Kindes führt (vgl. Becker, NVwZ 2006, S. 304
<306>). Die Beteiligten bereits zum Verzicht auf eine im Sinne von § 1600 Abs. 1 Nr. 5 und Abs.
3 BGB bemakelte Vaterschaftsanerkennung zu bewegen, ist letztlich auch Ziel der gesetzlichen
Einräumung einer behördlichen Anfechtungsbefugnis. Die Zumutbarkeit eines solchen Verzichts
bedarf allerdings gesonderter Betrachtung (s.u., d)).
41
bb) Soweit ein mittelbarer Einfluss der Eltern auf den Staatsangehörigkeitsverlust des Kindes
besteht, kann er diesem unter bestimmten Bedingungen zugerechnet werden. Dann ist der
Staatsangehörigkeitsverlust als durch das Kind beeinflussbar zu werten und eine unzulässige
Entziehung im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG auszuschließen (vgl. BVerfGE 116, 24 <60>).
Zwar muss das Kind so mit dem Staatsangehörigkeitsverlust eine schwerwiegende Folge des
Handelns seiner Eltern tragen, auf das es tatsächlich keinen eigenen Einfluss hat. Sinn und
Zweck des Verbots der Entziehung der Staatsangehörigkeit lassen eine Zurechnung des
Elternverhaltens gleichwohl zu. Dem durch das Entziehungsverbot des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG
bezweckten Schutz vor willkürlicher Instrumentalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts ist
bereits dadurch Rechnung getragen, dass der Staatsangehörigkeitsverlust des Kindes von den
Eltern beeinflusst werden kann und damit der freien Verfügung des Staates entzogen ist. Der
Wegfall der Staatsangehörigkeit entspringt dann nicht einem einseitigen Willensakt des Staates,
sondern ist Folge der von den Eltern herbeigeführten anfechtbaren Vaterschaftsanerkennung
(vgl. Becker, NVwZ 2006, S. 304 <306>). Dass das Kind keinen eigenen Einfluss auf den Verlust
der Staatsangehörigkeit nehmen kann, darf indessen bei der verfassungsrechtlichen Würdigung
eines Staatsangehörigkeitsverlusts nicht unbeachtet bleiben. Dies wird in der Prüfung am
Maßstab des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG berücksichtigt.
42
Ob eine Zurechnung elterlichen Verhaltens in den Fällen der Behördenanfechtung
altersunabhängig und damit auch bei größeren, zunehmend eigenständigen Kindern möglich ist,
bedarf hier keiner Entscheidung, da es im Ergebnis teilweise bereits an der
Einflussnahmemöglichkeit der Eltern (s.u., c)), beziehungsweise an der Zumutbarkeit fehlt, die
bestehende Einflussmöglichkeit zu nutzen (s.u., d)).
43
c) An der Möglichkeit der Eltern, den Staatsangehörigkeitsverlust des Kindes dadurch zu
beeinflussen, dass sie auf eine Vaterschaftsanerkennung verzichten, wenn die zur
Behördenanfechtung berechtigenden Voraussetzungen des § 1600 Abs. 3 BGB vorliegen, fehlt
es, soweit die Anfechtung gemäß Art. 229 § 16 EGBGB Fälle erfasst, in denen die
Vaterschaftsanerkennung und damit der Staatsangehörigkeitserwerb vor Inkrafttreten des § 1600
Abs. 1 Nr. 5 BGB am 1. Juni 2008 erfolgten - das heißt zu einem Zeitpunkt, in dem die zur
Nichtigkeit des Staatsangehörigkeitserwerbs führende Anfechtungsregelung noch nicht
existierte. Eine den Entziehungstatbestand des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG ausschließende
Einflussmöglichkeit der Eltern ist insoweit mangels Vorhersehbarkeit zu verneinen.
44
aa) Wird eine Regelung, welche die Staatsangehörigkeit entfallen lässt, nachträglich in Kraft
gesetzt, so ist dies als verbotene Entziehung im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG anzusehen.
Die Betroffenen haben nur dann Einfluss auf den Verlust der Staatsangehörigkeit, wenn sie im
Zeitpunkt ihres Handelns wissen oder wenigstens wissen können, dass sie damit die
Voraussetzungen für den Verlust der Staatsangehörigkeit schaffen. Zur Verlässlichkeit des
Staatsangehörigkeitsstatus gehört auch die Vorhersehbarkeit eines Verlusts und damit ein
ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Bereich der
staatsangehörigkeitsrechtlichen Verlustregelungen (BVerfGE 116, 24 <45>).
45
Erfolgte die Anerkennung einer nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 BGB anfechtbaren
Vaterschaft vor Inkrafttreten des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB, konnten die Eltern nicht wissen, dass
sie mit dieser Vaterschaftsanerkennung zugleich die Voraussetzung des späteren Verlusts
schaffen, weil es die Möglichkeit der Behördenanfechtung zu diesem Zeitpunkt noch nicht gab.
Die betroffenen Eltern durften bis zur Einführung der Behördenanfechtung davon ausgehen,
dass die Vaterschaftsanerkennung unabhängig vom damit verfolgten Zweck wirksam war und
die Grundlage für den Staatsangehörigkeitserwerb des Kindes bildete. Die
Vaterschaftsanerkennung schafft eine vollgültige, mit allen Rechten und Pflichten verbundene
Vaterschaft, auch wenn weder ein biologisches Abstammungsverhältnis noch eine sozial-
familiäre Beziehung zwischen anerkennendem Vater und Kind existieren. Erst mit dem
Inkrafttreten von § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB konnte die zu aufenthaltsrechtlichen Zwecken
erfolgende Vaterschaftsanerkennung angefochten und damit die deutsche Staatsangehörigkeit
rückwirkend zum Wegfall gebracht werden. Erst seitdem können die Eltern durch Verzicht auf
eine anfechtbare Vaterschaftsanerkennung den späteren Verlust der Staatsangehörigkeit des
Kindes durch Behördenanfechtung bewusst verhindern. Bis dahin mussten sie hingegen nicht
mit einer Vaterschaftsanfechtung durch die Behörde rechnen.
46
bb) Ob Art. 229 § 16 EGBGB gegen das Rückwirkungsverbot verstößt, bedarf darüber hinaus
keiner Entscheidung.
47
d) Soweit die Behördenanfechtung Vaterschaftsanerkennungen betrifft, die nach Inkrafttreten der
zu überprüfenden Normen erfolgten, waren die Anfechtung und der dadurch vermittelte
Staatsangehörigkeitsverlust zwar vorhersehbar und konnten von den Eltern durch den Verzicht
auf Vaterschaftsanerkennung beeinflusst werden. Einen Staatsangehörigkeitsverlust durch den
Verzicht auf eine behördlich anfechtbare Vaterschaftsanerkennung zu beeinflussen, ist jedoch
nicht ohne Weiteres zumutbar.
48
Der Verzicht auf eine anfechtbare Vaterschaftsanerkennung ist nur dann zumutbar, wenn die
Vaterschaftsanerkennung gerade auf die Erlangung aufenthaltsrechtlicher Vorteile zielt (aa). Die
in § 1600 Abs. 3 und Abs. 4 BGB geregelten Anfechtungsvoraussetzungen sind jedoch so weit
formuliert, dass sie nicht hinreichend genau allein solche Vaterschaftsanerkennungen erfassen
(bb). Der Verzicht auf eine anfechtbare Vaterschaftsanerkennung ist den Betroffenen in diesen
Fällen auch nicht deshalb zuzumuten, weil dem Gesetzgeber keine andere Möglichkeit der
Regelung der Behördenanfechtung zur Verfügung stünde und das Interesse an der
Behördenanfechtung eindeutig die Interessen derjenigen überwöge, die auf eine, nicht der
Umgehung gesetzlicher Aufenthaltsvoraussetzungen dienende, anfechtbare
Vaterschaftsanerkennung verzichten müssten (cc).
49
aa) Der Verzicht auf eine anfechtbare Vaterschaftsanerkennung ist nur dann zumutbar, wenn die
Vaterschaftsanerkennung gerade auf die Erlangung eines besseren Aufenthaltsstatus unter
Umgehung der gesetzlichen Voraussetzungen zielt. Andernfalls kann den Eltern ein Verzicht
nicht zugemutet werden, weil ihnen damit eine Form familienrechtlicher Statusbegründung
genommen würde, die allen anderen Paaren in gleicher Lage ohne Weiteres offen steht.
50
(1) Nach dem Recht der Vaterschaftsanerkennung ist diese für ein rechtlich vaterloses Kind mit
Zustimmung der Mutter unabhängig von der biologischen Vaterschaft ohne jede weitere
Voraussetzung möglich. Der Gesetzgeber hat die Vaterschaftsanerkennung der autonomen
Entscheidung der Eltern überlassen und hat gerade dies bei der Einführung von § 1600 Abs. 1
Nr. 5 BGB nochmals bekräftigt (vgl. BTDrucks 16/3291, S. 1 und 11). Er hat darauf verzichtet, die
Gründe für eine konkrete Anerkennung zu erforschen oder zu reglementieren. Die Betroffenen
können eine Vaterschaft durch Anerkennung aus beliebigen Motiven herbeiführen; das gilt auch
dann, wenn sie damit rechnen oder sogar wissen, dass der Anerkennende nicht biologischer
Vater des Kindes ist. Die Regelung statuiert keine rechtliche Erwartung, auf bestimmte
Vaterschaftsanerkennungen zu verzichten.
51
(2) Demgegenüber verlangt die hier zur Prüfung gestellte Regelung den Betroffenen ab, unter
den Voraussetzungen des § 1600 Abs. 3 BGB auf eine Vaterschaftsanerkennung zu verzichten,
wenn sie nicht später den anfechtungsbedingten Verlust der Staatsangehörigkeit des Kindes
riskieren wollen. Betroffen sind nur binationale und ausländische Paare, von denen mindestens
ein Elternteil keinen gesicherten Aufenthaltsstatus besitzt, weil die Anfechtung nach § 1600 Abs.
3 BGB erfordert, dass durch die Vaterschaftsanerkennung objektiv aufenthaltsrechtliche Vorteile
geschaffen werden.
52
(3) Es ist den Betroffenen nicht ohne Weiteres zumutbar, auf eine allen anderen Paaren
offenstehende Vaterschaftsanerkennung nur deshalb zu verzichten, weil ein Elternteil weder die
deutsche Staatsangehörigkeit noch einen gesicherten Aufenthaltsstatus besitzt.
53
(a) Zumutbar ist allerdings, unter den in § 1600 Abs. 3 BGB genannten Voraussetzungen auf
eine Vaterschaftsanerkennung zu verzichten, soweit diese gerade auf die Erlangung
aufenthaltsrechtlicher Vorteile zielt. Wollen die Mutter und der Anerkennungswillige mit der
Vaterschaftsanerkennung gerade die Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den
erlaubten Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteils schaffen, bedienen sie sich des
familienrechtlichen Instruments der Vaterschaftsanerkennung, um aufenthaltsrechtliche Vorteile
herbeizuführen, die das Aufenthaltsrecht an und für sich nicht gewährt. Dass § 1600 Abs. 1 Nr. 5
BGB nun diesen fachrechtlich nicht vorgesehenen Weg, Staatsangehörigkeit und
Aufenthaltsrecht zu erwerben, beschränkt, dient der Verwirklichung der Steuerungsziele des
Staatsangehörigkeits- und des Aufenthaltsrechts. Auf eine Vaterschaftsanerkennung zu
verzichten, die gerade darauf zielt, aufenthaltsrechtliche Vorteile zu erlangen, die das
einschlägige Fachrecht zulässigerweise nicht gewährt, ist zumutbar, zumal die in diesem Fall
schwachen familiären Interessen an der Vaterschaft das Anfechtungsinteresse nicht überwinden
könnten.
54
(b) Erfolgt die Vaterschaftsanerkennung hingegen nicht gezielt gerade zur Umgehung der
gesetzlichen Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts, rechtfertigen es das
staatsangehörigkeits- und das aufenthaltsrechtliche Gesetzesziel der Regelungen zur
Behördenanfechtung nicht, den Betroffenen zuzumuten, auf die vom Gesetzgeber ansonsten
ohne Ansehung der Motive eingeräumte Möglichkeit der Vaterschaftsanerkennung zu verzichten,
die allen anderen Paaren in genau gleicher Lage offensteht.
55
bb) Kann demnach der Verlust der Staatsangehörigkeit nur dann als rechtfertigungsfähiger
Verlust, nicht aber als strikt verbotene Entziehung angesehen werden, wenn die
Vaterschaftsanerkennung gerade auf die Umgehung gesetzlicher Voraussetzungen des
Aufenthaltsrechts zielt, muss die Möglichkeit der Behördenanfechtung auf die Fälle spezifisch
aufenthaltsrechtlich motivierter Vaterschaftsanerkennungen begrenzt bleiben. Diese Begrenzung
vermögen die vom Gesetzgeber gewählten Anfechtungsvoraussetzungen nicht hinreichend
zuverlässig zu leisten.
56
(1) Zwar darf sich der Gesetzgeber bei der Statuierung der Voraussetzungen für die behördliche
Anfechtung einer gerade aufenthaltsrechtlich motivierten Vaterschaft aus Praktikabilitätsgründen
objektiver Merkmale bedienen, die eine entsprechende subjektive Motivlage beispielhaft und
widerlegbar indizieren können. Objektive Anhaltspunkte könnten neben einem Geständnis der
Eltern etwa sein, dass der anerkennende Vater bereits mehrfach Kinder verschiedener
ausländischer Mütter anerkannt hat oder dass eine Geldzahlung anlässlich der
Vaterschaftsanerkennung bekannt wird (vgl. BTDrucks 16/3291, S. 16).
57
(2) Die objektiv gefassten Anfechtungsvoraussetzungen des § 1600 Abs. 3 BGB genügen den
verfassungsrechtlichen Anforderungen jedoch nicht.
58
(a) Nach § 1600 Abs. 3 BGB setzt die Behördenanfechtung voraus, dass zwischen Kind und
Anerkennendem nicht zu bestimmten Zeitpunkten eine sozial-familiäre Beziehung besteht oder
bestanden hat und dass durch die Anerkennung rechtliche Voraussetzungen für die erlaubte
Einreise oder den erlaubten Aufenthalt geschaffen werden. Sind diese Voraussetzungen erfüllt,
hat das Gericht im Falle fehlender biologischer Vaterschaft das Nichtbestehen der Vaterschaft
festzustellen, ohne dass es weitere Belege dafür verlangen müsste oder auch nur dürfte, dass
die Vaterschaftsanerkennung tatsächlich gerade auf die Erlangung aufenthaltsrechtlicher
Vorteile zielte. Dies wird beim Fehlen einer sozial-familiären Beziehung vielmehr unwiderlegbar
unterstellt (vgl. BTDrucks 16/3291, S. 14).
59
(b) Die objektiv formulierten Voraussetzungen des § 1600 Abs. 3 BGB sind als Anhaltspunkte für
eine spezifisch aufenthaltsrechtlich motivierte Vaterschaftsanerkennung nicht hinreichend
aussagekräftig.
60
(aa) Die Voraussetzung der Schaffung von Einreise- oder Aufenthaltsvoraussetzungen ist für
sich genommen nicht zu einer den Anforderungen von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG genügenden
Eingrenzung der Anfechtungsfälle geeignet, weil sie alle Fälle der Vaterschaftsanerkennung
einbezieht, in denen die Mutter einen ungesicherten Aufenthaltsstatus hatte. Dass die
Vaterschaftsanerkennung in diesen Fällen generell gerade zu aufenthaltsrechtlichen Zwecken
erfolgt, ist weder im Gesetzgebungsverfahren dargelegt worden noch sind dafür sonst
Anhaltspunkte erkennbar.
61
(bb) Auch das Fehlen einer sozial-familiären Beziehung zwischen Vater und Kind ist kein
zuverlässiger Indikator dafür, dass eine, den Aufenthaltsstatus der Beteiligten objektiv
verbessernde, Vaterschaftsanerkennung gerade auf aufenthaltsrechtliche Vorteile zielt. Nach
§ 1600 Abs. 4 BGB besteht eine sozial-familiäre Beziehung, wenn der Vater zum maßgeblichen
Zeitpunkt für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt oder getragen hat, was in der Regel der
Fall ist, wenn der Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit
in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat. Die erste Alternative scheidet hier schon
deshalb aus, weil die Eltern in Fällen der Vaterschaftsanerkennung in aller Regel nicht
miteinander verheiratet sind. Die zweite Alternative fasst die sozial-familiäre Beziehung zu eng,
als dass deren Fehlen bereits die aufenthaltsrechtliche Motivlage indizieren könnte (vgl.
Löhning, FamRZ 2008, S. 1130 <1131>; Arendt-Rojahn, FPR 2007, S. 395 <397>; Grün, FuR
2007, S. 12 <13>; Helms, StAZ 2007, S. 69 <73>). Das Erfordernis einer häuslichen
Gemeinschaft ist streng und geht deutlich über das Maß an sozialen Vater-Kind-Kontakten
hinaus, das ansonsten zwischen nichtehelichen Kindern und ihren Vätern praktisch üblich ist. So
kam eine im Gesetzgebungsverfahren zum Kindschaftsrechts-Reformgesetz von 1998 in Auftrag
gegebene Untersuchung zur Lebenslage nichtehelicher Kinder zu dem Ergebnis, dass nur
knapp ein Viertel aller unverheirateten Eltern in einer häuslichen Gemeinschaft lebten;
demgegenüber lebten etwa drei Viertel aller Väter nichtehelicher Kinder nicht mit diesen im
selben Haushalt (vgl. BTDrucks 13/4899, S. 50). Das Fehlen einer häuslichen Gemeinschaft ist
damit kein zuverlässiger Indikator einer gerade aufenthaltsrechtlich motivierten
Vaterschaftsanerkennung (vgl. Arendt-Rojahn, FPR 2007, S. 395 <397>).
62
Dabei wird nicht verkannt, dass in Fallkonstellationen, in denen keine häusliche Gemeinschaft
zwischen Vater und Kind begründet wird, Vaterschaftsanerkennungen zu einem gewissen Anteil
tatsächlich gerade auf aufenthaltsrechtliche Vorteile zielen werden. Gleichwohl eröffnet der
generalisierende Schluss vom Fehlen häuslicher Gemeinschaft auf die aufenthaltsrechtliche
Motivlage zu weitgehende Anfechtungsmöglichkeiten, die durch Verzicht auf die
Vaterschaftsanerkennung zu vermeiden den Betroffenen nicht zuzumuten ist (s.u., cc)).
63
(3) Freilich könnte § 1600 Abs. 4 Satz 2 BGB als nicht abschließende Aufzählung von
Beispielen verstanden werden. Dann wäre davon auszugehen, dass auch in anderen als den
dort genannten Fällen der Ehe und der häuslichen Gemeinschaft eine tatsächliche
Verantwortungsübernahme - und damit eine sozial-familiäre Beziehung im Sinne des § 1600
Abs. 3 BGB - vorliegen kann. Der Schutz der durch Anerkennung begründeten rechtlichen Vater-
Kind-Beziehung vor behördlicher Anfechtung reichte dann weiter.
64
Dem Wortlaut ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob die Regelvermutungen die denkbaren Fälle
einer sozial-familiären Gemeinschaft abschließend bezeichnen oder lediglich als Beispiele
gedacht sind. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien sollte die Aufzählung nicht
abschließend sein. Dort heißt es, neben dem gesetzlichen Regelfall der häuslichen
Gemeinschaft könne der Vater tatsächliche Verantwortung auch übernehmen, indem er „typische
Elternrechte und -pflichten“ wahrnimmt, etwa regelmäßigen Umgang mit dem Kind, Betreuung
und Erziehung des Kindes oder die Leistung von Unterhalt (vgl. BTDrucks 16/3291, S. 13).
Darüber hinaus verweist die Begründung des Regierungsentwurfs in diesem Zusammenhang
auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des
Zweiten Senats vom 8. Oktober 2005 - 2 BvR 1001/04 -, FamRZ 2006, S. 187 <188>), in der
festgestellt wurde, eine verantwortungsvoll gelebte Eltern-Kind-Gemeinschaft lasse sich nicht
allein quantitativ etwa nach Daten und Uhrzeiten des persönlichen Kontakts oder genauem
Inhalt der einzelnen Betreuungshandlungen bestimmen. Die Entwicklung eines Kindes werde
nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige
und emotionale Auseinandersetzung geprägt (vgl. BTDrucks 16/3291, S. 13 f.).
65
Auch im Fachschrifttum wird im Rahmen der Behördenanfechtung eine weite Auslegung des
negativen Tatbestandsmerkmals der sozial-familiären Beziehung befürwortet, weil es allein
darum gehe, die Missbrauchsfälle herauszufiltern (vgl. Wellenhofer, in: Münchener Kommentar
zum BGB, Band 8, 6. Aufl. 2012, § 1600 Rn. 21; Löhning, FamRZ 2008, S. 1130 <1131>; Arendt-
Rojahn, FPR 2007, S. 395 <397>). An einer sozial-familiären Beziehung fehle es nicht
automatisch dann schon, wenn keine persönlichen Kontakte zwischen dem Anerkennenden und
dem Kind bestünden. Ein Mangel an persönlichem Kontakt könne durchaus auf Umständen
beruhen, auf die der Anerkennende keinen Einfluss habe, so etwa wenn tatsächliche Umstände
(z.B. eine große räumliche Distanz zwischen Kind und Anerkennendem, Erkrankungen des
Anerkennenden oder des Kindes oder die Verbüßung einer Strafhaft) das persönliche
Zusammentreffen nicht möglich machten (vgl. Grün, FuR 2007, S. 12 f.; ders., FPR 2011, S. 382
<383 f.>).
66
(4) Die verfassungsrechtlichen Defizite der Norm lassen sich jedoch angesichts der
Gesetzessystematik nicht durch Auslegung beheben.
67
Die sozial-familiäre Beziehung ist zugleich negatives Tatbestandsmerkmal der bereits im Jahr
2004 eingeführten Vaterschaftsanfechtung durch den biologischen Vater (§ 1600 Abs. 1 Nr. 2
BGB). Der Gesetzgeber hatte bei der Regelung der Anfechtung durch den biologischen Vater mit
der Aufnahme dieses Negativmerkmals (§ 1600 Abs. 2 BGB) im Wesentlichen Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der bestehenden rechtlichen Familie umgesetzt (vgl.
BVerfGE 108, 82). Für die Behördenanfechtung wurde das Kriterium später in diesen anderen
Zusammenhang schlicht übernommen (§ 1600 Abs. 3 BGB). Die sozial-familiäre Beziehung ist
dabei für beide Anfechtungskonstellationen einheitlich in § 1600 Abs. 4 BGB definiert. Die
Doppelfunktion des negativen Tatbestandsmerkmals der sozial-familiären Beziehung lässt es
hier im Ergebnis nicht zu, dieses Tatbestandsmerkmal im Zusammenhang mit der
Behördenanfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB den Erfordernissen des Art. 16 Abs. 1 Satz 1
GG gemäß weit auszulegen, weil dasselbe Tatbestandsmerkmal im Rahmen der Anfechtung
durch den mutmaßlichen biologischen Vater (§ 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB) aus
verfassungsrechtlichen Gründen eng auszulegen ist.
68
Das negative Tatbestandsmerkmal der sozial-familiären Beziehung steht in den beiden
Anfechtungskonstellationen in unterschiedlichem Kontext und hat bei der Anfechtung durch den
biologischen Vater eine völlig andere Funktion als bei der Anfechtung durch die Behörde (vgl.
van Els, FPR 2011, S. 380 <381>; Löhning, FamRZ 2008, S. 1130 <1131>; Grün, FuR 2007,
S. 12 <13>; Arendt-Rojahn, FPR 2007, S. 395 <397>; Helms, StAZ 2007, S. 69 <72 f.>).
69
Bei der Anfechtung durch den biologischen Vater soll die bestehende Vaterschaft des
rechtlichen Vaters durch die des biologischen Vaters ersetzt werden. Das Negativmerkmal der
sozial-familiären Beziehung zum rechtlichen Vater dient im Interesse des Kindes dem Schutz der
bestehenden sozialen Familie (vgl. BVerfGE 108, 82 <109 f.>). Der Schutzbedarf ist jedoch
begrenzt, weil das Kind nicht vaterlos wird, sondern den biologischen Vater als rechtlichen Vater
erhält, woran das Kind ein eigenes Interesse hat, das das Interesse an der Erhaltung der
rechtlichen Eltern-Kind-Beziehung zum bisherigen Vater überwiegen kann. Um die Anfechtung
nicht übermäßig zu erschweren, ist mit der sozial-familiären Beziehung ein negatives
Tatbestandsmerkmal gewählt, das der Anfechtung durch den biologischen Vater Raum gewährt
und diese nur dann scheitern lässt, wenn Kind und rechtlicher Vater tatsächlich gemeinsam ein
soziales Familienleben führen, welches durch die rechtliche Neuordnung der Vaterschaft gestört
würde. Bei der Behördenanfechtung hingegen soll eine rechtliche Vater-Kind-Zuordnung im
öffentlichen Interesse aufgehoben werden, ohne dass für die Feststellung einer neuen,
biologisch zutreffenden Vaterschaft Sorge getragen wäre. Die Anfechtung dient - anders als im
Fall der Anfechtung durch den biologischen Vater - nicht dem Schutz der Grundrechte der
Betroffenen, sondern der Durchsetzung staatsangehörigkeits- und aufenthaltsrechtlicher
Steuerungsziele. Durch die Behördenanfechtung wird weder ein Vater in sein Recht gesetzt
noch hat das Kind hierdurch Vorteile. Vielmehr verliert es neben der deutschen
Staatsangehörigkeit ersatzlos einen rechtlich vollwertigen Elternteil.
70
Demgemäß kommt dem Negativmerkmal der sozial-familiären Beziehung bei der
Behördenanfechtung eine andere Funktion zu als bei der Anfechtung durch den biologischen
Vater. Während es bei der Anfechtung durch die Behörde vor allem dazu dient, eine gerade
aufenthaltsrechtlich motivierte Vaterschaftsanerkennung zu identifizieren, geht es bei der
Anfechtung durch den biologischen Vater nur darum, festzustellen, ob der Anfechtung eine
verfassungsrechtlich schützenswerte, sozial gehaltvolle Beziehung zwischen dem Kind und dem
rechtlichen Vater entgegensteht.
71
Verfassungsrechtlich unzulässig wäre es, das für beide Anfechtungskonstellationen relevante
Tatbestandsmerkmal der sozial-familiären Beziehung, das in § 1600 Abs. 4 BGB eine
einheitliche Definition erfahren hat, je nach Kontext unterschiedlich auszulegen, indem man es
als Voraussetzung der Behördenanfechtung weit interpretierte, ihm aber bei der Anfechtung
durch den biologischen Vater eine enge Bedeutung beilegte (kritisch Helms, StAZ 2007, S. 69
<73>). Ein und dasselbe, durch eine Norm einheitlich definierte Tatbestandsmerkmal kann hier
nicht, je nachdem, mit welcher Anfechtungsnorm es in Verbindung gebracht wird, einmal eng
und einmal weit interpretiert werden. Angesichts der erheblichen Grundrechtseingriffe, die mit
der Vaterschaftsanfechtung in beiden Fällen verbunden sind, wäre dies unter rechtsstaatlichen
Gesichtspunkten der Normverständlichkeit nicht zu akzeptieren.
72
cc) Es ist den Betroffenen auch nicht deshalb zuzumuten, bereits im Fall des Fehlens einer
sozial-familiären Beziehung im engeren Sinne auf die Vaterschaftsanerkennung zu verzichten,
weil sich das behördliche Anfechtungsrecht mangels äußerer Unterscheidbarkeit gerade
aufenthaltsrechtlich motivierter Vaterschaftsanerkennungen von anderen
Vaterschaftsanerkennungen nur auf diese Weise durchsetzen ließe und das Interesse an der
Vaterschaftsanerkennung hinter dem Anfechtungsinteresse zurücktreten müsste. Es ist nicht
ausgeschlossen, treffgenauere Kriterien als das Negativmerkmal der sozial-familiären
Beziehung zu verwenden (s.o., bb)(1)). Selbst wenn diese nicht alle Fälle aufenthaltsrechtlich
motivierter Vaterschaftsanerkennung vollständig erfassen sollten, wäre das hinnehmbar, zumal
eine besondere Dringlichkeit, aufenthaltsrechtlich motivierte Vaterschaftsanerkennungen zu
bekämpfen, nicht erkennbar geworden ist.
73
So konnte die für den Zeitraum vom 1. April 2003 bis 31. März 2004 erhobene Zahl von 1.694
Aufenthaltstiteln, die an unverheiratete ausländische Mütter eines deutschen Kindes erteilt
wurden, die im Zeitpunkt der Vaterschaftsanerkennung ausreisepflichtig waren, nach eigener
Einschätzung der Bundesregierung „nicht belegen, in wie vielen Fällen es sich tatsächlich um
missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen handelt“ (BTDrucks 16/3291, S. 11). Es ist
wahrscheinlich, dass ein ganz erheblicher Anteil der Fälle keine Anfechtungsfälle waren, denn
in die Erhebung waren insbesondere auch die Fälle einbezogen, in denen die biologische
Vaterschaft oder aber wenigstens eine sozial-familiäre Beziehung zwischen Vater und Kind
bestand, mithin reguläre Vaterschaftsanerkennungen, auf die die Behördenanfechtung nicht zielt
und die sie auch nicht erfasst.
74
Dass sich die Vaterschaftsanerkennung praktisch nicht zum extensiv genutzten Instrument der
Aufenthaltssicherung unter Umgehung aufenthaltsrechtlicher Voraussetzungen entwickelt hat,
dürfte nicht zuletzt darauf beruhen, dass die anerkennenden Väter ein erhebliches Risiko
eingehen, dauerhaft unterhaltsrechtlich belangt zu werden. Die Vaterschaftsanerkennung führt
zur rechtlich vollgültigen Vaterschaft. Mit ihr ist auch und gerade im Fall fehlender häuslicher
Gemeinschaft eine unter Umständen lang währende Pflicht zur Zahlung von Kindesunterhalt
verbunden, die gegebenenfalls staatlich durchsetzbar ist. Mittellosigkeit schützt den Vater
allenfalls begrenzt vor dieser Zahlungspflicht. Der Vater eines minderjährigen Kindes ist gemäß
§ 1601, § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigert unterhaltspflichtig und deshalb verpflichtet, alle
Anstrengungen zu unternehmen, um Unterhalt zahlen zu können. Dies zwingt den
Unterhaltspflichtigen zur Übernahme jeder ihm zumutbaren Arbeit, wobei zur Sicherung des
Unterhalts minderjähriger Kinder auch Aushilfs- und Gelegenheitsarbeiten zumutbar sind und
ein Orts- und Berufswechsel verlangt werden kann. Unterlässt es der Unterhaltsverpflichtete,
einer ihm möglichen und zumutbaren Erwerbstätigkeit nachzugehen, werden ihm auch fiktiv
erzielbare Einkünfte zugerechnet (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 - XII ZR 182/06 -, juris,
Rn. 20 ff.; stRspr).
75
Im Übrigen stehen dem Staat auch jenseits des familiengerichtlichen Unterhaltsverfahrens des
unterhaltsberechtigten Kindes Mittel zur Verfügung, die Unterhaltspflichten durchzusetzen und
so indirekt Druck gegen eine Praxis aufenthaltsrechtlich motivierter Gefälligkeitsanerkennungen
zu entfalten. Die Verletzung der Unterhaltspflicht ist nach § 170 StGB strafbewehrt. Zudem
haben die Sozialbehörden im Fall der Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch das Kind
Mittel an der Hand, die unterhaltsrechtlichen Folgen einer Vaterschaftsanerkennung spürbar
werden zu lassen, indem sie die auf sie übergehenden Unterhaltsforderungen gegenüber dem
Anerkennenden durchsetzen.
76
4. Die zu überprüfenden Normen verstoßen darüber hinaus gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG. Sie
genügen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG an einen
sonstigen Verlust der Staatsangehörigkeit stellt, weil sie keine Möglichkeit bieten, zu
berücksichtigen, ob das Kind staatenlos wird (a), weil es an einer ausdrücklichen gesetzlichen
Regelung des Staatsangehörigkeitsverlusts fehlt (b) und weil keine angemessene Fristen- und
Altersregelung getroffen wurde, die verhindern könnte, dass auch ältere Kinder, die die deutsche
Staatsangehörigkeit über einen längeren Zeitraum besessen haben, diese noch verlieren (c).
77
a) § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ist insofern verfassungswidrig, als dem über die Anfechtung
entscheidenden Gericht weder aufgegeben noch ermöglicht ist, Rücksicht darauf zu nehmen, ob
das betroffene Kind infolge der Behördenanfechtung staatenlos wird. Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2
GG darf der Verlust der Staatsangehörigkeit gegen den Willen der Betroffenen nur dann
eintreten, wenn diese dadurch nicht staatenlos werden. Weil der Verlust der Staatsangehörigkeit
im Fall der Behördenanfechtung in aller Regel gegen den Willen des betroffenen Kindes eintritt,
hätte der Gesetzgeber eine Vorkehrung für den Fall der Staatenlosigkeit treffen müssen. Für eine
verfassungskonforme Auslegung bietet der Wortlaut keinen Anknüpfungspunkt.
78
aa) Es ist nicht auszuschließen, dass Kinder infolge der Behördenanfechtung staatenlos werden.
Welche Auswirkungen der Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit für die weitere
Staatsangehörigkeit des Kindes hat, bestimmt sich nach ausländischem
Staatsangehörigkeitsrecht. Das deutsche Recht kann Erwerb, Fortbestand oder Wiederaufleben
der mütterlich vermittelten ausländischen Staatsangehörigkeit nicht steuern.
79
bb) Eine Rechtfertigung der Inkaufnahme von Staatenlosigkeit kommt nicht in Betracht. Der
Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG sieht abgesehen vom Willenskriterium keine weitere
Einschränkung des Verbots der Inkaufnahme von Staatenlosigkeit vor; das
Staatenlosigkeitsverbot ist strikt formuliert.
80
Zwar wurde eine Inkaufnahme der Staatenlosigkeit im Fall der Rücknahme einer durch bewusst
falsche Angaben erwirkten rechtswidrigen Einbürgerung für verfassungsrechtlich zulässig
gehalten (vgl. BVerfGE 116, 24 <45 ff.>). Wegen des strikt formulierten Verbots des Art. 16 Abs. 1
Satz 2 GG ist jedoch bei einer Weiterung der für den Rücknahmefall angestellten
Rechtfertigungsüberlegungen auf andere Konstellationen äußerste Zurückhaltung geboten. In
der hier zu beurteilenden Konstellation greifen die zur Rücknahme einer durch Täuschung
erschlichenen Einbürgerung angestellten Erwägungen jedenfalls nicht. Dort stand im Zentrum,
dass sich die Betroffenen über die Rechtsordnung hinweggesetzt und durch willentliche
Täuschung eine rechtswidrige Einbürgerung erreicht haben. Im Fall der Behördenanfechtung
liegen die Dinge anders.
81
Durch die Vaterschaftsanerkennung haben sich die Eltern weder über die Rechtsordnung
hinweggesetzt, noch haben sie irgendjemanden über irgendetwas getäuscht, noch haben sie
eine rechtswidrige Entscheidung herbeigeführt. Wegen der geringen Voraussetzungen, die das
deutsche Abstammungsrecht an eine Vaterschaftsanerkennung stellt, welche insbesondere
keine biologische Vaterschaft erfordert, gibt es nichts, worüber die Eltern täuschen könnten. Von
einer rechtlichen Missbilligung des Staatsangehörigkeitserwerbs durch
Vaterschaftsanerkennung kann ohnehin allenfalls bei Vaterschaftsanerkennungen die Rede
sein, die nach Inkrafttreten von § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB erfolgten. Auch dann ist die
Bemakelung der durch Vaterschaftsanerkennung erlangten Staatsangehörigkeit jedoch mit einer
durch rechtswidriges Verhalten oder Täuschung erschlichenen Einbürgerung nicht vergleichbar
und rechtfertigt nicht die Überwindung des Verbots der Herbeiführung von Staatenlosigkeit. In
dieser Konstellation setzte sich die deutsche Rechtsordnung durch eine Inkaufnahme der
Staatenlosigkeit auch in Widerspruch zu völkerrechtlichen Bestimmungen zur Staatenlosigkeit
(Art. 8 Abs. 1 und 2 der Konvention zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30. August 1961,
BGBl II 1977, S. 598, United Nations, Treaty Series, vol. 989, p. 175; Art. 7 Abs. 3 des
Europäischen Übereinkommens über Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997, BGBl II 2004,
S. 579; BGBl II 2006, S. 1351, United Nations, Treaty Series, vol. 2135, p. 215).
82
Vor allem aber treten hier der Verlust der Staatsangehörigkeit und damit gegebenenfalls die
Staatenlosigkeit beim Kind ein, das selbst an der Erlangung der Staatsangehörigkeit nicht aktiv
beteiligt war. Anders als bei der Abgrenzung von Entziehung und Verlust der
Staatsangehörigkeit (s.o., 3.b)bb)) ist es angesichts des klaren Verbots der Inkaufnahme von
Staatenlosigkeit hier nicht möglich, dem Kind ein Verhalten der Eltern zuzurechnen.
83
b) Darüber hinaus liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des Gesetzesvorbehalts vor. Art. 16
Abs. 1 Satz 2 GG verlangt zur Legitimierung eines unfreiwilligen Verlusts der
Staatsangehörigkeit eine gesetzliche Grundlage (vgl. BVerfGE 116, 24 <52 ff.>). Dabei gebietet
Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG, den Verlust der Staatsangehörigkeit so bestimmt zu regeln, dass die für
den Einzelnen und für die Gesellschaft gleichermaßen bedeutsame Funktion der
Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit nicht
beeinträchtigt wird (vgl. BVerfGE 116, 24 <61>). Dem genügen die Regelungen über die
Behördenanfechtung nicht, weil der Umstand, dass die Staatsangehörigkeit infolge der
Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft wegfällt, nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt
ist. Damit liegt zugleich ein Verstoß gegen das Zitiergebot vor (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG).
84
Die familienrechtlichen Vorschriften zur Behördenanfechtung zielen zwar ersichtlich darauf, die
durch Vaterschaftsanerkennung erworbene deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes zu Fall zu
bringen, um so die nicht gewollten aufenthaltsrechtlichen Folgen der Vaterschaftsanerkennung
zu beseitigen. Jedoch regeln sie die Auswirkungen auf die Staatsangehörigkeit des Kindes nicht
ausdrücklich. Auch im Staatsangehörigkeitsrecht findet sich keine gesetzliche Regelung, die den
Verlust der Staatsangehörigkeit infolge der die Vaterschaft beendenden Behördenanfechtung
anordnet. In der Aufzählung der Verlustgründe (§ 17 Abs. 1 StAG) ist diese Verlustform nicht
enthalten. Der Wegfall ergibt sich vielmehr aus der Anwendung zweier ungeschriebener
Rechtsregeln, an die § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB unausgesprochen anknüpft. Zugrunde liegen
erstens die Annahme der Rückwirkung der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung auf den
Zeitpunkt der Geburt und zweitens die Annahme, dass das Staatsangehörigkeitsrecht in vollem
Umfang den familienrechtlichen Abstammungsvorschriften folgt, so dass die
staatsangehörigkeitsrechtlichen Erwerbsvoraussetzungen einheitlich mit der Vaterschaft
rückwirkend entfallen (s.o., A.III.2.). Der Gesetzgeber hat dies vorausgesetzt, jedoch nicht klar
erkennbar geregelt.
85
Zwar hat die staatsangehörigkeitsrechtliche Folge der behördlichen Vaterschaftsanerkennung im
Februar 2009 mittelbar Niederschlag im Gesetz gefunden, indem der Gesetzgeber in § 17 Abs. 2
und 3 StAG für den Staatsangehörigkeitsverlust drittbetroffener Kinder eine Altersgrenze
festgesetzt und dabei die Behördenanfechtung ausdrücklich von der Geltung dieser Altersgrenze
ausgenommen hat. Diese Bestimmung impliziert, dass die Behördenanfechtung zum Verlust der
Staatsangehörigkeit führt. Den strengen Anforderungen, die der Gesetzesvorbehalt an die
Regelung der Staatsangehörigkeit stellt, genügt diese nur mittelbare Regelung jedoch nicht.
86
c) Die Regelung verstößt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie verfolgt zwar einen
legitimen Zweck, genügt jedoch nicht den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit im engeren
Sinne. Die Regelung zielt legitimer Weise auf die Effektivierung der gesetzlichen
Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts, deren zielgerichtete Umgehung im Wege einer
Vaterschaftsanerkennung verhindert werden soll (s.o., 3.d)aa)(3)(a)). Angesichts des Gewichts
des Staatsangehörigkeitsverlusts (aa), das mit Alter und Dauer der Inhaberschaft der deutschen
Staatsangehörigkeit steigt (bb), und verbleibender Zweifel an der Dringlichkeit des mit der
Behördenanfechtung verfolgten Ziels (cc) ist die konkrete Ausgestaltung der
Behördenanfechtung jedoch unverhältnismäßig im engeren Sinne, weil es an einer
angemessenen Fristen- und Altersregelung fehlt (dd). Das gilt auch für Fälle, in denen die
Vaterschaftsanerkennung tatsächlich zur Umgehung gesetzlicher Voraussetzungen des
Aufenthaltsrechts erfolgte. Sofern die Anfechtung Vaterschaftsanerkennungen erfasst, die nicht
gerade zum Zweck der Umgehung des Aufenthaltsrechts erfolgten, sind sie ohnehin
verfassungswidrig, weil sie gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG verstoßen (s.o., 3.d)).
87
aa) Die staatliche Herbeiführung des Staatsangehörigkeitsverlusts ist aus Sicht des betroffenen
Kindes ein gravierender Grundrechtseingriff. Die deutsche Staatsangehörigkeit ermöglicht dem
Kind den weiteren Verbleib in Deutschland und die gleichberechtigte Teilhabe an Gütern und
Rechten und damit die volle Teilnahme am gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik. Mit
dem Wegfall der Staatsangehörigkeit entschwinden Lebenschancen, auf die sich das Kind je
nach Alter eingerichtet hat (vgl. Becker, NVwZ 2006, S. 304 <306> m.w.N.). Dabei fällt auch ins
Gewicht, dass Kinder von der Behördenanfechtung als Außenstehende betroffen sind, die an
dem bemakelten Staatsangehörigkeitserwerb nicht beteiligt waren und darum mit der
Vaterschaftsanfechtung die Folgen des Handelns ihrer Eltern tragen müssen.
88
bb) Die Belastungswirkung des mit dem Staatsangehörigkeitsverlust durch Behördenanfechtung
verbundenen Grundrechtseingriffs nimmt mit dem Alter des betroffenen Kindes und mit der
Zeitspanne zu, während der das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit innehatte. Mit dem
altersgemäß steigenden Bewusstsein seiner Staatsangehörigkeit wächst das Vertrauen des
Kindes auf den Bestand der Staatsangehörigkeit und der mit der deutschen Staatsangehörigkeit
verbundenen faktischen und rechtlichen Folgen. Neben dem Alter erhöht auch die Dauer der
Inhaberschaft der deutschen Staatsangehörigkeit die Belastungswirkung ihres Entfallens. Je
länger sich ein Kind auf ein Leben in Deutschland eingerichtet und sich, insbesondere durch
Teilhabe am deutschen Bildungssystem, in die deutsche Gesellschaft integriert hat, umso
gravierender ist der mit dem Staatsangehörigkeitsverlust verbundene Grundrechtseingriff (vgl.
Becker, NVwZ 2006, S. 304 <306>).
89
cc) Auf der anderen Seite ist ungeachtet der legitimen Zielsetzung der Behördenanfechtung eine
konkrete Dringlichkeit, in Umgehungsabsicht erfolgte Vaterschaftsanerkennungen zu
bekämpfen, nicht erkennbar (s.o., 3.d)cc)).
90
dd) Wegen der erheblichen Belastungswirkung des Staatsangehörigkeitsverlusts, die mit dem
Alter des Kindes und mit der Dauer der Staatsangehörigkeit steigt, sind dem
Staatsangehörigkeitsverlust jenseits des relativ frühen Kindesalters zeitliche Grenzen zu setzen.
Dass damit nicht jede zu Umgehungszwecken erfolgte Vaterschaftsanerkennung im Wege der
Behördenanfechtung rückgängig gemacht werden kann, ist auch angesichts der Zweifel an
deren Dringlichkeit hinnehmbar.
91
(1) Dem Vertrauen von Kindern in den Bestand der deutschen Staatsangehörigkeit ist durch
spezifische Regelungen Rechnung zu tragen, die die Möglichkeit des
Staatsangehörigkeitsverlusts einschränken (vgl. BVerfGE 116, 24 <60>). Dementsprechend hat
der Gesetzgeber Altersgrenzen für den Verlust der Staatsangehörigkeit bei Kindern geschaffen.
Nach der Regelung in § 17 Abs. 2 und 3 Satz 1 StAG berühren Entscheidungen nach anderen
Gesetzen, die den rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit Dritter zur Folge
hätten, nicht die deutsche Staatsangehörigkeit von Kindern, die mindestens fünf Jahre alt sind.
Exemplarisch nennt § 17 Abs. 3 StAG die Rücknahme der Einbürgerung oder einer
Niederlassungserlaubnis der Eltern sowie die Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft.
Zur Begründung führte die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren aus, sie wolle Kinder,
die am nachträglichen Wegfall der Erwerbsvoraussetzungen für ihre Staatsangehörigkeit nicht
beteiligt sind, gegen einen automatischen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit schützen.
Man gehe aber davon aus, dass ein Kind bis zum Alter von fünf Jahren noch kein eigenes
Bewusstsein von seiner Staatsangehörigkeit und kein eigenes Vertrauen auf deren Bestand
habe (vgl. BTDrucks 16/10528, S. 6 f.).
92
(2) Die damit geschaffene absolute Altersgrenze von fünf Jahren gilt jedoch nach § 17 Abs. 3
Satz 2 StAG nicht für den Wegfall der Staatsangehörigkeit nach einer Behördenanfechtung. Der
Gesetzgeber verweist zur Begründung des Verzichts auf ein Alterskriterium bei der
Behördenanfechtung auf den seiner Ansicht nach ausreichenden Schutz dieser Kinder durch die
in § 1600b Abs. 1a Satz 3 BGB enthaltene Anfechtungsfrist von fünf Jahren nach Wirksamkeit
der Vaterschaftsanerkennung oder Einreise des Kindes in das Bundesgebiet (vgl. BTDrucks
16/10528, S. 7).
93
Die Staatsangehörigkeit kann jedoch durch Behördenanfechtung auch bei einem älteren Kind
verloren gehen, das die deutsche Staatsangehörigkeit über einen langen Zeitraum innehatte.
Zwar schließt § 1600b Abs. 1a BGB den Staatsangehörigkeitsverlust bei älteren Kindern in den
Fällen aus, in denen eine Vaterschaftsanerkennung in zeitlicher Nähe zur Geburt des Kindes
erfolgte. Die Behördenanfechtung trifft gleichwohl auch ältere Kinder. Zum einen ist die
Behördenanfechtung auch in Fällen möglich, in denen die Vaterschaftsanerkennung in
vorgerücktem Kindesalter erfolgte. Zum anderen wird durch die Ausschlussfrist des § 1600b
Abs. 1a Satz 3, 2. Alt. BGB die Behördenanfechtung auch solcher Vaterschaftsanerkennungen
ermöglicht, die bereits vor Jahren wirksam wurden, sofern das Kind erst deutlich später in die
Bundesrepublik einreist. Aufgrund der langen Anfechtungsfrist von fünf Jahren trifft die
Behördenanfechtung zudem auch (ältere) Kinder, die bereits seit vielen Jahren die deutsche
Staatsangehörigkeit innehatten und demgemäß als Deutsche gelebt haben. Es kommt hinzu,
dass die Fünfjahresfrist auf die Anfechtung bezogen ist und nicht auf die Rechtskraft des das
Nichtbestehen der Vaterschaft feststellenden Urteils, die nochmals Jahre später eintreten kann.
94
(3) Soweit die Behördenanfechtung wegen der altersunabhängigen Fünfjahresfrist ältere Kinder
trifft, deren Staatsangehörigkeitserwerb möglicherweise schon viele Jahre zurückliegt, so dass
sie bereits ein Bewusstsein für ihre Staatsangehörigkeit und die damit verbundenen Folgen
entwickelt haben und in für die Entfaltung ihrer Persönlichkeit entscheidenden Jahren davon
ausgingen, deutsche Staatsangehörige zu sein, ist die Regelung übermäßig hart, zumal die
betroffenen Kinder zur Bemakelung ihres Staatsangehörigkeitserwerbs nicht selbst beigetragen
haben. Nach der Einschätzung und Wertung des Gesetzgebers setzt das Bewusstsein für die
eigene Staatsangehörigkeit bei Kindern ein, die älter sind als fünf Jahre. Verfassungsrechtlich ist
auch für die Behördenanfechtung für Kinder, die älter als fünf Jahre sind, eine deutliche
Verkürzung der Anfechtungsfrist geboten.
II.
95
Die Regelungen über die Behördenanfechtung verstoßen gegen das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1
GG geschützte Elternrecht.
96
1. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG schützt als Grundlage und Kern des Elternrechts auch den Bestand
der Elternschaft. Die Behördenanfechtung betrifft das Bestandsinteresse des Vaters wie auch
das ebenfalls geschützte (vgl. BVerfGE 38, 241 <252>) Interesse der Mutter am Fortbestand
einer zuvor willentlich begründeten gemeinsamen Elternschaft.
97
Eine verfassungsrechtlich geschützte Elternschaft besteht auch dann, wenn die Vaterschaft
durch Anerkennung nach § 1592 Nr. 2 BGB begründet wurde und der Anerkennende - wie in
§ 1600 Abs. 3 BGB vorausgesetzt - weder der biologische Vater des Kindes ist noch eine sozial-
familiäre Beziehung zum Kind begründet hat. Die durch Vaterschaftsanerkennung nach § 1592
Nr. 2 BGB erlangte Vaterstellung macht den anerkennenden Mann unabhängig von den
biologischen Abstammungsverhältnissen zugleich zum Träger des verfassungsrechtlichen
Elternrechts des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, ohne dass es auf die Begründung einer sozial-
familiären Beziehung ankäme. Freilich hängt die Intensität des durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG
garantierten Schutzes davon ab, ob die rechtliche Vaterschaft auch sozial gelebt wird.
98
2. Die Behördenanfechtung beendet die rechtliche Vaterschaft rückwirkend gegen den Willen
der Familienmitglieder (s.o., A.III.2.) und greift so in das Bestandsinteresse beider Eltern ein.
99
3. Der Eingriff ist nicht zu rechtfertigen, weil er unverhältnismäßig ist.
100
a) Das Elterngrundrecht enthält keinen allgemeinen Gesetzesvorbehalt. Eine Beschränkung des
Elterngrundrechts kann indessen aufgrund verfassungsimmanenter Schranken erfolgen. Die
Behördenanfechtung dient der Durchsetzung aufenthaltsrechtlicher Steuerungszwecke und
verfolgt damit ein legitimes Ziel (s.o., I.3.d)aa)(3)(a)), das eine verfassungsimmanente Schranke
des Elterngrundrechts bildet. Zwar erteilt das Grundgesetz dem Gesetzgeber nicht ausdrücklich
den Auftrag, den Zuzug ausländischer Staatsangehöriger zu regeln. Die Eröffnung
beziehungsweise Verwehrung von Zuzugsmöglichkeiten berührt das Gemeinwesen jedoch im
Kern und bedarf darum rechtlicher Steuerung.
101
b) Zielte die Vaterschaftsanerkennung gerade auf aufenthaltsrechtliche Vorteile, ist die
Schutzwürdigkeit der Elternposition gering. Der Eingriff durch eine behördliche Anfechtung ist
insoweit angesichts ihrer legitimen Zwecksetzung verhältnismäßig. Soweit die
Behördenanfechtung hingegen nach den zu breit formulierten Voraussetzungen des § 1600 Abs.
1 Nr. 5 BGB Vaterschaften erfasst, die nicht zur Umgehung gesetzlicher Voraussetzungen des
Aufenthaltsrechts anerkannt wurden (s.o., I.3.d)bb)), ist sie nicht vom Gesetzeszweck getragen
und ist darum im Hinblick auf das Elterngrundrecht unverhältnismäßig.
III.
102
Die überprüften Regelungen verstoßen gegen das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6
Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Recht des Kindes auf Gewährleistung elterlicher Pflege und
Erziehung.
103
1. Kinder, denen ein eigenes Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit zukommt (Art. 2
Abs. 1 GG), bedürfen des Schutzes und der Hilfe, um sich zu eigenverantwortlichen
Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln zu können. Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verleiht dem Kind darum ein Recht auf staatliche
Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom
19. Februar 2013 - 1 BvL 1/11 und 1 BvR 3247/09 -, juris, Rn. 41 ff.) und schützt Kinder zugleich
dagegen, durch staatliche Maßnahmen von der spezifisch elterlichen Hinwendung
abgeschnitten zu werden.
104
2. Ist die behördliche Anfechtungsklage erfolgreich, entfällt rückwirkend auf den Tag der Geburt
des Kindes die bisherige Vaterschaftszuordnung. Dem Kind wird mit der erfolgreichen
Vaterschaftsanfechtungsklage durch eine staatliche Behörde der rechtliche Vater genommen.
Dies greift in das Recht des Kindes auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung ein.
105
3. Der Eingriff in das Recht des Kindes ist unverhältnismäßig, sofern die Behördenanfechtung
Vaterschaftsanerkennungen betrifft, die nicht zur Umgehung des Aufenthaltsrechts erfolgt sind
(s.o., I.3.d)bb)). Wurde die Vaterschaftsanerkennung hingegen allein zu aufenthaltsrechtlichen
Zwecken vorgenommen, ist der soziale Gehalt der Vaterschaft für das Kind typischerweise nicht
hoch. Dass der Gesetzgeber demgegenüber dem Interesse an der Durchsetzung
aufenthaltsrechtlicher Zielsetzungen den Vorrang gegeben hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.
IV.
106
Ein - nur in Teilen durch verfassungskonforme Auslegung zu vermeidender - Verstoß gegen das
allgemeine Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG liegt vor, weil die Regelung ein tatsächlich
bestehendes Familienleben im Rahmen des Anfechtungsverfahrens nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5
BGB unnötig mit behördlichen und gerichtlichen Ausforschungen belastet.
107
1. Belastungen resultieren aus der Abstammungsklärung. Die erfolgreiche Behördenanfechtung
setzt wie alle anderen Formen der Vaterschaftsanfechtung voraus, dass der Mann, der die
Vaterschaft anerkannt hat, nicht der biologische Vater des Kindes ist. Daher muss die
Abstammung des Kindes im Rahmen des Anfechtungsverfahrens geklärt werden. Aus dem
Gesetz ergibt sich nicht, dass diese Abstammungsklärung erst dann erfolgen dürfte, wenn
sichergestellt ist, dass die sonstigen Anfechtungsvoraussetzungen vorliegen. Eltern und Kinder
könnten sich der Abstammungsklärung folglich auch dann unterziehen müssen, wenn die
Behördenanfechtung schließlich an den sonstigen Voraussetzungen scheitert. Obwohl die
Behördenanfechtung dann im Ergebnis wegen des Bestehens einer sozial-familiären Beziehung
erfolglos bleibt, greift bereits die Abstammungsklärung an sich in das Recht des Kindes und der
Eltern aus Art. 6 Abs. 1 GG ein. Denn falls eine sozial-familiäre Beziehung zum Vater besteht,
belastet die Durchführung des familiengerichtlichen Anfechtungsverfahrens, in dem die gesamte
familiäre Situation einer staatlichen Prüfung unterzogen und die biologische Vaterschaft in Frage
gestellt wird, die soziale Beziehung zwischen den Betroffenen. Die Belastung ist besonders
groß, wenn sich bei der Abstammungsklärung herausstellt, dass der rechtliche Vater trotz sozial-
familiärer Beziehung nicht biologischer Vater des Kindes ist (vgl. Bericht der Beauftragten der
Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen
und Ausländer in Deutschland, August 2005, S. 378).
108
Insoweit stehen die vorgelegten Regelungen einer verfassungskonformen Anwendung jedoch
nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat nicht geregelt, in welcher Reihenfolge das Vorliegen der
Anfechtungsvoraussetzungen zu klären ist. Wegen der familiären Auswirkungen der
Abstammungsklärung kann es zur Vermeidung unnötiger Eingriffe in das Familiengrundrecht
geboten sein, die Abstammungsklärung erst dann herbeizuführen, wenn das Gericht zur
Überzeugung gelangt ist, dass die sonstigen Anfechtungsvoraussetzungen vorliegen. Ist
hingegen absehbar, dass die Klärung der sonstigen Anfechtungsvoraussetzungen für die
Betroffenen - etwa wegen der Breitenwirkung der dafür erforderlichen Ermittlungen - ungleich
belastender ist, kann es umgekehrt geboten sein, zuerst die Abstammungsklärung vorzunehmen.
Die Regelungen zur Behördenanfechtung lassen die Berücksichtigung dieser
verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte zu.
109
2. Indessen setzt die Beeinträchtigung des Familienlebens durch die mit einem
Anfechtungsverfahren verbundene Ausforschung nicht erst mit der gerichtlichen
Abstammungsklärung ein. Vielmehr belasten schon die vorausgehenden behördlichen
Ermittlungen die sozialen Beziehungen der Familie, weil sie die Beteiligten bereits mit dem
Verdacht des fehlenden biologischen Abstammungsverhältnisses zwischen Vater und Kind und
mit der Gefahr einer Auflösung der rechtlichen Vater-Kind-Beziehung konfrontieren und weil sie
unter Umständen Details des Familienlebens ausleuchten und damit dessen unbeschwerte
Fortführung hemmen. Die behördlichen Ermittlungen nehmen den Beteiligten Gewissheit und
Vertrauen in ihre familiären Beziehungen, indem sie deren tatsächliche und rechtliche
Grundlagen in Frage stellen. Dies kann selbst dann der Fall sein, wenn zwischen Vater und Kind
keine sozial-familiäre Beziehung besteht, denn die behördliche Infragestellung der Vaterschaft
belastet auch die familiäre Beziehung zwischen Mutter und Kind.
110
Die Belastungen sind verfassungsrechtlich gerechtfertigt, sofern die Maßnahmen der Anfechtung
einer gerade aufenthaltsrechtlich motivierten Vaterschaftsanerkennung dienen. Grundsätzlich ist
auch hinzunehmen, dass in die behördlichen Ermittlungen Familien einbezogen werden, bei
denen die behördlichen Aufklärungen am Ende ergeben, dass die Voraussetzungen für eine
Vaterschaftsanfechtung nicht vorliegen. Eben dies kann sich unter Umständen erst durch
behördliche Nachforschung erweisen.
111
Verfassungsrechtlich nicht hinzunehmen ist jedoch, dass die in § 1600 Abs. 4 BGB unnötig weit
gefassten Anfechtungsvoraussetzungen nicht verheiratete, ausländische oder binationale
Elternpaare, die keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, generell dem Verdacht aussetzen, die
Vaterschaftsanerkennung allein aus aufenthaltsrechtlichen Gründen vorgenommen zu haben
und deren Familienleben damit ohne Weiteres mit behördlichen Nachforschungen belasten (vgl.
Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die
Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, August 2005, S. 378). Auch wegen
Art. 6 Abs. 1 GG wäre insoweit eine präzisere Fassung der Anfechtungsvoraussetzungen
verfassungsrechtlich geboten.
V.
112
Die Regelungen verstoßen nicht gegen Art. 6 Abs. 5 GG.
113
Art. 6 Abs. 5 GG setzt als Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes und als
Schutznorm zugunsten nichtehelicher Kinder der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit
Grenzen (vgl. BVerfGE 84, 168 <184 f.>). Auch eine mittelbare Schlechterstellung nichtehelicher
Kinder im Verhältnis zu ehelichen Kindern ist durch Art. 6 Abs. 5 GG verboten (vgl. BVerfGE 118,
45 <62> m.w.N.). Eine ungleiche Behandlung nichtehelicher Kinder, die sich als
Benachteiligung gegenüber ehelichen Kindern auswirkt, bedarf stets einer überzeugenden
Begründung (vgl. BVerfGE 84, 168 <185>).
114
Die Behördenanfechtung kann nur bei nichtehelichen Kindern zur Anwendung kommen und
benachteiligt diese daher mittelbar (1.). Dies lässt sich jedoch rechtfertigen (2.).
115
1. Die Regelungen über die Behördenanfechtung bewirken mittelbar eine Benachteiligung
nichtehelicher Kinder. Der Gesetzgeber hat die rechtliche Vaterschaft kraft Anerkennung (§ 1592
Nr. 2 BGB), nicht aber die rechtliche Vaterschaft kraft Ehe (§ 1592 Nr. 1 BGB) behördlicher
Anfechtung unterworfen, obwohl auch im Fall der auf Ehe beruhenden Vaterschaft eine lediglich
rechtliche Vaterschaft ohne biologische Abstammungsbeziehung vorliegen kann, die unter
Umständen - ähnlich wie die Vaterschaftsanerkennung - einen besseren Aufenthaltsstatus
vermittelt. Die Behördenanfechtung im Fall der Vaterschaftsanerkennung knüpft zwar nicht an
das Merkmal der Nichtehelichkeit des Kindes an. Praktisch trifft sie jedoch gerade die
nichtehelichen Kinder und führt so zu einer (mittelbaren) Ungleichbehandlung nichtehelicher
Kinder rechtlicher Väter gegenüber ehelichen Kindern von rechtlichen Vätern. Zwar sieht das
Gesetz in § 1314 Abs. 2 Nr. 5, § 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB auch die Möglichkeit eines behördlichen
Antrags auf Aufhebung einer zu Aufenthaltszwecken geschlossenen Ehe vor. Die Aufhebung der
Ehe führt jedoch nicht zur Beendigung der Vaterschaft eines in der Ehe geborenen Kindes,
obwohl das Kind auch hier - wie im Fall der Behördenanfechtung - dem ausländischen Elternteil
weiterhin über § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG einen besseren Aufenthaltsstatus vermitteln
kann. Eine Anfechtung der durch eine zu Aufenthaltszwecken geschlossenen Ehe begründeten
Vaterschaft sieht das Gesetz nicht vor, und zwar auch dann nicht, wenn die Ehe gemäß § 1313,
§ 1314 Abs. 2 Nr. 5, § 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB aufgehoben wurde.
116
2. Die Ungleichbehandlung nichtehelicher Kinder, deren rechtliches Verhältnis zum Vater auf
Anerkennung beruht (§ 1592 Nr. 2 BGB) und ehelicher Kinder, deren rechtliches Verhältnis zum
Vater auf der Ehe der Mutter beruht (§ 1592 Nr. 1 BGB), ist gerechtfertigt.
117
Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gezwungen, behördliches Einschreiten in
allen Konstellationen allein rechtlicher Vater-Kind-Beziehungen anzuordnen, die den Beteiligten
aufenthaltsrechtliche Vorteile bringen. Vielmehr steht ihm ein politischer Spielraum zu, sich auf
Konstellationen zu beschränken, in denen er besonderen Handlungsbedarf sieht. Offenbar hat
der Gesetzgeber den Handlungsbedarf bei einer durch Aufenthaltsehe begründeten Vaterschaft
für geringer gehalten als bei auf Anerkennung beruhender Vaterschaft. Dabei ist der
Gesetzgeber auch bezüglich aufenthaltsrechtlich motivierter Ehen nicht untätig geblieben,
sondern hat, wie gesehen, die Aufenthaltsehe behördlicher Aufhebung unterworfen. Freilich hat
er darauf verzichtet, auch die durch diese aufgehobene Ehe vermittelte Vaterschaft für Kinder
des ausländischen Elternteils der Anfechtung zu unterwerfen.
118
Dass der Gesetzgeber sich darauf konzentriert hat, die Aufhebung der Aufenthaltsehe zu
ermöglichen, nicht aber dadurch etwa vermittelte Vaterschaften aufheben wollte, ist hinreichend
plausibel und darum verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die auf einer Ehe beruhende
Vaterschaft hat im Vergleich zur durch Anerkennung begründeten Vaterschaft quantitativ ein
deutlich geringeres Potenzial, anderen Personen einen besseren Aufenthaltsstatus zu
vermitteln: Ein Mann kann in Deutschland gleichzeitig nur mit einer Frau die Ehe eingehen; er
kann aber jederzeit für zahlreiche Kinder die Vaterschaft anerkennen. Zudem kann im Wege der
Ehe nur künftig auf die Welt kommenden Kindern die Vaterschaft vermittelt werden, wohingegen
die Anerkennung der Vaterschaft auch für früher geborene Kinder möglich ist. Ein einzelner
Mann kann darum mittels Vaterschaftsanerkennung sehr viel mehr Personen zu einer
aufenthaltsrechtlich vorteilhaften Position verhelfen als ihm durch Eingehung einer Ehe möglich
wäre.
Kirchhof
Gaier
Eichberger
Schluckebier
Masing
Paulus
Baer
Britz