Urteil des BVerfG vom 20.07.2009

BVerfG: aussetzung, bedingte entlassung, verfassungsbeschwerde, grundrecht, freiheitsentzug, gefahr, delikt, alkohol, beratung, mindestdauer

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 328/09 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S…,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Michael Rehberger,
in Sozietät Kropf & Rehberger,
Hindenburgstraße 59, 66119 Saarbrücken -
gegen
a)
den Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 7. Januar 2009 - 1 Ws
256/08 -,
b)
den Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 1. Dezember 2008 - I StVK
637/08 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Voßkuhle,
den Richter Mellinghoff
und die Richterin Lübbe-Wolff
am 20. Juli 2009 einstimmig beschlossen:
Der Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom1. Dezember 2008 - I StVK 637/08 - und der Beschluss des
Saarländischen Oberlandesgerichts vom 7. Januar 2009 - 1 Ws 256/08 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem
Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Saarbrücken
zur erneuten Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe
zurückverwiesen.
Das Saarland hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu ersetzen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Ablehnung der Aussetzung des Rests der lebenslangen
Freiheitsstrafe nach Verbüßung der Mindestdauer von fünfzehn Jahren.
I.
2
1. Das Landgericht Saarbrücken hatte den Beschwerdeführer 1994 wegen Mordes am Säugling seiner damaligen
Freundin zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Der Ablauf der Mindestdauer von 15 Jahren wurde für den
2. Januar 2009 vorgemerkt. Im Jahr 2003 bewarb sich der Beschwerdeführer erstmals um Aufnahme in die
sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt. Diese wurde ihm jedoch nicht gewährt, da das
Behandlungskonzept eine Behandlungsdauer von zwei bis vier Jahren vor der voraussichtlichen Entlassung vorsah,
so dass dem Beschwerdeführer empfohlen wurde, sich zum Januar 2005 erneut um die Aufnahme in die
sozialtherapeutische Abteilung zu bewerben. Mit Schreiben vom 29. September 2004 beantragte er bei der
Justizvollzugsanstalt, ihm die Möglichkeit zu eröffnen, therapeutische Maßnahmen aufzunehmen. Laut einem
Vermerk der Justizvollzugsanstalt vom Dezember 2005 befand sich der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt auf
der Warteliste für Einzelgespräche mit einem Therapeuten. Diese wurden im März 2006 aufgenommen. Ab August
2006 nahm der Beschwerdeführer für sechs Monate an der geschlossenen therapeutischen Gruppe „Alkohol und
Delikt“ teil, nach deren Beendigung ihm aus therapeutischer Sicht zur weiteren Festigung und Rückfallprophylaxe eine
stationäre Entwöhnungstherapie nach Haftentlassung empfohlen wurde. Am 22. August 2007 wurde er in die
Orientierungsphase der Behandlung in der sozialtherapeutischen Abteilung aufgenommen. Diese musste jedoch im
Dezember 2007 abgebrochen werden, weil der Beschwerdeführer einen Mitgefangenen tätlich angegriffen hatte. Nach
einer Bewerbung des Beschwerdeführers um Wiederaufnahme in die sozialtherapeutische Abteilung wurde er im März
2008 erneut in die Orientierungsphase aufgenommen. Im Rahmen der Vorbereitung der Aussetzungsentscheidung
nach Vollstreckung von 15 Jahren fragte der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers bei der Justizvollzugsanstalt an,
ob dessen Begutachtung vorgesehen sei. Tatsächlich fand eine Begutachtung nicht statt.
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2. Durch den hier angegriffenen Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 1. Dezember 2008 wurde die
Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe abgelehnt. Die Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände ergebe,
dass die Aussetzung gegenwärtig unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit noch nicht
verantwortet werden könne, da dem Beschwerdeführer keine ausreichend günstige Prognose gestellt werden könne.
Zwar bescheinige ihm die Leiterin der Justizvollzugsanstalt ein meist freundliches Verhalten, sehr gute Leistungen auf
seiner Arbeitsstelle und eine motivierte Mitarbeit bei Einzeltherapiegesprächen. Dennoch könne ihm keine günstige
Prognose gestellt werden, da seine der Tatbegehung zu Grunde liegende Persönlichkeits- und Alkoholproblematik
bisher nicht aufgearbeitet worden sei. Er befinde sich erst seit März beziehungsweise September 2008 in der
sozialtherapeutischen Abteilung. Darauf, dass dieser späte Beginn nicht von ihm verschuldet sei, könne er sich nicht
berufen. Zum einen beeinflusse ein vorhandenes oder fehlendes Verschulden nicht die in der Therapie vollzogene
Entwicklung und somit nicht die Prognose. Zum anderen sei der Beschwerdeführer im August 2007 schon einmal in
die sozialtherapeutische Abteilung aufgenommen worden, aus der er jedoch noch innerhalb der Orientierungsphase
habe zurückverlegt werden müssen, weil er einen Mithäftling tätlich angegriffen habe. Dies zeige nicht nur, dass auch
der Beschwerdeführer zu dem späten Beginn beigetragen habe, und dass die Gewaltproblematik nach wie vor
bestehe. Aufgrund seines Verhaltens habe der Beschwerdeführer auch noch nicht in Außenlockerungen erprobt
werden können, was angesichts der Länge der bisherigen Inhaftierung erforderlich sei.
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3. Die gegen diesen Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde wurde durch den angegriffenen Beschluss des
Saarländischen Oberlandesgerichts vom 7. Januar 2009 als unbegründet verworfen. Der Einholung eines
Prognosegutachtens bedürfe es nicht, weil auch der Senat nach Würdigung aller relevanten Umstände die Aussetzung
nicht in Erwägung ziehe (§ 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO). Die im Urteil festgestellte massive Persönlichkeits- und
Alkoholproblematik habe sich entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht lediglich in einem einzelnen konflikthaften
Kapitalverbrechen geäußert. Der Beschwerdeführer sei vielmehr schon als Jugendlicher und Heranwachsender
mehrfach mit Gewalt gegen Personen und Sachen in Erscheinung getreten; fünf weitere gegen ihn wegen zum Teil
massiver Körperverletzungsdelikte geführte Verfahren seien lediglich im Hinblick auf die Anklage wegen Mordes
gemäß § 154 StPO eingestellt worden. Diese kriminogene Problematik habe noch nicht soweit aufgearbeitet werden
können, dass eine hinreichend günstige Prognose möglich wäre.
II.
5
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG. Durch den
verspäteten Zugang zur Sozialtherapie sei eine günstige Prognose verhindert worden. Da die Therapie auf eine Dauer
von vier Jahren konzipiert sei, hätte sie von Seiten der Justizvollzugsanstalt so rechtzeitig angeregt werden müssen,
dass diese vier Jahre vor der Entscheidung über die Aussetzung abgelaufen wären. Nur dann hätte ihm der Erfolg der
Therapie bei Erreichen der Mindestverbüßungszeit zugute kommen können. Die Gerichte hätten außerdem ihre Pflicht
zur Sachaufklärung verletzt. Für eine fundierte Prognoseentscheidung sei ein Fachgutachten einzuholen gewesen.
III.
6
Das Ministerium der Justiz des Saarlandes hat von einer Stellungnahme
abgesehen. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Gefangenenpersonalakten vorgelegen.
IV.
7
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte
des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), und gibt ihr statt. Zu dieser Entscheidung
ist sie berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits
entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet ist (§ 93b Satz 1 in
Verbindung mit § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
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Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in
Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG.
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1. Die Regelung des § 57a StGB über die Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe konkretisiert
eine Forderung der Menschenwürde in der Strafvollstreckung (vgl. BVerfGE 45, 187 <245>; 64, 261 <272>). Sie
schafft einen Ausgleich zwischen dem Resozialisierungsanspruch und dem Freiheitsgrundrecht des zu lebenslanger
Freiheitsstrafe Verurteilten einerseits und dem Sicherungsinteresse der Allgemeinheit andererseits (vgl. BVerfGE 117,
71 <112>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. März 1998 - 2 BvR 77/97 -, NJW 1998, S.
2202 <2203>).
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Ob die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe auszusetzen ist, ist eine Frage der Auslegung
und Anwendung einfachen Rechts. Die im Aussetzungsverfahren nach § 57a Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 57
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu treffende Prognoseentscheidung obliegt daher in erster Linie den
Strafvollstreckungsgerichten und ist einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen.
Dieses kann aber auf Verfassungsbeschwerde hin eingreifen, wenn Grundrechte des Gefangenen in ihrer Bedeutung
und Tragweite grundsätzlich verkannt worden sind oder die Entscheidung der Strafvollstreckungsgerichte objektiv
willkürlich ist (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 29, 312 <317>; 72, 105 <114 f.>; 74, 102 <127>; stRspr). Ob dies der Fall
ist, lässt sich - vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die zu treffende
Prognoseentscheidung - nur auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalls beurteilen.
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Für den besonders intensiven Eingriff eines möglicherweise lebenslangen Freiheitsentzuges ergeben sich
verfassungsrechtliche Grenzen insbesondere aus dem Übermaßverbot. Dieses verlangt, dass das
Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des Verurteilten und dem Sicherungsbedürfnis der
Allgemeinheit vor unter Umständen zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen zu einem gerechten und
vertretbaren Ausgleich gebracht wird (vgl. BVerfGE 117, 71 <97>).
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a) Das Übermaßverbot stellt zunächst materielle Anforderungen an die
Prognoseentscheidung. Je länger der Freiheitsentzug dauert, umso strenger sind die Voraussetzungen für dessen
Verhältnismäßigkeit. Der nachhaltige Einfluss des gewichtiger werdenden Freiheitsanspruchs stößt jedoch dort an
Grenzen, wo es im Blick auf die Art der von dem Betroffenen drohenden Gefahren, deren Bedeutung und
Wahrscheinlichkeit vor dem staatlichen Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit
unvertretbar erscheint, den Betroffenen in die Freiheit zu entlassen (vgl. BVerfGE 117, 71 <97 f.>). Die im Rahmen
der Aussetzungsentscheidung zu treffende Prognose betrifft die Verantwortbarkeit der Aussetzung mit Rücksicht auf
unter Umständen zu erwartende Rückfalltaten. Je höherwertige Rechtsgüter in Gefahr sind, desto geringer muss das
Rückfallrisiko sein. Bei Straftaten, die wie der Mord (§ 211 StGB) mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, ist
das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit besonders hoch zu veranschlagen. Wegen der Art der im Versagensfall zu
befürchtenden Taten kommt eine bedingte Entlassung aus der lebenslangen Freiheitsstrafe nur unter strengen
Voraussetzungen in Betracht (vgl. BVerfGE 117, 71 <99>).
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Die besonders hohe Wertschätzung des Lebens rechtfertigt die weitere Vollstreckung der lebenslangen
Freiheitsstrafe nicht nur in den Fällen, in denen eine fortbestehende Gefährlichkeit des Verurteilten positiv festgestellt
werden kann, sondern auch dann, wenn nach Erfüllung des verfassungsrechtlichen Gebots ausreichender richterlicher
Sachaufklärung eine günstige Gefährlichkeitsprognose nicht gestellt werden kann, weil verbleibende Zweifel an einer
hinreichend günstigen Prognose zu Lasten des Verurteilten gehen (vgl. BVerfGE 117, 71 <100 f.>).
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b) Darüber hinaus begründet das Übermaßverbot verfahrensrechtliche Anforderungen. Sie betreffen vor allem das
Verfahren zur Wahrheitserforschung und damit insbesondere die Feststellung der der Aussetzungsentscheidung zu
Grunde liegenden Prognosebasis. Denn es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens,
dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf ausreichender richterlicher
Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben (vgl. BVerfGE 117, 71 <102,
105>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 2009 - 2 BvR 2009/08 -, NJW 2009, S.
1941 ff., m.w.N.).
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Mit zunehmender Dauer des Freiheitsentzuges steigen die Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung. Dem
verfahrensrechtlichen Gebot einer zureichenden richterlichen Sachaufklärung kommt gerade in einem solchen Fall die
Bedeutung eines Verfassungsgebots zu. Das Gericht hat sich ein möglichst umfassendes Bild von der zu
beurteilenden Person zu verschaffen und die Grundlagen seiner
Prognose selbständig zu bewerten.
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Im Rahmen des unbefristet wirkenden Freiheitsentzuges fordert das Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung, einen
erfahrenen Sachverständigen zu Rate zu ziehen, der die richterliche Prognose durch ein hinreichend substantiiertes
und zeitnahes Gutachten vorbereitet. Die Entscheidung über die Fortdauer der Vollstreckung der lebenslangen
Freiheitsstrafe hat sich daher im Regelfall auch über den eigentlichen Anwendungsbereich des § 454 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 StPO hinaus auf ein Sachverständigengutachten zu stützen, das der besonderen Tragweite dieser Entscheidung
gerecht wird. Dabei ist auch darauf Bedacht zu nehmen, dass das ärztliche Gutachten anerkannten
wissenschaftlichen Standards genügt. Der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen muss der Richter durch eine
sorgfältige Auswahl des Gutachters entgegenwirken (BVerfGE 117, 71 <105 f.> m.w.N.).
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Im Falle der erstmaligen Prognoseentscheidung nach der Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren darf das Gericht in
aller Regel die Einholung eines Gutachtens nicht allein mit der Begründung verweigern, dass es eine
Strafrestaussetzung nicht beabsichtige. Nach einem derart langen Zeitraum fehlt es im Regelfall an
Beurteilungsgrundlagen, die einem Gericht erlauben, ohne sachverständige Beratung, eine gesicherte Prognose
darüber abzugeben, ob die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit des Verurteilten fortbesteht. Das Gebot
bestmöglicher Sachaufklärung erfordert daher regelmäßig für die erstmalige Entscheidung über die
Strafrestaussetzung bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe ein zeitnahes wissenschaftlich fundiertes Gutachten.
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2. Diesem Maßstab halten die angegriffenen Entscheidungen nicht stand. Sie genügen nicht dem
verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung, denn sie haben ihrer Entscheidung kein zeitnahes
Gutachten zur Gefährlichkeitsprognose des Beschwerdeführers zu Grunde gelegt. Das Oberlandesgericht hat dies
zwar damit begründet, dass es nach Würdigung aller relevanten Umstände eine Aussetzung nicht in Erwägung ziehe.
Dabei hat sich das Gericht aber wesentlich auf die ausweislich des Strafurteils aus dem Jahre 1995 bestehende
massive Persönlichkeits- und Alkoholproblematik gestützt. Auch der Verweis auf die Gewaltproblematik des
Beschwerdeführers stützt sich auf Vorgänge, die in die Zeit vor seiner Verurteilung im Jahre 1995 fallen.
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Soweit die angegriffenen Urteile darauf abstellen, dass die unmittelbare kriminogene Problematik - trotz der
anerkennenswert frühzeitigen Bemühungen des Beschwerdeführers - noch nicht so weit aufgearbeitet worden sei,
dass eine hinreichend günstige Prognose möglich wäre, genügt diese Begründung nicht, um von einem
sachverständigen Prognosegutachten nach einem derart langen Freiheitsentzug abzusehen. Es wird schon nicht
deutlich, worauf die Erkenntnisse der Gerichte im Einzelnen beruhen. Allein der Hinweis, dass eine Therapie wegen
eines tätlichen Angriffs des Beschwerdeführers auf einen Mithäftling einmal abgebrochen werden musste, begründet
für sich genommen noch nicht eine negative Prognose, die ein Verzicht auf sachverständige Beratung rechtfertigen
könnte. Es wird auch nicht erkennbar, worauf die Gerichte ihre Annahme stützen, dass von einem bereits
eingetretenen (charakterlichen) Wandel derzeit noch nicht ausgegangen werden könne. Diese richterliche
Einschätzung bedarf mit Blick auf die hohe Bedeutung des Freiheitsgrundrechts einer sachverständigen Absicherung.
Insbesondere kann nur auf diese Weise geklärt werden, ob und wie die bereits erfolgte Teilnahme des
Beschwerdeführers an Einzeltherapiestunden und der therapeutischen Gruppe „Alkohol und Delikt“ gewirkt hat. Nach
alledem stützt sich die Entscheidung nicht auf Gesichtspunkte, die ausnahmsweise ein Absehen von einer
Begutachtung hätten rechtfertigen können.
V.
20
Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2
BVerfGG.
21
Die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 Alt. 1 BVerfGG.
Voßkuhle
Mellinghoff
Lübbe-Wolff