Urteil des BVerfG vom 06.02.2001

BVerfG: restriktive auslegung, verfassungskonforme auslegung, republik, eigentümer, grundbuch, herausgabe, willkürverbot, grundrechtseingriff, grundeigentum, verfassungsbeschwerde

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvL 16/00 -
In dem Verfahren
zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob Art. 233 § 11 Abs. 3 in Verbindung mit § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c und § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB mit dem
Grundgesetz vereinbar ist,
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Landgerichts Leipzig vom 7. November 2000 (4 O 2189/00) -
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Jaeger
und die Richter Hömig
und Bryde
gemäß § 81 a Satz 1 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6.
Februar 2001 einstimmig beschlossen:
Die Vorlage ist unzulässig.
Gründe:
1
Die Richtervorlage betrifft die Frage, ob Art. 233 § 11 Abs. 3 in Verbindung mit § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c und
§ 16 Abs. 2 Satz 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) mit dem Grundgesetz vereinbar
ist. In diesen Vorschriften ist das Verfahren zur Abwicklung der Bodenreform in der früheren sowjetischen
Besatzungszone geregelt.
I.
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Im Ausgangsverfahren, das beim Landgericht anhängig ist, nimmt das klagende Land die Beklagten auf Herausgabe
des hälftigen Veräußerungserlöses aus dem Verkauf von Bodenreformgrundstücken in Anspruch. Diese Grundstücke,
bei denen es sich um landwirtschaftlich genutzte Äcker und Waldflächen (Schläge) handelt, wurden 1970 dem
Ehemann der Beklagten zu 1 in ehelicher Vermögensgemeinschaft mit dieser Beklagten zugeteilt. Die Eheleute
wurden als Eigentümer im Grundbuch eingetragen, die Grundstücke in der Eintragung als Bodenreformgrundstücke
gekennzeichnet. 1988 verstarb der Ehemann, der am 15. März 1990 noch als Eigentümer in ehelicher
Vermögensgemeinschaft mit der Beklagten zu 1 im Grundbuch eingetragen war. Für die Grundstücke ist nach dem
Verstorbenen keiner Person eine Zuteilung nach den Vorschriften über die Bodenreform oder nach
Besitzwechselverordnungen erteilt worden. Eine förmliche Übergabe der Grundstücke hat ebenfalls nicht
stattgefunden. Die Beklagten waren weder am 15. März 1990 im Beitrittsgebiet in der Land-, Forst- oder
Nahrungsgüterwirtschaft als LPG-Mitglied tätig noch sind sie aus einem dieser Bereiche nach mindestens
zehnjähriger Tätigkeit unmittelbar verrentet worden. Die Beklagten haben die Grundstücke zu einem Kaufpreis von
23.161,80 DM verkauft. Die Hälfte dieses Betrages hat der Kläger mit der Klage geltend gemacht.
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Das Landgericht hat das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die
eingangs genannte Frage zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt:
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Die Anwendung des Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB im Streitfall begründe die Pflicht zur entschädigungslosen
Herausgabe von Eigentum, das nach dem Gesetz über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der
Bodenreform vom 6. März 1990 (GBl I S. 134) infolge der darin vorgenommenen Aufhebung der Beschränkungen nach
dem Bodenreformrecht und den Bestimmungen des Besitzwechselrechts noch vor dem Beitritt der Deutschen
Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland Volleigentum geworden sei, an den Landesfiskus. Das
stelle eine verfassungswidrige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums dar. Mit dem Beitritt sei dieses
Volleigentum unter den Schutz des Grundgesetzes gelangt. Eine sachliche Rechtfertigung für den durch Art. 233 § 11
Abs. 3 in Verbindung mit § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c und § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB bewirkten
Grundrechtseingriff, der zum vollständigen Rechtsverlust ohne entschädigenden Ausgleich führe, gebe es nicht.
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Der Bundesgerichtshof halte die genannten Bestimmungen in seiner Entscheidung BGHZ 140, 223 für
verfassungsgemäß, weil die Aufhebung der Beschränkungen des Bodenreformeigentums durch das Gesetz vom 6.
März 1990 insofern ein gesetzgeberisches Versehen gewesen sei, als die durch Erbfolge in die Eigentümerstellung
eingerückten Personen begünstigt worden seien. Die Korrektur dieses Versehens bedeute nach Auffassung des
Bundesgerichtshofs eine verfassungsrechtlich zulässige Bestimmung der Grenzen des Eigentums; es sei
verfassungsrechtlich anerkannt, dass im Rahmen der Neuordnung eines Rechtsgebiets eine privatnützige
Rechtsposition vollständig aufgehoben werden könne, und nicht geboten, dass ein durch die Unvollständigkeit des
Gesetzes vom 6. März 1990 erzielter wiedervereinigungsbedingter Zufallsgewinn den Begünstigten verbleibe.
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Eingriffe in das Grundeigentum würden durch diese Überlegungen jedoch nicht gerechtfertigt. Abgesehen davon,
dass vom Bundesgerichtshof eine restriktive Auslegung des Gesetzes vom 6. März 1990 entsprechend dem
Gesetzeszweck nicht in Betracht gezogen worden sei, sei nicht zu erkennen, dass der Volkskammer ein Versehen
unterlaufen sei, als sie mit dem genannten Gesetz auch die kraft Erbrechts in die Rechtsstellung des Eigentümers
von Bodenreformgrundstücken eingetretenen Personen begünstigt habe.
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Eine verfassungskonforme Auslegung des Art. 233 § 11 Abs. 3, § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c, Abs. 3 und § 16
Abs. 2 Satz 2 EGBGB sei nicht möglich.
II.
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Die Vorlage ist unzulässig.
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1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht die in Art. 100 Abs. 1 GG und § 80
BVerfGG geregelte Vorlagepflicht nur dann, wenn das im Einzelfall zuständige Gericht eine entscheidungserhebliche
Gesetzesvorschrift für verfassungswidrig hält. Sinn des Art. 100 Abs. 1 GG ist es, die Überprüfung des Gesetzgebers
beim Bundesverfassungsgericht zu konzentrieren (vgl. BVerfGE 17, 208 <210>). Dagegen dient die Regelung nicht
dazu, Meinungsverschiedenheiten zwischen Gerichten desselben Rechtszugs zu klären (vgl. BVerfGE 78, 20 <24 f.>;
80, 54 <59>; BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, NJW-RR 2000, S. 1309). Wie eine Norm des einfachen Rechts
auszulegen ist, ist grundsätzlich Sache des dafür allgemein zuständigen Gerichts (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>). Ist
es der Auffassung, die Auslegung einer Vorschrift, die das im Instanzenzug übergeordnete Gericht vorgenommen und
selbst für verfassungsgemäß gehalten hat, sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, darf es nicht das
Bundesverfassungsgericht anrufen. Denn die verfassungsgerichtliche Überprüfung der Entscheidungen der im
Instanzenzug übergeordneten Gerichte muss dem dafür vorgesehenen Verfahren der Verfassungsbeschwerde
vorbehalten bleiben (vgl. BVerfGE 22, 373 <379>; 70, 134 <137>; 80, 54 <58 f.>; BVerfG, 2. Kammer des Ersten
Senats, a.a.O.).
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2. Diesen Anforderungen wird der Vorlagebeschluss des Landgerichts nicht gerecht.
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Nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs ist die Regelung des Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit
§ 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c und Abs. 3 EGBGB, an die die im Ausgangsverfahren einschlägige Bestimmung des
Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB anknüpft, verfassungsgemäß und insbesondere mit Art. 14 Abs. 1 GG zu
vereinbaren; das Gesetz der Volkskammer vom 6. März 1990 habe hinsichtlich der Alterbfälle, in denen eine
Übertragung des Bodenreformeigentums auf einen Erben nach den Vorschriften des Bodenreform- und
Besitzwechselrechts vor dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes nicht mehr erfolgt sei, eine verdeckte Regelungslücke
aufgewiesen, die Art. 233 §§ 11 ff. EGBGB, durch den im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG die Grenzen des
Eigentums bestimmt worden seien, in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geschlossen habe (vgl. BGHZ 140,
223 <231 ff.>). Diese Rechtsprechung ist, wie die beschließende Kammer in mehreren schon vor dem
Vorlagebeschluss ergangenen Beschlüssen festgestellt hat, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl.
Beschlüsse vom 6. Oktober 2000 - 1 BvR 1637/99 -, vom 24. Oktober 2000 - 1 BvR 1643/95 - und vom 25. Oktober
2000 - 1 BvR 2062/99 - ). Die gegenteilige Auffassung des vorlegenden Gerichts beruht, wie sich
auch aus seiner Stellungnahme vom 25. Januar 2001 ergibt, ausschlaggebend darauf, dass es die Annahme des
Bundesgerichtshofs nicht teilt, mit dem Gesetz vom 6. März 1990 sei eine verdeckte Regelungslücke entstanden.
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Damit befindet sich das Landgericht mit dem Bundesgerichtshof über eine Frage im Streit, über die zu entscheiden
nicht in die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts fällt. Bei dem noch von der Volkskammer der Deutschen
Demokratischen Republik beschlossenen Gesetz vom 6. März 1990 handelt es sich um das Gesetz eines im
Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland anderen Staates. Die Auslegung und Anwendung eines solchen Gesetzes
ist wie die Feststellung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts eines Rechtsstreits Sache der
allgemein zuständigen Gerichte. Das Bundesverfassungsgericht kann insoweit nur unter besonderen Umständen
korrigierend eingreifen. Die Voraussetzungen dafür wären in Fällen der vorliegenden Art nur gegeben, wenn die
Würdigung des Rechts der Deutschen Demokratischen Republik hinsichtlich des Vorliegens einer verdeckten
Regelungslücke in dem Gesetz vom 6. März 1990 Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot (vgl.
BVerfGE 96, 189 <203>) verletzen würde (vgl. BVerfGE 97, 89 <99>; BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 2000 - 1
BvR 1637/99 -, Umdruck S. 8 f.). Das hat die Kammer in den oben genannten Beschlüssen vom 6., 24. und 25.
Oktober 2000 verneint.
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Vor diesem Hintergrund ist für eine nochmalige Befassung des Bundesverfassungsgerichts mit der Vorlagefrage
kein Raum. Entgegen der in der genannten Stellungnahme vertretenen Auffassung des vorlegenden Gerichts ist es
keine verfassungsrechtliche Frage, ob das Volkskammergesetz vom 6. März 1990 eine verdeckte Regelungslücke
enthält. Ob ein gesetzliches Regelungswerk lückenhaft ist, ist durch Auslegung des jeweiligen Regelungswerks zu
ermitteln. Handelt es sich bei diesem um ein solches eines anderen Staates, gilt die Auslegung einer Rechtsordnung,
die nicht den Rang innerstaatlichen Verfassungsrechts haben kann. Auch die Auslegungsfrage selbst hat deshalb
nicht verfassungsrechtlichen Charakter. Sie zu entscheiden, obliegt deshalb den jeweils zuständigen allgemeinen
Gerichten. Dies gilt auch dann, wenn diese innerhalb desselben Rechtszugs zu unterschiedlichen
Auslegungsergebnissen kommen. Insoweit bestehende Meinungsverschiedenheiten sind nach der unter II 1
angeführten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht vom Bundesverfassungsgericht zu entscheiden.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Jaeger
Hömig
Bryde