Urteil des BVerfG vom 21.07.2000

BVerfG: verfassungsbeschwerde, abweisung, urteilsbegründung, republik, kongo, sachverständiger, aussichtslosigkeit, gefahr, bekanntmachung, presse

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1429/98 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn M...,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Marc Eisenträger und Kollege,
Bahnhofstraße 14, Grünstadt -
gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 25. Juni 1998 - 2
K 653/96.NW -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Sommer,
Broß
und die Richterin Osterloh
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 21. Juli 2000 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil ihr weder grundsätzliche
verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt noch ihre Annahme zur Durchsetzung der verfassungsmäßigen Rechte
des Beschwerdeführers (§ 90 Abs. 1 BVerfGG) angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).
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1. Allerdings ist zweifelhaft, ob die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die Klage des Beschwerdeführers u.a.
auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, den
verfassungsrechtlichen Maßstäben genügt, die an eine qualifizierte Klageabweisung zu stellen sind.
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a) Bei der Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet, welche die Unanfechtbarkeit des
verwaltungsgerichtlichen Urteils zur Folge hat, sind besondere Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung und an
die Urteilsbegründung zu stellen. Denn die Asylgewährleistung des Grundgesetzes fordert geeignete
verfahrensrechtliche Vorkehrungen, die der Gefahr unanfechtbarer Fehlurteile entgegenwirken. Es muss sich die auf
der Hand liegende Aussichtslosigkeit der Klage zumindest eindeutig aus der Entscheidung selbst ergeben. Das
Bundesverfassungsgericht hat zudem den unbestimmten Rechtsbegriff der Offensichtlichkeit in Anlehnung an die
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin ausgelegt, dass Offensichtlichkeit im Sinne des § 30 Abs. 1
AsylVfG dann vorliegt, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit
der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem
solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre)
die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt (vgl. BVerfGE 65, 76 <95 f.>; 71, 276 <293>; Beschluss der 1. Kammer
des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 1997 - 2 BvR 1024/95 - NVwZ-Beilage 9/1997, S.
65 f.). Dieselben Anforderungen sind auch an eine gerichtliche Entscheidung über das offensichtliche Nichtvorliegen
eines Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG zu stellen (stRspr, vgl. Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten
Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. September 1996 - 2 BvR 2353/95 -, BayVbl 1997, S. 15 f. und vom 7.
November 1996 - 2 BvR 1318/95 -, NVwZ-Beilage 6/1997, S. 42 f.).
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b) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die angegriffene Entscheidung ergeben sich danach aus dem Umstand,
dass sich zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung,
deren Vorliegen die Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet tragen kann, noch nicht gebildet hatte; es
lagen lediglich einzelne Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz über die nach der
Machtübernahme von Laurent Kabila in der Demokratischen Republik Kongo neu entstandene politische Lage vor,
während sich andere Obergerichte noch nicht zu der zum Entscheidungszeitpunkt noch neuen politischen Lage in der
Demokratischen Republik Kongo geäußert hatten. Auch eindeutige und widerspruchsfreie Auskünfte und
Stellungnahmen sachverständiger Stellen (vgl. BVerfGE 65, 76 <97>) hat das Verwaltungsgericht nicht dargelegt.
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Fraglich ist auch, ob die angegriffene Entscheidung den verfassungsmäßigen Anforderungen gerecht wird, die im
Falle der Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet an die Urteilsbegründung zu stellen sind. Die von
dem Verwaltungsgericht zur Begründung seines Offensichtlichkeitsurteils in Bezug genommene Entscheidung der 1.
Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. März 1996 - 2 BvR 2409/95 u.a. - (veröffentlicht
in Juris sowie in AuAS 1996, S. 117 f.) ist jedenfalls nicht geeignet, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu
stützen. Der Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats betrifft einen anderen Sachverhalt und überdies die
Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG, nicht jedoch die hier in Rede stehenden
verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet.
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2. Dennoch bleibt der Verfassungsbeschwerde im Ergebnis der Erfolg versagt, weil die Annahmevoraussetzungen
des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht (mehr) vorliegen. Insbesondere ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur
Entscheidung nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a
Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat in der Folgezeit seine
Rechtsprechung vom 14. November 1997 zu der fehlenden Rückkehrgefährdung wegen der Asylantragstellung oder
einer untergeordneten exilpolitischen Tätigkeit nicht geändert, sondern bekräftigt (vgl. dessen Entscheidung vom 3.
April 1998 - 10 A 10902/97 -, NVwZ-Beilage 8/1998, S. 85 f.). Darüber hinaus haben sich inzwischen weitere
Obergerichte im Sinne der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz geäußert (vgl. die
Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 7. Oktober 1999 - A 13 S 2476/97 -, VGHBW-
Ls 2000, Beilage 1, B4 sowie vom 18. November 1999 - A 13 S 2844/95 -, VGHBW-Ls 2000, Beilage 2, B5, beide
auch in Juris veröffentlicht; ebenso - wenn auch nur zu exilpolitischer Tätigkeit bis 1996 - Hessischer
Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 17. Juni 1999 - 3 UE 404/95 -, in Juris veröffentlicht; vgl. auch die Bezugnahme in
dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 7. Oktober 1999 unter I. 3 f auf eine Entscheidung
des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Mai 1998 - 1 L 1690/96 -). Angesichts dessen ist nicht
ersichtlich, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und
Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht im Ergebnis mit einer günstigeren Entscheidung rechnen könnte (vgl.
BVerfGE 90, 22 <25 f.>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. März
1996 - 2 BvR 2409/95 u.a. -, AuAS 1996, S. 117 f.). Zudem hat der Beschwerdeführer auch nicht in einer den
Begründungserfordernissen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG genügenden Weise dargelegt, inwieweit die
Einschätzungen des Verwaltungsgerichts in der angegriffenen Entscheidung und des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz in der von dem Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Entscheidung vom 14. November 1997
hinsichtlich der Rückkehrgefährdung von Verfassungs wegen zu beanstanden sind.
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3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Sommer
Broß
Osterloh