Urteil des BVerfG vom 07.10.2008

BVerfG: strafbarkeit, prostitution, gemeinde, verfassungsbeschwerde, rechtsverordnung, erlass, bestimmtheitsgrundsatz, exekutive, ermächtigung, begriff

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1101/08 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn P...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwältin Dr. Margarete Gräfin von Galen,
in Sozietät Gräfin von Galen, Gaigl, Möllmann, Graf von Schlieffen,
Mommsenstraße 45, 10629 Berlin -
I. unmittelbar gegen
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. April 2008 - 2 Ss 599/2007 -,
b) das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 18. Juli 2007 - 31 Ns 1 Js 50777/02 -;
II. mittelbar gegen
a) § 1 der Baden-Württembergischen Verordnung der Landesregierung über das Verbot der
Prostitution vom 3. März 1976,
b) Art. 297 EGStGB,
c) § 184d StGB
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Broß,
Di Fabio
und Landau
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 7. Oktober 2008 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine strafrechtliche Verurteilung nach § 184d, § 27 StGB und mittelbar
gegen die dieser Verurteilung zu Grunde liegenden Rechtsnormen.
2
Mit Berufungsurteil vom 18. Juli 2007 hat das Landgericht Stuttgart gegen den Beschwerdeführer wegen Beihilfe zur
Ausübung der verbotenen Prostitution in sechs Fällen eine Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 €
verhängt. Der Beschwerdeführer habe die Ausübung der Prostitution durch die Mitangeklagte L. in seiner Wohnung in
K. in sechs Fällen gefördert, wobei er damit gerechnet und es billigend in Kauf genommen habe, einem Verbot
zuwiderzuhandeln. Da es sich bei K. um eine Stadt mit weniger als 35.000 Einwohnern handle, sei es tatsächlich
nach § 1 der Verordnung der Landesregierung über das Verbot der Prostitution vom 3. März 1976 (GBl S. 290) in
Verbindung mit Art. 297 EGStGB für das ganze Gebiet der Gemeinde verboten gewesen, der Prostitution
nachzugehen. Über dieses Verbot habe sich der Beschwerdeführer aus gefestigter Gleichgültigkeit immer wieder
unbeirrt hinweggesetzt.
3
Die Revision des Beschwerdeführers wurde durch Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. April 2008
gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
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Mit der fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer - unter anderem - die
Verletzung von Art. 103 Abs. 2 GG.
II.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des
§ 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde, der keine grundsätzliche
verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten
Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>; 96, 245 <248 ff.>). Sie ist unbegründet.
6
Es ist nach Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu beanstanden, dass gemäß § 184d StGB in Verbindung mit Art. 297
EGStGB und § 1 der baden-württembergischen Verordnung der Landesregierung über das Verbot der Prostitution
bestraft wird, wer in einer baden-württembergischen Gemeinde mit nicht mehr als 35.000 Einwohnern beharrlich der
Prostitution nachgeht (vgl. auch Beschluss des Vorprüfungsausschusses des Bundesverfassungsgerichts vom 27.
November 1984 - 2 BvR 236/84 -, NJW 1985, S. 1767).
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1. Art. 103 Abs. 2 GG enthält einen strikten Bestimmtheitsgrundsatz. Danach ist der Gesetzgeber verpflichtet, die
Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der
Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 41, 314 <319>; 47, 109
<120>; 55, 144 <152>). Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Es geht einerseits um den
rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Dieser muss prinzipiell schon anhand der gesetzlichen Regelung
voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist; in Grenzfällen geht er dann, für ihn erkennbar, das Risiko einer
Bestrafung ein (vgl. z. B. BVerfGE 47, 109 <120 f.>; 48, 48 <56>; 55, 144 <152>). Art. 103 Abs. 2 GG hat insofern
freiheitsgewährleistende Funktion. Andererseits soll sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber selbst abstrakt-
generell über die Strafbarkeit entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der
es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung
festzulegen (vgl. BVerfGE 47, 109 <120>).
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Es ist dem Gesetzgeber danach zwar nicht ausnahmslos verwehrt, die nähere Bestimmung der Voraussetzungen
strafbaren Handelns durch Erteilung einer nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte
Verordnungsermächtigung der Exekutive zu überlassen. Über die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG hinaus
ist in einem solchen Fall aber nach Art. 103 Abs. 2 GG zu beachten, dass in jedem Fall die Voraussetzungen der
Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger schon aufgrund des Gesetzes, nicht erst aufgrund der hierauf
gestützten Verordnung voraussehbar sein müssen (BVerfGE 14, 174 <185 f.>; 75, 329 <342>). Insbesondere beim
Erlass einer Strafvorschrift, die Freiheitsstrafe androht, hat der Gesetzgeber - auch in Anbetracht von Art. 104 Abs. 1
Satz 1 GG - mit hinreichender Deutlichkeit selbst zu bestimmen, was strafbar sein soll, sowie Art und Maß der
Freiheitsstrafe im förmlichen Gesetz festzulegen, und zwar um so genauer und präziser, je schwerer die angedrohte
Strafe ist (vgl. BVerfGE 75, 329 <342>). Wird der Straftatbestand eines Blankettstrafgesetzes also nicht durch ein
anderes förmliches Gesetz ergänzt, sondern durch eine Rechtsverordnung, so müssen zugleich die Voraussetzungen
der Strafbarkeit sowie Art und Maß der Strafe entweder im Blankettstrafgesetz selbst oder in einer anderen
gesetzlichen Vorschrift, auf die das Blankettstrafgesetz Bezug nimmt, hinreichend deutlich umschrieben werden. Dem
Verordnungsgeber dürfen lediglich gewisse Spezifizierungen des Straftatbestandes überlassen werden (vgl. BVerfGE
14, 174 <185 ff.>; 23, 265 <269>; 75, 329 <342>).
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2. a) Gemessen daran ist zunächst die Regelungstechnik des § 184d StGB, nach der die Strafbarkeit von der
Zuwiderhandlung gegen ein Verbot abhängt, welches sich erst aus einer auf gesonderter gesetzlicher Ermächtigung
beruhenden Rechtsverordnung ergibt, nicht zu beanstanden. Art und Maß der Strafe (Freiheitsstrafe bis zu sechs
Monaten oder Geldstrafe) sind in § 184d StGB abschließend festgelegt. Die Voraussetzungen der Strafbarkeit sind
jedenfalls im Zusammenspiel mit der ebenfalls formell-gesetzlichen Regelung des Art. 297 EGStGB für den
Normadressaten voraussehbar. Als objektive Tatbestandsmerkmale enthält § 184d StGB das Bestehen eines
gebietsbezogenen Verbotes auf Grund einer Rechtsverordnung, die Ausübung der Prostitution sowie die
„Beharrlichkeit“ des Verstoßes, als subjektives Merkmal Vorsatz, der auch bezüglich des Bestehens eines Verbotes
gegeben sein muss (vgl. Hörnle, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2005, § 184d Rn. 3 ff.). Art. 297 EGStGB
erlaubt es dem Normadressaten, sich über die Voraussetzungen Gewissheit zu verschaffen, unter denen der Erlass
einer Sperrgebietsverordnung überhaupt in Betracht kommt; soweit hier von Interesse, ist aus Nr. 1 der Vorschrift klar
ersichtlich, dass in Gemeinden mit nicht mehr als 50.000 Einwohnern ein solches Verbot im ganzen Gemeindegebiet
bestehen kann. Der Spielraum der Exekutive, von der Ermächtigung zum Erlass von Sperrgebietsverordnungen für
Gemeinden bis 50.000 Einwohnern überhaupt Gebrauch zu machen und gegebenenfalls die Gemeinden, in denen das
Verbot gelten soll, näher zu bestimmen, hält sich in den Grenzen dessen, was noch als „gewisse Spezifizierung“
eines formell-gesetzlich bereits weitgehend umschriebenen Straftatbestandes gelten kann.
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b) Der in Art. 297 EGStGB und der baden-württembergischen Sperrgebietsverordnung verwendete Ausdruck
„Einwohner“ ist hinreichend bestimmt. Dass der Begriff der Auslegung bedarf, weil er sich dem Wortlaut nach sowohl
auf sämtliche Einwohner einer Gemeinde beziehen lässt als auch einschränkend nur auf diejenigen mit dort
gelegenem alleinigem Wohnsitz oder Hauptwohnsitz, ist für sich genommen nicht zu beanstanden. Jedenfalls das
Risiko einer Strafbarkeit war im Grenzfall - also im Fall einer Gemeinde, deren Anzahl an Einwohnern nur bei
Berücksichtigung auch der Zweitwohnsitzinhaber 50.000 bzw. 35.000 übersteigt - bereits vor Ergehen des insofern
Klarheit schaffenden Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. November 2003 - 4 C 6/02 - (NVwZ 2004,
S. 743) deutlich erkennbar. Dem Wortlaut des Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB - „für das ganze Gebiet einer Gemeinde“
- kann auch nicht entnommen werden, dass der Verordnungsgeber die betreffenden Gemeinden konkret aufzählen
müsste, anstatt sie (wie in § 1 der angegriffenen Sperrgebietsverordnung) abstrakt-generell nach Einwohnerzahl zu
bestimmen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist es nach dem Bestimmtheitsgrundsatz schließlich
nicht erforderlich, dass eine strafrechtliche Norm Informationen darüber vermittelt, auf welche Weise sich der
Normadressat Kenntnis vom Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der Norm (hier: Einwohnerzahl einer
Gemeinde) verschaffen kann.
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c) Auch der Begriff der „Beharrlichkeit“ in § 184d StGB ist zwar auslegungsbedürftig, aber keinesfalls so weit und
unklar, dass er verfassungsrechtlich keinen Bestand haben könnte. Beharrlichkeit wird in Rechtsprechung und Lehre
definiert als besondere Hartnäckigkeit und damit gesteigerte Gleichgültigkeit des Täters gegenüber dem bestehenden
Verbot, so dass jedenfalls ein nur einmaliger Verstoß nicht zur Strafbarkeit führen kann (vgl. nur
Lenckner/Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., 2006, § 184d Rn. 5; Fischer, StGB, 55. Aufl., 2008,
§ 184d Rn. 5). Das ist nachvollziehbar und entspricht einem alltäglichen Sprachgebrauch, so dass auch in diesem
Punkt das Risiko der Strafbarkeit aus Sicht des Normadressaten ausreichend deutlich zu erkennen ist.
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3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Broß
Di Fabio
Landau