Urteil des BVerfG vom 19.08.2011

BVerfG: prozessstandschaft, abstrakte normenkontrolle, kontradiktorisches verfahren, richterliche rechtsfortbildung, bundesrat, antragsrecht, regierung, exekutive, gesetzgebung, vertretungsbefugnis

L e i t s a t z
zum Beschluss des Zweiten Senats vom 19. August 2011
- 2 BvG 1/10 -
Im Verfahren des Bund-Länder-Streits kann Antragsteller oder Antragsgegner für den Bund nur
die Bundesregierung, für ein Land nur die Landesregierung sein.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvG 1/10 -
Bundesadler
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
den Antrag festzustellen
dass die Antragsgegnerin die Rechte des Antragstellers aus Artikel 20 Absatz 1 des
Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes durch die Neufassung
des Artikels 109 Absatz 3 Sätze 1 und 5 des Grundgesetzes, eingefügt durch Artikel 1 des
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 29. Juli 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 2248),
in Kraft getreten am 1. August 2009, verletzt hat.
Antragsteller: Land Schleswig-Holstein,
vertreten durch
1. den Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtages,
andeshaus, Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel,
2. den Schleswig-Holsteinischen Landtag, dieser wiederum
vertreten durch dessen Präsidenten, ebenda
- Bevollmächtigter:
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Peter Schneider,
Drosselweg 4, 30559 Hannover -
Antragsgegner: 1. Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch den Deutschen Bundestag, dieser
vertreten durch den Präsidenten, Bundeshaus,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin,
2. Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch den Bundesrat, dieser vertreten durch den Präsidenten,
Leipziger Straße 3-4, 10117 Berlin,
3. Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch die Bundesregierung, diese vertreten durch die
Bundeskanzlerin,
Bundeskanzleramt, Willy-Brandt-Straße 1, 10557 Berlin
- Bevollmächtigte:
1. Prof. Dr. Christian Seiler,
Stauffenbergstraße 70/1, 72074 Tübingen
Bev. zu Zif.: 1,
2. Prof. Dr. Hanno Kube, LL.M.
Am Langenstück 23, 65343 Eltville am Rhein
Bev. zu Zif.: 3 –
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und
Richter
Präsident Voßkuhle,
Di Fabio,
Mellinghoff,
Lübbe-Wolff,
Gerhardt,
Landau,
Huber,
Hermanns
am 19. August 2011 gemäß § 24 BVerfGG beschlossen:
Der Antrag wird verworfen.
Gründe:
1
Der Bund-Länder-Streit betrifft die Verankerung der sogenannten „Schuldenbremse“ im
Grundgesetz. Der Schleswig-Holsteinische Landtag und dessen Präsident sehen das Land
durch die Neufassung von Art. 109 Abs. 3 Satz 1 und Satz 5 GG in seiner Verfassungsautonomie
verletzt.
A.
I.
2
Die angegriffenen Regelungen des Art. 109 Abs. 3 Satz 1 und Satz 5 GG lauten:
3
1
Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten
auszugleichen. [...]
4
5
Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer
verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist,
wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.“
5
Aus der Übergangsvorschrift des Art. 143d Abs. 1 Satz 4 GG ergibt sich, dass die
„Schuldenbremse“ des Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG von den Ländern erst ab dem 1. Januar 2020
einzuhalten ist. Art. 143d Abs. 1 Satz 4 GG hat folgenden Wortlaut:
6
„Die Haushalte der Länder sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus
Artikel 109 Absatz 3 Satz 5 erfüllt wird.“
II.
7
Am 27. Januar 2010 stellte das Land Schleswig-Holstein, vertreten durch den Präsidenten des
Schleswig-Holsteinischen Landtages und durch den Schleswig-Holsteinischen Landtag, dieser
wiederum vertreten durch seinen Präsidenten, für das Land Schleswig-Holstein den
vorliegenden Antrag im Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG (Bund-Länder-Streit).
8
1. Der Antragsteller ist der Auffassung, dass der Antrag zulässig sei, obwohl nach dem Wortlaut
von § 68 BVerfGG nur die Landesregierung Antragstellerin in einem Bund-Länder-Streit (Art. 93
Abs. 1 Nr. 3 GG) sein könne.
9
Aus der Entstehungsgeschichte sowohl des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG als auch des § 68 BVerfGG
ergebe sich, dass die Konstellation einer Streitigkeit zwischen Parlamenten von Bund und
Ländern über ihre Gesetzgebungskompetenzen übersehen worden sei. Im Verfassungskonvent
von Herrenchiemsee habe man ein Antragsrecht der Landtage befürwortet; im
Parlamentarischen Rat sei es dagegen nur im Zusammenhang mit den Regelungen über die
abstrakte Normenkontrolle diskutiert und letztlich mit dem Argument abgelehnt worden, ein
Landtag müsse seine Landesregierung zur Antragstellung bewegen. Nachdem die Vorschrift
über den Bund-Länder-Streit durch den Allgemeinen Redaktionsausschuss in seinem
„Grundgesetzentwurf, Teil B: Redigierte Fassung der Art. 86 bis 149 vom 16. Dezember 1948“
bereits die heutige Endfassung erhalten hatte, ohne dass die Landtage erwähnt worden wären,
sei über deren Antragsberechtigung im Kontext des Bund-Länder-Streits nicht mehr diskutiert
worden. Das Problem eines eigenen Antragsrechts der Landtage sei aber auch bei der
Schaffung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes im Zeitraum zwischen 1949 und 1951 nicht
gesehen und diskutiert worden. Der Gesetzgeber habe in der Begründung zu § 62 des
Gesetzesentwurfs, der dem heutigen § 68 BVerfGG entspricht, ausgeführt (BRDrucks 125/50,
S. 18):
10
„In diesen Fällen handelt es sich um Verfassungsstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern auf
dem Gebiet der Exekutive. In diesen Streitigkeiten wird der Bund durch die Bundesregierung,
das Land durch die Landesregierung repräsentiert. Diese allein können deshalb an dem
Verfahren beteiligt sein.“
11
Da ein „Legislativstreit“ zwischen einem Landtag und den gesetzgebenden Körperschaften des
Bundes nach dem Wortlaut des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG nicht ausgeschlossen, bei der Regelung
des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes jedoch übersehen worden sei, liege eine Lücke vor.
Diese müsse durch verfassungsgerichtliche Rechtsfortbildung geschlossen werden.
12
Allein aufgrund des Wortlauts von § 68 BVerfGG eine Beschränkung der Antragsberechtigung
auf die Exekutive anzunehmen, überzeuge nicht. Soweit diese Auffassung überhaupt
weiterführend begründet werde, gehe sie davon aus, dass es sich beim Bund-Länder-Streit um
eine gerichtliche Auseinandersetzung zwischen Verbänden mit Staatsqualität handele und es
deshalb folgerichtig sei, wenn sich die Vertretungsmacht auf die jeweiligen Regierungen
beschränke. Aus welchen Normen des Grundgesetzes sich jedoch ergebe, dass allein die
Regierungen die gekorenen Vertretungsorgane von Bund und Ländern seien, werde nicht
begründet. Noch weniger überzeuge die Auffassung, dass es die Regierungen seien, die die
Rechtspositionen ihrer Verbände am effektivsten verteidigen und vertreten könnten. Im
Gegenteil: man könne vielmehr davon ausgehen, dass das jeweils betroffene Landesorgan
seine Interessen mit stärkerem Nachdruck vertrete.
13
Im Übrigen obliege im Falle des Landes Schleswig-Holstein die Vertretung des Landes in allen
Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten des Landtages nach der Landesverfassung dem
Landtagspräsidenten, wozu nach Art. 14 Abs. 3 Satz 2 Verf.SH auch verfassungsgerichtliche
Streitigkeiten zählten. Daran sei die Landesregierung gebunden.
14
Einer Fortbildung des Verfassungsprozessrechts stehe kein unüberwindliches Hindernis
entgegen. Man müsse die Landesparlamente vielmehr vom Rechtsverfolgungswillen ihrer
Regierungen unabhängig machen. Aus diesen Gründen sei der Schleswig-Holsteinische
Landtag im vorliegenden Verfahren antrags- und prozessfähig. Die Ausführungen zur
Antragsberechtigung müssten für die Seite der Antragsgegner, also für Bundestag und
Bundesrat, analog gelten. Es sei nicht sinnvoll, der Bundesregierung allein die Rolle des
Antragsgegners zuzuweisen.
15
Selbst wenn man eine Vertretungsbefugnis von Landtag und/oder Landtagspräsident wegen
§ 68 BVerfGG ablehne, sei eine Prozessstandschaft des Landtags nach § 69 in Verbindung mit
§ 64 BVerfGG möglich. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes wie auch die Interessenlage
verlangten eine Zulassung des Landtags als Antragssteller in Fortbildung oder neben § 68
BVerfGG. § 69 BVerfGG verweise auf die Regelungen zum Organstreit, für den das
Bundesverfassungsgericht eine Erweiterung des Kreises der Antragsteller auf Fraktionen
vorgenommen habe. Auch eine verfassungsunmittelbare Konstruktion aus Art. 93 Abs. 3 GG sei
denkbar.
16
Der Schleswig-Holsteinische Landtag habe die Einleitung des Bund-Länder-Streits in der 122.
Sitzung der 16. Wahlperiode am 16. September 2009 mehrheitlich beschlossen (LTDrucks
16/2747) und zugleich seinen Prozessvertreter beauftragt.
17
2. Der Antragsteller führt zur Begründung seines Antrags aus, die angegriffenen Regelungen
über die Grenzen der Kreditaufnahme griffen in die Verfassungsautonomie des Landes
Schleswig-Holstein sowie in das Budgetrecht seines Landtages ein und verletzten die in Art. 20
GG verankerten Prinzipien des Bundesstaates und der Demokratie sowie der grundgesetzlich
garantierten Eigenstaatlichkeit des Landes. Damit seien zugleich seine Rechte aus Art. 79
Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG verletzt.
III.
18
Die Antragsgegnerin hält den Antrag für unzulässig, jedenfalls für unbegründet.
19
1. Der Deutsche Bundestag beantragt, den Antrag als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise ihn als
unbegründet abzuweisen. Er führt zur Zulässigkeit aus:
20
Die Anträge des Landtags und des Landtagspräsidenten seien im Bund-Länder-Streit
unzulässig. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lasse sich als
konkludente Billigung der einschränkenden Regelung des Antragsrechts durch § 68 BVerfGG
lesen. Das Außenvertretungsrecht auf die Landesregierung zu beschränken, sei sachgerecht
und von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 94 Abs. 2 GG gedeckt. Hinter der Engführung der
Antragsberechtigung in § 68 BVerfGG stehe der Gedanke, dass sich im Bund-Länder-Streit
Verbände gegenüberstünden, die durch ihre Verbandsspitze vertreten würden. Der eindeutige
Wortlaut des § 68 BVerfGG und das Enumerationsprinzip des Verfassungsprozessrechts (vgl.
§ 13 BVerfGG) sprächen dagegen, ebenenübergreifende Organstreitigkeiten vor dem
Bundesverfassungsgericht auszutragen. Das Prinzip der Organtreue auf Landesebene sorge
dafür, dass ein Landtag die jeweilige Landesregierung durch einen entsprechenden
Mehrheitsbeschluss jedenfalls politisch drängen könne, einen Bund-Länder-Streit einzuleiten.
Ob mittels eines Organstreitverfahrens vor dem zuständigen Landesverfassungsgericht eine
rechtlich bindende Verpflichtung zur Antragstellung ausgesprochen werden könne, die Rechte
des Landes vor dem Bundesverfassungsgericht geltend zu machen, könne dahinstehen.
Jedenfalls bestehe für eine Erweiterung des § 68 BVerfGG auch kein rechtspolitisches
Bedürfnis.
21
Bundestag und Bundesrat seien auf Seiten der Antragsgegner nicht in Anspruch zu nehmen;
insoweit sei der Antrag ebenfalls unzulässig. Im Übrigen handele der Antragsteller
inkonsequent, wenn er auch die Bundesregierung als Antragsgegnerin des von ihm so
genannten Legislativstreits benenne, obwohl dieser lediglich das Initiativrecht für Legislativakte
zukomme, sie aber nicht zur verfassungsändernden Gesetzgebung berufen sei.
22
2. Der Präsident des Bundesrates hat von einer Stellungnahme abgesehen, weil die
Bundesregierung im Bund-Länder-Streit vertretungsberechtigt sei.
23
3. Die Bundesregierung beantragt, den Antrag als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, ihn als
unbegründet abzuweisen.
24
Sie ist der Auffassung, dass dem Schleswig-Holsteinischen Landtag und dessen Präsidenten
die Vertretungsbefugnis im Bund-Länder-Streit fehle. Partei- und prozessfähig seien im Bund-
Länder-Streit nach einhelliger Auffassung nur der Bund und die Länder, wie die Tenorierungen
des Bundesverfassungsgerichts belegten. Die Vertretungsregelung des § 68 BVerfGG sei ihrem
Wortlaut nach eindeutig und erfasse ungeachtet des konkreten Streitgegenstands sämtliche
Verfahren, gleichgültig ob der Streit legislative, exekutive oder auch judikative Fragen betreffe.
Dies gelte auch für die Regelungssystematik in Grundgesetz und
Bundesverfassungsgerichtsgesetz und werde durch die Tatsache bekräftigt, dass der
verfassungsändernde Gesetzgeber § 68 BVerfGG unverändert gelassen habe, als er die neuen
Verfahrensarten des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a und Abs. 2 GG eingefügt habe. Von § 68 BVerfGG
gegebenenfalls abweichende Regelungen in Landesverfassungen seien insoweit irrelevant.
Nach Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG sei es dem Bundesgesetzgeber überlassen, das Verfahren vor
dem Bundesverfassungsgericht zu regeln. Es bleibe den Landesparlamenten unbenommen, auf
die jeweilige Landesregierung einzuwirken, um diese zur Einleitung eines Bund-Länder-Streits
zu verpflichten oder auch einen Antrag im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle zu stellen.
Selbst könnten sie jedoch nicht handeln, weshalb der Antrag unzulässig sei.
IV.
25
Die Landesregierungen von Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen
und Sachsen haben eine Stellungnahme abgegeben. Sie teilen die Auffassung des
Antragstellers nicht und führen zur Zulässigkeit aus:
26
Der Antrag sei wegen der eindeutigen Regelung in § 68 BVerfGG unzulässig. Eine
Antragsberechtigung der Landtage oder ihrer Präsidenten kenne das Verfahren des Bund-
Länder-Streits nicht. Der Bundesgesetzgeber habe, als 1994 in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG erstmals
ein Antragsrecht der Länderparlamente zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichts
eingeräumt worden sei, in Kenntnis der Tatsache, dass eine Reihe von Streitigkeiten
Gesetzgebungsbefugnisse betroffen hätten, keine Ergänzung des § 68 BVerfGG vorgenommen.
Eine Regelungslücke für sogenannte Legislativstreitigkeiten, die eine richterliche
Rechtsfortbildung ermöglichte, liege daher gerade nicht vor. Vielmehr habe der Gesetzgeber an
der restriktiven Regelung bewusst festgehalten.
27
Dies sei auch sachgerecht. Die Vertretung der Länder durch die Landesregierung sei deren
hergebrachte Aufgabe. Auch im Bundesrat würden die Länder ausweislich von Art. 51 GG durch
ihre Regierungen repräsentiert. Gegebenenfalls anderslautende landesverfassungsrechtliche
Vertretungsregelungen hätten keinen Vorrang vor § 68 BVerfGG.
28
Im Übrigen wäre nach der landesverfassungsrechtlichen Vertretungsregelung lediglich der
Präsident des Landtags vertretungsbefugt; weshalb im vorliegenden Rechtsstreit gleichzeitig der
Landtag und dessen Präsident aufträten, werde durch den oder die Antragsteller nicht erklärt.
Einer solchen Vervielfachung der vertretungsberechtigten Organe sei auch aus praktischen
Gründen entgegenzutreten.
29
Auf der Seite des Antragsgegners könne nur die Bundesregierung auftreten. Die Anträge gegen
Bundestag und gegen Bundesrat seien unzulässig.
B.
30
Der Antrag ist unzulässig.
31
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Bund-Länder-Streits ergeben sich aus Art. 93 Abs. 1
Nr. 3 GG in Verbindung mit § 13 Nr. 7, §§ 68, 69 in Verbindung mit §§ 64 bis 67 BVerfGG. Der
Antrag ist bereits deshalb unzulässig, weil eine Antragsberechtigung des Landtags und des
Landtagspräsidenten für das Land Schleswig-Holstein nicht besteht (§ 68 BVerfGG).
32
1. Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG entscheidet das Bundesverfassungsgericht bei
Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder,
insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der
Bundesaufsicht. Parteien des Bund-Länder-Streits sind danach der Bund und ein Land oder
mehrere Länder (vgl. statt vieler Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 2001, Rn. 1059;
Wenckstern, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, 1. Aufl. 1992, § 68 Rn. 5; Bethge, in:
Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 68 Rn. 5 ; für die dem
entsprechende Tenorierungspraxis des Bundesverfassungsgerichts etwa BVerfGE 8, 122
<124>; 21, 312 <313>; 41, 291 <292 f.>; 84, 25 <26>). Beim Bund-Länder-Streit handelt es sich
um eine Verbandsstreitigkeit (vgl. bereits BRDrucks 125/50, S. 18).
33
Wer Bund oder Länder im Verfahren des Bund-Länder-Streits vertritt, wird in Art. 93 Abs. 1 Nr. 3
GG nicht ausdrücklich geregelt. Auch den Materialien zum Verfassungskonvent auf
Herrenchiemsee und zu den Diskussionen im Parlamentarischen Rat lässt sich dazu nichts
entnehmen (Schuckart, in: Schneider , Das Grundgesetz. Dokumentation seiner
Entstehung, Bd. 23, Teilbd. I, 1999, S. 352 f., 487, 513 ff.).
34
2. Gemäß § 68 BVerfGG kann Antragsteller oder Antragsgegner für den Bund nur die
Bundesregierung, für ein Land nur die Landesregierung sein. Die Vorschrift regelt die
Vertretungsberechtigung konstitutiv. Sie schließt eine Antragsberechtigung anderer Organe aus
(Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 2001, Rn. 1060; Bethge, in: Maunz/Schmidt-
Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 68 Rn. 8 ; Hopfauf, in: Schmidt-
Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 93 Rn. 130; Lechner/Zuck, BVerfGG,
6. Aufl. 2011, § 68 Rn. 2; Meyer, in: v.Münch/Kunig, GG, 5. Aufl. 2003, Art. 93 Rn. 45; Schorkopf,
in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, §§ 68, 69 Rn. 2; Stern, in: Bonner
Kommentar, Bd. 12, Art. 93 Rn. 331 ff. ; Wieland, in: Dreier, GG, Bd. 3, 2. Aufl. 2008,
Art. 93 Rn. 68). Zur wirksamen Antragstellung bedarf es eines Beschlusses des jeweiligen
Kabinetts (BVerfGE 6, 309 <323 f.>).
35
3. Die Beschränkung der Antragsberechtigung auf die jeweiligen Regierungen begegnet keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 2001,
Rn. 1060; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 68 Rn. 8;
Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 424; Hopfauf, in: Schmidt-
Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 93 Rn. 130; Lechner/Zuck, BVerfGG,
6. Aufl. 2011, § 68 Rn. 2; Meyer, in: v.Münch/Kunig, GG, 5. Aufl. 2003, Art. 93 Rn. 45; Schorkopf,
in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, §§ 68, 69 Rn. 2; Stern, in: Bonner
Kommentar, Bd. 12, Art. 93 Rn. 334 ; Wieland, in: Dreier, GG, Bd. 3, 2. Aufl. 2008,
Art. 93 Rn. 68; billigend im Hinblick auf die alleinige Vertretung durch die Regierung nach § 71
Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG auch Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, S. 145 f.). Die
Regelung des § 68 BVerfGG beruht auf Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Gesetzgeber
ausdrücklich dazu ermächtigt, das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu regeln.
Dazu gehören namentlich die wesentlichen Prozessvoraussetzungen, unter ihnen die Partei-
und Prozessfähigkeit sowie die Antrags- und Vertretungsbefugnis. Mit § 68 BVerfGG wird das
Institut des Bund-Länder-Streits nicht unterlaufen (a). Die Bestimmung verstößt zudem weder
gegen die Garantie effektiven Rechtsschutzes (b) noch gegen das Rechtsstaatsprinzip (c) oder
den Grundsatz der Bundesstaatlichkeit (d).
36
a) Der in Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG vorgesehene Bund-Länder-Streit wird durch § 68 BVerfGG nicht
unmöglich gemacht. Die Beschränkung der Antragsberechtigung auf jeweils ein
Verfassungsorgan der beteiligten Verbände ist durch sachliche Erwägungen begründet. Sie
dient der Vermeidung eines ebenenübergreifenden Organstreits und widersprüchlicher
Prozesshandlungen. Dass der Gesetzgeber die Antragsberechtigung für den Verbandsstreit den
Regierungen zugewiesen hat, entspricht deren Rolle als typischerweise nach außen
auftretendes Verfassungsorgan (Geiger, Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom
12. März 1951, Vor § 68 Anm. 1). Auch im Bundesrat sind gemäß Art. 51 GG die Länder nicht
durch ihre Landesparlamente, sondern durch ihre Regierungen vertreten.
37
Die Begrenzung der Antragsberechtigung im Bund-Länder-Streit auf die Regierungen hat nicht
zu erkennbaren Defiziten geführt (vgl. zu vor dem Bundesverfassungsgericht ausgefochtenen
Bund-Länder-Streitigkeiten Schorkopf, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005,
Vor §§ 68 ff. Rn. 18). Dabei zeigt die Staatspraxis, dass auch Auseinandersetzungen um
Gesetzgebungskompetenzen im Rahmen eines Bund-Länder-Streits ausgetragen werden (vgl.
etwa BVerfGE 92, 203 ff.; 12, 205 ff.; BVerfGE 4, 115 ff.; ferner Dagtoglou, Streitigkeiten
zwischen Bund und Ländern im Bereich der Gesetzgebung, DÖV 1971, S. 35 <37>; Schorkopf,
in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, Vor §§ 68 ff. Rn. 18 ff.).
38
Die Landesparlamente haben, sofern sie die Landesregierung nicht kraft ihrer
Regierungsbildungs- und Kontrollfunktion zur Führung eines Bund-Länder-Streits anhalten
können, die Möglichkeit, mit Hilfe einer Organklage (hier Art. 44 Abs. 2 Nr. 1 Verf.SH, § 3 Nr. 1,
§ 35 LVerfGG SH; subsidiär Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG) deren Verpflichtung zur Antragstellung zu
erstreiten. Ein derartiges Organstreitverfahren kann und wird mit Blick auf die Antragsfrist gemäß
§ 69 in Verbindung mit § 64 Abs. 3 BVerfGG geführt werden, so dass ein Leerlaufen des Bund-
Länder-Streits aufgrund der Bestimmung des § 68 BVerfGG auch insoweit nicht zu erwarten ist.
Zudem kann im Falle eines Legislativstreits das strittige Bundesgesetz in einem anderen
Verfahren, etwa in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle angegriffen werden, das
keinen zeitlichen Beschränkungen unterliegt. Auch insoweit bestünde - neben den politischen
Einflussmöglichkeiten - ein weiterer Weg jedenfalls des Schleswig-Holsteinischen Landtags,
sich gegen eine vermeintliche Rechtsverletzung zur Wehr zu setzen (vgl. auch BremStGH, Urteil
vom 5. März 2010 - St 1/09 -, juris).
39
b) Auf Art. 19 Abs. 4 GG können sich die Antragsteller nicht berufen. Die Rechtsschutzgarantie
dient der Durchsetzung von Rechten natürlicher und juristischer Personen des Privatrechts und
findet auf Gebietskörperschaften und deren Organe grundsätzlich keine Anwendung (BVerfGE
21, 362 <369 f.>; 45, 63 <78>; 61, 82 <105>; Remmert, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 3
Rn. 33 ff. ). Als „formelles Hauptgrundrecht“ ist die Rechtsschutzgarantie mit den
materiellen Grundrechten eng verzahnt und kann daher nicht zur Auslegung der in Art. 93 GG
vorgesehenen Verfahren aus dem Staatsorganisationsrecht herangezogen werden.
40
c) Auch aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich nichts anderes. Das Rechtsstaatsprinzip verhält
sich, selbst wenn man es als Optimierungsgebot begriffe (dazu Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat,
1997, S. 414 m.w.N.), nicht zum Rechtsschutz im staatsorganisationsrechtlichen Bereich.
41
d) Der Rückgriff auf den Grundsatz der Bundesstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG) ist ebenfalls nicht
geeignet, verfassungsrechtliche Bedenken gegen die einschränkende Regelung der
Vertretungsbefugnis in § 68 BVerfGG zu begründen.
42
Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes gilt grundsätzlich so, wie sie der
Verfassungsgeber ausgestaltet und der verfassungsändernde Gesetzgeber fortentwickelt hat.
Ein darüber hinausgehendes Leitbild für die Zuordnung von Bund und Ländern lässt sich Art. 20
Abs. 1 GG nicht entnehmen, so dass eine „Optimierung“ der bundesstaatlichen Ordnung in
Ermangelung eines Maßstabs als Maxime der Verfassungsauslegung von vornherein
auszuscheiden hat (vgl. auch P. Kirchhof, Das Parlament als Mitte der Demokratie, in: Festschrift
für Badura. Der Staat des Grundgesetzes - Kontinuität und Wandel, 2004, S. 237 <253>).
43
4. § 68 BVerfGG ist keiner erweiternden Auslegung zugänglich (a) und schließt es auch aus,
dass der Landtag oder andere Verfassungsorgane Rechte des Landes im Wege der
Prozessstandschaft geltend machen (b).
44
a) Der Wortlaut von § 68 BVerfGG gibt für eine Erweiterung des Kreises der Antragsberechtigten
nichts her. Im Gegenteil, er schließt andere Organe ausdrücklich aus. Selbst deren Beitritt zum
Bund-Länder-Streit ist nach ständiger Rechtsprechung nicht zulässig (vgl. BVerfGE 6, 309
<325 f.>; 12, 308 ff.; anders noch BVerfGE 1, 14 <31>).
45
Die Regelung des § 68 BVerfGG beruht nicht auf einem Redaktionsversehen. Der Gesetzgeber
hat insbesondere nicht übersehen, dass es nicht nur sogenannte Exekutivstreitigkeiten gibt,
sondern auch Streitigkeiten über den Umfang der Gesetzgebungskompetenzen (a.A. Pestalozza,
Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, S. 136 f.). Zwar führte die Gesetzesbegründung zur
ursprünglichen Fassung des § 62 (heute § 68) BVerfGG aus, dass nur die Regierungen für die
Streitigkeiten „auf dem Gebiet der Exekutive“ (BRDrucks 125/50, S. 18) antragsbefugt seien.
Daraus folgt jedoch nicht, dass der Gesetzgeber an die Möglichkeit einer Streitigkeit um
Gesetzgebungskompetenzen tatsächlich nicht gedacht hat.
46
Dagegen spricht schon, dass der Verfassungsgeber die Frage ausweislich der Formulierung
(„insbesondere“ in Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG) ausdrücklich offen gelassen hat.
47
Das belegt aber auch die Begründung zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, in der es mit
Blick auf die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GG geregelten Verfahren heißt:
48
„Bei Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern und zwischen verschiedenen Ländern handelt
es sich [...] um Streitigkeiten nicht privatrechtlicher Art (Art. 19 WV); es stehen sich dabei die
Staaten, nicht ihre Organe gegenüber. [...] Dem trägt die Abgrenzung des Kreises der möglichen
Antragsteller Rechnung; in den Fällen Nr. 1 und 2 wird der Staat - wie nach § 62! - nur durch
seine Regierung vertreten, im Falle Nr. 3 können alle Verfassungsorgane des Landes und die
mit eigenen Rechten ausgestatteten Minderheiten dieser Organe Partei sein.“ (BRDrucks
125/50, S. 18 f .).
49
Der Gesetzgeber hat zur Begründung der weiteren Regelung im Landesorganstreit auf § 62
BVerfGG a.F. Bezug genommen und seine restriktive Regelung ausdrücklich vom Fall des
Landesorganstreits abgehoben. Erhärtet wird diese Auslegung auch durch den Umstand, dass
der Verfasser des Referentenentwurfs des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, der die Norm
des heutigen § 68 bereits enthielt, in seiner ersten Kommentierung davon ausgeht, dass die
Abgrenzung der Staatsgewalt zwischen Gliedstaaten und Bund auf den Gebieten der
Gesetzgebung, der Verwaltung und der Justiz einen möglichen Auslöser für einen Bund-Länder-
Streit darstelle, ungeachtet dessen aber dennoch nur die Exekutive antragsberechtigt sei
(Geiger, Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951, 1952, Vor § 68 Anm. 1
und § 68 Anm. 1).
50
bb) Seitdem hat der (verfassungsändernde) Gesetzgeber die in § 68 BVerfGG enthaltene
Engführung der Antragsberechtigung mehrfach bestätigt. Eigenständige verfassungsrechtliche
Befugnisse der Landtage auf Bundesebene, wie sie in der Folgezeit vereinzelt eingeführt
worden sind, stellen eng begrenzte Ausnahmefälle dar (vgl. Bethge, in: Maunz/Schmidt-
Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 68 Rn. 9 ; Selmer, Bund-Länder-Streit, in:
Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 1, 2001, S. 563 <581>).
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Im Jahre 1994 hat der (verfassungsändernde) Gesetzgeber ein Antragsrecht der Landtage im
Normenkontrollverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG und § 13 Nr. 6a, § 76 BVerfGG verankert
und den Landesparlamenten damit „erstmals“ die Möglichkeit zur Anrufung des
Bundesverfassungsgerichts in einem das bundesstaatliche Gefüge berührenden Rechtsstreit
eröffnet. In der Begründung der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und
Bundesrat heißt es, dass „auch den Länderparlamenten, deren Befugnisse durch die
Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz durch den Bund besonders
betroffen sind, insoweit erstmals ein Recht zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichts
eingeräumt“ werde (BTDrucks 12/6000, S. 36). Die in dieser Weise erläuterte Gesetzesänderung
belegt, dass der Gesetzgeber die Rolle der Landtage im Verfassungsprozess im Blick hatte.
Wenn er davon abgesehen hat, zugleich auch ihre Antragsberechtigung im Bund-Länder-Streit
einzuführen, ist darin eine bewusste Bestätigung des § 68 BVerfGG in seiner worlautgemäßen
Auslegung zu sehen.
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Für diese Auslegung spricht auch, dass mit Blick auf die Aufnahme des Art. 72 Abs. 3 GG a.F. -
heute Art. 72 Abs. 4 GG -, der materiell-rechtlichen Grundlage für das Verfahren nach Art. 93
Abs. 1 Nr. 2a GG, ein Antragsrecht der Landtage durchaus erwogen worden war, dies jedoch
kein weiter zu verfolgendes Anliegen darstellte. In ihrem Abschlussbericht wies die Gemeinsame
Verfassungskommission vielmehr darauf hin, dass an dem zunächst vorgesehenen Antragsrecht
der Landtage, durch das eine bundesgesetzliche Feststellung des Wegfalls der Erforderlichkeit
hätte erzwungen werden können, nicht festgehalten worden sei; die Wiedereröffnung der
Landeskompetenz sei aus Praktikabilitätsgründen der alleinigen Entscheidung des
Bundesgesetzgebers überlassen worden (BTDrucks 12/6000, S. 34 ff.; siehe auch v. Coelln, in:
Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 97 Rn. 12 ).
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Ähnliches gilt mit Blick auf die im Jahre 2006 erfolgte Aufnahme von Art. 93 Abs. 2 in das
Grundgesetz und die ihn näher ausgestaltenden Bestimmungen der § 13 Nr. 6b und § 97
BVerfGG (Gesetz vom 28. August 2006, BGBl I S. 2034). Sie sehen im Hinblick auf die Freigabe
von Gesetzgebungsmaterien, für die der Bund keine Kompetenz mehr besitzt, ein Antragsrecht
der Volksvertretungen der Länder vor. Auch diese punktuelle Ausweitung der Befugnisse der
Volksvertretungen der Länder war für den (verfassungsändernden) Gesetzgeber kein Anlass, die
Antragsberechtigung im Bereich des Bund-Länder-Streits zu modifizieren.
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Bei der Schaffung von Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a und Abs. 2 Satz 1 GG ging es darum, den
Volksvertretungen der Länder einen größeren Gestaltungsspielraum im Bereich der
Gesetzgebung zu eröffnen und ihnen die dazu notwendigen Instrumente an die Hand zu geben
(BTDrucks 12/6000, S. 33). Dazu hätte auch eine Antragsberechtigung im Bund-Länder-Streit
gehören können. Sie ist jedoch nicht eingeräumt worden.
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cc) Eine Antragsberechtigung der Landtage (und anderer Verfassungsorgane) im Bund-Länder-
Streit würde die Grenze zwischen Verbandsstreitigkeit und Organstreit verwischen und
vernachlässigen, dass Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG das Institut eines (subsidiären) Organstreits
innerhalb eines Landes durchaus kennt. Der Bund-Länder-Streit soll als kontradiktorisches
Verfahren zwischen den Verbänden mit Staatsqualität ausgefochten werden. Käme es zu einer
Konkurrenz von Anträgen unterschiedlicher Organe, müsste das Bundesverfassungsgericht
deren unter Umständen widersprüchliches prozessuales Handeln auf seine Rechtserheblichkeit
hin würdigen. Insoweit verhindert die alleinige Antragsberechtigung der Regierung inzidente
Entscheidungen landesinterner Streitigkeiten durch das Bundesverfassungsgericht.
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dd) Die vom Antragsteller verfolgte Auslegung wäre auch nicht mit dem prozessualen Zweck des
§ 68 BVerfGG zu vereinbaren. Sinn der Regelung ist es, die Vertretung des Verbandes auf die
Regierung zu konzentrieren und dem Charakter des Bund-Länder-Streits als Verbandsstreitigkeit
Rechnung zu tragen (vgl. bereits BRDrucks 125/50, S. 18).
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b) Die Annahme einer Prozessstandschaft des Landtags kommt nicht in Betracht, und zwar
weder mit Blick auf die Landesregierung (aa) noch mit Blick auf das Land (bb).
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Wesen einer Prozessstandschaft ist es, dass fremde Rechte in eigenem Namen verfolgt werden.
Eine Prozessstandschaft für die Landesregierung ist danach im Bund-Länder-Streit
ausgeschlossen, weil es hier, anders als im Organstreit, nicht um eine Verletzung von
Zuständigkeiten der Landesregierung geht, sondern um behauptete Übergriffe des Bundes in
Rechte des Landes oder umgekehrt.
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Eine Prozessstandschaft des Landtags für das Land liefe auf eine Umgehung von § 68 BVerfGG
hinaus.
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Daran ändert auch die in § 69 BVerfGG enthaltene Verweisung auf Vorschriften des
Organstreitverfahrens, insbesondere auf § 65 BVerfGG, nichts. Im Organstreitverfahren wird die
Prozessstandschaft von Organteilen als Instrument des Minderheitenschutzes allgemein bejaht
(BVerfGE 45, 1 <29 f.>; 60, 319 <325>; 68, 1 <77>). Das findet im
Bundesverfassungsgerichtsgesetz seine Grundlage, weil § 63 BVerfGG „Teilen“ der dort
aufgeführten Organe die Antragsberechtigung ausdrücklich zuweist und § 64 Abs. 1 BVerfGG
ihnen die Prozessstandschaft explizit eröffnet. Deshalb können im Verfahren des Organstreits
Ausschüsse, Fraktionen und einzelne Abgeordnete die Rechte des Parlaments im Wege der
Prozessstandschaft geltend machen (stRspr seit BVerfGE 1, 351 <359>).
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Für den Bund-Länder-Streit fehlt eine vergleichbare Regelung jedoch. § 69 BVerfGG verweist
gerade nicht auf § 63 BVerfGG, sondern nur auf die §§ 64 bis 67 BVerfGG. Zwar wird die
Prozessstandschaft der Organteile in § 64 BVerfGG geregelt, doch knüpft diese Regelung an
ihre in § 63 BVerfGG verliehene Antragsberechtigung an. Eine isolierte Prozessstandschaft ohne
eigene Antragsberechtigung fügte sich in diese Konzeption nicht ein. Das
Bundesverfassungsgericht hält deshalb auch den Beitritt eines nicht antragsberechtigten
Bundes- oder Landesorgans nicht für zulässig (vgl. BVerfGE 12, 308 <309>; anders noch
BVerfGE 1, 14 <30 f.>; 8, 122 <128>). Die Verweisung auf § 64 BVerfGG geht insoweit ins Leere
(vgl. Wenckstern, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, 1. Aufl. 1992, § 69 Rn. 6).
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cc) Eine sinngemäße Anwendung der Regelungen zur Prozessstandschaft ist schließlich auch
deshalb nicht angezeigt, weil zwischen den Verfahrensarten Organstreit und Bund-Länder-Streit
gravierende Unterschiede bestehen. Sinn der Prozessstandschaft von Organteilen im
Organstreitverfahren ist es vor allem, der parteienstaatlichen Prägung des grundgesetzlichen
Institutionengefüges Rechnung zu tragen und die Wahrung der Organrechte, vor allem der
Rechte des Parlaments, dann in die Hände von Minderheiten zu legen, wenn die
parlamentarische Mehrheit aus Rücksichtnahme auf die von ihr gestützte Regierung an der
gerichtlichen Durchsetzung kein Interesse hat. Eine vergleichbare Konstellation liegt in den
Fällen von Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bund und den Ländern nicht vor.
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5. Die möglichen Antragsteller im Bund-Länder-Streit werden durch § 68 BVerfGG abschließend
bestimmt. Etwaigen Regelungen auf Landesebene, die eine anderweitige Vertretung des
Landes vorsehen, käme für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht mangels
Gesetzgebungsbefugnis der Länder keine Bedeutung zu.
Voßkuhle
Di Fabio
Mellinghoff
Lübbe-Wolff
Gerhardt
Landau
Huber
Hermanns