Urteil des BVerfG vom 06.05.2013

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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 821/13 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der N… GmbH,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Lars Petrak in Sozietät Rechtsanwälte Dienst, Schneider & Partner GbR,
Ferdinand-Sauerbruch-Straße 26, 56073 Koblenz -
gegen
a)
den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 30. Januar 2013 - I S
16/12 -,
b)
den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 16. Oktober 2012 - I B
128/12 -,
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof,
den Richter Eichberger
und die Richterin Britz
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.
August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6. Mai 2013 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da hierfür kein
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da hierfür kein
Annahmegrund im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG vorliegt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>).
2
1. Eine Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf Gewährung effektiven
Rechtsschutzes ist nicht erkennbar.
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Die aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für den effektiven Rechtsschutz in finanzgerichtlichen
Eilverfahren abzuleitenden Prüfungsmaßstäbe sind rechtsgrundsätzlich geklärt (vgl. etwa
BVerfG Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. September 2009 - 1 BvR 1305/09
-, DStR 2009, S. 2146 und der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Oktober 2010 - 2 BvR
1710/10 -, DStR 2010, S. 2296). Hiervon ausgehend liegt keine Verletzung von Art. 19 Abs. 4
Satz 1 GG durch die angegriffenen Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vor.
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a) Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, dass der Bundesfinanzhof ernstliche Zweifel
an der Rechtmäßigkeit des von ihr angefochtenen Gewerbesteuermessbescheids 2009
verfassungsrechtlich zwingend hätte bejahen müssen, bestehen keine Anhaltspunkte für eine
Begründetheit der Verfassungsbeschwerde.
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Der Bundesfinanzhof war von Verfassungs wegen nicht gezwungen, allein mit Rücksicht auf die
im Vorlagebeschluss vom 29. Februar 2012 - 1 K 138/10 - (EFG 2012, S. 960) dargelegte
Überzeugung des Finanzgerichts H. im Eilverfahren ebenfalls von der möglichen
Verfassungswidrigkeit des § 8 Nr. 1 Buchstabe a, d und e GewStG auszugehen und deshalb
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Grundlagenbescheids zu bejahen. Auch
verschiedene, dem Finanzgericht H. zustimmende Publikationen und eine im Hinblick auf diesen
Vorlagebeschluss erfolgte Verfahrensaussetzung durch einen anderen Senat des
Bundesfinanzhofs (vgl. den Beschluss des IV. BFH-Senats vom 1. August 2012 zur Aussetzung
des Revisionsverfahrens IV R 55/11, BFH/NV 2012, S. 1826) ändern hieran nichts.
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Das aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgende Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes
begründet jedenfalls für ein oberstes Bundesgericht, wie hier den Bundesfinanzhof, keine
Bindung an instanzgerichtliche Überzeugungen von der Verfassungswidrigkeit einer Norm
dergestalt, dass es mit Rücksicht auf eine solche Überzeugung, selbst wenn sie durch einen
Vorlagebeschluss nach Art. 100 Abs. 1 GG geäußert ist, im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes von ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines auf diese Norm
gestützten Bescheids im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO ausgehen müsste. Der
Bundesfinanzhof war in dem angegriffenen Beschluss vom 16. Oktober 2012 daher durch Art. 19
Abs. 4 GG nicht gehindert, die gegen die Verfassungsmäßigkeit der im Ausgangsverfahren
erheblichen Hinzurechnungsvorschriften nach § 8 Nr. 1 GewStG durch das Finanzgericht H. und
zusätzlich durch die Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwände einer sachlichen Prüfung zu
unterziehen und unter Bezugnahme auf die bisherige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung
zu der Würdigung zu gelangen, dass der Vorlagebeschluss wegen offenkundiger
Unbegründetheit erfolglos bleiben würde und ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
der in Rede stehenden Hinzurechnungsvorschriften offensichtlich fehlten.
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b) Vor diesem Hintergrund ist es von Verfassungs wegen auch nicht zu beanstanden, dass der
Bundesfinanzhof - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht mehr auf die Streitfrage eingegangen ist,
ob und unter welchen Voraussetzungen trotz ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
einer entscheidungserheblichen Norm von der Gewährung der Vollziehungsaussetzung
abgesehen werden kann (vgl. die Nachweise im angegriffenen Beschluss unter II 4).
Infolgedessen bedarf es auch im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, ob und inwieweit
das in der Vorinstanz angewendete Kriterium des qualifizierten Aussetzungsinteresses in jeder
Hinsicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist (vgl. den mit der Verfassungsbeschwerde nicht
angegriffenen Beschluss des Finanzgerichts K. vom 4. Juli 2012 - 13 V 1292/12 -, EFG 2012, S.
2036; vgl. ferner BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 2011 - 1
BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11 -, NJW 2012, S. 372).
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c) Soweit die Beschwerdeführerin sich auf das Vorliegen einer unbilligen Härte beruft, hat sie im
Ausgangsverfahren nach Aktenlage nicht hinreichend vorgetragen. Die dem Finanzgericht K.
folgende, darauf gestützte Begründung des Bundesfinanzhofs ist verfassungsrechtlich insoweit
nicht zu beanstanden.
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2. Eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Der Beschluss des Bundesfinanzhofs
vom 16. Oktober 2012 ist keine verfassungsrechtlich zu beanstandende
Überraschungsentscheidung. Selbst wenn man insoweit eine Gehörsverletzung unterstellt, wäre
sie im Übrigen durch den zweiten, die Anhörungsrüge betreffenden Beschluss vom 30. Januar
2013 geheilt worden.
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3. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung (vgl. § 40 Abs. 3 GOBVerfG), ohne dass noch auf Fragen der
Darlegung und des Vorliegens eines Anordnungsgrunds eingegangen werden müsste.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Kirchhof
Eichberger
Britz