Urteil des BVerfG vom 25.08.2000

BVerfG: recht am eigenen bild, absolute person der zeitgeschichte, verfassungsbeschwerde, persönlichkeitsrecht, schutzwürdiges interesse, münze, menschenwürde, persönlichkeitsschutz, einwilligung

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2707/95 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau Dr. S...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. Albrecht Pünder und Koll.,
Mainzer Landstraße 46, Frankfurt am Main -
gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. November 1995 - VI ZR 410/94 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den
Vizepräsidenten Papier
und die Richter Steiner,
Hoffmann-Riem
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 25. August 2000 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde wirft die Frage auf, ob das postmortale Persönlichkeitsrecht Willy Brandts durch die
Edition einer Münzserie mit seinem Bild verletzt worden ist.
I.
2
Die Beschwerdeführerin ist die Witwe des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt. Im Ausgangsverfahren nahm sie
die Beklagte darauf in Anspruch, den Vertrieb einer Münzedition mit dem Bild Willy Brandts zu unterlassen. Die
Beklagte hatte nach dessen Tod eine Medaille hergestellt und vertrieben, auf der, umrundet von der Aufschrift "In
Memoriam Willy Brandt" und den Jahreszahlen "1913" und "1992", ein Bild des Verstorbenen zu sehen war. Auf der
Rückseite fanden sich stilisierte Abbildungen des Bundesadlers, des Brandenburger Tors und einer Friedenstaube
sowie am Münzrand die Angaben "Kanzler der Bundesrepublik Deutschland", "Präsident der Sozialistischen
Internationale", "Regierender Bürgermeister von Berlin" und "Friedensnobelpreisträger". Die Beklagte hatte für den
Vertrieb der Münzen weder eine Einwilligung Willy Brandts noch der Beschwerdeführerin.
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Das Land- und Oberlandesgericht gaben der Unterlassungsklage statt. Sie führten zur Begründung im Wesentlichen
aus, die Verbreitung der "Abschiedsmedaille" verstoße gegen das durch § 22 Satz 1 KUG geschützte Recht am
eigenen Bild. Die Beklagte könne sich nicht auf § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG berufen. Zwar sei Willy Brandt eine absolute
Person der Zeitgeschichte. Der Persönlichkeitsschutz habe aber Vorrang, wenn - wie hier - der Zweck der
Informationsvermittlung nach den gesamten Umständen hinter sonstige Beweggründe völlig zurücktrete. Der
Bundesgerichtshof hat dagegen mit dem angegriffenen Urteil die oberlandesgerichtliche Entscheidung aufgehoben und
die Klage abgewiesen, da die Beklagte mit der Münzedition zwar ein kommerzielles Interesse verfolgt, zugleich aber
auch ein schutzwürdiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit befriedigt habe (vgl. im Einzelnen: BGH, NJW 1996,
S. 593).
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Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des postmortalen allgemeinen
Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 1 Abs. 1 GG. Sie macht geltend, das Urteil des Bundesgerichtshofs verletze das
allgemeine Persönlichkeitsrecht Willy Brandts in Ausprägung des Rechts am eigenen Bild. Der Bundesgerichtshof sei
zu Unrecht davon ausgegangen, der "Abschiedsmedaille" komme ein schutzwürdiger Informationswert zu. Vielmehr
stehe der Sammler- und Anlagewert der Münze gegenüber dem Informationsgehalt eindeutig im Vordergrund. Die
Erwägungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht müssten ungeschmälert auch für das postmortale allgemeine
Persönlichkeitsrecht, das verfassungsrechtlich durch Art. 1 Abs. 1 GG garantiert sei, gelten. Auch beim Verstorbenen
sei eine Abbildung unzulässig, wenn diese nicht durch ein Informationsinteresse der Allgemeinheit gedeckt sei.
II.
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Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor.
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1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2
Buchstabe a BVerfGG). Die von ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen betreffen das Verhältnis von
(postmortalen) Persönlichkeitsrechten auf der einen und Informations- und Publikationsinteressen im Zusammenhang
mit Abbildungen von Prominenten auf der anderen Seite. Diese Fragen sind in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt (vgl. BVerfGE 30, 173; 101, 361).
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2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung von Verfassungsrechten angezeigt
(§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs verletzt keine
Verfassungsrechte von Willy Brandt.
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a) Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist das Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde aus Art. 1 Abs.
1 GG. Die mit Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen
Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, endet nicht mit dem Tod. Dagegen besteht nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts kein Grundrechtsschutz des Verstorbenen aus Art. 2 Abs. 1 GG, weil Träger dieses
Grundrechts nur die lebende Person ist (vgl. BVerfGE 30, 173 <194>). Das gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht scheidet damit als unmittelbarer Prüfungsmaßstab
des angegriffenen Urteils aus. Der Beschwerdeführerin ist auch nicht darin zuzustimmen, dass die Schutzwirkungen
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit dem aus Art. 1 Abs. 1 GG resultierenden Schutz identisch seien. Eine
solche Annahme liefe im Ergebnis auf eine Gleichsetzung der Menschenwürde mit dem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht hinaus, welche weder der normativen Bedeutung von Art. 1 Abs. 1 GG gerecht würde noch in der
bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Stütze fände. Das Bundesverfassungsgericht betont
vielmehr in ständiger Rechtsprechung die Differenz zwischen Menschenwürde und allgemeinem Persönlichkeitsrecht,
wie sich etwa daraus ergibt, dass die Menschenwürde im Konflikt mit der Meinungsfreiheit nicht abwägungsfähig ist,
während es bei einem Konflikt der Meinungsfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht regelmäßig zu einer
Abwägung kommt (vgl. BVerfGE 93, 266 <293 f.>). Angesichts der größeren Reichweite des Persönlichkeitsschutzes
lebender Personen gegenüber dem Verstorbener scheidet eine Annahme der Verfassungsbeschwerde jedenfalls dann
aus, wenn sie nicht einmal am Maßstab des Persönlichkeitsschutzes Lebender Erfolg haben könnte.
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b) Wäre das angegriffene Urteil zum Persönlichkeitsschutz Lebender ergangen, wäre von einer Beeinträchtigung des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts auszugehen gewesen. Zu den Schutzaspekten, die das allgemeine
Persönlichkeitsrecht vermittelt, gehört das "Recht am eigenen Bild" (vgl. BVerfGE 101, 361 <380 ff.>; stRspr). Dieses
Recht gewährleistet dem Einzelnen Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten, soweit es um die Verwendung seines
Bildes durch Dritte geht. Auch die stilisierte Abbildung einer Person auf einer Münze fällt in den Schutzbereich des
Grundrechts, wenn die Person - wie hier - eindeutig zu identifizieren ist.
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Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gilt allerdings nicht schrankenlos. Die Persönlichkeitsentfaltung
ist gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in die Grenzen der verfassungsmäßigen Ordnung verwiesen. Darunter sind alle
Rechtsnormen zu verstehen, die sich formell und materiell mit dem Grundgesetz im Einklang befinden. Das ist bei
§ 23 KUG, auf welchen der Bundesgerichtshof sein Urteil gestützt hat, der Fall (vgl. BVerfGE 101, 361 <386 f.>).
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c) Die Auslegung und Anwendung verfassungsmäßiger Vorschriften des Zivilrechts ist Sache der Zivilgerichte. Sie
müssen dabei aber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Bedeutung und Tragweite
der von ihren Entscheidungen berührten Grundrechte beachten, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der
Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 ff.>). Da der Rechtsstreit ungeachtet des
grundrechtlichen Einflusses ein privatrechtlicher bleibt und seine Lösung in dem - grundrechtsgeleitet interpretierten -
Privatrecht findet, ist das Bundesverfassungsgericht darauf beschränkt, nachzuprüfen, ob die Zivilgerichte den
Grundrechtseinfluss ausreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>). Dagegen ist es nicht seine Sache,
den Zivilgerichten vorzugeben, wie sie den Streitfall im Ergebnis zu entscheiden haben (vgl. BVerfGE 94, 1 <9 f.>).
Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung der angegriffenen Entscheidungen führt, liegt nur dann vor, wenn
übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der verfassungsmäßigen Vorschriften des Privatrechts
Grundrechte zu beachten waren, wenn der Schutzbereich der zu beachtenden Grundrechte unrichtig oder
unvollkommen bestimmt oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist, so dass darunter die Abwägung der
beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelung leidet und die Entscheidung auf diesem
Fehler beruht (vgl. BVerfGE 101, 361 <388>).
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d) Unter Beachtung dieses Prüfungsumfangs ist das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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aa) Das ist unproblematisch mit Blick auf die rechtlichen Maßstäbe, von denen der Bundesgerichtshof und das
Oberlandesgericht ungeachtet des entgegengesetzten Ergebnisses übereinstimmend ausgegangen sind. Nach
Ansicht beider Gerichte müssen es sich "absolute" Personen der Zeitgeschichte gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG
grundsätzlich gefallen lassen, der Öffentlichkeit auch ohne Einwilligung im Bild vorgestellt zu werden. Diese
Duldungspflicht sei aber nicht schrankenlos. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG wolle dem Interesse der Allgemeinheit an einer
Unterrichtung über Persönlichkeiten der Zeitgeschichte dienen, weil und soweit die Öffentlichkeit sie als der
Beachtung besonders wert empfinde. Der Schutzzweck der Regelung erfasse daher keine Veröffentlichungen, an
denen ein schutzwürdiges Interesse der Allgemeinheit nicht anzuerkennen sei. Da auch Personen der Zeitgeschichte
Anspruch darauf hätten, dass die Allgemeinheit Rücksicht auf ihre Persönlichkeit nehme, dürfe nicht außer Acht
gelassen werden, dass das in § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG geschützte allgemeine Publikationsinteresse in einem
Spannungsverhältnis zum Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten stehe. Daher könne sich auf § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG
nicht berufen, wer nicht einem schutzwürdigen Informationsinteresse der Allgemeinheit nachkomme, sondern durch
Verwertung des Bildnisses eines anderen zu Werbezwecken allein sein Geschäftsinteresse befördern wolle.
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Mit diesen Erwägungen hat der Bundesgerichtshof ebenso wie zuvor bereits das Oberlandesgericht den
Grundrechtsbelangen hinreichend Rechnung getragen. Der Bundesgerichtshof hat die Tatbestandsvoraussetzungen
des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG nach dem Maßstab des Informationsinteresses der Allgemeinheit bestimmt. Dieser
Ansatz ist - wie das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 15. Dezember 1999 ausdrücklich festgestellt hat -
verfassungsrechtlich
unbedenklich
(vgl. BVerfGE 101, 361 <391>). Ebenso wenig begegnet es
verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Bundesgerichtshof § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG für unanwendbar hält, wenn
das Bild einer Person ausschließlich zu Werbezwecken für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Marke
eingesetzt wird.
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bb) Auch die Ausführungen des Bundesgerichtshofs auf der Rechtsanwendungsebene lassen keine
verfassungsrechtlichen Fehler erkennen. Im Bereich der Rechtsanwendung liegt die Differenz zwischen
Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof. Die Gerichte haben die Frage, ob die Beklagte des Ausgangsverfahrens
mit der Herstellung und dem Vertrieb der "Abschiedsmedaille" ausschließlich eigene kommerzielle Interessen verfolgt
oder zugleich ein schutzwürdiges Publikationsinteresse wahrgenommen hat, unterschiedlich beantwortet. Dass der
Bundesgerichtshof dabei im Gegensatz zum Oberlandesgericht den Münzen einen gewissen Informationsgehalt
beigemessen hat und davon ausgegangen ist, dass hinter dem Vertrieb der "Abschiedsmedaille" neben dem
kommerziellen Interesse der Beklagten auch ein schutzwürdiges Informationsinteresse der Allgemeinheit stehe, ist
von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
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Der Bundesgerichtshof hat sich mit der im Zentrum des Rechtsstreits stehenden Frage nach dem Informationsgehalt
der Münze intensiv auseinander gesetzt und ist davon ausgegangen, dass ein zu berücksichtigendes
Informationsinteresse der Öffentlichkeit umso näher liegt, je stärker sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf eine
Person richtet. Bei einer Persönlichkeit wie Willy Brandt sei das im besonderen Maße der Fall. Bei ihm liege bei der
Veröffentlichung seines Bildes jedenfalls dann ein schutzwürdiges Publikationsinteresse vor, wenn sein Bild in einen
für den Betrachter deutlichen Zusammenhang mit seinen Leistungen als Politiker und Staatsmann gestellt werde. Dies
sei hier durch die aussagekräftigen Symbole und durch schlagwortartige verbale Umschreibungen seiner Leistungen
und Ämter geschehen. Der Bundesgerichtshof hat sich auch mit dem Argument der Beschwerdeführerin, der Beklagte
habe gerade das Sammler- und Anlageinteresse ansprechen wollen, auseinander gesetzt. Er ist davon ausgegangen,
dass sich das Sammlerinteresse und die Bedeutung der Münze als Informationsträger nicht ausschlössen, sondern
ohne weiteres nebeneinander stehen könnten.
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Mit diesen Erwägungen hat der Bundesgerichtshof sein Verständnis der umstrittenen Bildveröffentlichung Willy
Brandts unter Beachtung aller maßgeblichen Aspekte schlüssig begründet. Mehr fordert die Verfassung nicht. Das
Bundesverfassungsgericht hat insoweit nur die Beachtung der Anforderungen, welche die Verfassung an das
Verständnis von Äußerungen richtet (vgl. BVerfGE 94, 1 <9>) und die sinngemäß auf das Verständnis von
Abbildungen zu übertragen sind (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2000, S. 1026), sicherzustellen.
Dagegen ist es nicht seine Sache, den Rechtsstreit selbst zu entscheiden. Dementsprechend hat es auch den
Informationscharakter der umstrittenen Münzedition nicht selbst abschließend zu beurteilen oder das Verständnis der
Münzen, welches der Bundesgerichtshof zugrunde gelegt hat, durch ein anderes zu ersetzen, das es für treffender
hält.
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Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Verfassungsbeschwerde auch keine Aspekte darzulegen vermocht, welche vom
Bundesgerichtshof nicht berücksichtigt worden wären. Letztlich will sie mit ihrer Verfassungsbeschwerde erreichen,
dass das Bundesverfassungsgericht auf der Rechtsanwendungsebene die entscheidende Frage nach dem
Informationsgehalt der Münze anders als der Bundesgerichtshof und wieder so wie das Oberlandesgericht
beantwortet. Dass dies zum Persönlichkeitsschutz notwendig wäre, hat sie allerdings nicht aufzeigen können.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Steiner
Hoffmann-Riem