Urteil des BVerfG vom 22.06.2001

BVerfG: verfassungsbeschwerde, krankenversicherung, subsidiarität, heilmittel, solidarität, rechtsgrundlage, veröffentlichung, dispositionen, internet, gesetzesänderung

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2260/99 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Arztes Dr. F...
gegen § 84 Absatz 1 und 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der Fassung des Art.
1 Nr. 13 Buchstabe a und c des Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz - GKV-SolG)
vom 19. Dezember 1998 (BGBl I S. 3853)
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Jaeger
und die Richter Hömig,
Bryde
am 22. Juni 2001 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen § 84 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der seit
dem 1. Januar 1999 geltenden Fassung.
I.
2
§ 84 SGB V wurde durch Art. 1 Nr. 13 des Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz - GKV-SolG) vom 19. Dezember 1998 (BGBl I S. 3853) dahin
geändert, dass das Budget als Obergrenze für die insgesamt zu Lasten aller Krankenkassen von den Vertragsärzten
veranlassten Ausgaben für Arznei-, Verband- und Heilmittel in einem Kalenderjahr einerseits sowie
arztgruppenspezifische Richtgrößen für das Volumen der je Arzt verordneten Arznei-, Verband- und Heilmittel als
Grundlage einer auf den Arzt bezogenen Wirtschaftlichkeitsprüfung andererseits als kumulative statt wie bisher als
alternative Steuerungsinstrumente zur Ausgabenbegrenzung in der gesetzlichen Krankenversicherung zur Anwendung
kommen müssen.
3
Der Beschwerdeführer macht geltend, wegen der Gefahr von Honorarrückforderungen oder -regressen aufgrund der
Ausgleichspflicht der Kassenärztlichen Vereinigung und dem Budgetdruck in Bezug auf sein Verordnungsverhalten bei
Arznei-, Verband- und Heilmitteln in seinen Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG verletzt zu sein.
II.
4
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a
Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat. Die
Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen § 84 SGB V ist jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der
Verfassungsbeschwerde unzulässig.
5
Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verpflichtet den Beschwerdeführer, vor einer Anrufung
des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich die Fachgerichte mit seinem Anliegen zu befassen. Setzt die
Durchführung der angegriffenen Vorschrift einen besonderen Vollzugsakt voraus, muss der Beschwerdeführer
grundsätzlich zunächst diesen Akt angreifen und den gegen ihn eröffneten Rechtsweg erschöpfen, bevor er die
Verfassungsbeschwerde erhebt. Der Vorrang der Anrufung der Fachgerichte soll eine umfassende Vorprüfung des
Beschwerdevorbringens gewährleisten (vgl. BVerfGE 79, 1 <19 f.>). Erreicht werden soll, dass das
Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weit reichende Entscheidungen
trifft. Die Pflicht zur Anrufung der Fachgerichte besteht ausnahmsweise dann nicht, wenn die angegriffene Regelung
den Beschwerdeführer zu Dispositionen zwingt, die später nicht mehr korrigiert werden können, oder wenn die
Anrufung der Fachgerichte dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten ist, etwa weil das offensichtlich sinn- oder
aussichtslos wäre (BVerfGE 79, 1 <20>). In Anwendung dieser Grundsätze ist die Verfassungsbeschwerde
unzulässig.
6
Nach Festsetzung einer Honorarrückforderung oder eines Regresses steht dem Beschwerdeführer der Rechtsweg
offen. Die Fachgerichte haben im Rahmen ihrer Überprüfung neben dem Gebot der leistungsproportionalen Vergütung
inzident die normativen Regelungen über das Ausgleichsverfahren zu überprüfen. Auslegung und Tragweite von § 84
SGB V sind daher zunächst durch die Fachgerichte zu klären.
7
Von diesem über die Fachgerichte führenden Weg zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Norm kann
vorliegend nicht abgewichen werden. Dafür, dass dem Beschwerdeführer durch die Gesetzesänderung ein schwerer
Nachteil entstünde, der später nicht mehr korrigierbar wäre, ist nichts ersichtlich. Gegenwärtig ist nicht absehbar, ob
die angegriffenen Vorschriften überhaupt umgesetzt werden (vgl. BTDrucks 14/5225 und Art. 2 des Entwurfes eines
Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes der Bundesregierung vom 30. Mai 2001, abruffähig veröffentlicht im Internet
unter
http://www.bmgesundheit.de
, zur Veröffentlichung in BTDrucks vorgesehen).
8
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
9
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Jaeger
Hömig
Bryde