Urteil des BVerfG vom 18.07.2001

BVerfG: erlass, ex nunc, abweichende meinung, öffentliches interesse, ex tunc, vollzug, beendigung, gefahr, papier, diskriminierung

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvQ 23/01 -
- 1 BvQ 26/01 -
Im Namen des Volkes
In den Verfahren
über die Anträge
1. der Bayerischen Staatsregierung,
vertreten durch den Ministerpräsidenten,
Franz-Josef-Strauß-Ring 1, 80539 München,
- Bevollmächtigter:
Professor Dr. Peter Badura,
Am Rothenberg Süd 4, 82431 Kochel am See -
- 1 BvQ 23/01 -,
2. der Sächsischen Staatsregierung,
vertreten durch den Ministerpräsidenten,
Staatskanzlei, 01095 Dresden,
- Bevollmächtigte:
1. Professor Dr. Thomas Würtenberger,
Beethovenstraße 9, 79100 Freiburg,
2. Professor Dr. Johann Braun,
Bischof-Wolfger-Straße 38, 94032 Passau -
- 1 BvQ 26/01 -,
eine einstweilige Anordnung dahin gehend zu erlassen,
dass das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften
vom 16. Februar 2001 (BGBl I S. 266), geändert durch Artikel 25 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX)
Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl I S. 1046), bis zur Entscheidung über die
Normenkontrollanträge der Antragstellerinnen nicht in Kraft tritt, hilfsweise außer Vollzug gesetzt wird,
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung des
Vizepräsidenten Papier,
der Richterinnen Jaeger,
Haas,
der Richter Hömig,
Steiner,
der Richterin Hohmann-Dennhardt
und der Richter Hoffmann-Riem,
Bryde
Verkündet
am 18. Juli 2001
Kehrwecker
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 11. Juli 2001 durch
Urteil
für Recht erkannt:
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgelehnt.
Gründe:
A.
1
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung richten sich gegen das In-Kraft-Treten des Gesetzes zur
Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften zum 1. August 2001.
I.
2
Das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften
vom 16. Februar 2001 (BGBl I S. 266; im Folgenden: LPartDisBG) führt mit dem Ziel, gleichgeschlechtlichen
Partnerschaften einen rechtlichen Rahmen zu geben, ein neues familienrechtliches Institut, die eingetragene
Lebenspartnerschaft, ein. Diese kann von zwei Personen gleichen Geschlechts vor der zuständigen Behörde
begründet werden.
3
An die Begründung der eingetragenen Lebenspartnerschaft knüpfen sich vielfältige Rechtsfolgen im Zivil- und im
öffentlichen Recht, die denen einer Ehe zum Teil gleichen, aber auch von ihnen abweichen und sowohl im neu
geschaffenen Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz - LPartG) als auch im
Bürgerlichen Gesetzbuch und in zahlreichen Bundesgesetzen verankert sind (Art. 1 bis 3 LPartDisBG).
4
Der ursprüngliche Entwurf des Gesetzes (BTDrucks 14/3751) enthielt noch weitere Regelungen, die auf Empfehlung
des Rechtsausschusses des Bundestages aus dem Gesetz ausgegliedert und im Entwurf eines
Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetzes zusammengefasst worden sind (BTDrucks 14/4545, S. 69). Sie
betreffen insbesondere Änderungen des Personenstandsgesetzes mit Regelungen über die Zuständigkeit und das
Verfahren bei Begründung und Eintragung der Lebenspartnerschaft. Diese Regelungen haben bisher nicht die
erforderliche Zustimmung des Bundesrates erhalten. Ein Vorschlag des angerufenen Vermittlungsausschusses liegt
noch nicht vor.
II.
5
1. a) Die Sächsische und die Bayerische Staatsregierung begehren mit ihren Normenkontrollanträgen vom 15. Juni
2001 (1 BvF 1/01) und vom 2. Juli 2001 (1 BvF 2/01) die Feststellung, das Gesetz zur Beendigung der
Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften sei insgesamt, hilfsweise seien
einzelne seiner Vorschriften wegen Verstoßes gegen das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates sowie gegen
Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG mit dem Grundgesetz unvereinbar und daher
nichtig.
6
Das Gesetz verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 GG, weil es mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft die Ehe imitiere
und dem in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen Differenzierungs- und Abstandsgebot durch Übernahme von Regeln
widerspreche, die in unverwechselbarer Weise den Kern und die Struktur von Ehe und Familie prägten. Außerdem
beschränke das Gesetz in einer Art. 14 Abs. 1 GG verletzenden Weise die Testierfreiheit der Lebenspartner, greife in
verfassungswidriger Weise in das Elternrecht des nicht sorgeberechtigten Elternteils nach Art. 6 Abs. 2 GG ein und
verletze mangels steuerrechtlicher Berücksichtigung der gesetzlichen Unterhaltspflicht von Lebenspartnern Art. 3
Abs. 1 GG.
7
b) Die Antragstellerinnen beantragen, das angegriffene Gesetz im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur
Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht in Kraft treten zu lassen, hilfsweise außer Vollzug zu setzen. Eine
einstweilige Anordnung sei dringend geboten, da das Gesetz eine verfassungsrechtlich angreifbare, grundlegende
Umgestaltung des Ehe und Familie ordnenden Rechts zur Folge habe, die auch nicht für einen begrenzten Zeitraum
wirksam werden dürfe, um dann rückwirkend wieder hinfällig zu werden. Auch könne den Antragstellerinnen nicht
zugemutet werden, eine politisch derart bedeutsame Regelung des Bundes durch Bestimmung von Zuständigkeiten
anwendbar zu machen, bevor eine verbindliche Feststellung zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung getroffen sei.
Die Länder seien im Übrigen zu Regelungen im Personenstandswesen nicht befugt, weil der Bund diese Materie
abschließend geregelt habe.
8
Das In-Kraft-Treten des Gesetzes und seine spätere Aufhebung wegen Verfassungswidrigkeit führten zu
unzumutbaren Rechtsunsicherheiten für Lebenspartner, aber auch für Dritte wie Vermieter, Erben oder
Geschäftspartner. Es sei nicht hinreichend geklärt, welche Konsequenzen die Nichtigkeit des Gesetzes für schon
eingetretene Rechtsfolgen hätte. Demgegenüber bestehe kein öffentliches Interesse von besonderem Gewicht an
einem sofortigen In-Kraft-Treten des Gesetzes. Für die Betroffenen verzögere sich lediglich die Möglichkeit, eine
eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen zu können. Es liege auch in ihrem wohlverstandenen Interesse, ein
gültiges und nicht ein möglicherweise verfassungswidriges Gesetz zur Grundlage ihrer Bindungen zu machen.
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2. a) Nach Auffassung der Bundesregierung sind die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unbegründet,
da schon die Normenkontrollanträge offensichtlich unbegründet seien. Das angegriffene Gesetz stärke gegenseitige
Verantwortung und diene dem Abbau noch immer bestehender Diskriminierungen Homosexueller. Es verstoße nicht
gegen Art. 6 Abs. 1 GG und das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates.
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b) Bei Erlass einer einstweiligen Anordnung drohten dem gemeinen Wohl schwere Nachteile. In Ermangelung eines
Zeugnisverweigerungsrechts würden Partner weiterhin gezwungen, gegeneinander auszusagen, was ihre Beziehung
intensiv belasten würde. Auch andere Rechte gingen endgültig verloren. So erlitte der vermögensschwächere
Lebenspartner Nachteile beim Vermögensausgleich. Bei zwischenzeitlichem Versterben eines Partners drohten dem
Überlebenden irreparable Nachteile durch das Fehlen eines gesetzlichen Erbrechts. Schutzvorschriften für Gläubiger
und die Allgemeinheit träten nicht in Kraft. Auch Kinder könnten schwere Nachteile erleiden, wenn Regelungen, die
ihrem Wohl dienten, nicht zum Einsatz kommen könnten.
11
Demgegenüber entstünden, wenn die einstweilige Anordnung unterbliebe, sich das Gesetz aber später als
verfassungswidrig erwiese, keine erheblichen Nachteile für das gemeine Wohl. Geschlossene Lebenspartnerschaften
wären mangels gesetzlicher Grundlage nichtig. Eingetretene Rechtsfolgen könnten rückgängig gemacht werden. Im
Übrigen seien sich die Betroffenen der Belastung ihrer Hoffnung bewusst.
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3. Zu den Anträgen haben sich auch die Landesregierung Schleswig-Holstein und der Senat der Freien und
Hansestadt Hamburg schriftlich geäußert. Sie haben sich ebenso wie der Bundestag der Stellungnahme der
Bundesregierung angeschlossen. Demgegenüber unterstützt der Freistaat Thüringen die Anträge auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung. Alle Beteiligten haben sich in der mündlichen Verhandlung am 11. Juli 2001 geäußert und
ihre schriftlich unterbreiteten Stellungnahmen bestärkt.
B.
13
Die Anträge sind zulässig, aber unbegründet.
I.
14
Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig
regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen
wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit
des angegriffenen Gesetzes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der in der
Hauptsache gestellte Antrag ist insgesamt unzulässig oder offensichtlich unbegründet.
15
Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten
würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Normenkontrollverfahren aber Erfolg hätte, gegenüber
den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die angegriffene Regelung außer Vollzug gesetzt, sie sich aber im
Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß erweisen würde (vgl. BVerfGE 91, 320 <326>; stRspr). Dabei ist, wenn
die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt wird, ein besonders strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE
3, 41 <44>; 83, 162 <171>; stRspr). Das Bundesverfassungsgericht darf von seiner Befugnis, ein Gesetz außer Kraft
3, 41 <44>; 83, 162 <171>; stRspr). Das Bundesverfassungsgericht darf von seiner Befugnis, ein Gesetz außer Kraft
zu setzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen (vgl. BVerfGE 82, 310 <313>), ist doch der Erlass einer
einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers.
Nur dann darf deshalb ein Gesetz vorläufig außer Kraft gesetzt werden, wenn die Nachteile, die mit seinem In-Kraft-
Treten bei späterer Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit verbunden wären, in Ausmaß und Schwere die
Nachteile deutlich überwiegen, die im Falle der vorläufigen Verhinderung eines sich als verfassungsgemäß
erweisenden Gesetzes einträten. Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts darf nicht zu einem Mittel werden, mit
dem im Gesetzgebungsverfahren unterlegene Beteiligte das In-Kraft-Treten des Gesetzes verzögern können (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 2001 - 2 BvQ 48/00 -, S. 8 f. des Umdrucks).
II.
16
Die Normenkontrollanträge sind zulässig und nicht offensichtlich unbegründet.
17
Dies gilt zum einen für die von den Antragstellerinnen vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das
Zustandekommen des Gesetzes ohne Zustimmung des Bundesrates und seine Abtrennung vom
Regelungsgegenstand des noch nicht zustande gekommenen Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetzes. Es
betrifft zum anderen die Frage, ob das Gesetz mit Art. 6 Abs. 1 GG in Einklang steht und darüber hinaus noch weitere
Grundrechtsverletzungen mit sich bringt. Beides bedarf der Klärung im Hauptsacheverfahren und lässt sich nicht ohne
weiteres anhand der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung oder mit Hilfe des rechtswissenschaftlichen Schrifttums
eindeutig beantworten.
III.
18
Bei offenem Ausgang des Normenkontrollverfahrens sind die jeweils eintretenden Folgen gegeneinander abzuwägen.
19
1. Bei einem In-Kraft-Treten des angegriffenen Gesetzes sind irreversible Nachteile für das Institut der Ehe nicht zu
erwarten. Das rechtliche Fundament der Ehe erfährt keine Veränderung. Sämtliche Regelungen, die der Ehe einen
rechtlichen Rahmen geben und das Institut mit Rechtsfolgen ausstatten, bleiben unabhängig davon, ob das Gesetz in
Kraft tritt oder nicht, unberührt. Ob die Einführung des neuen Instituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit
seinen der Ehe zum Teil nachgebildeten Rechtsfolgen einem aus Art. 6 Abs. 1 GG hergeleiteten Abstands- oder
Differenzierungsgebot zuwiderläuft, ist eine verfassungsrechtliche Frage, die bei der Entscheidung über den Erlass
einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich außer Betracht zu bleiben hat (vgl. BVerfGE 3, 34 <37>).
20
2. Das zur Prüfung gestellte Gesetz ist auch vollziehbar. Die Länder sind nicht daran gehindert, in eigener
Kompetenz hierzu Ausführungsgesetze zu erlassen (vgl. Art. 83, 84 Abs. 1 GG), solange und soweit der
Bundesgesetzgeber für diesen neuen Regelungsbereich von seiner Gesetzgebungszuständigkeit noch nicht durch
Gesetz Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG).
21
Unterschiedliche Ausführungsgesetze der Länder über die Zuständigkeit und das Verfahren hinsichtlich des
Personenstandes der eingetragenen Lebenspartnerschaft führen auch nicht zu einem problematischen Mangel an
Transparenz im Personenstandswesen. Landesbezogene Unterschiede sind vielmehr Ausdruck der grundgesetzlichen
föderalen Kompetenzzuweisung. Die schon vorliegenden Gesetze und Gesetzentwürfe der Länder zeigen, dass die
Gefahr mangelnder Nachweisbarkeit des Personenstandes nicht besteht. Im Übrigen liegt es in der
Entscheidungsgewalt der Antragstellerinnen selbst, in Abstimmung mit den anderen Ländern durch Erlass
entsprechender Gesetze einer solchen Gefahr entgegenzuwirken und damit dem von ihnen insoweit befürchteten
Nachteil abzuhelfen.
22
3. Sollte sich das Gesetz nach seinem In-Kraft-Treten später als verfassungswidrig und damit nichtig erweisen,
entfiele - wovon auch die Antragstellerinnen ausgehen - rückwirkend die rechtliche Grundlage für eingetragene
Lebenspartnerschaften und damit auch der sich hierauf gründende personenrechtliche Status. § 79 BVerfGG setzt
eine solche Rückwirkung implizit als Regelfall voraus, indem er hiervon Ausnahmen bildet. Seine sinngemäße
Anwendung auch auf Privatrechtsverhältnisse ist insbesondere für abgewickelte Rechtsbeziehungen bejaht worden
(vgl. BVerfGE 32, 387 <389>; 97, 35 <48>; 98, 365 <402>). Um einen solchen Fall handelt es sich jedoch nicht, wenn
ein Personenstand neu geschaffen wird, der schon gesetzlich so ausgestaltet ist, dass Mängel bei seiner Begründung
im Einzelfall nicht nur zur Aufhebbarkeit, sondern zur rückwirkenden Unwirksamkeit führen (vgl. Schwab, FamRZ
2001, S. 385 <388>).
23
Sind mit der Begründung eingetragener Lebenspartnerschaften bereits Rechtsfolgen zwischen den Partnern wie auch
im Verhältnis zu Dritten eingetreten, müssten sie im Falle der Nichtigkeit des Gesetzes rückabgewickelt werden,
soweit dies rechtlich und tatsächlich möglich ist. Wie jede nachträgliche Feststellung rechtlicher Unwirksamkeit hätte
das die Notwendigkeit der Klärung noch offener Rechtsfragen, gegebenenfalls durch die Gerichte, zur Folge. Die
Rechtsordnung stellt Regeln und Verfahren bereit, wie solche Probleme zu lösen sind, die auf unwirksamen
privatrechtlichen Rechtsgeschäften, auf fehlerhaften Verwaltungsakten oder auch auf der Verfassungswidrigkeit von
Gesetzen beruhen können. Diese Vorkehrungen verhindern den Eintritt von Rechtsunsicherheit.
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Auch vorliegend sind keine Folgen zu befürchten, die über das übliche Maß bei sonstigen Verfahren vor dem
Bundesverfassungsgericht hinausgehen, in denen Neuregelungen des Gesetzgebers auf dem verfassungsrechtlichen
Prüfstand stehen. Das angegriffene Gesetz stellt insofern auch im Hinblick auf die Vielzahl geänderter Gesetze keine
verfassungsrechtlich erhebliche Besonderheit dar. Allein die Ungewissheit, ob eine gesetzliche Neuregelung mit
Rechtsfolgen für den Rechtsverkehr zwischen Privaten vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat, und die
damit verbundene Möglichkeit, dass schon erfolgte Rechtswirkungen rückgängig gemacht werden müssten,
rechtfertigen es nicht, einem Gesetz im Wege der einstweiligen Anordnung die vom Gesetzgeber gewollte Wirkkraft
zu nehmen. Anderenfalls hätte ein Angriff gegen noch nicht in Kraft getretene Normen regelmäßig ihre Aussetzung zur
Folge.
25
4. Allerdings könnten bestimmte Rechtsfolgen, die das Gesetz vorsieht, bei ihrem Eintritt und Vollzug nicht mehr
rückgängig gemacht werden, auch wenn sich das Gesetz später als verfassungswidrig erweisen würde und nichtig
wäre. Die dadurch bewirkten Nachteile überwiegen jedoch nicht eindeutig diejenigen, die einträten, wenn die
einstweilige Anordnung erginge, das Gesetz sich jedoch später als verfassungsgemäß erwiese. Dies gilt auch für
mögliche Nachteile in den Bereichen des Erbrechts, der Einbürgerung und der Zeugnisverweigerungsrechte.
26
a) Dem Nachteil, der für das Erbrecht anderer Erbberechtigter eintreten könnte, wenn bei Tod eines Lebenspartners
der überlebende Partner das gesetzliche Erbe angetreten und das Ererbte verbraucht hätte, bevor die
Verfassungswidrigkeit des Gesetzes festgestellt wäre, steht der Nachteil gegenüber, den der überlebende
Lebenspartner erfahren würde, wenn die einstweilige Anordnung erginge, das Gesetz sich jedoch als
verfassungsgemäß herausstellte. Durch den Entzug der Möglichkeit, eine eingetragene Lebenspartnerschaft
einzugehen, wäre der gesetzliche Erbanspruch endgültig vereitelt. Die Möglichkeit testamentarischer oder
erbvertraglicher Regelung schafft keinen vollwertigen Ersatz für die gesetzliche Regelung. Dies und die durch die
einstweilige Anordnung fortdauernde Belastung einer Lebenspartnerschaft, für einen möglicherweise nahenden
Todesfall nicht anderweitig entsprechend Sorge tragen zu können, lassen diesen Nachteil für den überlebenden
Lebenspartner mindestens gleich schwer wiegen wie den, der im anderen Fall bei den sonstigen Erbberechtigten
drohte.
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b) Ein schwerer Nachteil für das gemeine Wohl ist angesichts der allenfalls kleinen Zahl der in der Zeit bis zur
Entscheidung in der Hauptsache zu erwartenden Einbürgerungen ebenfalls nicht zu erkennen. Schwer ist hingegen der
Nachteil, der Lebenspartner träfe, wenn das Gesetz zunächst nicht in Kraft träte, sich jedoch später als
verfassungsgemäß erwiese. Sie müssten nicht nur vorübergehend auf eine Einbürgerung verzichten, sondern stünden
in der fortdauernden Gefahr oder Situation, ihre Partnerschaft auf Grund der Beendigung von Aufenthaltsrechten oder
der Versagung einer Einreise nicht mehr oder gar nicht in der Bundesrepublik leben zu können. Die damit verbundene
Belastung jedes einzelnen Partners und ihrer Partnerschaft mit möglicherweise irreparablen Folgen für das
Zusammenleben ist auch im Lichte des Persönlichkeitsschutzes von Art. 2 Abs. 1 GG hoch zu gewichten.
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c) Der Schaden, der der Rechtsordnung und dem Rechtsvertrauen in die Richtigkeit von gerichtlichen
Entscheidungen dadurch zugefügt werden könnte, dass Urteile wegen des Lebenspartnern durch das Gesetz
eingeräumten Zeugnisverweigerungsrechts auf der Basis einer eingeschränkten Sachverhaltsaufklärung ergingen,
erscheint nicht schwerer als der Schaden, der unwiderruflich für das Zusammenleben von Partnern entstehen könnte,
wenn durch Nicht-In-Kraft-Treten des Gesetzes ein Lebenspartner gegen den anderen mangels eines
Zeugnisverweigerungsrechts aussagen müsste und damit die Aussage nicht mehr aus der Welt zu schaffen wäre und
zwischen den Partnern stünde.
29
5. Schon wenn die jeweiligen Nachteile der abzuwägenden Folgekonstellationen einander in etwa gleichgewichtig
gegenüberstehen, gebietet es die gegenüber der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers notwendige Zurückhaltung des
Gerichts, das angegriffene Gesetz nicht am In-Kraft-Treten zu hindern, bevor geklärt ist, ob es vor der Verfassung
Bestand hat. Für die zuvor angeführten Fälle irreversibler Folgen ist zumindest diese Gleichwertigkeit festzustellen.
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Bei einer Gesamtbetrachtung des Gesetzes überwiegen indessen die Nachteile bei Erlass der beantragten
einstweiligen Anordnung eindeutig. Würde das Gesetz vorläufig außer Vollzug gesetzt, erwiese es sich jedoch später
als verfassungsgemäß, träte zwar keine Rechtsunsicherheit ein; es wären auch keine Rechtsbeziehungen
rückabzuwickeln, aber es käme zu endgültigen Rechtsverlusten bei allen durch das Gesetz begünstigten Personen.
Das beträfe sämtliche Bereiche, die einer privatrechtlichen Gestaltung ganz oder teilweise verschlossen sind. Dass
es sich dabei um nicht unerhebliche Rechtsfolgen handelt, gestehen auch die Antragstellerinnen zu, die gerade aus
diesem Grunde die Aussetzung des Gesetzes anstreben. Die Folgen der einstweiligen Anordnung bewirken auch dann
einen Rechtsverlust und nicht eine bloße Rechtsverhinderung, wenn das Bundesverfassungsgericht schon vor In-
Kraft-Treten entscheidet, denn schon mit der Verkündung hat der Gesetzgeber den Begünstigten die Rechte
zuerkannt. Diese Rechtspositionen verlieren sie bis zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
unwiderruflich.
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Die genannten Nachteile wiegen umso schwerer, als der Gesetzgeber Personen erstmals Rechte zuerkennt, die
ihnen zu einer besseren Entfaltung ihrer Persönlichkeit verhelfen und die zum Abbau langdauernder Diskriminierungen
führen sollen. Ein zumindest vorläufiger Entzug dieser gesetzlich eingeräumten Rechte im Wege einer einstweiligen
Anordnung rechtfertigte sich nur bei anderenfalls eintretenden schwerwiegenderen Nachteilen für das gemeine Wohl.
Solche sind hier nicht zu erkennen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist deshalb nicht geboten.
Papier
Jaeger
Haas
Hömig
Steiner
Hohmann-Dennhardt
Hoffmann-Riem
Bryde
Abweichende Meinung
des Vizepräsidenten Papier, der Richterin Haas und des Richters Steiner
zum Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2001
- 1 BvQ 23/01 -
- 1 BvQ 26/01 -
32
Wir stimmen der Entscheidung des Senats nicht zu. Nach unserer Auffassung sind die Anträge begründet. Der
Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Abwehr einer Gefahr für das gemeine Wohl im Sinne des § 32 Abs. 1
BVerfGG dringend geboten.
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Der Senat geht zutreffend davon aus, dass die Normenkontrollanträge der Bayerischen und der Sächsischen
Staatsregierung weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet sind, und sich somit die Entscheidung darüber, ob
eine einstweilige Anordnung zu ergehen hat oder nicht, nach einer Folgenabwägung richtet. Im Unterschied zu der
Senatsmehrheit sind wir jedoch der Auffassung, dass die Nachteile, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung
nicht erginge, das zur Prüfung gestellte Gesetz aber später für verfassungswidrig und nichtig erklärt würde, eindeutig
schwerer wiegen als diejenigen Nachteile, die entstünden, wenn das Gesetz nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt in
Kraft träte, sich aber im Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß erwiese.
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Würde das zur Prüfung gestellte Gesetz wie vorgesehen am 1. August 2001 in Kraft treten, hätte dies für eine
unüberschaubare Zahl von Rechtsvorgängen und insbesondere für den allgemeinen Rechtsverkehr gravierende
Auswirkungen. Das Gesetz knüpft an die ab diesem Zeitpunkt mögliche Begründung einer eingetragenen
Lebenspartnerschaft eine Fülle unmittelbarer und mittelbarer Rechtsfolgen, die sich auf die unterschiedlichsten
Lebensbereiche erstrecken. Zu den im Lebenspartnerschaftsgesetz (Art. 1 LPartDisBG) selbst geregelten
Rechtswirkungen, etwa im Bereich des Namens-, des Kindschafts-, des Unterhalts- oder des Erbrechts, und den
zahlreichen Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Art. 2 LPartDisBG) treten umfangreiche weitere
Rechtsänderungen, die sich auf nicht weniger als 61 Gesetze und Rechtsverordnungen des Bundes verteilen (Art. 3
LPartDisBG). Betroffen sind nicht nur das Staatsangehörigkeitsgesetz, das Ausländergesetz und die
Prozessordnungen, sondern selbst Gesetze wie das Bundeskleingartengesetz, das Milch- und Margarinegesetz sowie
das Fahrlehrergesetz.
35
Hätte der Antrag, das zur Prüfung gestellte Gesetz für nichtig zu erklären, im Hauptsacheverfahren Erfolg, wäre in
jedem einzelnen Fall der bis dahin begründeten Lebenspartnerschaften im Sinne des Gesetzes bereits eine Vielzahl
von Rechtswirkungen eingetreten, die nicht nur das Rechtsverhältnis der Lebenspartner untereinander, sondern auch
dasjenige zu Dritten beträfen. Es kann sich hierbei sowohl um bereits vollständig abgewickelte als auch um noch
nicht beendete Sachverhalte handeln. Die Feststellung der Nichtigkeit des Gesetzes würde zunächst die Frage nach
dem Fortbestand der bis zu diesem Zeitpunkt eingetragenen Lebenspartnerschaften aufwerfen. Ungeklärt ist, ob der
einmal begründete personenstandsrechtliche Status ex nunc oder ex tunc entfiele. Darüber hinaus wäre eine
Abwicklung oder Rückabwicklung der in den verschiedensten Lebens- und Rechtsbereichen eingetretenen Folgen -
sofern überhaupt rechtlich und tatsächlich möglich - mit erheblichen Schwierigkeiten und unabsehbaren Folgen für den
Rechtsverkehr verbunden. Die Rechtssicherheit wäre hierdurch - was die Senatsmehrheit verkennt - in nicht
hinnehmbarer Weise beeinträchtigt.
36
Demgegenüber fallen die Nachteile, die mit einem Hinausschieben des In-Kraft-Tretens des sich im
Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß erweisenden Gesetzes verbunden wären, weniger schwer ins Gewicht.
Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Personen, die eine Lebenspartnerschaft im Sinne des Gesetzes
eingehen wollen, bereits nach der derzeitigen Rechtslage ihre Rechtsbeziehungen in weiten Bereichen durch einseitige
oder wechselseitige Willenserklärungen in ihrem Sinne ordnen können. So steht es den Betroffenen etwa frei, sich
testamentarisch oder durch Erbvertrag als Erben einzusetzen. Die Auffassung der Senatsmehrheit, die Lebenspartner
könnten für den möglichen Todesfall nach derzeitigem Recht keine ausreichende Sorge tragen, überzeugt nicht.
Ebenso können die Betroffenen sich auch heute schon beispielsweise wirksam ein Besuchsrecht für den Fall eines
künftigen Krankenhausaufenthalts oder die Berechtigung zur Entgegennahme von Auskünften über den
Gesundheitszustand des Partners durch entsprechende Erklärung sichern. Soweit das noch nicht in Kraft getretene
Gesetz Rechtsvorteile gewährt, die sich ohne gesetzliche Grundlage nicht erlangen lassen, werden diese den
Betroffenen nur für den Zeitraum vorenthalten, den das Bundesverfassungsgericht für die Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtsvorteile in der Hauptsache benötigt. Dies ist zumutbar; denn gesicherte
Rechtspositionen werden den Betroffenen entgegen der Auffassung der Senatsmehrheit nicht entzogen.
Papier
Haas
Steiner