Urteil des BVerfG vom 03.07.2006

BVerfG: squeeze out, unverletzlichkeit der wohnung, verfassungsbeschwerde, tatverdacht, straftat, firma, bezogener, verein, strafverfahren, ermittlungsverfahren

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 299/06 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau S...,
gegen a) den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 27. Dezember 2005 - 6 Qs 97/05 -,
b)
den Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 29. Oktober 2004 - 28 Gs 846/04 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Broß,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 3. Juli 2006 einstimmig beschlossen:
Der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 29. Oktober 2004 - 28 Gs 846/04 - und der Beschluss des
Landgerichts Stuttgart vom 27. Dezember 2005 - 6 Qs 97/05 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht
aus Artikel 13 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das
Landgericht Stuttgart zurückverwiesen.
Das Land Baden-Württemberg hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
A.
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Durchsuchung der Wohn- und Büroräume einer Nichtbeschuldigten im Zuge
strafrechtlicher Ermittlungen.
I.
2
Ab März 2004 ermittelte die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen die Beschuldigten W., einen bundesweit bekannten
Schützer von Minderheitsaktionären, sowie K. und L. wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das
Insiderhandelsverbot.
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1. Am 8. Juni 2004 ordnete das Amtsgericht Stuttgart die Durchsuchung der Wohn- und Büroräume der
Beschuldigten an. Den Durchsuchungsbeschlüssen lag folgende Verdachtsannahme zu Grunde:
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Im Dezember 2001 habe die A. GmbH, die dem österreichischen Geschäftsmann K. zuzurechnen sei, 94,5 % des
Grundkapitals der deutschen Firma A. AG, erworben. In der Folgezeit habe die A. GmbH ihre Absicht kundgetan,
nach den gesetzlichen Vorschriften über den Ausschluss der verbleibenden Minderheitsaktionäre gegen eine
angemessene Barabfindung (sog. squeeze-out) die Aktien der Minderheitsaktionäre der A. AG zu übernehmen. Im
Rahmen der am 10. Juli 2002 veröffentlichten Einladung zur Hauptversammlung der A. AG sei erklärt worden, man
werde in der Hauptversammlung als angemessene Barabfindung den Betrag von 34,50 € je Aktie vorschlagen.
5
Ab Anfang 2002 habe der Zeuge S. dem Geschäftsmann K. "seine Hilfe zur Schaffung einer einvernehmlichen
Regelung mit den Minderheitsaktionären" angeboten und diesem gegenüber erklärt, insbesondere die Beschuldigten
W. und L. seien keinesfalls bereit, ihre Aktien zu einem Preis von rd. 35 € abzugeben, er könne insoweit aber zu einer
einvernehmlichen Lösung gegen entsprechendes Entgelt verhelfen. Im Rahmen der hierauf geführten Verhandlungen
habe K. dem Zeugen S. spätestens am 22. Juli 2002 mitgeteilt, man werde den Aktionären eine Barabfindung von
56 € anbieten. Hierauf sei am 21. August 2002 in einem von Minderheitsaktionären beim Landgericht Stuttgart
angestrengten Zivilrechtsstreit gegen die A. AG ein entsprechender Prozessvergleich protokolliert und die Nachricht
noch am selben Tag mittels einer Ad-hoc-Mitteilung publiziert worden. Es bestehe der Verdacht, der Zeuge S. habe
die Absicht des Geschäftsmanns K., eine Barabfindung von 56 € anzubieten, zu einem noch näher zu ermittelnden
Zeitpunkt - mittelbar oder unmittelbar - den Beschuldigten als Primär- oder Sekundärinsidern zur Kenntnis gegeben
oder diese hätten die Insidertatsache in sonstiger Weise erfahren. Der Beschuldigte K. habe am 16. Juli 2002
Kaufaufträge über insgesamt 600 A.-Aktien für die J. GmbH erteilt, wodurch diese in Folge des späteren Kurssprungs
einen Kursgewinn von 10.000 € erzielt habe. Die Beschuldigten L. und W. hätten durch ihre am 30. Juli
beziehungsweise 20. August 2002 in Auftrag gegebenen Aktienkäufe Kursgewinne in Höhe von 3.850 €
beziehungsweise 10.633,68 € erzielt. Es bestehe der Verdacht des verbotenen und strafbaren Insiderhandels gemäß
§§ 14 Abs. 1 Ziff. 1, 38 Abs. 1 Ziff. 1 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG).
6
2. Am 6. Oktober 2004 wurden die Durchsuchungen bei den Beschuldigten und bei dem Zeugen S. im Wesentlichen
ergebnislos vollzogen.
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In seiner Vernehmung vom 6. Oktober 2004 gab der Zeuge S. an, die Beschwerdeführerin und den Beschuldigten K.
nicht zu kennen. Zu dem Beschuldigten W. habe er im Vorfeld der Ad-hoc-Mitteilung keinen Kontakt gehabt.
8
In seiner Vernehmung vom selben Tage ließ sich der Beschuldigte W. dahingehend ein, er habe bereits ab März
2002 wiederholt Aktien der A. AG erworben, weil er aus allgemein zugänglichen Informationsquellen neben anderen
Gesellschaften auch die A. AG als Squeeze-out-Kandidatin identifiziert habe. Seine Kaufentscheidung habe er auch
auf den – nachweislich - angeforderten Squeeze-out-Bericht der A. AG gestützt.
9
3. Am 29. Oktober 2004 ordnete das Amtsgericht Stuttgart die Durchsuchung der Wohn- und sonstigen Räume der
Beschwerdeführerin sowie eines weiteren Zeugen, K., gemäß § 103 StPO an. Der Wortlaut des
Durchsuchungsbeschlusses entspricht demjenigen der Beschlüsse vom 8. Juni 2004. Sichergestellt werden sollten
sämtliche Unterlagen und sonstige Aufzeichnungen, insbesondere Verkaufsaufträge, Depotauszüge und anderes,
Gesprächsnotizen und Schriftverkehr des Beschuldigten W. und Dritter, den An- und Verkauf von Aktien der Firma A.
AG im Juli 2002 betreffend sowie hierauf bezogene Verhandlungsunterlagen und Gesprächsnotizen, auch
Aufzeichnungen bezüglich hierauf bezogener Gespräche oder sonstiger Vereinbarungen des Beschuldigten W. mit den
Mitbeschuldigten L., K. beziehungsweise der Firma J. GmbH und dem Verein A. und den Zeugen S., P. und K.
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4. Die Durchsuchung wurde am 30. November 2004 ergebnislos vollzogen.
11
5. Am 4. November 2005 wurde das gegen die Beschuldigten W. und K. gerichtete Ermittlungsverfahren gemäß
§ 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Gegen den Beschuldigten L. wurde Strafbefehlsantrag gestellt.
12
6. In der gegen den Durchsuchungsbeschluss vom 29. Oktober 2004 gerichteten Beschwerde vom 30. November
2005 bemängelt die Beschwerdeführerin das Fehlen eines Tatverdachts im Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung.
Der Zeuge S. habe rund drei Wochen zuvor angegeben, mit dem Beschuldigten W. bis zur Ad-hoc-Mitteilung am
21. August 2002 keinerlei Kontakt gehabt zu haben. Mit der Erwähnung seines Namens habe er lediglich "Politik"
betreiben wollen. Im Hinblick darauf, dass auch die am 6. Oktober 2004 vollzogenen Durchsuchungen keine den
Tatverdacht gegen W. erhärtenden bzw. auf die Beschwerdeführerin als mögliche Informationsübermittlerin
hinweisenden Unterlagen zutage gefördert hätten, sei nicht ersichtlich, welche relevanten Spuren oder Unterlagen in
der Wohnung der Beschwerdeführerin hätten gefunden werden können. Allein der Umstand, dass die Zeugin mit dem
Beschuldigten bekannt gewesen sei, sei dafür nicht ausreichend gewesen.
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7. Mit dem angegriffenen Beschluss des Landgerichts vom 27. Dezember 2005 wurde die Beschwerde als
unbegründet verworfen.
14
Bei Beschlusserlass habe ein Tatverdacht vorgelegen; denn die Beschwerdeführerin sei Geschäftsführerin und
Gesellschafterin der J. GmbH, für die der Beschuldigte K. die in Rede stehenden Aktien erworben habe. Nähere
Hinweise zu möglichen Vorkontakten zwischen den Beschuldigten und der Beschwerdeführerin ergäben sich aus den
für die Durchsuchenden, die Beschwerdeführerin und die für die Überprüfung Zuständigen erkennbaren Umständen.
Die durchsuchenden Beamten hätten beim Zugang zum Durchsuchungsobjekt auf dem Briefkasten der
Beschwerdeführerin festgestellt, dass dort eine Reihe von Firmennamen vermerkt gewesen seien, darunter der der J.
GmbH, die auch im Durchsuchungsbeschluss erwähnt werde. Die Beschwerdeführerin sei sich dessen bei der
Durchsuchung auch bewusst gewesen und habe mitgeteilt, dass sie und der Beschuldigte K. Geschäftsführer der J.
GmbH seien, die hier ihren Sitz habe. Die Beschwerdeführerin habe unverzüglich den Beschuldigten K. angerufen, der
kurz darauf am Durchsuchungsort eingetroffen sei. Die Beschwerdeführerin habe zudem vorab erklärt, sie habe von
der bereits im Oktober 2004 vollzogenen Durchsuchung beim Beschuldigten K. erfahren, weshalb man schon aus
diesem Grunde nicht davon ausgehen könne, bei ihr etwas zu finden. Damit seien sich die Durchsuchenden und die
Beschwerdeführerin durchaus der Zusammenhänge bewusst gewesen, und der Schluss von den vorliegenden
Erkenntnissen auf einen möglichen Durchsuchungserfolg sei trotz des Hinweises auf die Kenntnis von der zuvor
erfolgten Durchsuchung beim Beschuldigten K. vertretbar.
II.
15
Die Beschwerdeführerin sieht sich in ihren Rechten aus Art. 13 und Art. 3 GG verletzt und rügt die
Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme.
16
Der Tatverdacht sei schon deshalb unsubstantiiert, weil die inkriminierten Aktienkäufe des Beschuldigten K. bereits
am 16. Juli 2002 in Auftrag gegeben worden seien - also zu einem Zeitpunkt, zu dem nach den Darstellungen im
Durchsuchungsbeschluss selbst der Zeuge S. möglicherweise noch nichts von dem erhöhten Übernahmeangebot
gewusst habe. Abgesehen davon sei in dem Durchsuchungsbeschluss eine Mitwirkung der Beschwerdeführerin am
Aktienkauf noch nicht einmal andeutungsweise erwähnt. Sie werde überhaupt nur bei der Angabe des
Durchsuchungsziels erwähnt, ohne dass deutlich werde, was man in ihrer Wohnung zu finden gehofft habe.
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Die Durchsuchung sei angeordnet worden, obwohl sich der unsubstantiierte Tatverdacht nach Durchführung der
anderen Durchsuchungen und der Vernehmung des Zeugen S. restlos verflüchtigt habe. Zu diesem Zeitpunkt sei den
Ermittlungsbehörden bereits bekannt gewesen, dass die J. GmbH grundsätzlich bei Aktiengesellschaften regelmäßig
Aktien zu erwerben suchte, sobald der Zwangsausschluss der Minderheitsaktionäre angekündigt worden sei.
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B.
19
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1
BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die
Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung
der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht
bereits entschieden. Danach ist die Verfassungsbeschwerde in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer
eröffnenden Sinne offensichtlich begründet.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Sie entspricht den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1, § 92
BVerfGG (vgl. BVerfGE 88, 40 <45>; 93, 266 <288>). Die Beschwerdeführerin hat hinreichend substantiiert dargelegt,
dass die von ihr angegriffenen und vorgelegten Durchsuchungsbeschlüsse weder eine Verhältnismäßigkeitsprüfung
enthielten noch einen Bezug zwischen ihr und den damaligen Beschuldigten aufzeigten.
21
2. Der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 29. Oktober 2004 - 28 Gs 846/04 - und der Beschluss des
Landgerichts Stuttgart vom 27. Dezember 2005 - 6 Qs 97/05 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht
aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG.
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a) aa) Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem Einzelnen zur freien
Entfaltung der Persönlichkeit ein elementarer Lebensraum gewährleistet. In seinen Wohnräumen hat er das Recht, in
Ruhe gelassen zu werden. In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend
ein (vgl. BVerfGE 42, 212 <219 f.>; 59, 95 <97>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>). Dem Gewicht dieses Eingriffs und
der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2
GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält. Dieser Richtervorbehalt zielt auf eine
vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 20, 162 <223>; 57,
346 <355 f.>; 76, 83 <91>; 103, 142 <150 f.>).
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bb) Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient auch dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar
und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220>; 103, 142 <151>). Dazu muss der
Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen
die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Dies versetzt den von der Durchsuchung Betroffenen zugleich in den Stand,
die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen
Möglichkeiten von vornherein entgegen zu treten (vgl. BVerfGE 42, 212 <221>; 103, 142 <151 f.>). Um die
Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so
genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212
<220 f.>).
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Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der
Verdacht einer Straftat. Der Verdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte oder bloße
Vermutungen reichen nicht aus (vgl. BVerfGE 44, 353 <381 f.>; 59, 95 <97 f.>; BVerfGK 1, 126 <131>).
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cc) Die Durchsuchung bedarf vor allem einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die
Durchsuchung muss im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck Erfolg versprechend sein.
Ferner muss gerade diese Maßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein; dies ist nicht der
Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in
angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 96, 44
<51>; BVerfG, NJW 2006, S. 976 <982>; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März
2006 - 2 BvR 2099/04 -). Hierbei sind auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren sowie
der Grad des auf verfahrenserhebliche Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten (vgl. BVerfG, NJW
2006, S. 976 <982>; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 -
). Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu
beschlagnahmenden Verbindungsdaten sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Maßnahme entgegenstehen
(vgl. BVerfG, NJW 2006, S. 976 <982>; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006
- 2 BvR 2099/04 -). Der Richter darf die Durchsuchung nur anordnen, wenn er sich aufgrund eigenverantwortlicher
Prüfung der Ermittlungen überzeugt hat, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>).
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b) Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts vom 29. Oktober 2004 genügt nicht den Anforderungen an den
Inhalt eines Durchsuchungsbeschlusses (aa). Beide angegriffenen Entscheidungen haben dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit nicht Rechnung getragen (bb).
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aa) Der Durchsuchungsbeschluss vom 29. Oktober 2004 beschreibt zwar die dem Ermittlungsverfahren zugrunde
liegenden Taten und auch die zu suchenden Gegenstände. Aus ihm geht jedoch nicht hervor, welche Verbindung
zwischen den damals Beschuldigten und den ihnen vorgeworfenen Taten einerseits und der Beschwerdeführerin
andererseits bestehen soll. Ist für die betroffene Zeugin nicht ersichtlich, weshalb sich die Durchsuchungsmaßnahme
gerade gegen ihre Wohnräume richtet, schränkt dies die Messbarkeit und Kontrollierbarkeit der Maßnahme ein. Dem
Betroffenen wird etwa die Möglichkeit genommen, bereits vor Beginn der Durchsuchung eine Klärung offensichtlicher
Unrichtigkeiten herbeizuführen, etwa im Falle einer Personenverwechslung. § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO verlangt für die
Suche nach Beweismitteln bei Dritten die Angabe von Tatsachen, aus denen zu schließen ist, dass sich die gesuchte
Sache gerade in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Schon deshalb hätte es eines zumindest kurzen
Hinweises auf die angenommene Verbindung zwischen der Beschwerdeführerin und den Beschuldigten bedurft (vgl.
dazu auch Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. <2005>, § 103 Rn. 6). Der Durchsuchungsbeschluss erschöpft sich
dagegen in einer Wiederholung des Wortlauts der gegenüber den damaligen Beschuldigten erlassenen
Durchsuchungsbeschlüsse und erwähnt die Beschwerdeführerin überhaupt nur in ihrer Eigenschaft als Inhaberin der
zu durchsuchenden Wohnung. Wird die Durchsuchung auf eine richterliche Anordnung gestützt und nicht
ausnahmsweise auf die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden, reicht es nicht aus, dass sich Anlass und
Zusammenhang der Durchsuchung für den Betroffenen erst aus den Gesamtumständen der Durchsuchung ergeben.
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Die bloße Wiedergabe des Wortlauts der gegenüber den damaligen Beschuldigten ergangenen
Durchsuchungsbeschlüssen und das Fehlen jeglicher auf die Beschwerdeführerin bezogener Erwägungen weckt
zudem erhebliche Zweifel an der eigenständigen richterlichen Prüfung der Durchsuchungsvoraussetzungen; um so
mehr, als auch die verdachtserheblichen Ergebnisse der zwischenzeitlich durchgeführten Durchsuchungen und
Vernehmungen keinerlei Erwähnung finden.
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bb) Beide Beschlüsse sind den vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgehenden Anforderungen an die
Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung nicht gerecht geworden.
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Die Durchsuchung bei einem Nichtbeschuldigten, der durch sein Verhalten auch aus Sicht der Ermittlungsbehörden
in keiner Weise Anlass zu den Ermittlungsmaßnahmen gegeben hat, stellt erhöhte Anforderungen an die Prüfung der
Verhältnismäßigkeit (vgl. auch Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. <2003>, § 103 Rn. 12; Meyer-
Goßner, a.a.O., § 103 Rn. 1).
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(1) Es kann dahinstehen, ob im Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung überhaupt noch ein Verdacht gegen die
Beschuldigten vorlag, dessen Aufklärung die Durchsuchung hätte dienen können. Jedenfalls stand die Anordnung der
Maßnahme mit Rücksicht auf die Schwäche des Tatverdachts und die geringe Auffindewahrscheinlichkeit außer
Verhältnis zur Schwere des damit verbundenen Grundrechtseingriffs.
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(a) Maßgeblich konnte dabei nur der gegen die damals Beschuldigten W. und K. bestehende Tatverdacht sein.
Weder in den angegriffenen Beschlüssen noch dem polizeilichen Vermerk vom 18. Oktober 2004 wird die
Beschwerdeführerin mit dem weiteren Beschuldigten L. in Verbindung gebracht.
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(b) Die Fachgerichte werden den Anforderungen an eine eigenständige Verdachtsprüfung auf der Grundlage der im
Zeitpunkt der Entscheidung bekannten Tatsachen nicht gerecht. Sie gehen nicht darauf ein, dass der für den
Tatvorwurf maßgebliche Zeuge S. in seiner Zeugenaussage vom 6. Oktober 2004 angegeben hatte, weder mit den
Beschuldigten noch mit den von der Durchsuchung betroffenen Zeugen im maßgeblichen Zeitraum Kontakt gehabt zu
haben, ja die Beschwerdeführerin und den Mitgeschäftsführer K. nicht einmal zu kennen. Der dem
Durchsuchungsbeschluss zugrunde liegende Verdacht baute aber gerade darauf auf, der Zeuge S. habe für die
Kursentwicklung der Aktie der A. AG maßgebliche Informationen an die damals Beschuldigten weitergegeben.
Nachdem S. dies ausdrücklich und wiederholt ausgeschlossen hatte und auch die durchgeführten Durchsuchungen
keine gegenteiligen Anhaltspunkte erbracht hatten, standen der Verdachtsannahme gewichtige Gründe entgegen, die
eine Neubewertung verlangten.
34
Hinzu kam, dass der damals Beschuldigte W. bei seiner Vernehmung am 6. Oktober 2004 angegeben hatte, bereits
ab März 2002 Aktien der A. AG erworben zu haben. Die Ermittlungen hatten auch ergeben, dass von ihm im Vorfeld
seiner Kaufaufträge ein Squeeze-out-Bericht der A. AG angefordert worden war. Damit stand vor der Durchsuchung
bei der Beschwerdeführerin fest, dass es auf die A. AG gerichtete konkrete Interessen und von dem Zeugen S.
unabhängige Informationsquellen des W. bereits vor dem mutmaßlichen Tatzeitraum gegeben hatte. Bezogen auf den
damals ebenfalls beschuldigten K. ist zu berücksichtigen, dass dieser durch das gemeinsame Engagement im Verein
A. und weitere gemeinsame Projekte mit W. verbunden war.
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Dabei ist nicht zu verkennen, dass Gerichte und Ermittlungsbehörden keineswegs gehalten waren, den Angaben der
vernommenen Beschuldigten und Zeugen ohne weiteres in vollem Umfang zu folgen. Gegenstand von Ermittlungen
kann auch die Feststellung der Stichhaltigkeit von Angaben vernommener Personen sein. Das aus Sicht der
Ermittlungsbehörden hinsichtlich der damals Beschuldigten W. und K. negative Ermittlungsergebnis verlangte
allerdings eine Bewertung aller Feststellungen sowie eine Konkretisierung der nunmehrigen Verdachtsgrundlagen und
der Stärke des Tatverdachts, bevor man sich zu grundrechtlich schwerwiegenden Maßnahmen gegenüber
Nichtverdächtigen entschloss, die dem unmittelbaren mutmaßlichen Tatgeschehen ferner standen, als die zunächst
von den Ermittlungsmaßnahmen Betroffenen.
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(c) Die Schwächen der Beweisführung betreffend den Informationsfluss zwischen dem Zeugen S. und den damaligen
Beschuldigten konnte das Landgericht auch nicht durch seine nachträglichen Ausführungen zur Geschäftsverbindung
der Beschwerdeführerin und des damaligen Beschuldigten K. überwinden, die allenfalls die Frage betrafen, warum
man gerade die Wohnung der Beschwerdeführerin als weiteres Durchsuchungsobjekt ausgewählt hatte.
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(2) Infolge der bereits durchgeführten Durchsuchungsmaßnahmen, die unter anderem die Geschäftsräume einer
auch von der Beschwerdeführerin geleiteten Gesellschaft und die Wohnung des Mitgeschäftsführers betroffen hatten,
war auch die Auffindewahrscheinlichkeit deutlich herabgesetzt, weil die Beschwerdeführerin sie betreffende
Ermittlungsmaßnahmen zumindest für möglich halten durfte. Im Übrigen durften – wie bereits erwähnt - Anhaltspunkte
für die Erfolgsaussichten der Durchsuchung bei der Beschwerdeführerin nicht aus den Feststellungen der
Polizeibeamten beim Vollzug der Durchsuchungsanordnung gewonnen werden, wenn die Maßnahme auf einen
richterlichen Durchsuchungsbefehl gestützt wird.
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cc) Angesichts der Schwäche des Tatverdachts und der geringen Auffindewahrscheinlichkeit greifen die
Durchsuchungsbeschlüsse unverhältnismäßig in grundrechtliche Positionen der Beschwerdeführerin ein und
vermochten die vorgenommene Durchsuchungsmaßnahme nicht zu rechtfertigen.
III.
39
Die angefochtenen Beschlüsse sind aufzuheben; die Sache ist zur Entscheidung über die Kosten des
Beschwerdeverfahrens an das Landgericht Stuttgart zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BVerfGG).
Gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG sind der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
40
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Broß
Osterloh
Mellinghoff