Urteil des BVerfG vom 01.12.1999

BVerfG: verfassungsbeschwerde, rav, republik, anpassung, rente, verordnung, grundrecht, presse, verwaltung, zugehörigkeit

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 334/98 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn Dr. Sch...,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Professor Dr. Klaus Heuer und Partner,
Sredzkistraße 47, Berlin -
I. unmittelbar gegen
a) das Urteil des Bundessozialgerichts vom 31. Juli 1997 - 4 RA 35/97 -,
b) das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 6. Juni 1996 - L 1 An 25/95 -,
c) das Teilurteil des Sozialgerichts Halle vom 14. November 1994 - S 6 An 137/93 -,
d) die Bescheide der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - 49 160328 S 020 BKZ
6410 SG, 6000 -
II. mittelbar gegen
§ 2 Abs. 2, § 4 Abs. 1 und 3 sowie § 6 Abs. 1 AAÜG in Verbindung mit § 307 b Abs. 1 bis 3 SGB VI
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Kühling,
die Richterin Jaeger
und den Richter Steiner
gemäß § 93 c und § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August
1993 (BGBl I S. 1473) am 1. Dezember 1999 einstimmig beschlossen:
1. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 31. Juli 1997 - 4 RA 35/97 - und das Urteil des Landessozialgerichts
Sachsen-Anhalt vom 6. Juni 1996 - L 1 An 25/95 - sowie der Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte vom 26. Juli 1994 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1
des Grundgesetzes.
Die Urteile werden aufgehoben, soweit in dem Bescheid vom 26. Juli 1994 die Rente nach Maßgabe des § 307
b Absatz 1 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch berechnet ist. Die Sache wird an das Landessozialgericht
zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
2. Das Land Sachsen-Anhalt hat dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
1
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus
Zusatzversorgungssystemen der Deutschen Demokratischen Republik in die gesetzliche Rentenversicherung des
wiedervereinigten Deutschlands. Sie betrifft vor allem das im Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) geregelte
Verfahren für die Berechnung solcher Renten, die aus Bestandsrenten mit Zusatzversorgung der Deutschen
Demokratischen Republik abgeleitet werden.
I.
2
In der Sache greift der Beschwerdeführer die Höhe der Rente an, die in Abänderung früherer Bescheide auf der
Grundlage von § 307 b Abs. 1 SGB VI mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 26. Juli
1994 festgesetzt worden ist; dieser umfaßt auch den Anspruch auf Zusatzversorgung. Daneben werden die Bescheide
angegriffen, die aufgrund der Übergangsbestimmungen des § 23 Abs. 1 des Gesetzes zur Angleichung der
Bestandsrenten an das Nettorentenniveau der Bundesrepublik Deutschland und zu weiteren rentenrechtlichen
Regelungen (Rentenangleichungsgesetz - RAnglG) vom 28. Juni 1990 (GBl I S. 495), des § 6 der Ersten Verordnung
zur Anpassung der Renten in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (1.
Rentenanpassungsverordnung - 1. RAV) vom 14. Dezember 1990 (BGBl I S. 2867), des § 8 der Zweiten Verordnung
zur Anpassung der Renten und zu den maßgeblichen Rechengrößen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages
genannten Gebiet (2. Rentenanpassungsverordnung - 2. RAV) vom 19. Juni 1991 (BGBl I S. 1300) sowie des § 307 b
Abs. 5 SGB VI für die Übergangszeit ab 1. Juli 1990 bis zur Neuberechnung erlassen wurden.
3
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen die hierzu ergangenen Entscheidungen der Verwaltung
und der Sozialgerichtsbarkeit sowie mittelbar gegen die diesen Entscheidungen zugrundeliegenden
Rechtsvorschriften.
II.
4
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des
Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die
Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) liegen vor.
Die für die Beurteilung maßgebliche Frage der Vereinbarkeit von § 307 b Abs. 1 SGB VI mit dem allgemeinen
Gleichheitssatz hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (Urteil vom 28. April 1999, 1 BvR 1926/96 und
1 BvR 485/97, Umdruck S. 33 ff., 47).
5
a) Nach dieser Entscheidung ist die Vorschrift des § 307 b Abs. 1 SGB VI, auf die die mit der
Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteile des Bundessozialgerichts und des Landessozialgerichts sowie der
Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 26. Juli 1994 gestützt sind, mit Art. 3 Abs. 1 GG
unvereinbar, soweit danach bei der Neuberechnung von Bestandsrenten aus Zeiten der Zugehörigkeit zu einem
Zusatz- oder Sonderversorgungssystem der Deutschen Demokratischen Republik für die Ermittlung der persönlichen
Entgeltpunkte (Ost) die während der gesamten Versicherungszeit bezogenen tatsächlichen Arbeitsentgelte oder
Arbeitseinkommen zugrunde gelegt werden, während für die sonstigen Bestandsrentner im Beitrittsgebiet nach § 307
a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI ein 20-Jahres-Zeitraum maßgeblich ist. Die Entscheidungen und der Bescheid verletzen
deshalb den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Gleichbehandlung, da nicht auszuschließen ist, daß das
Berechnungsverfahren des § 307 b Abs. 1 SGB VI für ihn nachteilig ist.
6
b) Die angegriffenen Urteile des Bundessozialgerichts und des Landessozialgerichts sind aufzuheben und die Sache
an das Landessozialgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
7
2. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da sie keine grundsätzliche
Bedeutung hat. Mit den Urteilen vom 28. April 1999 (1 BvL 32/95 und 1 BvR 2105/95, Umdruck S. 74 ff.; 1 BvR
1926/96 und 1 BvR 485/97, Umdruck S. 32 ff., 35 ff., 39 ff.) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß die
Übergangsvorschriften des § 23 Abs. 1 RAnglG, des § 6 1. RAV, des § 8 2. RAV und des § 307 b Abs. 5 SGB VI mit
dem Grundgesetz vereinbar sind. Weiterhin hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß die Vorschrift des § 6
Abs. 1 Satz 1 (in Verbindung mit Anlage 3) AAÜG über die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze nicht zu
beanstanden ist (Urteile vom 28. April 1999, 1 BvL 32/95 und 1 BvR 2105/95, Umdruck S. 60 f.; 1 BvR 1926/96 und 1
BvR 485/97, Umdruck S. 31 f., 45). Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG
abgesehen.
III.
8
Die Verfassungsbeschwerde hat nur teilweise Erfolg. Deshalb ist es angemessen, wenn dem Beschwerdeführer nur
die Hälfte seiner notwendigen Auslagen erstattet wird (§ 34 a Abs. 2 BVerfGG).
Kühling
Jaeger
Steiner