Urteil des BVerfG vom 30.09.2001

BVerfG: verfassungsbeschwerde, schuldfähigkeit, bewährung, kategorie, freiheitsrecht, rechtsstaatsprinzip, verfügung, aufklärungspflicht, bekanntmachung, presse

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1158/01 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S...
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Werner Siebers,
Wolfenbütteler Straße 79, 38102 Braunschweig -
gegen
a)
den Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 31. Mai 2001 - 1 Ws 212/01
-,
b)
den Beschluss des Landgerichts Halle vom 2. April 2001 - 30 StVK 731/00 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Präsidentin Limbach
und die Richter Hassemer,
Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 30. September 2001 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung der Strafrestaussetzung zur Bewährung.
2
1. Der Beschwerdeführer ist wegen einer Reihe von Sexualstraftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt
worden, wobei das sachverständig beratene Tatgericht annahm, eine die Schuldfähigkeit zur Tatzeit erheblich
vermindernde sexuelle Perversion liege nicht vor. Nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe kam im
Strafvollstreckungsverfahren ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zur Prognose im Sinne von § 57 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 StGB zu dem Ergebnis, es liege eine "polymorphe Perversion" vor, die in die Kategorie der schweren
anderen seelischen Abartigkeit gehöre. Auf dieser Grundlage lehnte das Landgericht die Strafrestaussetzung zur
Bewährung ab. Das Oberlandesgericht verwarf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde.
3
2. Der Beschwerdeführer sieht sich in seinem Freiheitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes verletzt. Die divergierenden Aussagen der Sachverständigen hätten weitere
Beweiserhebungen erfordert und in den angegriffenen Entscheidungen zu seinen Gunsten berücksichtigt werden
müssen.
4
3. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a
Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie ist unzulässig, weil sie
nicht hinreichend begründet ist (§§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG).
5
Bezüglich der den Schuldspruch tragenden Feststellungen, einschließlich der Feststellungen zu doppelrelevanten
Tatsachen, ist das im Schuldspruch rechtskräftig gewordene Urteil des Landgerichts Stendal vom 28. Oktober 1997 -
501 KLs 36 Js 232/97 -15/97 - maßgebend. Dieses Urteil hat der Beschwerdeführer nicht mitgeteilt. Daher kann nicht
geprüft werden, ob das im Strafvollstreckungsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten von bindenden
Tatsachenfeststellungen abgewichen ist. Das vorgelegte Urteil vom 9. September 1999 betraf nur den Strafausspruch;
es nahm bezüglich der genannten Feststellungen auf das frühere Urteil Bezug.
6
An die Wertungen im Erkenntnisverfahren zur Frage der Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers zur Tatzeit (§§ 20,
21 StGB) war der Sachverständige im Strafvollstreckungsverfahren im Blick auf seinen Auftrag, eine
Zukunftsprognose zu erstellen, nicht gebunden. Hiervon ist auch das Oberlandesgericht in dem mit der
Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss ausgegangen. Mit der Begründung dieses Beschlusses setzt sich
die Verfassungsbeschwerde-Begründung nicht näher auseinander.
7
Ob die Aufklärungspflicht weitere Beweiserhebungen gebot (vgl. BVerfGE 70, 297 <309>), kann nicht beurteilt
werden, weil im Vorbringen des Beschwerdeführers unklar bleibt, ob die nach seiner Ansicht divergierenden Gutachten
von gleichen Befundtatsachen ausgingen. Der Sachverständige im Strafvollstreckungsverfahren hat eine Devianz im
Sexualverhalten des Beschwerdeführers gegenüber kindlichen Tatopfern und erwachsenen Frauen konstatiert. Ob
dem Sachverständigen im Erkenntnisverfahren, der die Schuldfähigkeit beim sexuellen Kindesmissbrauch zu prüfen
hatte, gleiche Befundtatsachen zur Verfügung standen, ist nicht ersichtlich.
8
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Limbach
Hassemer
Mellinghoff