Urteil des BVerfG vom 11.12.2008

BVerfG: juristische person, verfassungsbeschwerde, patent, papier, krankenversicherung, willkür, krankheit, bevölkerung, vollzug, erfüllung

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1665/08 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der I…, Körperschaft des öffentlichen Rechts,
vertreten durch die Vorstandsvorsitzende,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Holger Grauel,
Dürener Straße 270, 50935 Köln -
gegen
a)
den Beschluss des Bundespatentgerichts, zugestellt am 23. Mai 2008 - 33 W (pat)
154/05 -,
b)
den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 7. November 2005 - 305
- 35 156.7/36 - in Verbindung mit dem Bescheid des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 11. August 2005 - 305 - 35 156.7/36 -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
und die Richter Bryde,
Schluckebier
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 11. Dezember 2008 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Entscheidungen des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA)
und des Bundespatentgerichts, mit denen der Beschwerdeführerin, einer regional schwerpunktmäßig im Rheinland
tätigen Innungskrankenkasse, die Anmeldung der Wortmarke „IKK Nordrhein-Westfalen“ versagt wurde.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig ist (§ 93a Abs. 2
BVerfGG).
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1. Die Beschwerdeführerin als juristische Person des öffentlichen Rechts ist hinsichtlich der von ihr als verletzt
gerügten Rechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 GG zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde
nicht befugt (Art. 19 Abs. 3 GG).
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a) Für öffentlichrechtliche Körperschaften im Allgemeinen und Sozialversicherungsträger und gesetzliche
Krankenkassen im Besonderen gelten die Grundrechte gemäß Art. 19 Abs. 3 GG grundsätzlich nicht. Denn die
Grundrechte sind ihrem Wesen nach nicht auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar, soweit
letztere öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Die Grundrechtsberechtigung hängt namentlich von der Funktion ab, in der
die juristische Person des öffentlichen Rechts von dem beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt betroffen wird.
Besteht diese Funktion in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben, so kann
eine juristische Person sich insoweit nicht auf Grundrechte berufen (vgl. BVerfGE 39, 302 <312 ff.>; 68, 193
<205 ff.>; 70, 1 <15>; 75, 192 <196 f.>). Dies gilt auch für die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG (vgl.
BVerfGE 39, 302 <316>). Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen ist für solche juristische Personen des
öffentlichen Rechts zu machen, die von den ihnen durch die Rechtsordnung übertragenen Aufgaben her unmittelbar
einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind (vgl. BVerfGE 75, 192 <196 f.>).
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b) Die Beschwerdeführerin ist nicht grundrechtsfähig. Sie wird von den angegriffenen Beschlüssen des DPMA und
des Bundespatentgerichts in ihrer Funktion als Trägerin öffentlicher, vom Staat durch Gesetz übertragener und
geregelter Aufgaben betroffen.
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Der Schutz in Fällen von Krankheit ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine der Grundaufgaben
des Staats. Ihr ist der Gesetzgeber nachgekommen, indem er durch Einführung der gesetzlichen
Krankenversicherung als öffentlichrechtlicher Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Großteils der
Bevölkerung Sorge getragen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt hat (vgl. BVerfGE 68,
193 <209>). Die Hauptaufgabe der gesetzlichen Krankenkassen besteht im Vollzug einer zwecks Erfüllung dieser
staatlichen Grundaufgabe geschaffenen detaillierten Sozialgesetzgebung (vgl. BVerfGE 39, 302 <313>). Es lässt sich
nicht feststellen, dass die Einführung wettbewerblicher Elemente in der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. § 173
SGB V) an der Funktion der Krankenkassen als Träger öffentlicher Verwaltung etwas mit der Folge geändert haben
sollte, dass nunmehr die Zuerkennung einer (partiellen) Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen zu erwägen wäre.
Die Hauptaufgabe der gesetzlichen Krankenkassen besteht nach wie vor darin, als Teil der mittelbaren
Staatsverwaltung öffentlichrechtlich geregelten Krankenversicherungsschutz für die Versicherten zu gewähren (vgl.
BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juni 2004 - 2 BvR 1248/03 u.a. -, NVwZ 2005, S. 572
<573>). Der Umstand, dass die gesetzlichen Krankenkassen nach § 4 Abs. 1 SGB V rechtsfähige Körperschaften
des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung sind, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Juristische Personen sind
einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich nicht schon deshalb zugeordnet, weil ihnen Selbstverwaltungsrechte
zustehen (vgl. BVerfGE 61, 82 <103>).
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2. Soweit hinsichtlich der ebenfalls behaupteten Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG die Beschwerdeführerin
als Grundrechtsträgerin in Betracht kommt (vgl. BVerfGE 61, 82 <104> m.w.N.), hat sie eine Rechtsverletzung nicht
substantiiert behauptet (§§ 23, 92 BVerfGG).
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Die Entscheidung eines Gerichts, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, kann zwar gegen die Gewährleistung
des grundrechtsgleichen Rechts auf den gesetzlichen Richter verstoßen. Voraussetzung hierfür wäre nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch das Vorliegen von Willkür; die bloß einfachrechtlich
fehlerhafte Handhabung der Zulassungsvorschriften genügte nicht (vgl. BVerfGE 67, 90 <95>; 87, 282 <284 f.>;
BVerfGK 2, 202 <204>). Willkürlich ist ein Richterspruch nur, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich
vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 4, 1
<7>; 80, 48 <51>; stRspr). Dass dies bei den angegriffenen Entscheidungen der Fall wäre, ist nach dem Vortrag der
Beschwerdeführerin nicht ersichtlich.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Bryde
Schluckebier