Urteil des BVerfG vom 11.04.2008

BVerfG: anstalt, verfassungsbeschwerde, flucht, anerkennung, behandlung, ermessensfehler, ermessensausübung, wiederholungsgefahr, kontrolle, rechtsschutzinteresse

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 866/06 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn L...
gegen
a)
den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 14. März 2006 - 1 Ws 150/05
-,
b)
den Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 3. Juni 2005 - 151 StVK 547/04 -
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Broß,
die Richterin Lübbe-Wolff
und den Richter Gerhardt
am 11. April 2008 einstimmig beschlossen:
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 14. März 2006 - 1 Ws 150/05 - verletzt den Beschwerdeführer
in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Die Entscheidung
wird aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung an das Oberlandesgericht Karlsruhe zurückverwiesen.
Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
I.
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft verfassungsrechtliche Anforderungen an die Gewährung effektiven
Rechtsschutzes nach § 116 Abs. 1 StVollzG.
2
1. Der Beschwerdeführer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe. Die auf 25 Jahre festgesetzte
Mindestverbüßungsdauer wird am 2. November 2014 erreicht sein. Seit 1991 ist er verheiratet; seit 1996 führt er, mit
finanzieller Unterstützung seiner Ehefrau, eine Gesprächstherapie bei dem als Konsiliararzt in der Anstalt tätigen
Facharzt für Psychiatrie Dr. R. durch, um die persönlichkeitsbedingten Ursachen seiner Straftaten aufzuarbeiten.
3
2. In der Fortschreibung des Vollzugsplans vom 9. Mai 2001 wurden dem Beschwerdeführer zwei Ausführungen
jährlich bewilligt, die im Folgenden beanstandungsfrei durchgeführt wurden. Im Rahmen der Vollzugsplankonferenz
vom 14. September 2004 beantragte der Beschwerdeführer die Gewährung von Ausführungen gemäß der
Fortschreibung von 2001, die Gewährung von Begleitausgängen zur Vorbereitung auf die Offene Abteilung sowie die
Anerkennung der Behandlung durch Dr. R. als Alternative zur Sozialtherapie. Sollte bei einer Begutachtung die
Indikation für die Sozialtherapie durch den Gutachter festgestellt werden, werde er sich dieser Empfehlung beugen. Er
strebe einen möglichst langen Aufenthalt in der Offenen Abteilung an, um die Meisterschule absolvieren zu können.
4
3. Die Fortschreibung des Vollzugsplans vom 25. Oktober 2004 hielt fest, dass dem Beschwerdeführer
„Ausführungen zu bzw. in Begleitung seiner engsten Bezugspersonen“ im Sinne der Fortschreibung von 2001 weiter
gewährt würden. Ob dabei die Höchstzahl von zwei Ausführungen jährlich erreicht werden könne, werde davon
abhängen, ob es gelinge, durch Einsparungen an anderer Stelle die dafür erforderlichen Ressourcen zu schaffen.
Ausführungen über die Zeitdauer einer normalen Dienstschicht (acht Stunden) hinaus würden nicht befürwortet. Unter
der Überschrift „Betreffend Behandlungsmaßnahmen“ wird ausgeführt: Aufgrund der verbleibenden Haftzeit sei eine
konkrete Prüfung der Indikation für die Sozialtherapie bisher nicht erfolgt. Gleichwohl sprächen für eine solche
Indikation die begangenen schwersten Straftaten und die Tatsache, dass eine Aufarbeitung dieser Taten und eine
Auseinandersetzung mit Persönlichkeitsdefiziten bisher nicht erkennbar sei; erkennbar sei lediglich, dass der
Beschwerdeführer mit allen Mitteln ausschließlich um seinen eigenen Vorteil bemüht sei. An der Option einer
Sozialtherapie werde weiterhin festgehalten. Die Indikation werde zu gegebener Zeit auch gutachterlich zu prüfen sein;
denkbar sei eine Begutachtung im Jahre 2009. Über weitere Lockerungen sei vor dieser Begutachtung nicht zu
entscheiden.
5
4. Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrte der Beschwerdeführer daraufhin die Anerkennung der
Behandlung durch Dr. R. als Alternative zur Sozialtherapie; er habe einen Anspruch auf fehlerfreie und rechtzeitige
Ermessensausübung auch hinsichtlich der Prüfung der Indikation der Sozialtherapie. Ferner beantragte er die
Verpflichtung zur Gewährung von Begleitausgängen. In der Vollzugsplankonferenz habe er ausdrücklich mitgeteilt,
dass er Begleitausgänge mit seiner Ehefrau, seinen Eltern oder Dr. R. wünsche. Letzterer habe seine Bereitschaft
hierzu der Anstalt gegenüber schriftlich mitgeteilt. Es fehle an einer hinreichend substantiierten Begründung der
Flucht- oder Missbrauchsgefahr durch die Justizvollzugsanstalt; auf eine kriminalprognostische Begutachtung komme
es nur für vollstreckungsrechtliche Entscheidungen nach § 57a, § 57b StGB an. Schließlich wandte der
Beschwerdeführer sich gegen die zeitliche Einschränkung der zwei jährlichen Ausführungen.
6
5. Das Landgericht gab durch Beschluss vom 3. Juni 2005 dem Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der
zeitlichen Einschränkung der Ausführungen auf acht Stunden statt. Den Antrag bezüglich der Anerkennung der
Sozialtherapie verwarf es als unzulässig, da die Anerkennung oder Nichtanerkennung einer Alternative zur
Sozialtherapie keine anfechtbare Maßnahme sei. Im Übrigen - hinsichtlich der Gewährung von Begleitausgängen - sei
der Antrag unbegründet. Der Gefangene habe insoweit lediglich ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch.
Ermessensfehler seien angesichts der verbleibenden Mindestverbüßungszeit von neun Jahren nicht ersichtlich. Es
sei nicht zu beanstanden, dass vor einer Begutachtung im Jahre 2009 weitergehende Lockerungen nicht vorgesehen
seien.
7
6. Gegen den Beschluss des Landgerichts, soweit abschlägig, erhob der Beschwerdeführer Rechtsbeschwerde. Die
Überprüfung der angefochtenen Entscheidung sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, weil das
Landgericht sowohl hinsichtlich der Überprüfbarkeit eines Vollzugsplanes als auch hinsichtlich der Nichtgewährung
weiterer Lockerungen von näher bezeichneter obergerichtlicher, teilweise auch verfassungsgerichtlicher
Rechtsprechung abgewichen sei. Darüber hinaus sei die Entscheidung des Landgerichts aus Gründen der Fortbildung
des Rechts einer Überprüfung unter anderem im Hinblick auf die in der Literatur vertretene Auffassung zu unterziehen,
ob bei vorliegender Zustimmung des Gefangenen Voraussetzung zur Gewährung von Begleitausgängen nur noch das
Fehlen von Flucht- oder Missbrauchsgefahr sei. Die Rechtsbeschwerde sei auch begründet. Das Landgericht habe
seinen Antrag in Bezug auf Begleitausgänge nicht als unzulässig ablehnen dürfen. Zwar bestehe kein Anspruch auf
Aufnahme einer bestimmten Maßnahme in den Vollzugsplan, sondern lediglich ein Recht auf fehlerfreien
Ermessensgebrauch. Er befinde sich aber seit 1988 in Haft und habe seit dem Jahr 2000 insgesamt acht
Ausführungen völlig beanstandungsfrei absolviert. Dass eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr bestehe, habe die
Justizvollzugsanstalt nicht vorgetragen. Das Landgericht habe seine eigenen Ermessenserwägungen an die Stelle
derjenigen der Anstalt gesetzt, indem es Ermessensfehler mit der Erwägung verneint habe, bis zur vollständigen
Vollstreckung der Mindestverbüßungsdauer stünden noch neun Jahre Strafvollzug an. Die Anstalt habe Erwägungen
zur verbleibenden Strafzeit an keiner Stelle angestellt; zur ermessensfehlerfreien Begründung einer ablehnenden
Entscheidung wären solche Erwägungen im Übrigen ungeeignet gewesen. Das Landgericht hätte zur
Sachverhaltsaufklärung ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Die Ablehnung von Lockerungen durch
Anstalt und Gericht sei nicht auf einer gesicherten Grundlage erfolgt. Dr. R. habe seine Eignung zu Begleitausgängen
bejaht.
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7. Das Oberlandesgericht verwarf mit angegriffenem Beschluss vom 14. März 2006, dem Beschwerdeführer
zugegangen am 27. März 2006, die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Es sei nicht geboten, die Nachprüfung der
Entscheidung des Landgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu
ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Fragen seien bereits
obergerichtlich geklärt. Soweit die Anstalt und das Landgericht in ihren Entscheidungen hiervon abgewichen seien, sei
von einer Beachtung bei der zukünftigen Aufstellung von Vollzugsplänen auszugehen, so dass durch die
angefochtene Einzelfallentscheidung die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht gefährdet sei. Die im Vollzugsplan
enthaltene Festlegung, für eine Prüfung der Indikation der Sozialtherapie bestehe bislang kein Anlass, enthalte eine
die Rechtssphäre des Gefangenen berührende Regelung und könne daher zur gerichtlichen Überprüfung gestellt
werden (Verweis auf OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Juni 2004 - 2 Ws 3/04 -, Die Justiz 2004, S. 495 f.). Das
Landgericht habe den Antrag des Beschwerdeführers in Bezug auf die Sozialtherapie deshalb nicht als unzulässig
behandeln dürfen. Allerdings habe der Gefangene keinen Anspruch auf Aufnahme einer bestimmten
Behandlungsmaßnahme in den Vollzugsplan, sondern lediglich ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch. Die
Anstalt sei aber verpflichtet, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen und das Ergebnis ihrer Abwägungen -
zumindest in groben Zügen - in den Vollzugsplan aufzunehmen.
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Soweit der Vollzugsplan entgegen der ausdrücklichen Antragstellung des Strafgefangenen zur Gewährung von
Begleitausgängen keine Ausführungen enthalte, werde die Anstalt zukünftig zu bedenken haben, dass sich die im
Rahmen der Vollzugsplanung zu treffenden Entscheidungen über Vollzugslockerungen nach § 11 Abs. 2 StVollzG zu
richten hätten. Um die gerichtliche Kontrolle des dort vorgesehenen Versagungsgrundes der Flucht- oder
Missbrauchsgefahr zu ermöglichen, bedürfe die diesbezüglich von der Anstalt zu treffende Prognoseentscheidung
einer hinreichend substantiierten Begründung. Dabei sei auf vom Gefangenen vorgebrachte tatsächliche Einwände
einzugehen, falls Anlass zu deren Nachprüfung und Erörterung bestehe. Auch bei Nichtvorliegen der
Ausschlussgründe des § 11 Abs. 2 StVollzG sei die Anstalt grundsätzlich nicht verpflichtet, Lockerungen zu
gewähren; vielmehr stehe ihr ein Ermessensspielraum zu. Insoweit sei aber darauf hinzuweisen, dass eine fehlerfreie
Ermessensabwägung nur vorliegen könne, wenn die Anstalt zuvor das Vorliegen von Flucht- oder Missbrauchsgefahr
bewertet habe.
II.
10
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet der Beschwerdeführer sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts.
Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 GG. Das
Oberlandesgericht habe die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen, obwohl es festgestellt habe, dass das
Landgericht den hinsichtlich der Sozialtherapie gestellten Antrag nicht als unzulässig hätte zurückweisen dürfen. Da
die Strafvollstreckungskammer ihren Rechtsfehler nicht nachträglich erkannt und aktenkundig gemacht habe, sei die
Annahme des Oberlandesgerichts, dass Anstalt und Landgericht bei der zukünftigen Aufstellung von Vollzugsplänen
die obergerichtliche Rechtsprechung beachten werden, nicht nachvollziehbar. Die Versagung der Begleitausgänge
verletze seinen Resozialisierungsanspruch. Er habe Anspruch auf eine Ermessensausübung. Auf die zu seinen
Gunsten sprechenden Umstände - vollzugliches Verhalten, Ausführungen, soziale Bindungen, therapeutische
Gespräche - sei nicht eingegangen worden. Der pauschale Hinweis auf die Restverbüßungsdauer entspreche nicht
den gesetzlichen Anforderungen. Das Rechtsstaatsprinzip sei verletzt, da die Entscheidungen des Landgerichts sowie
des Oberlandesgerichts unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt nachvollziehbar seien.
III.
11
Das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg hat ausgeführt, die Vollzugsplankonferenz habe aufgrund der
in den Straftaten des Beschwerdeführers zutage getretenen schweren Persönlichkeitsstörung die Absolvierung der
Sozialtherapie für notwendig erachtet. Die aktuelle, vom Landgericht Karlsruhe bestätigte Vollzugsplanfortschreibung
vom 27. Juli 2007 sehe weiterhin zwei Ausführungen pro Jahr vor, lehne weitergehende Vollzugslockerungen jedoch
ab. An der Auffassung, im Hinblick auf die Sozialtherapie sei eine Begutachtung im Jahr 2009 vorzusehen, werde
festgehalten.
IV.
12
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil
dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine
stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).
13
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden
Weise offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe verletzt
das Recht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die der
Verfassungsbeschwerde zugrunde liegende Vollzugsplanfortschreibung vom 25. Oktober 2004 inzwischen durch eine
weitere Fortschreibung vom 27. Juli 2007 aktualisiert wurde. Hierdurch ist, jedenfalls nachdem die jüngste
Vollzugsplanfortschreibung ausweislich der Stellungnahme des Ministeriums keine Änderung zugunsten des
Beschwerdeführers ergeben hat, das Rechtsschutzinteresse für die Verfassungsbeschwerde nicht entfallen. Der
angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts beruht auf einer Auslegung des § 116 Abs. 1 StVollzG, die geeignet
ist, den Rechtsbehelf der Rechtsbeschwerde nicht nur für den Rechtsstreit, über den konkret zu entscheiden war,
sondern prinzipiell - auch im Hinblick auf praktisch jeden künftigen vom Beschwerdeführer geführten Rechtsstreit -
weitgehend ineffektiv zu machen (s. im Einzelnen unter 2.). Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis ist daher hier
schon unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 96, 27 <40 f.>) zu bejahen.
Der Beschwerdeführer hat ein berechtigtes Klärungsinteresse, weil es ihm nicht zumutbar ist, gegen die vielfältigen
seine Rechte berührenden Maßnahmen, die der Vollzug der über ihn verhängten Freiheitsstrafe mit sich bringt,
Rechtsschutz in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur unter der Rechtsunsicherheit und dem unkalkulierbaren
Kostenrisiko suchen zu können, denen er in künftigen Fällen ausgesetzt wäre, wenn die angegriffene Entscheidung
des Oberlandesgerichts Bestand hätte.
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2.
Die
Verfassungsbeschwerde
ist
auch
offensichtlich
begründet
im
Sinne
des
§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die angegriffene Entscheidung verletzt Art. 19 Abs. 4 GG.
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a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der
öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; stRspr). Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug (vgl.
BVerfGE 87, 48 <61>; 92, 365 <410>; stRspr). Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet
Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine
wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>). Hieraus ergeben sich
verfassungsrechtliche Anforderungen sowohl für den Gesetzgeber als auch für die gerichtliche Auslegung der
prozessrechtlichen Vorschriften. Der Gesetzgeber muss für die Rechtsmittel, die er bereitstellt, die Voraussetzungen
ihrer Zulässigkeit in einer dem Grundsatz der Rechtsmittelklarheit entsprechenden Weise bestimmen (vgl. BVerfGE
49, 148 <164>; 87, 48 <65>; 107, 395 <416>; 108, 341 <349>). Dieser Grundsatz verbietet es, den Rechtssuchenden
mit einem unübersehbaren „Annahmerisiko“ und dessen Kostenfolgen zu belasten (vgl. BVerfGE 49, 148 <164>). Die
Rechtsmittelgerichte dürfen ihrerseits ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art
und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und
anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>; 117, 244
<268>; stRspr).
17
b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird der Beschluss des Oberlandesgerichts nicht gerecht. Das
Gericht hat die Rechtsbeschwerde mit einer Begründung als unzulässig verworfen, die, sofern das Rechtsmittel nicht
in ihrer Folge überhaupt leerläuft, jedenfalls die Voraussetzungen des Zugangs zu einer Sachentscheidung gänzlich
unvorhersehbar macht.
18
Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG die
Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Zu der Frage, ob die letztere Voraussetzung vorlag, hat das
Oberlandesgericht festgestellt, dass das Landgericht den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der
Sozialtherapie rechtsfehlerhaft in Abweichung von vorausgegangener Rechtsprechung (OLG Karlsruhe, Beschluss
vom 25. Juni 2004 - 3 Ws 3/04 -, Die Justiz 2004, S. 495 f.) als unzulässig zurückgewiesen hat. Hinsichtlich der
Entscheidung über die vom Beschwerdeführer beantragten Begleitausgänge hat es klargestellt, dass insoweit eine
fehlerfreie Ermessensabwägung nur vorliegen kann, wenn die Anstalt zuvor das Vorliegen von Flucht- oder
Missbrauchsgefahr bewertet hat. Damit war, da die Anstalt eine entsprechende Feststellung unstreitig nicht getroffen
hatte, der Sache nach zugleich festgestellt, dass die landgerichtliche Entscheidung, die hinsichtlich der
Begleitausgänge einen vollzugsplanerischen Ermessensfehler verneint hatte, auch insoweit rechtsfehlerhaft war. Die
Annahme, die Nachprüfung sei dennoch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht geboten, hat das
Oberlandesgericht, ohne sich auf weitere Voraussetzungen der Erforderlichkeit einer Nachprüfung zu beziehen,
ausschließlich mit der Erwartung begründet, es sei von künftiger Beachtung der einschlägigen obergerichtlichen
Rechtsprechung auszugehen, so dass nur eine der Nachprüfung nicht bedürftige Einzelfallentscheidung vorliege.
Diese Begründung ist unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht nachvollziehbar; sie handhabt die
gesetzlichen Zulässigkeitsgründe in einer Weise, die jede Vorhersehbarkeit zunichte macht.
19
Zwar ist anerkannt, dass es auch in Fällen, in denen die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung ausdrücklich
oder implizit auf eine unzutreffende oder von der Rechtsprechung anderer Gerichte abweichende Rechtsauffassung
gestützt hat, an der Erforderlichkeit der Nachprüfung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung fehlen kann,
weil nicht zu erwarten ist, dass der Rechtsfehler in weiteren Fällen Bedeutung erlangen wird, weil also keine
Wiederholungsgefahr besteht (vgl. OLG Schleswig, Beschlüsse vom 8. Mai 2007 - 2 Vollz Ws 78/07 -, NStZ-RR 2007,
S. 326, und vom 10. Januar 2006 - 2 Vollz Ws 453/05 -, ZfStrVO 2006, S. 242; OLG Celle, Beschlüsse vom 30. Mai
1990 - 1 Ws 117/90 -, BlStVKunde 1992, Nr. 2, S. 5, und vom 14. Januar 1999 - 1 Ws 296/98 -, StV 1999, S. 554 f.).
Die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde kann danach insbesondere dann verneint werden, wenn die
Strafvollstreckungskammer ihren Rechtsfehler nachträglich erkannt und dies aktenkundig gemacht oder wenn das
Oberlandesgericht in anderer Sache zu der Rechtsfrage Stellung genommen und sie anders beantwortet hat als die
Strafvollstreckungskammer, diese das aber bei der Entscheidung noch nicht wissen konnte (vgl. Kamann/Volckart, in:
Feest, StVollzG-Kommentar, 5. Aufl. 2006, § 116 Rn. 7; s. außerdem für die Möglichkeit, dass der Rechtsfehler einer
Wiederholung deshalb nicht zugänglich ist, weil er eine singuläre Fallgestaltung betrifft, Calliess/Müller-Dietz,
StVollzG, 10. Aufl. 2005, § 116 Rn. 2).
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Das Oberlandesgericht hat jedoch irgendwelche konkreten Anhaltspunkte dafür, dass eine Wiederholung der
festgestellten Rechtsfehler nicht zu besorgen sei, nicht benannt. Seine Erwartung, das Landgericht werde die
obergerichtliche Rechtsprechung künftig beachten, hat ersichtlich keine andere Grundlage als die Vermutung, die
Strafvollstreckungskammer werde sich durch die Erwägungen, mit denen das Oberlandesgericht seine die
Rechtsbeschwerde als unzulässig verwerfende Entscheidung begründet hat, belehren lassen und künftige
Entscheidungen nach Maßgabe dieser Gründe treffen. Dies muss einen Rechtsschutzsuchenden überraschen, der
Rechtsbeschwerde gerade deshalb erhoben hatte, weil die Strafvollstreckungskammer sich, wie auch das
Oberlandesgericht selbst feststellt, schon durch dessen vorausgegangene Rechtsprechung nicht hatte leiten lassen.
Das Vorgehen des Oberlandesgerichts macht die Voraussetzungen des Zugangs zur Rechtsbeschwerdeinstanz aber
auch unabhängig von diesem besonderen Überraschungsmoment für den Rechtsschutzsuchenden in einer mit dem
Grundsatz der Rechtsmittelklarheit nicht mehr vereinbaren Weise unberechenbar. Könnte bei im Übrigen erfüllten
Zulässigkeitsvoraussetzungen die Erforderlichkeit obergerichtlicher Nachprüfung allein mit dem Ausspruch der
Erwartung verneint werden, das Ausgangsgericht werde einen festgestellten Rechtsfehler künftig vermeiden, so wäre
für den Rechtsschutzsuchenden nicht mehr erkennbar, in welchen Fällen er überhaupt noch mit einer Behandlung
seiner Rechtsbeschwerde als zulässig rechnen dürfte.
21
3. Der angegriffene Beschluss beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Er ist daher gemäß § 93c Abs. 2,
§ 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist zur Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
V.
22
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Broß
Lübbe-Wolff
Gerhardt