Urteil des BVerfG vom 11.04.2008
BVerfG: anstalt, verfassungsbeschwerde, flucht, anerkennung, behandlung, ermessensfehler, ermessensausübung, wiederholungsgefahr, kontrolle, rechtsschutzinteresse
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 866/06 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn    L...
gegen
a)
den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 14. März 2006 - 1 Ws 150/05
-,
b)
den Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 3. Juni 2005 - 151 StVK 547/04 -
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Broß,
die Richterin Lübbe-Wolff
und den Richter Gerhardt
am 11. April 2008 einstimmig beschlossen:
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 14. März 2006 - 1 Ws 150/05 - verletzt den Beschwerdeführer
in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Die Entscheidung
wird aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung an das Oberlandesgericht Karlsruhe zurückverwiesen.
Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
I.
1
Die  Verfassungsbeschwerde  betrifft  verfassungsrechtliche  Anforderungen  an  die  Gewährung  effektiven
Rechtsschutzes nach § 116 Abs. 1 StVollzG.
2
1.  Der  Beschwerdeführer  verbüßt  eine  lebenslange  Freiheitsstrafe.  Die  auf  25  Jahre  festgesetzte
Mindestverbüßungsdauer wird am 2. November 2014 erreicht sein. Seit 1991 ist er verheiratet; seit 1996 führt er, mit
finanzieller  Unterstützung  seiner  Ehefrau,  eine  Gesprächstherapie  bei  dem  als  Konsiliararzt  in  der  Anstalt  tätigen
Facharzt für Psychiatrie Dr. R. durch, um die persönlichkeitsbedingten Ursachen seiner Straftaten aufzuarbeiten.
3
2.  In  der  Fortschreibung  des  Vollzugsplans  vom  9.  Mai  2001  wurden  dem  Beschwerdeführer  zwei  Ausführungen
jährlich  bewilligt,  die  im  Folgenden  beanstandungsfrei  durchgeführt  wurden.  Im  Rahmen  der  Vollzugsplankonferenz
vom  14.  September  2004  beantragte  der  Beschwerdeführer  die  Gewährung  von  Ausführungen  gemäß  der
Fortschreibung von 2001, die Gewährung von Begleitausgängen zur Vorbereitung auf die Offene Abteilung sowie die
Anerkennung  der  Behandlung  durch  Dr.  R.  als  Alternative  zur  Sozialtherapie.  Sollte  bei  einer  Begutachtung  die
Indikation für die Sozialtherapie durch den Gutachter festgestellt werden, werde er sich dieser Empfehlung beugen. Er
strebe einen möglichst langen Aufenthalt in der Offenen Abteilung an, um die Meisterschule absolvieren zu können.
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3.  Die  Fortschreibung  des  Vollzugsplans  vom  25.  Oktober  2004  hielt  fest,  dass  dem  Beschwerdeführer
„Ausführungen zu bzw. in Begleitung seiner engsten Bezugspersonen“ im Sinne der Fortschreibung von 2001 weiter
gewährt  würden.  Ob  dabei  die  Höchstzahl  von  zwei  Ausführungen  jährlich  erreicht  werden  könne,  werde  davon
abhängen,  ob  es  gelinge,  durch  Einsparungen  an  anderer  Stelle  die  dafür  erforderlichen  Ressourcen  zu  schaffen.
Ausführungen über die Zeitdauer einer normalen Dienstschicht (acht Stunden) hinaus würden nicht befürwortet. Unter
der  Überschrift  „Betreffend  Behandlungsmaßnahmen“  wird  ausgeführt:  Aufgrund  der  verbleibenden  Haftzeit  sei  eine
konkrete  Prüfung  der  Indikation  für  die  Sozialtherapie  bisher  nicht  erfolgt.  Gleichwohl  sprächen  für  eine  solche
Indikation  die  begangenen  schwersten  Straftaten  und  die  Tatsache,  dass  eine  Aufarbeitung  dieser  Taten  und  eine
Auseinandersetzung  mit  Persönlichkeitsdefiziten  bisher  nicht  erkennbar  sei;  erkennbar  sei  lediglich,  dass  der
Beschwerdeführer  mit  allen  Mitteln  ausschließlich  um  seinen  eigenen  Vorteil  bemüht  sei.  An  der  Option  einer
Sozialtherapie werde weiterhin festgehalten. Die Indikation werde zu gegebener Zeit auch gutachterlich zu prüfen sein;
denkbar  sei  eine  Begutachtung  im  Jahre  2009.  Über  weitere  Lockerungen  sei  vor  dieser  Begutachtung  nicht  zu
entscheiden.
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4.  Mit  Antrag  auf  gerichtliche  Entscheidung  begehrte  der  Beschwerdeführer  daraufhin  die  Anerkennung  der
Behandlung  durch  Dr.  R.  als  Alternative  zur  Sozialtherapie;  er  habe  einen  Anspruch  auf  fehlerfreie  und  rechtzeitige
Ermessensausübung  auch  hinsichtlich  der  Prüfung  der  Indikation  der  Sozialtherapie.  Ferner  beantragte  er  die
Verpflichtung  zur  Gewährung  von  Begleitausgängen.  In  der  Vollzugsplankonferenz  habe  er  ausdrücklich  mitgeteilt,
dass  er  Begleitausgänge  mit  seiner  Ehefrau,  seinen  Eltern  oder  Dr.  R.  wünsche.  Letzterer  habe  seine  Bereitschaft
hierzu  der  Anstalt  gegenüber  schriftlich  mitgeteilt.  Es  fehle  an  einer  hinreichend  substantiierten  Begründung  der
Flucht- oder Missbrauchsgefahr durch die Justizvollzugsanstalt; auf eine kriminalprognostische Begutachtung komme
es  nur  für  vollstreckungsrechtliche  Entscheidungen  nach  §  57a,  §  57b  StGB  an.  Schließlich  wandte  der
Beschwerdeführer sich gegen die zeitliche Einschränkung der zwei jährlichen Ausführungen.
6
5.  Das  Landgericht  gab  durch  Beschluss  vom  3.  Juni  2005  dem  Antrag  des  Beschwerdeführers  hinsichtlich  der
zeitlichen  Einschränkung  der  Ausführungen  auf  acht  Stunden  statt.  Den  Antrag  bezüglich  der  Anerkennung  der
Sozialtherapie  verwarf  es  als  unzulässig,  da  die  Anerkennung  oder  Nichtanerkennung  einer  Alternative  zur
Sozialtherapie keine anfechtbare Maßnahme sei. Im Übrigen - hinsichtlich der Gewährung von Begleitausgängen - sei
der  Antrag  unbegründet.  Der  Gefangene  habe  insoweit  lediglich  ein  Recht  auf  fehlerfreien  Ermessensgebrauch.
Ermessensfehler  seien  angesichts  der  verbleibenden  Mindestverbüßungszeit  von  neun  Jahren  nicht  ersichtlich.  Es
sei nicht zu beanstanden, dass vor einer Begutachtung im Jahre 2009 weitergehende Lockerungen nicht vorgesehen
seien.
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6. Gegen den Beschluss des Landgerichts, soweit abschlägig, erhob der Beschwerdeführer Rechtsbeschwerde. Die
Überprüfung der angefochtenen Entscheidung sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, weil das
Landgericht  sowohl  hinsichtlich  der  Überprüfbarkeit  eines  Vollzugsplanes  als  auch  hinsichtlich  der  Nichtgewährung
weiterer  Lockerungen  von  näher  bezeichneter  obergerichtlicher,  teilweise  auch  verfassungsgerichtlicher
Rechtsprechung abgewichen sei. Darüber hinaus sei die Entscheidung des Landgerichts aus Gründen der Fortbildung
des Rechts einer Überprüfung unter anderem im Hinblick auf die in der Literatur vertretene Auffassung zu unterziehen,
ob bei vorliegender Zustimmung des Gefangenen Voraussetzung zur Gewährung von Begleitausgängen nur noch das
Fehlen  von  Flucht-  oder  Missbrauchsgefahr  sei.  Die  Rechtsbeschwerde  sei  auch  begründet.  Das  Landgericht  habe
seinen Antrag in Bezug auf Begleitausgänge nicht als unzulässig ablehnen dürfen. Zwar bestehe kein Anspruch auf
Aufnahme  einer  bestimmten  Maßnahme  in  den  Vollzugsplan,  sondern  lediglich  ein  Recht  auf  fehlerfreien
Ermessensgebrauch.  Er  befinde  sich  aber  seit  1988  in  Haft  und  habe  seit  dem  Jahr  2000  insgesamt  acht
Ausführungen  völlig  beanstandungsfrei  absolviert.  Dass  eine  Flucht-  oder  Missbrauchsgefahr  bestehe,  habe  die
Justizvollzugsanstalt  nicht  vorgetragen.  Das  Landgericht  habe  seine  eigenen  Ermessenserwägungen  an  die  Stelle
derjenigen  der  Anstalt  gesetzt,  indem  es  Ermessensfehler  mit  der  Erwägung  verneint  habe,  bis  zur  vollständigen
Vollstreckung der Mindestverbüßungsdauer stünden noch neun Jahre Strafvollzug an. Die Anstalt habe Erwägungen
zur  verbleibenden  Strafzeit  an  keiner  Stelle  angestellt;  zur  ermessensfehlerfreien  Begründung  einer  ablehnenden
Entscheidung  wären  solche  Erwägungen  im  Übrigen  ungeeignet  gewesen.  Das  Landgericht  hätte  zur
Sachverhaltsaufklärung  ein  Sachverständigengutachten  einholen  müssen.  Die  Ablehnung  von  Lockerungen  durch
Anstalt und Gericht sei nicht auf einer gesicherten Grundlage erfolgt. Dr. R. habe seine Eignung zu Begleitausgängen
bejaht.
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7.  Das  Oberlandesgericht  verwarf  mit  angegriffenem  Beschluss  vom  14.  März  2006,  dem  Beschwerdeführer
zugegangen  am  27.  März  2006,  die  Rechtsbeschwerde  als  unzulässig.  Es  sei  nicht  geboten,  die  Nachprüfung  der
Entscheidung des Landgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu
ermöglichen  (§  116  Abs.  1  StVollzG).  Die  von  der  Rechtsbeschwerde  aufgeworfenen  Fragen  seien  bereits
obergerichtlich geklärt. Soweit die Anstalt und das Landgericht in ihren Entscheidungen hiervon abgewichen seien, sei
von  einer  Beachtung  bei  der  zukünftigen  Aufstellung  von  Vollzugsplänen  auszugehen,  so  dass  durch  die
angefochtene Einzelfallentscheidung die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht gefährdet sei. Die im Vollzugsplan
enthaltene  Festlegung,  für  eine  Prüfung  der  Indikation  der  Sozialtherapie  bestehe  bislang  kein  Anlass,  enthalte  eine
die  Rechtssphäre  des  Gefangenen  berührende  Regelung  und  könne  daher  zur  gerichtlichen  Überprüfung  gestellt
werden  (Verweis  auf  OLG  Karlsruhe,  Beschluss  vom  25.  Juni  2004  -  2  Ws  3/04  -,  Die  Justiz  2004,  S.  495  f.).  Das
Landgericht  habe  den  Antrag  des  Beschwerdeführers  in  Bezug  auf  die  Sozialtherapie  deshalb  nicht  als  unzulässig
behandeln  dürfen.  Allerdings  habe  der  Gefangene  keinen  Anspruch  auf  Aufnahme  einer  bestimmten
Behandlungsmaßnahme  in  den  Vollzugsplan,  sondern  lediglich  ein  Recht  auf  fehlerfreien  Ermessensgebrauch.  Die
Anstalt  sei  aber  verpflichtet,  sich  mit  diesen  Fragen  auseinanderzusetzen  und  das  Ergebnis  ihrer  Abwägungen  -
zumindest in groben Zügen - in den Vollzugsplan aufzunehmen.
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Soweit  der  Vollzugsplan  entgegen  der  ausdrücklichen  Antragstellung  des  Strafgefangenen  zur  Gewährung  von
Begleitausgängen  keine  Ausführungen  enthalte,  werde  die  Anstalt  zukünftig  zu  bedenken  haben,  dass  sich  die  im
Rahmen der Vollzugsplanung zu treffenden Entscheidungen über Vollzugslockerungen nach § 11 Abs. 2 StVollzG zu
richten  hätten.  Um  die  gerichtliche  Kontrolle  des  dort  vorgesehenen  Versagungsgrundes  der  Flucht-  oder
Missbrauchsgefahr  zu  ermöglichen,  bedürfe  die  diesbezüglich  von  der  Anstalt  zu  treffende  Prognoseentscheidung
einer  hinreichend  substantiierten  Begründung.  Dabei  sei  auf  vom  Gefangenen  vorgebrachte  tatsächliche  Einwände
einzugehen,  falls  Anlass  zu  deren  Nachprüfung  und  Erörterung  bestehe.  Auch  bei  Nichtvorliegen  der
Ausschlussgründe  des  §  11  Abs.  2  StVollzG  sei  die  Anstalt  grundsätzlich  nicht  verpflichtet,  Lockerungen  zu
gewähren; vielmehr stehe ihr ein Ermessensspielraum zu. Insoweit sei aber darauf hinzuweisen, dass eine fehlerfreie
Ermessensabwägung nur vorliegen könne, wenn die Anstalt zuvor das Vorliegen von Flucht- oder Missbrauchsgefahr
bewertet habe.
II.
10
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet der Beschwerdeführer sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts.
Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2
Abs.  1  in  Verbindung  mit  Art.  20  Abs.  3,  Art.  2  Abs.  2  Satz  2,  Art.  6  Abs.  1  sowie  Art.  3  Abs.  1  GG.  Das
Oberlandesgericht  habe  die  Rechtsbeschwerde  als  unzulässig  verworfen,  obwohl  es  festgestellt  habe,  dass  das
Landgericht den hinsichtlich der Sozialtherapie gestellten Antrag nicht als unzulässig hätte zurückweisen dürfen. Da
die Strafvollstreckungskammer ihren Rechtsfehler nicht nachträglich erkannt und aktenkundig gemacht habe, sei die
Annahme des Oberlandesgerichts, dass Anstalt und Landgericht bei der zukünftigen Aufstellung von Vollzugsplänen
die  obergerichtliche  Rechtsprechung  beachten  werden,  nicht  nachvollziehbar.  Die  Versagung  der  Begleitausgänge
verletze  seinen  Resozialisierungsanspruch.  Er  habe  Anspruch  auf  eine  Ermessensausübung.  Auf  die  zu  seinen
Gunsten  sprechenden  Umstände  -  vollzugliches  Verhalten,  Ausführungen,  soziale  Bindungen,  therapeutische
Gespräche  -  sei  nicht  eingegangen  worden.  Der  pauschale  Hinweis  auf  die  Restverbüßungsdauer  entspreche  nicht
den gesetzlichen Anforderungen. Das Rechtsstaatsprinzip sei verletzt, da die Entscheidungen des Landgerichts sowie
des Oberlandesgerichts unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt nachvollziehbar seien.
III.
11
Das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg hat ausgeführt, die Vollzugsplankonferenz habe aufgrund der
in  den  Straftaten  des  Beschwerdeführers  zutage  getretenen  schweren  Persönlichkeitsstörung  die  Absolvierung  der
Sozialtherapie für notwendig erachtet. Die aktuelle, vom Landgericht Karlsruhe bestätigte Vollzugsplanfortschreibung
vom 27. Juli 2007 sehe weiterhin zwei Ausführungen pro Jahr vor, lehne weitergehende Vollzugslockerungen jedoch
ab.  An  der  Auffassung,  im  Hinblick  auf  die  Sozialtherapie  sei  eine  Begutachtung  im  Jahr  2009  vorzusehen,  werde
festgehalten.
IV.
12
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil
dies  zur  Durchsetzung  der  Grundrechte  des  Beschwerdeführers  angezeigt  ist.  Die  Voraussetzungen  für  eine
stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).
13
Die  Verfassungsbeschwerde  ist  zulässig  und  in  einer  die  Entscheidungszuständigkeit  der  Kammer  begründenden
Weise  offensichtlich  begründet  (§  93c  Abs.  1  BVerfGG).  Der  Beschluss  des  Oberlandesgerichts  Karlsruhe  verletzt
das Recht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).
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1.  Die  Verfassungsbeschwerde  ist  zulässig.  Ihrer  Zulässigkeit  steht  nicht  entgegen,  dass  die  der
Verfassungsbeschwerde zugrunde liegende Vollzugsplanfortschreibung vom 25. Oktober 2004 inzwischen durch eine
weitere  Fortschreibung  vom  27.  Juli  2007  aktualisiert  wurde.  Hierdurch  ist,  jedenfalls  nachdem  die  jüngste
Vollzugsplanfortschreibung  ausweislich  der  Stellungnahme  des  Ministeriums  keine  Änderung  zugunsten  des
Beschwerdeführers  ergeben  hat,  das  Rechtsschutzinteresse  für  die  Verfassungsbeschwerde  nicht  entfallen.  Der
angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts beruht auf einer Auslegung des § 116 Abs. 1 StVollzG, die geeignet
ist,  den  Rechtsbehelf  der  Rechtsbeschwerde  nicht  nur  für  den  Rechtsstreit,  über  den  konkret  zu  entscheiden  war,
sondern  prinzipiell  -  auch  im  Hinblick  auf  praktisch  jeden  künftigen  vom  Beschwerdeführer  geführten  Rechtsstreit  -
weitgehend ineffektiv zu machen (s. im Einzelnen unter 2.). Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis ist daher hier
schon unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 96, 27 <40 f.>) zu bejahen.
Der  Beschwerdeführer  hat  ein  berechtigtes  Klärungsinteresse,  weil  es  ihm  nicht  zumutbar  ist,  gegen  die  vielfältigen
seine  Rechte  berührenden  Maßnahmen,  die  der  Vollzug  der  über  ihn  verhängten  Freiheitsstrafe  mit  sich  bringt,
Rechtsschutz  in  der  Rechtsbeschwerdeinstanz  nur  unter  der  Rechtsunsicherheit  und  dem  unkalkulierbaren
Kostenrisiko  suchen  zu  können,  denen  er  in  künftigen  Fällen  ausgesetzt  wäre,  wenn  die  angegriffene  Entscheidung
des Oberlandesgerichts Bestand hätte.
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2.
Die
Verfassungsbeschwerde
ist
auch
offensichtlich
begründet
im
Sinne
des
§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die angegriffene Entscheidung verletzt Art. 19 Abs. 4 GG.
16
a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der
öffentlichen  Gewalt  (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>;  stRspr).  Dabei  fordert  Art.  19  Abs.  4  GG  keinen  Instanzenzug  (vgl.
BVerfGE 87, 48 <61>; 92, 365 <410>; stRspr). Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet
Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine
wirksame  gerichtliche  Kontrolle  (vgl. BVerfGE  40,  272  <274  f.>;  54,  94  <96  f.>).  Hieraus  ergeben  sich
verfassungsrechtliche  Anforderungen  sowohl  für  den  Gesetzgeber  als  auch  für  die  gerichtliche  Auslegung  der
prozessrechtlichen Vorschriften. Der Gesetzgeber muss für die Rechtsmittel, die er bereitstellt, die Voraussetzungen
ihrer  Zulässigkeit  in  einer  dem  Grundsatz  der  Rechtsmittelklarheit  entsprechenden  Weise  bestimmen  (vgl. BVerfGE
49, 148 <164>; 87, 48 <65>; 107, 395 <416>; 108, 341 <349>). Dieser Grundsatz verbietet es, den Rechtssuchenden
mit einem unübersehbaren „Annahmerisiko“ und dessen Kostenfolgen zu belasten (vgl. BVerfGE 49, 148 <164>). Die
Rechtsmittelgerichte dürfen ihrerseits ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art
und  Weise,  in  der  sie  die  gesetzlichen  Voraussetzungen  für  den  Zugang  zu  einer  Sachentscheidung  auslegen  und
anwenden,  ineffektiv  machen  und  für  den  Beschwerdeführer  leerlaufen  lassen  (vgl. BVerfGE  96,  27  <39>; 117,  244
<268>; stRspr).
17
b)  Diesen  verfassungsrechtlichen  Anforderungen  wird  der  Beschluss  des  Oberlandesgerichts  nicht  gerecht.  Das
Gericht hat die Rechtsbeschwerde mit einer Begründung als unzulässig verworfen, die, sofern das Rechtsmittel nicht
in  ihrer  Folge  überhaupt  leerläuft,  jedenfalls  die  Voraussetzungen  des  Zugangs  zu  einer  Sachentscheidung  gänzlich
unvorhersehbar macht.
18
Gegen  die  gerichtliche  Entscheidung  der  Strafvollstreckungskammer  ist  gemäß  §  116  Abs.  1  StVollzG  die
Rechtsbeschwerde  zulässig,  wenn  es  geboten  ist,  die  Nachprüfung  zur  Fortbildung  des  Rechts  oder  zur  Sicherung
einer  einheitlichen  Rechtsprechung  zu  ermöglichen.  Zu  der  Frage,  ob  die  letztere  Voraussetzung  vorlag,  hat  das
Oberlandesgericht  festgestellt,  dass  das  Landgericht  den  Antrag  des  Beschwerdeführers  hinsichtlich  der
Sozialtherapie  rechtsfehlerhaft  in  Abweichung  von  vorausgegangener  Rechtsprechung  (OLG  Karlsruhe,  Beschluss
vom  25.  Juni  2004  -  3  Ws  3/04  -,  Die  Justiz  2004,  S.  495  f.)  als  unzulässig  zurückgewiesen  hat.  Hinsichtlich  der
Entscheidung  über  die  vom  Beschwerdeführer  beantragten  Begleitausgänge  hat  es  klargestellt,  dass  insoweit  eine
fehlerfreie  Ermessensabwägung  nur  vorliegen  kann,  wenn  die  Anstalt  zuvor  das  Vorliegen  von  Flucht-  oder
Missbrauchsgefahr bewertet hat. Damit war, da die Anstalt eine entsprechende Feststellung unstreitig nicht getroffen
hatte,  der  Sache  nach  zugleich  festgestellt,  dass  die  landgerichtliche  Entscheidung,  die  hinsichtlich  der
Begleitausgänge einen vollzugsplanerischen Ermessensfehler verneint hatte, auch insoweit rechtsfehlerhaft war. Die
Annahme,  die  Nachprüfung  sei  dennoch  zur  Sicherung  einer  einheitlichen  Rechtsprechung  nicht  geboten,  hat  das
Oberlandesgericht,  ohne  sich  auf  weitere  Voraussetzungen  der  Erforderlichkeit  einer  Nachprüfung  zu  beziehen,
ausschließlich  mit  der  Erwartung  begründet,  es  sei  von  künftiger  Beachtung  der  einschlägigen  obergerichtlichen
Rechtsprechung  auszugehen,  so  dass  nur  eine  der  Nachprüfung  nicht  bedürftige  Einzelfallentscheidung  vorliege.
Diese  Begründung  ist  unter  den  Umständen  des  vorliegenden  Falles  nicht  nachvollziehbar;  sie  handhabt  die
gesetzlichen Zulässigkeitsgründe in einer Weise, die jede Vorhersehbarkeit zunichte macht.
19
Zwar ist anerkannt, dass es auch in Fällen, in denen die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung ausdrücklich
oder  implizit  auf  eine  unzutreffende  oder  von  der  Rechtsprechung  anderer  Gerichte  abweichende  Rechtsauffassung
gestützt  hat,  an  der  Erforderlichkeit  der  Nachprüfung  zur  Sicherung  einer  einheitlichen  Rechtsprechung  fehlen  kann,
weil  nicht  zu  erwarten  ist,  dass  der  Rechtsfehler  in  weiteren  Fällen  Bedeutung  erlangen  wird,  weil  also  keine
Wiederholungsgefahr besteht (vgl. OLG Schleswig, Beschlüsse vom 8. Mai 2007 - 2 Vollz Ws 78/07 -, NStZ-RR 2007,
S. 326, und vom 10. Januar 2006 - 2 Vollz Ws 453/05 -, ZfStrVO 2006, S. 242; OLG Celle, Beschlüsse vom 30. Mai
1990 - 1 Ws 117/90 -, BlStVKunde 1992, Nr. 2, S. 5, und vom 14. Januar 1999 - 1 Ws 296/98 -, StV 1999, S. 554 f.).
Die  Zulässigkeit  einer  Rechtsbeschwerde  kann  danach  insbesondere  dann  verneint  werden,  wenn  die
Strafvollstreckungskammer  ihren  Rechtsfehler  nachträglich  erkannt  und  dies  aktenkundig  gemacht  oder  wenn  das
Oberlandesgericht  in  anderer  Sache  zu  der  Rechtsfrage  Stellung  genommen  und  sie  anders  beantwortet  hat  als  die
Strafvollstreckungskammer, diese das aber bei der Entscheidung noch nicht wissen konnte (vgl. Kamann/Volckart, in:
Feest, StVollzG-Kommentar, 5. Aufl. 2006, § 116 Rn. 7; s. außerdem für die Möglichkeit, dass der Rechtsfehler einer
Wiederholung  deshalb  nicht  zugänglich  ist,  weil  er  eine  singuläre  Fallgestaltung  betrifft,  Calliess/Müller-Dietz,
StVollzG, 10. Aufl. 2005, § 116 Rn. 2).
20
Das  Oberlandesgericht  hat  jedoch  irgendwelche  konkreten  Anhaltspunkte  dafür,  dass  eine  Wiederholung  der
festgestellten  Rechtsfehler  nicht  zu  besorgen  sei,  nicht  benannt.  Seine  Erwartung,  das  Landgericht  werde  die
obergerichtliche  Rechtsprechung  künftig  beachten,  hat  ersichtlich  keine  andere  Grundlage  als  die  Vermutung,  die
Strafvollstreckungskammer  werde  sich  durch  die  Erwägungen,  mit  denen  das  Oberlandesgericht  seine  die
Rechtsbeschwerde  als  unzulässig  verwerfende  Entscheidung  begründet  hat,  belehren  lassen  und  künftige
Entscheidungen  nach  Maßgabe  dieser  Gründe  treffen.  Dies  muss  einen  Rechtsschutzsuchenden  überraschen,  der
Rechtsbeschwerde  gerade  deshalb  erhoben  hatte,  weil  die  Strafvollstreckungskammer  sich,  wie  auch  das
Oberlandesgericht selbst feststellt, schon durch dessen vorausgegangene Rechtsprechung nicht hatte leiten lassen.
Das Vorgehen des Oberlandesgerichts macht die Voraussetzungen des Zugangs zur Rechtsbeschwerdeinstanz aber
auch  unabhängig  von  diesem  besonderen  Überraschungsmoment  für  den  Rechtsschutzsuchenden  in  einer  mit  dem
Grundsatz  der  Rechtsmittelklarheit  nicht  mehr  vereinbaren  Weise  unberechenbar.  Könnte  bei  im  Übrigen  erfüllten
Zulässigkeitsvoraussetzungen  die  Erforderlichkeit  obergerichtlicher  Nachprüfung  allein  mit  dem  Ausspruch  der
Erwartung verneint werden, das Ausgangsgericht werde einen festgestellten Rechtsfehler künftig vermeiden, so wäre
für  den  Rechtsschutzsuchenden  nicht  mehr  erkennbar,  in  welchen  Fällen  er  überhaupt  noch  mit  einer  Behandlung
seiner Rechtsbeschwerde als zulässig rechnen dürfte.
21
3. Der angegriffene Beschluss beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Er ist daher gemäß § 93c Abs. 2,
§ 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist zur Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
V.
22
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Broß
Lübbe-Wolff
Gerhardt