Urteil des BVerfG vom 27.02.2009

BVerfG: freiheit der person, öffentliche gewalt, anhörung, abschiebungshaft, aus wichtigen gründen, rechtsschutz, festnahme, rechtliches gehör, aufschiebende wirkung, freiheitsentziehung

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 538/07 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn D...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Lerche, Schröder, Fahlbusch, Wischmann,
Blumenauer Straße 1, 30449 Hannover -
gegen
a)
den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 31. Januar 2007 - 22 W 89/06 -,
b)
den Beschluss des Landgerichts Hannover vom 25. Oktober 2006 - 28 T 133/06 -,
c)
den Beschluss des Amtsgerichts Neustadt a. Rbge. vom 16. September 2006 - 87
XIV 2/06 -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Osterloh
und die Richter Mellinghoff,
Gerhardt
am 27. Februar 2009 einstimmig beschlossen:
Die Beschlüsse des Amtsgerichts Neustadt am Rübenberge vom 16. September 2006 - 87 XIV 2/06 -, des
Landgerichts Hannover vom 25. Oktober 2006 - 28 T 133/06 - und des Oberlandesgerichts Celle vom 31. Januar 2007
- 22 W 89/06 -, die beiden zuletzt genannten Beschlüsse hinsichtlich der nicht die Prozesskostenhilfe betreffenden
Entscheidungsaussprüche, verletzen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in
Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes, die Beschlüsse des Landgerichts und des
Oberlandesgerichts darüber hinaus in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104
Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts werden im Umfang der festgestellten
Grundrechtsverletzungen aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Hannover zurückverwiesen.
Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
I.
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anwendung des § 62 Abs. 2
Satz 4 AufenthG sowie die Anhörung durch das Beschwerdegericht in Abschiebungshaftsachen.
2
1. Der 1960 geborene vietnamesische Beschwerdeführer wurde nach einem unter falschem Namen geführten
erfolglosen Asylverfahren zunächst geduldet. 2004 wurde seine Tochter, die deutsche Staatsangehörige ist, geboren.
Der Beschwerdeführer erkannte die Vaterschaft an und übernahm die gemeinsame Sorge. Nachdem er seinen jetzigen
Namen mitgeteilt hatte, erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis.
3
Sein rechtzeitig gestellter Verlängerungsantrag wurde von der Ausländerbehörde seines Wohnsitzes im Bördekreis
im Juni 2006 abgelehnt, weil es an einer persönlichen Verbundenheit zwischen dem Beschwerdeführer und seiner
Tochter fehle. Der Beschwerdeführer erhob Widerspruch, mit dem er das Bestehen einer familiären
Lebensgemeinschaft behauptete, und beantragte beim Verwaltungsgericht einstweiligen Rechtsschutz nach § 80
Abs. 5 VwGO. Die Ausländerbehörde teilte dem Verwaltungsgericht mit, konkrete Abschiebungsmaßnahmen
beziehungsweise Vorbereitungen dafür seien noch nicht getroffen. Ein Abschiebungstermin sei noch nicht festgelegt.
Der Beschwerdeführer erhielt eine Grenzübertrittsbescheinigung; die darin angegebene Frist zum Verlassen des
Bundesgebiets wurde bis August 2006 verlängert. Eine weitere Verlängerung lehnte die Ausländerbehörde bei einer
Vorsprache des Beschwerdeführers ab. Sie schrieb ihn zur Fahndung aus und fertigte einen Haftantrag, der nicht an
ein bestimmtes Gericht adressiert war und den sie auf den Ablauf der Grenzübertrittsbescheinigung stützte.
4
2. Der Beschwerdeführer wurde im September 2006 in Niedersachsen festgenommen. Er wies sich zunächst mit
einem auf die im Asylverfahren benutzte Aliaspersonalie ausgestellten Führerschein aus. Gegenüber der Polizei gab
er an, seine Duldungen seien nach 2003 nicht mehr verlängert worden. Seine deutsche Freundin habe 2004 ein Kind
von ihm bekommen, das er täglich sehe. Er habe einen Anwalt beauftragt, um gegen die Abschiebung Widerspruch
einzulegen.
5
Die Ausländerbehörde der Region Hannover stellte bei dem Amtsgericht des Ergreifungsorts Haftantrag und verwies
ergänzend auf den Blankettantrag der Ausländerbehörde des Bördekreises. Bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht
erklärte der Beschwerdeführer, er habe in Deutschland mit einer Deutschen ein Kind. Es habe Probleme mit der
Aufenthaltsgenehmigung gegeben, die Unterlagen lägen beim Verwaltungsgericht, von dort sei mitgeteilt worden, dass
es noch eine Weile dauern könne.
6
Auf den Antrag der Region Hannover ordnete das Amtsgericht durch Beschluss vom 16. September 2006
Sicherungshaft für sechs Wochen auf der Grundlage des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG sowie die sofortige
Wirksamkeit der Freiheitsentziehung an. Der Beschwerdeführer sei nach negativem Ausgang des Asylverfahrens seit
dem Jahr 2003 untergetaucht.
7
3. Am 18. September 2006 ersuchte die Ausländerbehörde des Bördekreises die Region Hannover um Amtshilfe bei
der Abschiebung des Beschwerdeführers und wies darauf hin, dass sich sein Pass bei ihm befinden müsse. Zugleich
leitete die Ausländerbehörde des Bördekreises über die Zentrale Abschiebungsstelle Halberstadt die Beschaffung
eines Passersatzpapiers ein. Am 4. Oktober 2006 teilte sie der Ausländerbehörde der Region Hannover mit, die
Beschaffung werde etwa drei Monate dauern. Am 25. Oktober 2006 folgte die Mitteilung, der Beschwerdeführer könne
derzeit nicht abgeschoben werden, weil er noch keine Papiere habe; das Verwaltungsgericht werde in den nächsten
vierzehn Tagen entscheiden.
8
4. Mit der sofortigen Beschwerde machte der Beschwerdeführer geltend, er sei nicht untergetaucht. Wegen seines
Kindes habe er Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis. Er übe sein Sorgerecht im erforderlichen Umfang aus. Er sei
nicht vollziehbar ausreisepflichtig, denn wegen des noch anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens dürfe er
nicht abgeschoben und deswegen nicht in Abschiebungshaft genommen werden. Die Ausländerbehörde habe dem
Verwaltungsgericht mitgeteilt, dass Abschiebungsmaßnahmen nicht eingeleitet worden seien. Der Haftgrund liege
nicht vor, weil die Adresse des Beschwerdeführers bekannt sei. Ein Haftantrag könne nicht im Wege der Amtshilfe
gestellt werden. Eine Abschiebung sei nicht innerhalb des gesetzlichen Zeitrahmens möglich, weil ein
Passersatzpapier beschafft werden müsse, was zeitaufwendig sei.
9
Das Landgericht wies die sofortige Beschwerde durch Beschluss vom 25. Oktober 2006 zurück. Die Sicherungshaft
sei gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht angeordnet worden. Das Asylverfahren sei abgeschlossen; in
der Folgezeit sei der Beschwerdeführer untergetaucht, habe also den Aufenthaltsort gewechselt. Nachdem er sich bei
der Behörde wieder gemeldet gehabt habe, sei ihm eine Grenzübertrittsbescheinigung ausgestellt worden, die vor der
Festnahme abgelaufen sei. Bei der Verhaftung habe er sich zunächst mit falschen Personalien ausgewiesen. Aus
dem Verhalten ergebe sich der Verdacht, dass er sich der Abschiebung entziehen wolle (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5
AufenthG). Die Abschiebung könne lediglich deshalb nicht sofort durchgeführt werden, weil entgegen der
ursprünglichen Annahme der Ausländerbehörde erneut ein Passersatzpapier beantragt werden müsse. Die
Entscheidung habe ohne erneute mündliche Anhörung ergehen können, weil der Sachverhalt feststehe, von einer
erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten seien und der Prozessbevollmächtigte schriftsätzlich
vorgetragen habe.
10
5. Nachdem das Verwaltungsgericht der Ausländerbehörde des Bördekreises seine Ansicht mitgeteilt hatte, zu den
Abschiebungsmaßnahmen, von denen die Ausländerbehörde bis zur Entscheidung im Eilverfahren absehen wolle,
dürfte auch die Abschiebungshaft gehören, wurde der Beschwerdeführer am 26. Oktober 2006 aus der Haft entlassen.
11
6. Der Beschwerdeführer wiederholte im Rahmen der auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichteten
sofortigen weiteren Beschwerde sein bisheriges Vorbringen und ergänzte: Der Beschluss des Landgerichts sei nicht
hinreichend mit Gründen versehen. Dem Landgericht sei es verwehrt gewesen, ohne Anhörung des
Beschwerdeführers einen weiteren, vom Amtsgericht nicht herangezogenen Haftgrund anzunehmen. Das Landgericht
habe rechtliches Gehör versagt. Es habe nicht aufgeklärt, ob die Abschiebung innerhalb des gesetzlichen
Zeitrahmens möglich sei.
12
Das Oberlandesgericht wies die sofortige weitere Beschwerde durch Beschluss vom 31. Januar 2007 zurück. Das
Amtsgericht sei zuständig gewesen. Der Haftantrag sei von der örtlich zuständigen Behörde gestellt worden. Der
Beschwerdeführer sei ausreisepflichtig gewesen. Er habe keine Aufenthaltserlaubnis innegehabt. Ob ihm wegen
seines Kindes eine Aufenthalterlaubnis hätte erteilt werden müssen, könne dahinstehen; dies sei eine
verwaltungsrechtliche Vorfrage und durch die Haftgerichte regelmäßig nicht zu prüfen. Dass er einen Antrag auf
vorläufigen Rechtsschutz gestellt habe, stelle die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung nicht in Frage; erst
Entscheidungen der Verwaltungsgerichte seien vom Haftrichter von Amts wegen zu berücksichtigen und könnten zur
Unzulässigkeit der Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft führen. Der Beschwerdeführer habe sich bei der
Festnahme mit falschen Personalien ausgewiesen; er habe die Absicht gehabt, die Abschiebung zu verhindern und
den Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG erfüllt. Anhaltspunkte, dass die Abschiebung nicht innerhalb
von drei Monaten hätte durchgeführt werden können, lägen nicht vor; Passersatzpapiere hätten bereits einmal
beschafft werden können. Eine Anhörung im Beschwerdeverfahren sei hier entbehrlich gewesen. Der anwaltlich
vertretene Beschwerdeführer habe bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht zugegeben, untergetaucht zu sein und
falsche Personalien bei seiner Festnahme angegeben zu haben. Es treffe nicht zu, dass das Landgericht Umstände
für den Haftgrund aus § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG berücksichtigt habe, die nicht Gegenstand des Verfahrens
gewesen seien. Sein Beschluss sei ausreichend mit Gründen versehen.
13
7. Das Verwaltungsgericht ordnete durch Beschluss vom 22. Oktober 2007 die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs gegen den die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ablehnenden Bescheid an.
14
8. Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung
mit Art. 20 Abs. 3 GG ergebe sich die Verpflichtung der Gerichte, die Voraussetzungen der Haft umfassend zu prüfen,
insbesondere, ob eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung ergangen sei, die die Abschiebung für längere Zeit oder
auf Dauer hindere. Von der Sicherungshaft sei abzusehen, wenn die Abschiebung nicht durchführbar sei. Die
angegriffenen Entscheidungen hätten sich nicht damit auseinandergesetzt, dass die Ausländerbehörde angegeben
habe, bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts würden keine Abschiebungsmaßnahmen eingeleitet. Es fehle an
Erwägungen, ob die Drei-Monats-Frist des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG hätte eingehalten werden können, obwohl
eine Abschiebung erst nach einer erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über den Eilantrag
zulässig gewesen wäre. Der Zeitpunkt einer solchen Entscheidung sei völlig ungewiss. Auch Art. 19 Abs. 4 GG sei
verletzt worden. Aus dem Grundrecht ergebe sich die Pflicht der Verwaltung, für die Dauer des vorläufigen
Rechtsschutzverfahrens Maßnahmen des Verwaltungszwangs einschließlich der Abschiebung zu unterlassen.
Unmittelbar aus der Verfassung ergebe sich, dass die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht gehindert werde. Hiergegen
sei verstoßen worden.
15
9. Das Niedersächsische Justizministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen.
II.
16
Die Kammer ist für die Entscheidung zuständig, da das Bundesverfassungsgericht die für die Beurteilung der
Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden hat (§ 93c Abs. 1 Satz 1
BVerfGG). Sie nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung
der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1
BVerfGG.
17
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2
GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen
ihn zudem in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG.
18
1. Die Gerichte haben nicht hinreichend untersucht, ob im Sinne des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG feststand, dass
die Abschiebung des Beschwerdeführers nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden konnte.
Dadurch haben sie sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.
19
a) Der in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit gewährleistet in Verbindung mit dem
Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eine umfassende Prüfung der Voraussetzungen für eine Anordnung von
Abschiebungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Insbesondere verpflichtet er die Haftgerichte zu
überprüfen, ob die Ausreisepflicht fortbesteht und ob Umstände vorliegen, durch die die Durchführbarkeit der
Abschiebung für längere Zeit oder auf Dauer gehindert wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten
Senats vom 21. Mai 1987 - 2 BvR 800/84 -, NJW 1987, S. 3076; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom
28. November 1995 - 2 BvR 91/95 -, NVwZ-Beilage 3/1996, S. 17 <18>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten
Senats vom 15. Dezember 2000 - 2 BvR 347/00 -, NVwZ-Beilage I 3/2001, S. 26). Das hat das
Bundesverfassungsgericht bisher für die Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft ausgesprochen. Es gilt in gleicher
Weise für deren erstmalige Anordnung. Insoweit erweist sich § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG, wonach die
Sicherungshaft unzulässig ist, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die
Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann, als Ausprägung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für den Fall der Ungewissheit darüber, ob die Haft tatsächlich erforderlich ist (vgl.
BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. November 1995 - 2 BvR 91/95 -, NVwZ-Beilage
3/1996, S. 17 <18>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2000 - 2 BvR 347/00 -, NVwZ-
Beilage I 3/2001, S. 26). Die Bestimmung berücksichtigt auf der einen Seite das grundsätzlich legitime staatliche
Interesse, auf das Sicherungsmittel der Abschiebungshaft nicht schon dann verzichten zu müssen, wenn eine
Abschiebung zwar aktuell nicht durchführbar ist, eine Prognose indes die Möglichkeit der Beseitigung oder des
Wegfalls des Abschiebungshindernisses ergibt. Auf der anderen Seite trägt die Regelung den Belangen des
Ausländers Rechnung, indem sie die Ungewissheit hinsichtlich der Dauer des - nicht von ihm zu vertretenden -
Abschiebungshindernisses lediglich für einen begrenzten Zeitraum grundsätzlich zu seinen Lasten gehen lässt.
20
Die für die Anwendung des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG notwendige Prognose hat der Richter auf der Grundlage
einer hinreichend vollständigen Tatsachengrundlage zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten
Senats vom 15. Dezember 2000 - 2 BvR 347/00 -, NVwZ-Beilage I 3/2001, S. 26). Die Freiheitsgewährleistung des
Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt auch insoweit Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für
Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Es ist unverzichtbare
Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit
betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende
Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 70, 297 <308>). Hierfür sind
regelmäßig die Akten der Ausländerbehörde beizuziehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats
vom 10. Dezember 2007 - 2 BvR 1033/06 -, NVwZ 2008, S. 304 <305>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten
Senats vom 1. April 2008 - 2 BvR 1925/04 -, juris). Angesichts des hohen Ranges des Freiheitsgrundrechts gilt dies in
gleichem Maße, wenn die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme in
Rede steht (BVerfGK 7, 87 <100>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Dezember 2007 -
2 BvR 1033/06 -, NVwZ 2008, S. 304 <305>).
21
b) Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht.
22
aa) Nach der gesetzlichen Bewertung der Interessenlage in § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist die Abschiebungshaft
unzulässig, wenn die Unmöglichkeit der Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate feststeht. Für die Anordnung
von Abschiebungshaft ist, wie sich aus Vorstehendem ergibt, von Verfassungs wegen erst Raum, wenn die
Sachverhaltsermittlung und -bewertung ergeben hat, dass entweder eine Abschiebung innerhalb der nächsten drei
Monate prognostiziert oder zunächst eine zuverlässige Prognose nicht getroffen werden kann. Erweist sich, dass die
Abschiebung innerhalb von drei Monaten voraussichtlich nicht bewerkstelligt werden kann, muss untersucht werden,
ob der Ausländer dies zu vertreten hat; ist dies nicht der Fall, darf Haft nicht angeordnet werden.
23
Die Prognose ist dabei grundsätzlich auf alle im konkreten Fall ernsthaft in Betracht kommenden Gründe, die der
Abschiebung entgegenstehen oder sie verzögern können, zu erstrecken. Soweit - wie in der obergerichtlichen
Rechtsprechung angenommen wird - allein die Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte zu beurteilen haben, ob
Abschiebungshindernisse vorliegen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG Rn. 77 m.w.N.; vgl.
auch BGHZ 78, 145 <147 ff.>; 98, 109 <112>), darf sich das nicht zulasten des Ausländers auswirken. Der Haftrichter
hat nicht nur verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
ergehen, zum Anlass zu nehmen zu untersuchen, ob die Abschiebung innerhalb der Drei-Monats-Frist des § 62 Abs. 2
Satz 4 AufenthG wieder möglich werden könnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom
28. November 1995 - 2 BvR 91/95 -, NVwZ-Beilage 3/1996, S. 17 <18>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten
Senats vom 15. Dezember 2000 - 2 BvR 347/00 -, NVwZ-Beilage I 3/2001, S. 26). Ebenso zu berücksichtigen ist die
Anhängigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens, das darauf gerichtet ist, die Abschiebung vorläufig zu
verhindern. Die Anhängigkeit dieses Verfahrens sperrt die Abschiebung zwar nicht. Gleichwohl ist die Tatsache, dass
ein Eilverfahren anhängig ist, von Bedeutung für die Entscheidung über den Haftantrag.
24
Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet die Effektivität des Rechtsschutzes gegen die öffentliche Gewalt (BVerfGE 35, 263
<274>; 35, 382 <401 f.>). Die Gewährleistung umfasst, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich in Eilverfahren so
weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine
Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden
können (vgl. BVerfGE 37, 150 <153>; 65, 1 <70>; 93, 1 <13 f.>). Dieser Gewährleistungsinhalt des Art. 19 Abs. 4 GG
entfaltet eine Vorwirkung auf das Verwaltungsverfahren, das nicht so angelegt werden darf, dass der gerichtliche
Rechtsschutz vereitelt oder unzumutbar erschwert wird (BVerfGE 61, 82 <110>; 69, 1 <49>). Die öffentliche Gewalt
verletzt dieses Recht, wenn sie eine gegen den Einzelnen gerichtete Maßnahme ohne zwingenden Grund so
kurzfristig anordnet und durchsetzt, dass ihm keine ausreichende Zeit zur Erlangung des gesetzlich vorgesehenen
Rechtsschutzes verbleibt (BVerwGE 16, 289 <291 ff.>; 17, 83 <85 f.>). Andererseits gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG
die Aussetzung behördlicher Maßnahmen nicht schlechthin. Vielmehr können überwiegende öffentliche Belange es
auch vor der Verfassung rechtfertigen, den Rechtsschutz des Einzelnen - freilich nur einstweilen - zurückzustellen,
um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten (vgl. BVerfGE
35, 382 <402>; 51, 268 <284>; 67, 43 <58 f.>).
25
Die Verwaltungsbehörden haben bei der Entscheidung über den Einsatz von Zwangsmitteln zu berücksichtigen,
dass der in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verlangte umfassende und wirksame gerichtliche Rechtsschutz illusorisch wäre,
wenn sie irreparable Maßnahmen durchführten, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben (vgl. BVerfGE
35, 382 <401 f.>). Dies gilt auch für den vorläufigen Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 46, 166 <178>). Das Gebot
effektiven Rechtsschutzes findet eine Ausprägung darin, dass Behörden dann, wenn im Eilverfahren Rechtsbehelfe
mit dem Ziel zumindest vorläufiger Aussetzung der Vollstreckung eingelegt worden sind, Verwaltungszwang
grundsätzlich erst anwenden, wenn sie dem Verwaltungsgericht ihre Vollstreckungsabsicht mitgeteilt und ihm
Gelegenheit zur Entscheidung, zumindest aber zu einer Zwischenentscheidung, gegeben haben.
26
Die Anordnung von Abschiebungshaft sichert die Vollstreckung der Ausreisepflicht und muss die genannten
Anforderungen an die Gewährleistung wirksamen Rechtsschutzes berücksichtigen. Ist Abschiebungshaft für einen
Ausländer beantragt, der zur Verhinderung der Abschiebung einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht
beantragt hat, so setzt eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Anwendung des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG
voraus, dass der Haftrichter den Stand und voraussichtlichen Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens
aufklärt und bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Insoweit besteht bei der Entscheidung über einen Haftantrag, der
einen spontan aufgegriffenen Ausländer betrifft, regelmäßig eine tatsächliche Ungewissheit. Daher kann es geboten
sein, dem Sicherungszweck der Abschiebungshaft durch Anordnung einer einstweiligen Freiheitsentziehung Rechnung
zu tragen und durch Unterrichtung des Verwaltungsgerichts darüber dieses in die Lage zu versetzen, das Gewicht der
Freiheitsentziehung des Betroffenen in seine Verfahrensgestaltung einzubeziehen und, soweit nicht angesichts der
Umstände des Einzelfalls unmöglich, innerhalb der Höchstdauer der einstweiligen Freiheitsentziehung von sechs
Wochen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 FreihEntzG) zu entscheiden. Entscheidet das Verwaltungsgericht nicht innerhalb dieses
Zeitraums, so wird es dem Haftgericht die Tatsachen mitzuteilen haben, die dieses zu einer Prognose über den
weiteren Verfahrensverlauf und damit zu einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Prüfung des
Ausschlussgrundes in § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG befähigen. Nur dann kommt eine (endgültige) Haftanordnung in
Betracht, die Grundlage einer über den in § 11 Abs. 1 Satz 2 FreihEntzG genannten Zeitraum hinausgehenden Haft
sein kann.
27
bb) Die angegriffenen Entscheidungen gehen auf § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht ein. Sie haben damit, obwohl
Anlass zu entsprechender Prüfung bestand, eine verfassungsrechtliche Sicherung vor unverhältnismäßiger
Freiheitsentziehung unbeachtet gelassen.
28
Das Amtsgericht ist auf das bei dem Verwaltungsgericht anhängige Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
nicht eingegangen, obwohl es dazu Anlass hatte. Der Beschwerdeführer hat bei seiner Anhörung auf sein deutsches
Kind hingewiesen sowie darauf, dass die Unterlagen derzeit beim Verwaltungsgericht lägen. Aus dieser - offensichtlich
nicht juristischen Kategorien folgenden - Einlassung ergaben sich deutliche Hinweise auf ein anhängiges
verwaltungsgerichtliches
Eilverfahren
(zur
Ermittlungspflicht
bei
unjuristischer
Ausdrucksweise
in
Abschiebungshaftfällen vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Dezember 2007 - 2 BvR
1033/06 -, NVwZ 2008, S. 304 <305>). Hätte das Amtsgericht diese Einlassung pflichtgemäß zum Anlass genommen
nachzuforschen, so hätte es die Anhängigkeit eines Eilverfahrens beim Verwaltungsgericht in Erfahrung gebracht.
Dessen Stand zu klären, war gemäß § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG geboten. Soweit die nötigen Ermittlungen nicht am
Tag des Ergreifens des Beschwerdeführers möglich gewesen sein sollten, hätte das Amtsgericht bei Vorliegen der
sonstigen Voraussetzungen die Haft lediglich gemäß § 11 FreihEntzG einstweilig anordnen dürfen.
29
Gegenüber dem Landgericht und dem Oberlandesgericht hat sich der Beschwerdeführer darauf berufen, dass vor der
Aufenthaltsbeendigung das Eilrechtsschutzverfahren abzuwarten sei und er deshalb auch nicht in Abschiebungshaft
genommen werden dürfe. Das Landgericht ist darauf nicht eingegangen, und es hat insoweit auch nichts ermittelt. Das
Oberlandesgericht hat lediglich ausgeführt, die Anhängigkeit des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens habe an der
Ausreisepflicht des Beschwerdeführers nichts geändert. Die Gerichte haben damit verkannt, dass das beim
Verwaltungsgericht anhängige Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bei der von Amts wegen vorzunehmenden
Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebungshaft gemäß § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG rechtlich erheblich war.
30
c) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf der Grundrechtsverletzung. Allerdings hing die Durchführbarkeit
der Abschiebung außer von dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch von der Beschaffung eines
Passersatzpapiers ab. Da sich die Gerichte aber zur voraussichtlichen Dauer der Passersatzpapierbeschaffung nicht
verhalten haben, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie bei der gebotenen Befassung mit dem
verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren eine Überschreitung der in § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG der Abschiebungshaft
gesetzten Grenzen festgestellt hätten.
31
2. Die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer zudem in
seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Gerichte haben zu
Unrecht angenommen, dass eine Anhörung des Beschwerdeführers durch das Beschwerdegericht unterbleiben durfte.
32
a) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet die Freiheit der Person als ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus
wichtigen Gründen eingegriffen werden darf (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 29, 312 <316>; 105, 239 <247>).
Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche
Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen (vgl. BVerfGE 94, 166 <198>; 96, 10 <21>), also vor Verhaftung,
Festnahme und ähnlichen Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (vgl. BVerfGE 22, 21 <26>). Nach Art. 104 Abs. 1
Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen
Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die formellen
Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in
unlösbarem Zusammenhang (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 58, 208 <220>). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in
Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem
er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz ausdrücklich die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz
ergebenden Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>; 58, 208
<220>).
33
Die mündliche Anhörung des Betroffenen vor der Entscheidung über die Freiheitsentziehung, die in § 5 Abs. 1
Satz 1 FreihEntzG festgeschrieben ist, gehört zu den bedeutsamen Verfahrensgarantien, deren Beachtung Art. 104
Abs. 1 GG fordert und mit grundrechtlichem Schutz versieht, und ist Kernstück der Amtsermittlung im
Freiheitsentziehungsverfahren (vgl. BVerfGE 58, 208 <220 ff.>; 66, 191 <195>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer
des Zweiten Senats vom 11. März 1996 - 2 BvR 927/95 -, NVwZ-Beilage 7/1996, S. 49; BVerfGK 9, 132 <138 f.>).
§ 5 Abs. 1 Satz 1 FreihEntzG gilt auch im Verfahren der sofortigen Beschwerde (vgl. § 7 Abs. 5 FreihEntzG;
Hailbronner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG Rn. 71 ; Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und
Unterbringung, 4. Aufl. 2001, § 5 FEVG Rn. 4; jeweils m.w.N.).
34
b) Das Landgericht hat den Beschwerdeführer nicht angehört. Die dafür gegebene Begründung trägt diese
Entscheidung vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund jedenfalls im vorliegenden Fall nicht. Dabei kann offen
bleiben, in welchen Fallgestaltungen die Auffassung des Landgerichts und des Oberlandesgerichts, die Anhörung
könne im Beschwerdeverfahren unterbleiben, wenn keine neuen Erkenntnisse für die Sachverhaltsaufklärung zu
erwarten seien (ähnlich Hailbronner, a.a.O., sowie Marschner/Volckart, a.a.O., jeweils m.w.N. aus der
obergerichtlichen Rechtsprechung), mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG im Einklang steht.
35
Das Landgericht hat ausgeführt, der Beschwerdeführer habe vor dem Amtsgericht Angaben gemacht und nach
seiner Festnahme bei der Beschuldigtenvernehmung zugegeben, im Jahr 2000 falsche Personalien angegeben zu
haben; er habe ebenso zugegeben, untergetaucht zu sein, nachdem seine Duldung nicht verlängert worden sei. Sein
Prozessbevollmächtigter habe schriftsätzlich vorgetragen, und die Ausführungen in der Beschwerdebegründung
rechtfertigten keine andere Entscheidung. Das Oberlandesgericht hat darauf abgestellt, der anwaltlich vertretene
Beschwerdeführer habe vor dem Amtsgericht zugegeben, untergetaucht zu sein und falsche Personalien bei seiner
Festnahme angegeben zu haben; es treffe daher nicht zu, dass das Landgericht Umstände für den Haftgrund aus § 62
Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG berücksichtigt habe, die bis dahin nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen sei.
36
Diese Ausführungen lassen bereits nicht erkennen, warum bei der grundsätzlich gebotenen mündlichen Anhörung
durch das Landgericht keine neuen Erkenntnisse zu erwarten gewesen sein sollen. Die Gerichte haben sich zudem
nur mit der Frage befasst, ob der Beschwerdeführer hinreichende Angaben gemacht hat, die gegen ihn verwertet
werden und die Annahme eines Haftgrundes stützen konnten. Es bestand aber Anlass anzunehmen, dass der
Beschwerdeführer Ausführungen zu seinen Gunsten machen wollte. Der Beschwerdeführer hatte zunächst mit seinem
gegen die Haftanordnung gerichteten „Einspruch“ vom 18. September 2006 selbst Angaben in laienhafter Form
gemacht, die im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 62 AufenthG nicht ohne weiteres als abschließend
angesehen werden durften. Im Anwaltsschriftsatz vom 12. Oktober 2006 gegenüber dem Landgericht hat der
Beschwerdeführer ausdrücklich bestritten, untergetaucht zu sein, und zum Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AufenthG vorgetragen. Der gedrängte Beschwerdevortrag zielte erkennbar nicht auf eine detailgenaue Darstellung des
Sachverhalts ab und musste dies im Hinblick auf die grundsätzlich zu erwartende mündliche Anhörung auch nicht.
Bereits angesichts dieser Umstände ist es nicht mehr verständlich, dass das Landgericht die Möglichkeit weiterer
Erkenntnisse ausgeschlossen und von einer mündlichen Anhörung abgesehen hat.
37
Hinzu kommen greifbare Fehleinschätzungen des Landgerichts. Auf das von einer ersichtlich rechtsunkundigen
Person verwendete Wort „Duldung“ in der Beschuldigtenvernehmung ohne weitere Ermittlungen abzustellen, ist kaum
nachvollziehbar. Dass der Beschwerdeführer in der Anhörung vor dem Amtsgericht zugegeben habe, bei der
Festnahme falsche Personalien angegeben zu haben, lässt sich dem Protokoll nicht entnehmen. Nachdem der
Beschwerdeführer bestritten hatte, untergetaucht zu sein, durfte das Landgericht diesbezüglich ohne weitere
Befragung des Beschwerdeführers nicht auf dessen wenig detaillierte Angaben bei der Polizei abstellen. Soweit das
Landgericht die Verwendung des auf die Aliaspersonalie lautenden Führerscheins bei der Festnahme als Indiz für die
Absicht, sich der Abschiebung zu entziehen, gewertet haben sollte, hätte dem Beschwerdeführer auch insoweit
Gelegenheit zur mündlichen Erläuterung gegeben werden müssen.
38
Schließlich ist die Einschätzung des Landgerichts darauf zurückzuführen, dass es den Sachverhalt nicht unter
Beiziehung der Ausländerakte und damit unter den hier gegebenen Umständen nicht ordnungsgemäß ermittelt hat. Die
Angabe falscher Personalien im Jahr 2000 konnte für die Prüfung der Haftgründe nicht von Bedeutung sein, nachdem
der Beschwerdeführer, was sich aus der Ausländerakte ergibt, später eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hatte.
III.
39
Die Kammer hebt nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG den Beschluss des Landgerichts
Hannover vom 25. Oktober 2006 und den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 31. Januar 2007 auf und
verweist die Sache an das Landgericht zurück. Das Landgericht wird über den mittlerweile gestellten
Feststellungsantrag zu entscheiden und dabei eine den grundrechtlichen Anforderungen genügende Prüfung der
Tatbestandsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG für den Zeitraum der vom Amtsgericht angeordneten
Haft bis zur Entscheidung des Landgerichts im Verfahren der sofortigen Beschwerde nachzuholen haben. Die
Rechtswidrigkeit der Haft von diesem Zeitpunkt an steht wegen des Verstoßes des Landgerichts gegen § 5 Abs. 1
Satz 1 FreihEntzG bereits fest.
40
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Osterloh
Mellinghoff
Gerhardt