Urteil des BVerfG vom 22.03.1999

BVerfG: ablauf der frist, verfassungsbeschwerde, papier, behinderung, grundrecht, geringfügigkeit, versammlungsfreiheit, blockade, gefährdung, ausnahme

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 487/91 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn N...
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Karl Joachim Hemeyer,
Mühlstraße 14, Tübingen -
gegen
1. a) den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 24. Januar 1991
- 1 S 186/91 -,
b)
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart
vom 27. September 1990 - 1 K 1537/89 -,
c)
den Widerspruchsbescheid des Landratsamts
Ostalbkreis vom 13. April 1989
- VII/70 A - 100.13 -,
d)
den Kostenbescheid der Polizeidirektion Aalen
vom 25. November 1987 - PD AA-793 -,
2. a)
den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 24. Januar 1991
- 1 S 190/91 -,
b)
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart
vom 27. September 1990 - 1 K 2656/89 -,
c)
den Widerspruchsbescheid des Landratsamts
Rems-Murr-Kreis vom 7. August 1989
- 7010 mo-and -,
d)
den Kostenbescheid der Polizeidirektion
Waiblingen vom 28. März 1989
- III b.2-0541.6/89 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den
Vizepräsidenten Papier
und die Richter Grimm,
Hömig
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473)
am 22. März 1999 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.
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1. Soweit der Beschwerdeführer sich gegen die Gebührenerhebung und die nachfolgenden Entscheidungen anläßlich
der Blockadeaktion vom 9. August 1984 in Mutlangen richtet, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Die
angegriffenen Entscheidungen sind erst nach dem am 5. März 1991 eingetretenen Ablauf der Frist des § 93 Abs. 1
BVerfGG vorgelegt worden. Sie sind beim Bundesverfassungsgericht erst am 6. März 1991 eingegangen und auch in
der Beschwerdeschrift nicht in einer Weise inhaltlich dargestellt worden, die eine verfassungsrechtliche Überprüfung
ermöglichen würde.
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2. Hinsichtlich der Gebührenerhebung und der nachfolgenden Entscheidungen anläßlich der Blockadeaktion vom 9.
Mai 1987 wirft die Verfassungsbeschwerde weder Fragen von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung auf
noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt.
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Die für die Gebührenpflichtigkeit vorgreiflichen Fragen, ob Sitzblockaden vom Grundrechtsschutz des Art. 8 Abs. 1
GG erfaßt werden, welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen versammlungsbeschränkende Anordnungen
unterliegen und ob Versammlungsteilnehmer verpflichtet sind, solche Anordnungen zu befolgen, sind vom
Bundesverfassungsgericht geklärt, zum Teil allerdings erst nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde (BVerfGE 69,
315 <349, 352 ff.>; 73, 206 <248 ff.>; 85, 69; 87, 399 <409>; 92, 1). Weiteren Klärungsbedarf schafft die
Verfassungsbeschwerde nicht. Die die Kostenersatzregelungen betreffenden Rügen sind nicht in zulässiger Weise
erhoben worden. Die Verfassungsbeschwerde genügt insoweit nicht den Begründungsanforderungen (§§ 23 Abs. 1
Satz 2, 92 BVerfGG). Der Beschwerdeführer setzt sich nicht mit den tragenden Erwägungen der grundlegenden
Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (ESVGH 36, 217 <219>) auseinander, die einen
Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt der Ungleichbehandlung zu strafgerichtlich Verurteilten
verneint hat und auf die im Ausgangsverfahren ausdrücklich Bezug genommen worden ist. In bezug auf Art. 4 GG
fehlt es an Darlegungen, inwiefern dieses Grundrecht einen über Art. 8 GG hinausgehenden Schutz vermittelt, wenn
die Demonstration aus Gewissensgründen erfolgt ist.
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Allerdings steht die Annahme der Gerichte, die Ausübung von Zwang gegen Dritte mittels einer Blockade gehe stets
über das Grundrecht der Versammlungsfreiheit hinaus, nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts, wonach Sitzblockaden nicht bereits wegen gezielter und beabsichtigter Behinderungen
Dritter aus dem Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG herausfallen (BVerfGE 73, 206 <248>; 87, 399 <406>). Hierauf
beruhen die angegriffenen Entscheidungen jedoch nicht. Denn die Befugnis zum polizeilichen Einschreiten ist
selbständig mit der durch das Betreten des militärischen Sicherheitsbereichs eingetretenen Beeinträchtigung der
militärischen Funktionsfähigkeit und die durch ihren Aufenthalt im militärischen Sicherheitsbereich für die
Versammlungsteilnehmer selbst bestehende Gefährdung begründet worden. Das begegnet keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken. Die in der gezielten und absichtlichen Behinderung liegende Beeinträchtigung
gleichwertiger Rechtsgüter anderer rechtfertigt versammlungsbeschränkende Maßnahmen, um den Rechten der
behinderten Dritten Geltung zu verschaffen, wenn deren Behinderung über eine Geringfügigkeit hinausgeht (BVerfGE
73, 206 <249 f.>). Anhaltspunkte dafür, daß die Schwelle der Geringfügigkeit hier nicht überschritten war, sind weder
dargelegt noch sonst ersichtlich. Auch unter dem Gesichtspunkt des abschreckenden Effekts der Gebührenerhebung
bedarf die Verfassungsbeschwerde keiner Ausnahme, weil die Erhebung die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung
voraussetzt, was die angegriffenen Entscheidungen auch nicht in Frage stellen, und die erhobenen Kosten gering
sind.
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3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Grimm
Hömig