Urteil des BVerfG vom 07.05.2014
BVerfG: vorrang des gesetzes, krankenkasse, apotheker, systematische auslegung, beachtliche gründe, krankenversicherung, berufsfreiheit, ausschluss, eingriff, vergütung
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 3571/13 -
- 1 BvR 3572/13 -
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
1. des Herrn I…
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. Heinz-Uwe Dettling und Johanna Briese
in Sozietät Oppenländer Rechtsanwälte,
Börsenplatz 1, 70174 Stuttgart -
gegen das Urteil des Bundessozialgerichts vom 2. Juli 2013 - B 1 KR 49/12
R -
- 1 BvR 3571/13 -,
2. des Herrn K…
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. Heinz-Uwe Dettling und Johanna Briese
in Sozietät Oppenländer Rechtsanwälte,
Börsenplatz 1, 70174 Stuttgart -
gegen
a)
das Urteil des Bundessozialgerichts vom 2. Juli 2013 - B 1 KR 5/13
R -,
b)
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 24. August 2012 - S 3 KR
301/09 -
- 1 BvR 3572/13 -
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Gaier,
Schluckebier,
Paulus
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.
August 1993 (BGBl I S. 1473) am 7. Mai 2014 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1
Die beschwerdeführenden Apotheker wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen
den vollständigen Ausschluss ihrer Vergütungsansprüche (sog. „Retaxation auf Null“) gegen die
gesetzlichen Krankenkassen in Fällen der Abgabe von Arzneimitteln unter Außerachtlassung
von Rabattverträgen.
2
1. a) § 129 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche
Krankenversicherung regelt die Verpflichtung von Apotheken zur Abgabe preisgünstiger
Arzneimittel in den Fällen, in denen der verordnende Arzt ein Arzneimittel nur unter seiner
Wirkstoffbezeichnung verordnet oder die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches
Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat (Nr. 1, „aut-idem-Regelung“), zur Abgabe preisgünstiger
importierter Arzneimittel (Nr. 2), zur Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen (Nr. 3) und zur
Angabe des Apothekenabgabepreises auf der Arzneimittelpackung (Nr. 4).
3
Bei der Abgabe eines wirkstoffgleichen Arzneimittels ist nach § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V die
Ersetzung grundsätzlich durch ein Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Rabattvereinbarung
nach § 130a Abs. 8 SGB V mit Wirkung für die Krankenkasse besteht. Solche
Rabattvereinbarungen können die Krankenkassen oder ihre Verbände mit pharmazeutischen
Unternehmern für die zu ihren Lasten abgegebenen Arzneimittel treffen (§ 130a Abs. 8 SGB V
Satz 1).
4
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB V gelten für die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer
Verbände unter anderem zu Apotheken und deren Verbänden die §§ 63 und 64 SGB V und die
Bestimmungen des 4. Kapitels des SGB V (§§ 69 bis 140h SGB V). Im Übrigen gelten für diese
Rechtsbeziehungen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend, soweit sie
mit den Vorgaben des § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach
dem 4. Kapitel des SGB V vereinbar sind (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
5
b) Das „Nähere“ zur Verpflichtung der Apotheken bei der Abgabe verordneter Arzneimittel regelt
auf der Grundlage des § 129 Abs. 2 SGB V ein Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung
zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband
e.V. in der hier maßgeblichen Fassung vom 23. März 2007 (im Folgenden: RV). Dort finden sich
unter anderem Bestimmungen über das Zustandekommen des Zahlungs- und Lieferanspruchs
zwischen Krankenkasse und Apotheke.
6
Die Bestimmung des § 3 RV lautet:
7
§ 3
Zahlungs- und Lieferanspruch
(1) Ein Vertrag zwischen Krankenkasse und Apotheke kommt für vertragsgegenständliche
Produkte durch die Annahme einer ordnungsgemäßen gültigen vertragsärztlichen Verordnung
zustande. Ist ein Preis nicht durch gesetzliche oder vertragliche Regelungen bestimmt, so bedarf
es einer Einigung zwischen Apotheke und Krankenkasse über den Preis. Vertragsärztliche
Verordnungen dürfen ab Ausstellung längstens einen Monat zu Lasten der Krankenkasse
beliefert werden, sofern eine entsprechende Regelung in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1
Satz 2 Nr. 6 SGB V getroffen ist. Das Nähere kann in den ergänzenden Verträgen geregelt
werden.
(2) Ist eine Voraussetzung nach Absatz 1 nicht erfüllt, so besteht kein vertraglicher
Zahlungsanspruch gegenüber der Krankenkasse.
8
§ 4 RV regelt die Substitutionspflicht gemäß § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V. Dieser lautet
auszugsweise:
9
§ 4
Auswahl preisgünstiger Arzneimittel
(1) Hat der Vertragsarzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder die
Ersetzung eines unter seinem Produktnamen verordneten Fertigarzneimittels durch ein
wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen, hat die Apotheke ein Fertigarzneimittel nach
den Vorgaben der Absätze 2 bis 4 abzugeben und zu berechnen.
(2) Hat der Arzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet, so stehen die
drei preisgünstigsten Arzneimittel zur Auswahl, die der Verordnung entsprechen. Abweichend
von Satz 1 ist die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine
Vereinbarung nach § 130a Absatz 8 SGB V (Rabattvertrag) besteht und für das die
Voraussetzungen nach Absatz 4 gegeben sind, soweit in den ergänzenden Verträgen nach
§ 129 Absatz 5 SGB V nichts anderes vereinbart ist.
(3) …
(4) Die Apotheke hat ein wirkstoffgleiches Fertigarzneimittel abzugeben, für das ein
Rabattvertrag nach § 130a Absatz 8 SGB V („rabattbegünstigtes Arzneimittel“) besteht, wenn
a) bis d) …
(5) …
10
§ 11 RV sieht Sanktionsregelungen im Sinne des § 129 Abs. 4 SGB V vor. Die Vorschrift lautet:
11
§ 11
Vertragsmaßnahmen
(1) Bei Verstößen gegen § 129 Absatz 1 SGB V, gegen die Auskunftspflicht nach § 293 Absatz 5
Satz 4 SGB V, gegen diesen Vertrag oder gegen die ergänzenden Verträge nach § 129 Absatz 5
SGB V können die zuständigen Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der
Ersatzkassen nach Anhörung des Betroffenen, bei Mitgliedsapotheken im Benehmen mit dem
zuständigen Mitgliedsverband des Deutschen Apothekerverbandes, folgende
Vertragsmaßnahmen aussprechen:
1. Verwarnung
2. Vertragsstrafe bis zu 25.000,00 €
3. bei gröblichen und wiederholten Verstößen Ausschluss des Apothekenleiters/der
Apothekenleiterin von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren.
(2) Die Vertragsmaßnahmen nach Absatz 1 Ziffer 1 und 2 können auch nebeneinander verhängt
werden.
12
Ergänzende Vereinbarungen und Bestimmungen finden sich unter § 13 RV:
13
§ 13
Ergänzende Bestimmungen
(1) Ergänzend können Vereinbarungen nach § 2 Absatz 4 des Rahmenvertrages getroffen
werden.
(2) Im Übrigen gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend, soweit sie
mit § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem Vierten
Kapitel des SGB V vereinbar sind (§ 69 Satz 3 SGB V).
14
Die Schlussbestimmungen des Rahmenvertrages lauten auszugsweise wie folgt:
15
§ 14
Schlussbestimmungen
(1) …
(2) Übergangsweise finden für den Abgabezeitraum vom 1. April 2007 bis zum 31. Mai 2007
keine Vertragsmaßnahmen und keine Retaxationen statt, die auf die Nichtbeachtung des § 4
Absatz 4 des Rahmenvertrages gestützt werden, soweit es sich nicht um grobe und
systematische Verstöße handelt, die einvernehmlich von den in § 2 Absatz 4 genannten,
zuständigen Verbänden festgestellt werden.
(3) bis (5) …
16
c) Gemäß § 129 Abs. 5 Satz 1 SGB V können die Krankenkassen oder ihre Verbände mit der für
die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf
Landesebene ergänzende Verträge schließen. Für die Versorgung eines Versicherten der im
Ausgangsverfahren beklagten Krankenkasse (im Folgenden: Beklagte) war ein solcher
ergänzender Vertrag auf Landesebene in Form des Arzneilieferungsvertrages Ersatzkassen (im
Folgenden: ALV-EK) in der ab 1. Juli 2005 geltenden Fassung geschlossen.
17
2. Im Oktober 2007 gaben die Beschwerdeführer an Versicherte der Beklagten jeweils ein in der
ärztlichen Verordnung mit der Maßgabe „aut idem“ bezeichnetes Arzneimittel ab. Die Beklagte
hatte für das jeweilige Arzneimittel mit dessen Hersteller keinen Rabattvertrag nach § 130a Abs.
8 SGB V geschlossen, hingegen für andere, mit dem abgegebenen Arzneimittel nach Wirkstoff,
Wirkstärke, Darreichungsform, Packungsgröße und Indikationsbereich austauschbare
Arzneimittel. Die Beklagte vergütete den Beschwerdeführern unter Abzug des Apothekerrabatts
zunächst den jeweils abgerechneten Betrag, machte dann aber jeweils einen
Erstattungsanspruch in voller Höhe geltend und rechnete den vergüteten Betrag gegen einen
anderen Vergütungsanspruch der Beschwerdeführer auf.
18
Im Ausgangsverfahren zum Verfahren 1 BvR 3571/13 verurteilte das Sozialgericht die Beklagte
zur Zahlung des zunächst vergüteten Betrags in Höhe von 17,49 €. Die Klage des
Beschwerdeführers im Verfahren 1 BvR 3572/13 auf Zahlung von 47,08 € wurde hingegen
schon in erster Instanz abgewiesen. Das Bundessozialgericht gab der (Sprung-)Revision der
beklagten Krankenkasse im zuerst genannten Verfahren statt und wies die Klage ab. Im zweiten
Verfassungsbeschwerdeverfahren wies das Bundessozialgericht die Revision der nunmehrigen
Beschwerdeführer mit im Wesentlichen gleicher Begründung zurück.
19
Der entstandene streitgegenständliche Vergütungsanspruch des jeweiligen Beschwerdeführers
sei durch wirksame Aufrechnung der beklagten Krankenkasse mit einem eigenen öffentlich-
rechtlichen Erstattungsanspruch in gleicher Höhe erloschen. Mit dem abgegebenen Arzneimittel
habe die Apotheke ihre öffentlich-rechtliche Leistungspflicht nicht erfüllt, sondern das
Substitutionsgebot für das jeweils „aut idem“ verordnete Rabattarzneimittel missachtet. Der
Verstoß gegen das Substitutionsgebot schließe jegliche Vergütung für die Abgabe des
Arzneimittels aus. Dies folge schon aus den allgemeinen Voraussetzungen des
Vergütungsanspruchs für Apotheker. Eine Vergütungspflicht würde dem Gesetzeszweck des
Substitutionsgebots widersprechen. Mit der Annahme einer Vergütungspflicht wäre außer Acht
gelassen, dass eine Arzneimittelabgabe unter Verstoß gegen das Substitutionsgebot keinen
Anspruch des Versicherten erfülle. Es bestehe auch kein Anspruch auf Wertersatz oder
zumindest auf Erstattung der Kosten der Warenbeschaffung. Wegen der Grenzen eines
Vergütungsanspruchs sei auch die Anwendung der Regelungen über die Herausgabe einer
ungerechtfertigten Bereicherung nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen ausgeschlossen.
Sowohl der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch als solcher als auch seine
Geltendmachung im Aufrechnungswege stünden in Einklang mit höherrangigem Recht. Die in
§ 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V und § 4 Abs. 2 Satz 2 RV liegende Berufsausübungsregelung für
Apotheker sei durch vernünftige Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Die damit
verbundene Belastung sei für Apotheker spürbar, aber gering. Diese Berufsausübungsregelung
diene in geeigneter Weise und nach vertretbarer Einschätzung des Gesetzgebers in
erforderlichem Umfang der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen
Krankenversicherung. Das Substitutionsgebot sei auch verhältnismäßig. Die Sicherung der
finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung sei ein Gemeinwohlbelang sogar
von überragender Bedeutung. Es begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das
Gesetz die strikte Einhaltung des Substitutionsgebots einfordere und bei insoweit fehlerhafter
Abgabe einen Vergütungsanspruch vollständig ausschließe.
20
3. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer jeweils eine Verletzung von
Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 sowie von
Art. 103 Abs. 2 GG.
21
a) Für den Eingriff in die Berufsfreiheit durch Versagung jeglichen Vergütungsanspruchs in
Anwendung des Rechtsinstituts der pauschalen „Retaxation auf Null“ fehle es an der
notwendigen gesetzlichen Grundlage. Die vom Bundessozialgericht angenommene
vergütungsrechtliche Rechtsfolge ergebe sich nicht aus dem Wortlaut, der
Entstehungsgeschichte oder aus Sinn und Zweck des Substitutionsgebots gemäß § 129 Abs. 1
Satz 3 SGB V. Vielmehr sprächen systematische Erwägungen gegen den Ausschluss jeglicher
Vergütung als Rechtsfolge. Das Bundessozialgericht habe unter anderem durch Überschreitung
der methodischen Gesetzesauslegung und Willkürlichkeit die Grenzen der richterlichen
Rechtsanwendung und Rechtsauslegung überschritten. Die vollständige Abweisung der
Zahlungsklage entspreche schließlich nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Wirkung
der pauschalen „Retaxation auf Null“, die aufgrund ihrer für Apotheken existenzgefährdenden
Wirkung als berufswahlnahe Regelung einzustufen sei, gehe weit über die Verfolgung legitimer
Gemeinwohlzwecke hinaus, weil sie in vielen Fällen zu einer ungerechtfertigten Bereicherung
der Krankenkassen auf Kosten der Apotheken führe. Die pauschale „Retaxation auf Null“ sei
schließlich weder geeignet noch erforderlich, um die Steuerungsfunktion der
Abgabebestimmungen zu gewährleisten. Insbesondere sei nicht ersichtlich, weshalb das vom
Gesetzgeber vorgesehene Sanktionsprogramm gemäß § 129 Abs. 4 SGB V in Verbindung mit
§ 11 RV nicht ausreichend sein sollte. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur
pauschalen „Retaxation auf Null“ sei schließlich auch unverhältnismäßig im engeren Sinne, weil
ihre Folgen für den betroffenen Apotheker unzumutbar seien.
22
b) Darüber hinaus rügen die Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3
Abs. 1 GG. Unter anderem seien in den angegriffenen Entscheidungen die gesetzlichen
Verweisungen auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs willkürlich nicht berücksichtigt
worden. Zudem liege eine Verletzung des Gleichbehandlungsverbots vor, weil mit der von den
Gerichten angewandten „Retaxation auf Null“ zahlreiche ungerechtfertigte Gleichbehandlungen
verbunden seien.
23
c) Schließlich seien die Beschwerdeführer durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren
Grundrechten aus Art. 14 GG, auf schuldangemessene Strafe gemäß Art. 1 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 2 Abs. 1 GG sowie in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf gesetzliche Bestimmung der
Strafbarkeit aus Art. 103 Abs. 2 GG verletzt.
II.
24
Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die
Verfassungsbeschwerden erfüllen nicht die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2
BVerfGG. Ihnen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu und ihre Annahme ist nicht zur
Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt. Die Verfassungsbeschwerden
haben keine Aussicht auf Erfolg, weil für eine Verletzung der gerügten Grundrechte nichts
ersichtlich ist.
25
1. Auf der Grundlage des Vorbringens der Verfassungsbeschwerden ist nicht erkennbar, dass
die Beschwerdeführer durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrer Berufsfreiheit (Art. 12
Abs. 1 GG) verletzt sein könnten.
26
Das Vorbringen der Beschwerdeführer lässt zwar einen Eingriff in ihre Berufsfreiheit erkennen,
weil die aus § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Satz 2 RV folgende
Verpflichtung der Apotheker zur Einhaltung des Substitutionsgebots und erst recht der durch die
angegriffenen Entscheidungen bestätigte vollständige Vergütungsausschluss die freie
Berufsausübung beschränken. Es gibt jedoch weder nach dem Vorbringen der
Beschwerdeführer noch sonst hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Eingriff
verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, weil mit den angegriffenen Entscheidungen dem
Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG nicht Rechnung getragen (dazu ) oder den
inhaltlichen Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG nicht entsprochen wäre (dazu ).
27
a) Mit den Darlegungen der Verfassungsbeschwerden ist zunächst nicht aufgezeigt, dass die
formalen Anforderungen in Bezug auf den berufsbezogenen Gesetzesvorbehalt nicht erfüllt sind.
28
Das Fehlen einer ausdrücklichen normativen Regelung bedeutet nicht notwendig, dass eine die
Berufsfreiheit einschränkende Gerichtsentscheidung den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 Satz
2 GG widersprechen müsste (vgl. BVerfGE 37, 67 <77>; 54, 224 <234 f.>; 80, 269 <279>; 82, 209
<224 f.>). Aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG angeordneten Vorrang des Gesetzes folgt kein Verbot für
den Richter, gegebenenfalls vorhandene gesetzliche Lücken im Wege der richterlichen
Rechtsfortbildung zu schließen (vgl. BVerfGE 108, 150 <160>). Das Bundesverfassungsgericht
beschränkt seine Kontrolle insoweit darauf, ob das Fachgericht bei der Rechtsfindung die
gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert und von den anerkannten Methoden der
Gesetzesauslegung in vertretbarer Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BVerfGE 82, 6 <13>; 96,
375 <394 f.>; 111, 54 <81 f.>; 122, 248 <258>).
29
Auf dieser Grundlage begegnen die angegriffenen Entscheidungen im Hinblick auf die
Beachtung des Gesetzesvorbehalts keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die vom Bundessozialgericht vorgenommene Auslegung des § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V in
Verbindung mit § 4 Abs. 2 Satz 2 RV und § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V bewegt sich vielmehr im
Rahmen herkömmlicher Rechtsfindung. Den angegriffenen Entscheidungen des
Bundessozialgerichts lässt sich zumindest nachvollziehbar entnehmen, dass die
Vergütungsansprüche der Apotheken durch § 129 SGB V in Verbindung mit den Verträgen nach
§ 129 Abs. 2 und 5 Satz 1 SGB V geregelt werden, und auf dieser Rechtsgrundlage hier die
Beschwerdeführer keinen Vergütungsanspruch erworben haben.
30
Dieser Auslegung stehen weder der Wortlaut des § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V noch die
Entstehungsgeschichte der Norm oder systematische Erwägungen entgegen. Es ist Aufgabe
und Befugnis der Fachgerichte, die Zweifelsfragen, die sich - wie hier - mangels einer
ausdrücklichen Regelung bei der Gesetzesanwendung stellen, mit Hilfe der anerkannten
Auslegungsmethoden zu beantworten (vgl. BVerfGE 79, 106 <120>). Zu diesen anerkannten
Methoden zählen auch die teleologische und die systematische Auslegung, die das
Bundessozialgericht vorliegend angewandt hat (vgl. BVerfGE 48, 246 <256 ff.>). Auch der
Entstehungsgeschichte des § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V lässt sich kein Hinweis entnehmen, der
gegen das gewonnene Auslegungsergebnis spricht. Aus den Darlegungen der
Verfassungsbeschwerden folgt nichts anderes. Die Beschwerdeführer stellen lediglich ihre
eigene Auslegung dem Normverständnis des Bundessozialgerichts gegenüber, ohne
hinreichend substantiiert aufzuzeigen, dass sich die Auslegung in den angegriffenen
Entscheidungen nicht mehr im Rahmen anerkannter Methoden der Rechtsfindung bewegt.
Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb die Regelung von Sanktionen, die im Rahmenvertrag
nach § 129 Abs. 4 SGB V zu erfolgen hat und hier mit den Vertragsmaßnahmen nach § 11 RV
auch getroffen wurde, unter systematischen Gesichtspunkten gegen die vom
Bundessozialgericht angenommene Rechtsfolge sprechen sollte, zumal auch im einschlägigen
Rahmenvertrag das Nebeneinander von Vertragsmaßnahmen und Retaxationen
vorausgesetzt wird (vgl. § 14 Abs. 2 RV).
31
Ebenso wenig lässt sich aus den Darlegungen der Beschwerdeführer entnehmen, dass sich der
in den angegriffenen Entscheidungen angenommene Ausschluss der Regelungen über die
Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen
nicht mehr im Rahmen herkömmlicher Rechtsfindung bewegen könnte. Dass die
Beschwerdeführer aufgrund historischer und teleologischer Erwägungen zu einem anderen
Auslegungsergebnis gelangen, bewegt sich auf einfach-rechtlicher Ebene und genügt für sich
genommen noch nicht, um die gerügte Verfassungswidrigkeit zu begründen.
32
b) Zudem sind mit den Verfassungsbeschwerden keine Umstände dargetan oder sonst
ersichtlich, nach denen die angegriffenen Entscheidungen den inhaltlichen Anforderungen des
Art. 12 Abs. 1 GG nicht standhalten könnten.
33
Die Gerichte sind zwar, wenn sie Einschränkungen der grundsätzlich freien Berufsausübung für
geboten erachten, an dieselben Maßstäbe gebunden, die nach Art. 12 Abs. 1 GG auch den
Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einschränken (vgl. BVerfGE 54, 224 <235>; 97, 12
<27>; 108, 150 <160>), die in dem hier gerichtlich bestätigten Vergütungsausschluss liegende
Berufsausübungsregelung ist jedoch durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls
gerechtfertigt.
34
aa) Soweit die Beschwerdeführer die Auffassung vertreten, die pauschale „Retaxation auf Null“
sei als berufswahlnahe Regelung einzustufen, lässt sich auf der Grundlage ihres Vortrags schon
nicht die besondere Intensität der wirtschaftlichen Beeinträchtigung erkennen, die insoweit nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erforderlich ist (vgl. BVerfGE 13, 181
<187>; 16, 147 <165>; 30, 292 <314>). Dessen ungeachtet dient die Bindung der Apotheker an
das Substitutionsgebot - auch nach Ansicht der Beschwerdeführer - der Wirtschaftlichkeit der
Arzneimittelversorgung und damit der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen
Krankenversicherung. Dieses Ziel kann als überragend wichtiger Gemeinwohlbelang (vgl.
BVerfGE 68, 193 <218>; 114, 196 <248>) ausreichend sein, um selbst einen Eingriff mit
berufswahlregelnder Wirkung zu rechtfertigen.
35
bb) Zudem gibt es keine Hinweise darauf, dass das Bundessozialgericht bei seinen
Entscheidungen durch den vollständigen Vergütungsausschluss unverhältnismäßig in die durch
Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit der Beschwerdeführer eingegriffen hätte.
36
(1) Auch auf der Grundlage der Ausführungen der Beschwerdeführer ist nicht erkennbar, dass
die vom Bundessozialgericht gewählte Auslegung nicht geeignet ist, um dem genannten
Gemeinwohlbelang zu dienen. Ebenso wenig überzeugt die Auffassung der Beschwerdeführer,
wonach die pauschale „Retaxation auf Null“ nicht erforderlich sei, weil es mildere und
insbesondere differenziertere Mittel gebe, um den Abgabevorschriften Wirksamkeit zu verleihen.
37
Insbesondere legen die Beschwerdeführer nicht plausibel dar, dass die nach § 129 Abs. 4 SGB
V in Verbindung mit § 11 RV vorgesehene Möglichkeit einer Vertragsmaßnahme ein gleich
wirksames, aber die Berufsfreiheit weniger fühlbar einschränkendes Mittel (vgl. BVerfGE 30, 292
<316>; 75, 246 <269>; 80, 1 <30>; 117, 163 <189>) ist, um die Sicherung der finanziellen
Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zu erreichen. Entscheidend ist, dass die
Vertragsmaßnahmen nicht bereits im konkreten Fall auf die Verletzung des Substitutionsgebots
reagieren können.
38
Ein auf die „Sowiesokosten“ im Falle der Abgabe eines Rabattvertragsarzneimittels beschränkter
Vergütungs- beziehungsweise Bereicherungsanspruch stellt zwar ein milderes Mittel als der
vollständige Vergütungsausschluss dar, ist aber nicht in gleicher Weise geeignet. Es liegt im
Gegenteil auf der Hand, dass der Ausschluss jeglicher Vergütung wegen der weitergehenden
Nachteile für die Apotheken stärkere Wirkungen für die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots
zeigt.
39
(2) Schließlich ergibt sich auf der Grundlage des Vorbringens der Beschwerdeführer keine
Unzumutbarkeit des vollständigen Vergütungsausschlusses bei einem Verstoß gegen das
Substitutionsgebot. Das Ausmaß einer wirtschaftlichen Betroffenheit durch den
Vergütungsausschluss im Falle eines Verstoßes gegen das Substitutionsgebot haben die
Beschwerdeführer weder in Hinblick auf ihre eigenen Betriebe noch in genereller Hinsicht
hinreichend konkret dargelegt. Gegen eine Annahme der Unzumutbarkeit spricht zudem
entscheidend, dass es die Beschwerdeführer selbst in der Hand haben, ihre
Vergütungsansprüche durch ein pflichtgemäßes, dem Substitutionsgebot entsprechendes
Ausgabeverhalten zu verdienen und für sich zu sichern. Auch unter Berücksichtigung des
beispielhaft geschilderten Fehlers bei Abgabe eines rabattierten Importarzneimittels ist nicht
erkennbar, dass die Beschwerdeführer durch beachtliche Gründe, wie überhöhte
Sorgfaltsanforderungen oder Notlagen, allgemein oder auch nur in konkreten Situationen
gehindert sein könnten, ihren Verpflichtungen bei angemessener Pflichtanstrengung zu
genügen.
40
2. Auch der gerügte Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot ist
nicht ersichtlich.
41
Willkürlich ist ein Richterspruch nur dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich
vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen
beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein
macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn eine
offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise
missdeutet wird. Von einer willkürlichen Missdeutung kann jedoch nicht gesprochen werden,
wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung
nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13>; 96, 189
<203>).
42
Aus den vorstehenden Gründen zur Einhaltung der Vorgaben in Bezug auf den
Gesetzesvorbehalt (vgl. oben II. 1. a) ergibt sich zugleich, dass die vom Bundessozialgericht
vertretene Rechtsauffassung nicht willkürlich in diesem Sinne ist. Auch die in diesem
Zusammenhang von den Beschwerdeführern angeführten Argumente lassen diesen Schluss
nicht zu. Ebenso wenig lassen die angegriffenen Entscheidungen eine willkürliche
Nichtberücksichtigung der gesetzlichen Verweisungen auf die Vorschriften des Bürgerlichen
Gesetzesbuchs erkennen. Die Beschwerdeführer haben zudem die behauptete „wechselhaft-
willkürliche Bejahung und Verneinung eines abschließenden Charakters der
kollektivvertraglichen Sanktionsregelungen“ nicht nachvollziehbar belegt. Ungeachtet seiner
fraglichen verfassungsrechtlichen Relevanz kann auch dem Hinweis der Beschwerdeführer nicht
gefolgt werden, wonach das Bundessozialgericht die Trennung von Vergütungs- und
Sanktionsvorschriften im Falle der Krankenkasse bejahe, sie dann aber vermeintlich willkürlich
zulasten der Apotheken aufhebe.
43
3. Soweit die Beschwerdeführer darüber hinaus nur pauschal eine Verletzung des
Gleichbehandlungsgebots (Art. 3 Abs. 1 GG) durch die „Retaxation auf Null“ in Bezug auf
verschiedene Vergleichsgruppen wie Vertragsärzte, Leistungserbringer außerhalb der
gesetzlichen Krankenversicherung sowie die gesetzlichen Krankenkassen rügen, fehlt es an der
erforderlichen Auseinandersetzung mit nahe liegenden Gründen für eine Differenzierung (vgl.
BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. Februar 2008 - 1 BvR 1778/05 -,
juris; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2009 - 2 BvR 1957/08 -,
juris).
44
4. Auch der gerügte Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht dargelegt.
45
Die Beschwerdeführer setzen sich weder damit auseinander, dass die Frage der Entstehung
einer dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG unterfallenden Rechtsposition durch eine
gesetzliche Regelung eine einfachrechtliche Frage ist (vgl. 45, 142 <179 f.>; BVerfGK 16, 207
<228>), noch haben sie, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, hinreichend substantiiert
aufgezeigt, dass die zu einem vollständigen Ausschluss der Vergütung führende Auslegung
verfassungsrechtlich zu beanstanden ist.
46
5. Die Ausführungen in den Verfassungsbeschwerden lassen schließlich auch keinen Verstoß
gegen Art. 103 Abs. 2 GG erkennen.
47
Es fehlt schon an einem Eingriff in den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG durch die
Rechtsprechung zur pauschalen „Retaxation auf Null“, weil es insoweit nicht genügt, dass eine
Maßnahme an ein rechtswidriges Verhalten anknüpft (vgl. BVerfGE 105, 135 <153>; 109, 133
<167>; 117, 71 <110>).
48
6. Nach alledem ist auch eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf
schuldangemessene Strafe gemäß Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG nicht ersichtlich.
49
7. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
50
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Gaier
Schluckebier
Paulus