Urteil des BVerfG vom 04.09.2008
BVerfG: zustellung, europäische kommission, rechtliches gehör, veränderte verhältnisse, schadenersatz, rechtsstaatsprinzip, verfassungsbeschwerde, tochtergesellschaft, markt, rechtshilfe
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1739/06 -
- 2 BvR 1811/06 -
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
der Firma K... AG,
vertreten durch den Vorstand Dres. S..., R..., C...,
- Bevollmächtigte:
Dres. Stephan Barthelmeß und Tilman Kuhn
in Sozietät Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP,
Main Tower, Neue Mainzer Straße 52, 60311 Frankfurt -
1.
gegen
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 20. Juli 2006 - 16 VA 7/05 -,
b)
die Verfügung des Niedersächsischen Justizministeriums vom 17. Juni 2005 - 9341 E
I a - A 5 - 201.41/04 (17/05) -
- 2 BvR 1739/06 -,
2.
gegen
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 20. Juli 2006 - 16 VA 4/05 -,
b)
die Verfügung des Niedersächsischen Justizministeriums vom 2. Mai 2005 - 9341 E I
a - A 5 - 201.41/04 -
- 2 BvR 1811/06 -
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Broß,
Di Fabio
und Landau
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 4. September 2008 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und nicht zur Entscheidung
angenommen.
Gründe:
1
Die  Verfassungsbeschwerden  betreffen  die  im  Wege  der  Rechtshilfe  beantragte  Zustellung  von  Sammelklagen  auf
Schadenersatz,  mit  denen  die  Beschwerdeführerin  vor  Gerichten  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  (USA)  in
Anspruch genommen werden soll.
I.
2
1.  Die  Beschwerdeführerin  ist  eine  in  O...  ansässige  Tochtergesellschaft  eines  italienischen  Unternehmens.  Sie
verarbeitet  Kupfer  und  Kupferlegierungen  insbesondere  zu  Kupferrohren.  Über  ihre  Tochtergesellschaft  vertreibt  sie
auch Kupferrohre in den USA. Im Herbst 2004 setzte die Europäische Kommission gegen die Beschwerdeführerin und
weitere  Unternehmen  Geldbußen  fest,  da  diese  ein  Kartell  auf  dem  europäischen  Markt  für  Wasser-,  Heizungs-  und
Gasrohre gebildet hätten (Entscheidung vom 3. September 2004, K [2004] 2826).
3
2.  Daraufhin  reichten  verschiedene  Kläger  gegen  die  Beschwerdeführerin  Sammelklagen  (class  actions)  bei  US-
amerikanischen  Bundesgerichten  ein.  Zur  Begründung  nehmen  sie  auf  die  Entscheidung  der  Europäischen
Kommission Bezug und behaupten, die Beschwerdeführerin und die anderen von der Entscheidung der Europäischen
Kommission  betroffenen  Unternehmen  hätten  auch  Verkaufspreise  für  Kupfersanitärrohre  in  den  USA  festgelegt.
Dadurch  hätten  sie  die  Kläger,  die  angeben,  Abnehmer  von  Kupfersanitärrohren  der  Beschwerdeführerin  zu  sein,
geschädigt. Die Kläger beantragen jeweils die Verurteilung der Beschwerdeführerin zur Zahlung von Schadenersatz in
unbezifferter Höhe sowie zur Erstattung sämtlicher Verfahrenskosten und angemessener Anwaltsgebühren, wobei der
Schadenersatz  nach  dessen  Festsetzung  verdreifacht  werden  soll  (treble  damages).  Darüber  hinaus  begehren  die
Kläger, dass die Beschwerdeführerin nach den US-amerikanischen Grundsätzen der Gesamtschuld (joint and several
liability)  für  den  gesamten  geltend  gemachten  Schaden  haftet,  auch  denjenigen,  der  durch  die  anderen  an  dem
beanstandeten Kartell beteiligten Unternehmen verursacht worden sein soll.
4
3. Die im Wege der Rechtshilfe gemäß Art. 5 Abs. 1 des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher
und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen (HZÜ) vom 15. November 1965 (BGBl II
1977 S. 1452)  beantragte  Zustellung  der  Klagen  bewilligte  das  Niedersächsische  Justizministerium  mit  Verfügungen
vom 2. Mai und 17. Juni 2005.
5
Gegen diese Verfügungen wendete sich die Beschwerdeführerin mit Anträgen auf gerichtliche Entscheidung gemäß
§  23  Abs.  1  EGGVG  an  das  Oberlandesgericht  Celle.  Sie  machte  geltend,  dass  die  Zustellung  der  gegen  sie
gerichteten Klagen Art. 13 Abs. 1 HZÜ und Verfassungsrecht verletze. Die Klagen seien rechtsmissbräuchlich ohne
substantielle  Grundlage  erhoben  worden.  Sie  verfolgten  allein  den  Zweck,  wirtschaftlichen  Druck  auf  die
Beschwerdeführerin  auszuüben,  um  diese  zum  Abschluss  eines  ungerechtfertigten  Vergleichs  zu  zwingen.  Die
anwendbaren  Regelungen  des  US-amerikanischen  Zivilrechts  förderten  diese  Absicht,  insbesondere  weil  das
Beweisermittlungsverfahren  (pre-trial  discovery)  exorbitante  Verfahrenskosten  erzeugen  könne  und  auch  der
obsiegende  Beklagte  die  eigenen  Kosten  der  Rechtsverteidigung  zu  tragen  habe.  Hilfsweise  beantragte  die
Beschwerdeführerin,  das  Verfahren  gemäß  §  29  Abs.  1  Satz  2  EGGVG  dem  Bundesgerichtshof  zur  Entscheidung
vorzulegen oder zumindest bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs über eine entsprechende Vorlage des
Oberlandesgerichts  Koblenz  auszusetzen,  nach  dessen  Auffassung  Art.  13  Abs.  1  HZÜ  der  Zustellung  einer  US-
amerikanischen Sammelklage auf dreifachen Schadenersatz entgegenstehe.
6
In  Bezug  auf  den  Aussetzungsantrag  übersandte  das  Oberlandesgericht  der  Beschwerdeführerin  zunächst  ohne
weiteren  Kommentar  Beschlüsse  anderer  Oberlandesgerichte,  die  entsprechende  Sammelklagen  nach  US-
amerikanischem  Recht  für  zustellungsfähig  halten.  Mit  im  Wesentlichen  gleichlautenden  Beschlüssen  vom  20.  Juli
2006 wies das Oberlandesgericht anschließend die Anträge der Beschwerdeführerin zurück. Zur Begründung führte es
aus,  dass  einer  Zustellung  der  Klagen  weder  Art.  13  Abs.  1  HZÜ  noch  verfassungsrechtliche  Gründe
entgegenstünden.  Art.  13  Abs.  1  HZÜ  könne  nur  zur  Anwendung  kommen,  wenn  schon  die  Zustellung
verfahrenseinleitender  Schriftstücke  eine  besonders  schwere  Beeinträchtigung  der  Wertungsgrundlagen  der
Rechtsordnung des ersuchten Staates mit sich brächte. Die Vorbehaltsklausel eröffne dagegen nicht die Möglichkeit,
den  im  ersuchenden  Staat  anhängigen  Rechtsstreit  zu  präjudizieren.  Auch  in  Deutschland  würden  Klagen  vor  der
Zustellung  nicht  auf  ihre  Schlüssigkeit  hin  überprüft.  Die  Beschränkung  der  Überprüfungsbefugnis  rechtfertige  sich
aus den Zielen des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im
Ausland  in  Zivil-  und  Handelssachen,  die  gegenseitige  Rechtshilfe  zu  verbessern  und  Empfängern  im  Ausland
zuzustellender Schriftstücke von diesen rechtzeitig Kenntnis zu geben. Mit der Zustellung der Klage sei auch keine
unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit auf das Vermögen der Beschwerdeführerin in Deutschland verbunden. Zudem sei
die  Beschwerdeführerin  selbst  bei  einer  Verweigerung  der  Zustellung  nicht  davor  geschützt,  in  den  Prozess
hineingezogen  zu  werden,  da  nach  US-amerikanischem  Recht  die  Zustellung  an  eine  US-amerikanische
Tochtergesellschaft  eines  beklagten  ausländischen  Unternehmens  ebenfalls  wirksam  sei  und  zudem  Art.  15  Abs.  2
HZÜ  die  Möglichkeit  vorsehe,  das  Verfahren  auch  ohne  Nachweis  der  Zustellung  durchzuführen.  Schließlich  lägen
keine zureichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich um offensichtlich missbräuchliche und verfahrensfremden
Zwecken  dienende  Klagen  handele.  Für  eine  Aussetzung  des  Verfahrens  bis  zu  einer  Entscheidung  des
Bundesgerichtshofs  über  die  Vorlage  des  Oberlandesgerichts  Koblenz  sah  das  Oberlandesgericht  ebenso  wenig
Raum  wie  für  eine  eigene  Vorlage.  Es  teile  gerade  nicht  die  Auffassung  des  Oberlandesgerichts  Koblenz,  das
seinerseits von der gefestigten Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte abweichen wolle.
II.
7
Mit  ihren  Verfassungsbeschwerden  rügt  die  Beschwerdeführerin  eine  Verletzung  ihrer  Grundrechte  und
grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 12 Abs. 1, Art. 14
Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG.
8
Eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip liege vor, weil das mit den Klagen
verfolgte Ziel offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstoße. Die Klagen
seien  rechtsmissbräuchlich.  Sie  hätten  keine  substantielle  Grundlage,  sondern  stützten  sich  lediglich  auf  die
Pressemitteilung über die Entscheidung der Europäischen Kommission, die sich ausschließlich auf den europäischen
Wirtschaftsraum  beziehe.  Es  gehe  den  Klägern  allein  darum,  einen  Marktteilnehmer  mittels  des  mit  einer  derartigen
Klage einhergehenden Reputationsverlusts, des Risikos einer Verurteilung zu unübersehbarem Schadenersatz und der
enormen  Aufwendungen  des  Prozesses  gefügig  zu  machen  und  zu  einem  Vergleich  zu  drängen.  Auch  die
einschlägigen  Grundsätze  des  US-amerikanischen  Zivilprozess-  und  Schadenersatzrechts  verstießen  gegen
rechtsstaatliche Grundsätze, insbesondere die Möglichkeit einer Ausforschung des Beklagten im Rahmen der pre-trial
discovery und die Belastung auch der obsiegenden Partei mit einem Teil der Verfahrenskosten.
9
Eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG ergebe sich daraus, dass die Beschwerdeführerin durch
die Belastung mit den Kosten für ein Ausforschungsbeweisverfahren ohne Erstattungsmöglichkeit und die eventuelle
Haftung auf dreifachen Schadenersatz ohne Regressmöglichkeit in ihrer Existenz bedroht sei.
10
Weiter werde die Beschwerdeführerin entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ihrem gesetzlichen Richter entzogen, weil
das  Oberlandesgericht  Celle  in  Kenntnis  des  Vorlagebeschlusses  des  Oberlandesgerichts  Koblenz  die  Sache  nicht
gemäß  §  29  Abs.  1  Satz  2  EGGVG  dem  Bundesgerichtshof  zur  Entscheidung  vorgelegt  habe.  Ein  Verstoß  gegen
Art.  103  Abs.  1  GG  schließlich  sei  unter  verschiedenen  Gesichtspunkten  gegeben.  Insbesondere  habe  die
Beschwerdeführerin keine Möglichkeit gehabt, zu den von dem Oberlandesgericht Celle übersandten Beschlüssen der
anderen Oberlandesgerichte Stellung zu nehmen.
III.
11
Die  zur  gemeinsamen  Entscheidung  verbundenen  Verfassungsbeschwerden  werden  nicht  zur  Entscheidung
angenommen,  da  die  Annahmevoraussetzungen  des  §  93a  Abs.  2  BVerfGG  nicht  vorliegen.  Die  Annahme  der
Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte
angezeigt, weil die Verfassungsbeschwerden keine Aussicht auf Erfolg haben.
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1. Die Verfassungsbeschwerden sind teilweise unzulässig und im Übrigen jedenfalls unbegründet.
13
a)  aa)  Soweit  die  Beschwerdeführerin  eine  Verletzung  ihres  grundrechtsgleichen  Rechts  auf  rechtliches  Gehör
gemäß Art. 103 Abs. 1 GG rügt, sind die Verfassungsbeschwerden unzulässig, da die Beschwerdeführerin entgegen
§  90  Abs.  2  Satz  1  BVerfGG  den  Rechtsweg  nicht  erschöpft  hat.  Die  Beschwerdeführerin  hätte  insoweit  die
Möglichkeit  gehabt,  eine  Überprüfung  der  Beschlüsse  des  Oberlandesgerichts  im  Wege  der  Anhörungsrüge  nach
§  29a  FGG  zu  erreichen.  Denn  gemäß  §  29  Abs.  2  EGGVG  sind  auf  das  Verfahren  vor  dem  Zivilsenat  die
Vorschriften  des  Gesetzes  über  die  Angelegenheiten  der  freiwilligen  Gerichtsbarkeit  über  das  Beschwerdeverfahren
sinngemäß  anzuwenden;  zu  diesen  Vorschriften  zählt  auch  §  29a  FGG  (vgl.  nur  Kissel/Mayer,  GVG,  Kommentar,
5. Aufl. 2008, § 29 EGGVG Rn. 6). Der darin vorgesehene fachgerichtliche Rechtsbehelf gehört zum Rechtsweg im
Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG.
14
bb)  Das  Unterlassen  der  Einlegung  der  Anhörungsrüge  gemäß  §  29  Abs.  2  EGGVG,  §  29a  FGG  kann  zur  Folge
haben, dass die Verfassungsbeschwerde nicht nur in Bezug auf die Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus
Art.  103  Abs.  1  GG,  sondern  nach  dem  Grundsatz  der  Subsidiarität  der  Verfassungsbeschwerde  insgesamt
unzulässig ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Januar 2002 - 2 BvR 2124/01 -,
NVwZ  2002,  S.  848;  Beschluss  der  2.  Kammer  des  Zweiten  Senats  vom  30.  Dezember  2002  -  2  BvR  1786/02  -;
JURIS). Das gilt jedenfalls dann, wenn sich die behauptete Gehörsverletzung auf den gesamten Streitgegenstand des
fachgerichtlichen Verfahrens erstreckt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005
- 1 BvR 644/05 -, NJW 2005, S. 3059 <3060>). Denn läge ein Gehörsverstoß vor, so würde das Gericht ihm abhelfen,
indem  es  das  Verfahren  fortführt,  soweit  dies  aufgrund  der  Rüge  geboten  ist  (vgl.  §  29a  Abs.  5  FGG).  Dadurch
bestünde eine Abhilfemöglichkeit grundsätzlich auch für die parallel erhobenen Rügen der Beschwerdeführerin.
15
b)  Ob  die  Verfassungsbeschwerden  nach  diesen  Grundsätzen  insgesamt  unzulässig  sind,  kann  hier  offen  bleiben,
da sie hinsichtlich der weiteren Rügen jedenfalls unbegründet sind.
16
aa) Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1
GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.
17
Art.  2  Abs.  1  GG  gewährleistet  die  allgemeine  Handlungsfreiheit  im  umfassenden  Sinne  (vgl. BVerfGE  80,  137
<152> m.w.N.). Diese steht jedoch gemäß Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen
Ordnung (vgl. BVerfGE 6, 32 <37 f.>; 74, 129 <152>; 80, 137 <153>).  Sie  kann  daher  auf  der  Grundlage  des  HZÜ,
dem  die  für  die  Bundesgesetzgebung  zuständigen  Organe  zugestimmt  haben  (Gesetz  zu  dem  Haager
Übereinkommen  vom  15.  November  1965  über  die  Zustellung  gerichtlicher  und  außergerichtlicher  Schriftstücke  im
Ausland  in  Zivil-  und  Handelssachen  vom  22.  Dezember  1977, BGBl  II  1977  S.  1452)  und  gegen  dessen
Verfassungsmäßigkeit  nach  der  Rechtsprechung  des  Bundesverfassungsgerichts  keine  Bedenken  bestehen  (vgl.
BVerfGE  91,  335  <339  ff.>;  BVerfG,  Beschluss  der  1.  Kammer  des  Zweiten  Senats  vom  24.  Januar  2007  -  2  BvR
1133/04 -, JZ 2007, S. 1046; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2007 - 2 BvR 2247/06 u.a. -
,  NJW  2007,  S.  3709),  eingeschränkt  werden.  Das  Bundesverfassungsgericht  hat  bislang  aber  noch  nicht
abschließend  entschieden,  ob  die  Zustellung  einer  Klage  auch  dann  mit  Art.  2  Abs.  1  GG  in  Verbindung  mit  dem
Rechtsstaatsprinzip  vereinbar  wäre,  wenn  das  mit  der  Klage  angestrebte  Ziel  offensichtlich  gegen  unverzichtbare
Grundsätze  eines  freiheitlichen  Rechtsstaats  verstieße  (vgl. BVerfGE  91,  335  <343>;  108,  238  <247>;  BVerfG,
Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Januar 2007, a.a.O., S. 1046; Beschluss der 1. Kammer des
Zweiten  Senats  vom  14.  Juni  2007,  a.a.O.,  S.  3710).  Diese  Frage  bedarf  auch  hier  keiner  Entscheidung,  da  ein
Verstoß gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats nicht gegeben ist.
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Das  Ziel  der  konkret  gegen  die  Beschwerdeführerin  erhobenen  Klagen  verstößt  nicht  offensichtlich  gegen
unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats.
19
Das könnte dann der Fall sein, wenn der rechtsmissbräuchliche Charakter der Klage, um deren Zustellung ersucht
wird,  von  vornherein  offenkundig  ist.  Anhaltspunkte  für  ein  rechtsmissbräuchliches  Vorgehen  können  etwa  darin  zu
sehen  sein,  dass  die  erhobene  Klageforderung  auch  in  ihrer  Höhe  offensichtlich  keine  substantielle  Grundlage  hat,
dass  der  Beklagte  mit  dem  angegriffenen  Verhalten  offensichtlich  nichts  zu  tun  hat  oder  dass  erheblicher
publizistischer  Druck  aufgebaut  wird,  um  den  Beklagten  zu  einem  ungerechtfertigten  Vergleich  zu  drängen
(vgl. BVerfGE 108, 238 <248>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Januar 2007, a.a.O.,
S.  1046  f.;  Beschluss  der  1.  Kammer  des  Zweiten  Senats  vom  14.  Juni  2007,  a.a.O,  S.  3711).  Derartige
Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch bestehen vorliegend nicht.
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Die Höhe der Schadenersatzforderung kann hier bereits deshalb keinen Anhaltspunkt für ein rechtsmissbräuchliches
Verhalten liefern, weil die Kläger bislang nur die Verurteilung zu Schadenersatz in unbezifferter Höhe beantragen. Es
kann in einem solchen Fall nicht Aufgabe der um Zustellung ersuchten deutschen Hoheitsträger sein, selbständig eine
mögliche  Schadenssumme  zu  ermitteln  und  diese  ins  Verhältnis  zu  dem  schädigenden  Ereignis  oder  gar  der
wirtschaftlichen  Leistungsfähigkeit  des  Zustellungsempfängers  zu  setzen  (vgl.  bereits  BVerfG,  Beschluss  der
1. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2007, a.a.O., S. 3711).
21
Es ist auch nicht offensichtlich, dass der geltend gemachte Schadenersatzanspruch keine substantielle Grundlage
hat.  Zwar  wirft  die  Entscheidung  der  Europäischen  Kommission,  die  den  Anlass  für  die  Klagen  gibt,  der
Beschwerdeführerin  nur  Kartellrechtsverstöße  auf  dem  europäischen  Markt  vor.  Es  erscheint  aber  nicht  von
vornherein  ausgeschlossen,  dass  entsprechende  Preisabsprachen  auch  für  den  US-amerikanischen  Markt  getroffen
wurden,  auf  dem  die  Beschwerdeführerin  nach  eigenen  Angaben  über  eine  Tochtergesellschaft  tätig  ist.  Damit  ist
noch  nichts  darüber  ausgesagt,  ob  dieser  Vorwurf  einer  in  die  Einzelheiten  gehenden  tatsächlichen  und  rechtlichen
Prüfung standhält. Eine solche Prüfung kann aber nicht Aufgabe des Zustellungsverfahrens sein (vgl. bereits BVerfG,
Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2007, a.a.O, S. 3711).
22
Schließlich gibt es auch keine die Klageerhebung sowie den weiteren Fortgang des Verfahrens begleitende und von
Klägerseite  in  Gang  gebrachte  Kampagne  in  den  Medien,  die  dazu  dienen  soll,  die  Beschwerdeführerin  gefügig  zu
machen  und  in  unredlicher  Weise  zum  Abschluss  eines  Vergleichs  zu  drängen.  Die  Beschwerdeführerin  befürchtet
zwar einen Reputationsverlust, hat aber publizistischen Druck seitens der Kläger nicht vorgetragen.
23
bb)  Die  angegriffenen  Entscheidungen  verletzen  die  Beschwerdeführerin  auch  nicht  in  ihren  Grundrechten  aus
Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.
24
Eine  Verletzung  von  Art.  12  Abs.  1  GG  liegt  nicht  vor,  weil  einer  Klagezustellung  keine  berufsregelnde  Tendenz
zukommt.  Auch  eine  Verletzung  von  Art.  14  Abs.  1  GG  scheidet  mangels  einer  gegenwärtigen  und  unmittelbaren
Betroffenheit  der  Beschwerdeführerin  in  von  Art.  14  Abs.  1  GG  geschützten  Rechtsgütern  durch  den  Akt  der
Klagezustellung aus. Die Zustellung einer Klage bezieht den Empfänger in ein Gerichtsverfahren ein, trifft aber keine
Entscheidung über den Ausgang des Verfahrens (vgl. bereits BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats
vom  24.  Januar  2007,  a.a.O.,  S.  1047;  Beschluss  der  1.  Kammer  des  Zweiten  Senats  vom  14.  Juni  2007,  a.a.O.,
S. 3711).
25
cc)  Schließlich  entziehen  die  angegriffenen  Entscheidungen  des  Oberlandesgerichts  die  Beschwerdeführerin  nicht
entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ihrem gesetzlichen Richter.
26
Für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG reicht nicht jede irrtümliche Überschreitung der
den  Fachgerichten  gezogenen  Grenzen  aus  (vgl. BVerfGE  3,  359  <364  f.>;  29,  166  <172  f.>;  76,  93  <96>).  Die
Grenze  zur  Verfassungswidrigkeit  ist  erst  überschritten,  wenn  die  Auslegung  und  Anwendung  einfachen  Rechts
willkürlich ist (grundlegend BVerfGE 3, 359 <364 f.>). Das gilt auch, wenn ein Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an
ein anderes Gericht außer Acht lässt (BVerfGE 13, 132 <143>; 42, 237 <241>; 87, 282 <284 f.>; stRspr).
27
Gemessen an diesen Grundsätzen liegt ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vor. Die Beschlüsse des
Oberlandesgerichts  lassen  Willkür  nicht  erkennen.  Eine  Vorlagepflicht  zum  Bundesgerichtshof  gemäß  §  29  Abs.  1
Satz  2  EGGVG  besteht  nur  dann,  wenn  ein  Oberlandesgericht  von  einer  Entscheidung  eines  anderen
Oberlandesgerichts im Ergebnis abweichen will. Entscheidung im Sinne von § 29 Abs. 1 Satz 2 EGGVG, § 28 Abs. 2
FGG  ist  nur  eine  Endentscheidung  oder  eine  ihr  gleichkommende  Zwischenentscheidung,  nicht  jedoch  ein
Vorlagebeschluss  eines  anderen  Oberlandesgerichts  (vgl.  nur  Meyer-Holz,  in:  Keidel/Kuntze/Winkler,  FGG,
Kommentar, 15. Aufl. 2003, § 28 Rn. 21). Der Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Koblenz, das seinerseits von
der bisherigen Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte abweichen will, begründete daher hier keine Vorlagepflicht
des Oberlandesgerichts.
28
2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass der Verfassungsbeschwerde keine grundsätzliche
Bedeutung im Sinne von § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zukommt.
29
a) Grundsätzliche Bedeutung ist nur gegeben, wenn die Verfassungsbeschwerde eine verfassungsrechtliche Frage
aufwirft,  die  sich  nicht  ohne  weiteres  aus  dem  Grundgesetz  beantworten  lässt  und  noch  nicht  durch  die
verfassungsgerichtliche  Rechtsprechung  geklärt  oder  die  durch  veränderte  Verhältnisse  erneut  klärungsbedürftig
geworden  ist.  Anhaltspunkt  für  eine  grundsätzliche  Bedeutung  in  diesem  Sinne  kann  sein,  dass  die  Frage  in  der
Fachliteratur kontrovers diskutiert oder in der Rechtsprechung der Fachgerichte unterschiedlich beantwortet wird. An
ihrer Klärung muss zudem ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse bestehen. Das kann etwa dann der Fall
sein,  wenn  sie  für  eine  nicht  unerhebliche  Anzahl  von  Streitigkeiten  bedeutsam  ist  oder  ein  Problem  von  einigem
Gewicht betrifft, das in künftigen Fällen erneut Bedeutung erlangen kann (BVerfGE 90, 22 <24 f.>).
30
b)  Danach  fehlt  es  den  vorliegenden  Verfassungsbeschwerden  an  grundsätzlicher  verfassungsrechtlicher
Bedeutung.
31
Die vom Bundesverfassungsgericht bislang nicht abschließend entschiedene Frage ist allein, ob die Zustellung einer
ausländischen  Klage  auch  dann  mit  Art.  2  Abs.  1  GG  in  Verbindung  mit  dem  Rechtsstaatsprinzip  vereinbar  wäre,
wenn  das  mit  der  Klage  angestrebte  Ziel  offensichtlich  gegen  unverzichtbare  Grundsätze  eines  freiheitlichen
Rechtsstaats  verstieße  (vgl. BVerfGE  91,  335  <343>;  108,  238  <248  f.>;  BVerfG,  Beschluss  der  1.  Kammer  des
Zweiten Senats vom 24. Januar 2007, a.a.O., S. 1046; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni
2007,  a.a.O.,  S.  3710).  Damit  ist  verfassungsgerichtlich  geklärt,  dass  eine  Verletzung  von  Art.  2  Abs.  1  GG  in
Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip durch die Zustellung einer ausländischen Klage jedenfalls dann ausscheidet,
wenn  –  wie  hier  –  die  Grenze  eines  Verstoßes  gegen  unverzichtbare  Grundsätze  eines  freiheitlichen  Rechtsstaats
nicht überschritten ist. Einer Verfassungsbeschwerde, die sich gegen die Zustellung einer ausländischen Klage nach
dem Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil-
und  Handelssachen  richtet,  kann  deshalb  erst  dann  wieder  grundsätzliche  verfassungsrechtliche  Bedeutung
zukommen, wenn die genannte Grenze im konkreten Einzelfall erreicht ist.
32
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG
abgesehen.
33
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Broß
Di Fabio
Landau