Urteil des BVerfG vom 27.02.2008

BVerfG: zahl, rechtsanwaltschaft, verfassungsbeschwerde, vorbehalt des gesetzes, berufsfreiheit, postulationsfähigkeit, persönliche eignung, berufliche tätigkeit, numerus clausus, rechtspflege

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1295/07 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Rechtsanwalts Dr. B…
- Bevollmächtigter:
Professor Dr. Wolfgang Löwer,
Hobsweg 15, 53125 Bonn -
1. unmittelbar gegen
a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28. Februar 2007 - AnwZ 2/06 -,
b) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. Dezember 2006 - AnwZ 2/06 -,
c) die Entscheidung des Wahlausschusses für Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof vom
21. Juni 2006
2. mittelbar gegen
§§ 164 bis 170 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) vom 1. August 1959 (BGBl I S. 565), zuletzt geändert durch
Artikel 8 des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 22. Dezember 2006 (BGBl I S. 3416)
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Hohmann-Dennhardt
und die Richter Gaier,
Kirchhof
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 27. Februar 2008 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Auswahlverfahren für die Zulassung als Rechtsanwalt bei dem
Bundesgerichtshof.
I.
2
1. Voraussetzung einer Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof ist gemäß § 164 der
Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) eine Benennung durch den Wahlausschuss für Rechtsanwälte bei dem
Bundesgerichtshof (im Folgenden: Wahlausschuss). Der Wahlausschuss besteht aus dem Präsidenten des
Bundesgerichtshofs als Vorsitzenden, den Vorsitzenden der zwölf Zivilsenate des Bundesgerichtshofs sowie aus den
sechs Mitgliedern des Präsidiums der Bundesrechtsanwaltskammer und den fünf Mitgliedern des Präsidiums der
Rechtsanwaltskammer bei dem Bundesgerichtshof. Der Wahlausschuss benennt nach geheimer Wahl aus den
Vorschlagslisten, die von der Bundesrechtsanwaltskammer aufgrund von Vorschlägen der Rechtsanwaltskammern
oder von der Rechtsanwaltskammer bei dem Bundesgerichtshof eingereicht werden können, die „doppelte Zahl von
Rechtsanwälten, die er für die Zulassung bei dem Bundesgerichtshof für angemessen hält“ (§ 168 Abs. 2 BRAO).
3
Der Vorsitzende des Wahlausschusses teilt dem Bundesministerium der Justiz das Ergebnis der Wahl mit. Durch
die Benennung wird für den Bewerber kein Anspruch auf Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof
begründet (§ 168 Abs. 3 BRAO). Über den Antrag auf Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof
entscheidet vielmehr das Bundesministerium der Justiz (§ 170 Abs. 1 BRAO).
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2. a) Der Beschwerdeführer wurde 1995 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Er ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht
und wurde in die Vorschlagsliste der Bundesrechtsanwaltskammer aufgenommen.
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Der Wahlausschuss legte einen Bedarf von sieben Neuzulassungen fest. In der anschließenden Wahl ergab sich für
den Beschwerdeführer keine Mehrheit, um auf einen der 14 Rangplätze der schließlich dem Bundesministerium der
Justiz vorgelegten Bewerberliste aufgenommen zu werden.
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b) Der Beschwerdeführer hat daraufhin beim Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs die Feststellung seines
Anspruchs auf Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof beantragt, ferner hilfsweise die Feststellung,
dass acht Neuzulassungen zu beschließen seien und weiter hilfsweise die Verpflichtung des Wahlausschusses zur
Nachwahl von zwei Bewerbern.
7
Der Bundesgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit dem angegriffenen Beschluss
(veröffentlicht in NJW 2007, S. 1136) zurückgewiesen; auch die nachfolgende Anhörungsrüge des Beschwerdeführers
ist ohne Erfolg geblieben. Der nur als Wahlanfechtung zulässige Antrag sei unbegründet. Die Vorschriften der
§§ 164 ff. BRAO seien verfassungsgemäß; auch die Bestimmung eines Bedarfs von sieben Neuzulassungen sowie
die Auswahl der in die Bewerberliste aufgenommenen Bewerber seien nicht zu beanstanden.
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aa) Bei den Regelungen über die Singularzulassung der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof und der Wahl
dieser Rechtsanwälte handele es sich um Berufsausübungsregelungen. Der in § 168 Abs. 2 BRAO liegende
erhebliche Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit sei aufgrund eines entsprechend gewichtigen Regelungsziels
gerechtfertigt. Das Revisionsgericht in Zivilsachen könne seine Aufgaben – die Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen,
die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und die Fortbildung des Rechts – sachgerecht nur erfüllen, wenn die
Parteien durch eine begrenzte Zahl unabhängiger und besonders qualifizierter Rechtsanwälte, die die Durchführung
aussichtsloser Rechtsmittelverfahren ablehnten, vertreten seien. Die besonderen Aufgaben der Rechtsanwaltschaft
bei dem Bundesgerichtshof könnten nur die singular bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte
hinreichend erfüllen. Zwar hätten sich Fachanwaltschaften herausgebildet, sie würden die Zuständigkeit des
Bundesgerichtshofs aber nicht abdecken und seien nicht auf die Bedürfnisse des Bundesgerichtshofs und auf die
Tätigkeit als Revisionsanwalt zugeschnitten. Die Einheit von berufsrechtlicher Lokalisation, eingeschränkter
Postulationsfähigkeit und Kanzleisitz dieser Rechtsanwälte fordere eine - vom Bundesverfassungsgericht
ausdrücklich gebilligte (Hinweis auf BVerfG, Beschluss des Vorprüfungsausschusses vom 24. März 1982 - 1 BvR
278/75 -, unveröffentlicht) - zahlenmäßige Beschränkung der bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen
Rechtsanwälte. Mögliche Alternativregelungen seien ungeeignet, weil sie ein wirtschaftliches Risiko eröffnen und
damit besonders geeignete Bewerber abschrecken könnten. Zur Abmilderung der Eingriffsfolgen wäre zwar die
Einführung einer starren Altersgrenze möglich, die häufigere Neuzulassungen zur Folge hätte. Eine solche sei aber
jedenfalls dann nicht verfassungsrechtlich geboten, wenn - wie hier geschehen - die nachlassende Schaffenskraft
einzelner Rechtsanwälte beim Bedarf an Neuzulassungen berücksichtigt werde. Dass das Gesetz zur Bestimmung
der Anzahl zuzulassender Rechtsanwälte nur den unbestimmten Rechtsbegriff „angemessen“ verwende, werde
dadurch ausgeglichen, dass hierüber der sachkundige und gemischt zusammengesetzte Wahlausschuss entscheide.
Partikulare Motivationen und Interessen könnten so nicht zu Lasten der Objektivität der Entscheidung gehen. Ebenso
sei unbedenklich, dass der Gesetzgeber nur vorgegeben habe, dass die Auswahl durch eine geheime Mehrheitswahl
erfolge. Der Vorbehalt des Gesetzes verlange nicht, die technische Frage der Mehrheitsermittlung zu regeln oder alle
Kriterien für die Auswahl der Bewerber gesetzlich festzulegen. Eine über das Lebensalter und die
Mindestberufserfahrung hinausgehende Konkretisierung der Anforderungen ergebe sich aus dem Zweck der
Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof, die Qualität der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch eine
fachlich hochqualifizierte, unabhängige Anwaltschaft zu fördern. Aus diesem Zweck leite der Senat ab, dass unter den
Bewerbern eine an diesem Maßstab ausgerichtete Bestenauslese stattzufinden habe. Das brauche der Gesetzgeber
aber nicht im Einzelnen gesetzlich festzuschreiben, es genüge, dass er dies durch ein entsprechendes Verfahren
sichergestellt habe. Denn ein Zusammenwirken aller Kräfte, die ein berechtigtes Interesse an der Auswahl hätten,
gewährleiste am ehesten Sachverstand und Objektivität und sei hinlänglich geeignet, unterschiedliche Motivationen
auszugleichen.
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bb) Die Bestimmung eines Bedarfs von sieben Neuzulassungen durch den Wahlausschuss unterliege nur der
eingeschränkten Überprüfung durch den Senat, denn dem Wahlausschuss stehe ein Beurteilungsspielraum zu.
Entsprechend §§ 163, 39 Abs. 3 BRAO beschränke sich die Überprüfung darauf, dass der Wahlausschuss das
Verfahren eingehalten, sachgerechte Entscheidungskriterien angelegt, sich eine ausreichende Tatsachengrundlage
verschafft und ein Ergebnis gefunden habe, das sich in dem hierdurch bestimmten Rahmen halte.
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cc) Nicht zu beanstanden sei auch die konkrete Auswahl der in die Bewerberliste aufgenommenen Rechtsanwälte.
Auch hier stehe dem Wahlausschuss ein Beurteilungsspielraum zu und die Prüfung des Senats sei wie bei der
Bedarfsbestimmung eingeschränkt. Alle vom Wahlausschuss ausgewählten Bewerber würden über die erforderlichen
weit überdurchschnittlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die forensische Erfahrung und die Befähigung zum
praktischwissenschaftlichen Arbeiten verfügen. Trotz der, wenn auch mit unterschiedlichen Gewichtungen durch die
beiden Gutachter, im Ergebnis durchaus positiv ausgefallenen Beurteilung des Beschwerdeführers habe sich der
Wahlausschuss gegen die Aufnahme des Beschwerdeführers auf die Bewerberliste entscheiden dürfen. Der
Beschwerdeführer verkenne, dass die Voten der Berichterstatter für sich genommen nichts darüber aussagten, wie
sich die Beurteilung im Gesamtvergleich darstelle. Dieser Gesamtvergleich und die daraus folgende Rangfolge der
Bewerber hätten sich erst aus dem Wahlakt selbst ergeben. Deshalb lasse sich aus einem Vergleich der Voten nicht
ableiten, der Wahlausschuss habe seinen Beurteilungsspielraum überschritten, als sich seine Mitglieder bei der Wahl
gegen den Beschwerdeführer entschieden hätten.
11
Dabei sei auch in sachgerechter Weise berücksichtigt worden, dass die Rechtsanwaltschaft bei dem
Bundesgerichtshof in ihrer Gesamtheit den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege entspreche. Hierbei komme
es nicht auf die vom Ausschuss bestimmte Rangfolge der Bewerberliste an, denn an diese Rangfolge sei das
Bundesministerium der Justiz bei seiner abschließenden Entscheidung über die Neuzulassungen nicht gebunden. Die
Bewerberliste biete das Potential für eine deutliche Verjüngung und trage dem Anliegen Rechnung, den Anteil von
Frauen in der Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof zu erhöhen, wobei aber die festgestellte Qualifikation
der gewählten Rechtsanwältinnen keinerlei Anlass für den Verdacht einer sachfremden Bevorzugung aufgrund der
Geschlechtszugehörigkeit biete. Außerdem sei eine Mischung von Bewerbern, die schon Revisionsverfahren
bearbeitet hätten, und solchen, die bei den Instanzgerichten tätig seien, erreicht worden.
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Anhaltspunkte dafür, dass der Ausschuss sachfremde Erwägungen bei der Auswahl angestellt haben könnte, seien
weder aufgezeigt noch ersichtlich. Aus dem Umstand, dass ein Teil der Bewerber den Berichterstattern und übrigen
Wahlausschussmitgliedern durch ihr Auftreten als amtlich bestellte Vertreter von Rechtsanwälten bei dem
Bundesgerichtshof bereits bekannt gewesen sei, lasse sich dies nicht ableiten. Umgekehrt seien auch etwaige
Schwächen der Bewerber besser bekannt und in den Beurteilungen auch angesprochen.
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c) Das Bundesministerium der Justiz hat inzwischen alle 13 durch den Wahlausschuss mit der Bewerberliste
benannten Bewerber, die ihren Zulassungsantrag aufrechterhielten, als Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof
zugelassen.
14
3. Mit seiner gegen die Entscheidungen des Wahlausschusses und des Bundesgerichtshofs sowie mittelbar gegen
§§ 164 bis 170 BRAO gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung
von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG.
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Das in §§ 164 bis 170 BRAO normierte Auswahlverfahren stelle eine unverhältnismäßige Schranke der Berufsfreiheit
dar. Außerdem genüge die Zugangsbeschränkung des § 168 Abs. 2 BRAO nicht dem Bestimmtheitsgebot.
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Bei diesem Auswahlverfahren handele es sich um eine objektive Berufswahlschranke. Der Rechtsanwalt bei dem
Bundesgerichtshof sei nicht nur eine „Spielart“ des übergreifenden Berufsbildes „Rechtsanwalt“. Von einem
eigenständigen Berufsbild sei immer dann auszugehen, wenn die zu vergleichenden Tätigkeiten Gegenstand
unterschiedlicher normativer Regelungen geworden seien, ein jeweils eigenständiges soziales Gewicht hätten und sich
auch nach der Verkehrsauffassung wesensmäßig unterschieden. Kriterien hierfür seien die rechtliche Ausgestaltung
der Tätigkeit, eine besondere Organisation der Ausübenden sowie besondere wirtschaftliche Chancen und Risiken.
Das spezielle Regelungsregime für die Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof stelle subjektiv - hinsichtlich Alter,
Berufserfahrung und Eignung - sowie objektiv - hinsichtlich der Feststellung eines Bedürfnisses - substantiell über die
Befähigung zum Richteramt als allgemeine Voraussetzung hinausgehende Zulassungsanforderungen auf und
schränke die Postulationsfähigkeit nicht nur unerheblich ein. Die in einer eigenen Standesvertretung organisierten
Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof seien in ihrer Sozietätsbildung beschränkt, hätten ihren Kanzleisitz in
Karlsruhe zu nehmen und müssten wegen ihrer monopolartigen Stellung keine Mandantenakquise betreiben; sie
hätten sogar kaum unmittelbaren Mandantenkontakt, weil im Regelfall der Anwalt aus der Vorinstanz die
Kontaktperson sei. Die Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof träten „in der sozialen Wirklichkeit“ als eigene
Berufsgruppe in Erscheinung. Die hiernach vorliegende objektive Zulassungsbeschränkung sei, selbst wenn die vom
Bundesgerichtshof ins Feld geführten Gemeinwohlinteressen hinreichend gewichtig sein sollten, jedenfalls nicht zur
Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlich schwerer Gefahren für diese Rechtsgüter erforderlich.
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Aber auch wenn die §§ 164 ff. BRAO lediglich als Berufsausübungsschranken angesehen würden, so seien diese
nach der Drei-Stufen-Lehre zwischen der ersten und zweiten Stufe anzusiedeln. Für derartige statusbildende
Berufsausübungsregelungen seien erhöhte Rechtfertigungsanforderungen zu verlangen, die sich nicht nur in
vernünftigen Erwägungen des Allgemeinwohls erschöpfen, sondern darüber hinaus zur Abwehr konkreter Gefahren für
wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich und angemessen sein müssten. Auch diesen Legitimationsanforderungen
sei durch die §§ 164 bis 170 BRAO nicht genügt.
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Die der Entlastung der Zivilsenate dienende Filterfunktion, welche es dem Bundesgerichtshof ermöglichen solle, sich
auf seine genuin revisionsrechtlichen Aufgaben zu konzentrieren, stelle ohne Zweifel einen gewichtigen
Gemeinwohlbelang dar. Hierfür sei aber keine nach einem objektiven Bedürfnis zugelassene Rechtsanwaltschaft
unverzichtbar. Vielmehr könnte bei Beibehaltung einer besonderen Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof
unter Verzicht auf die zahlenmäßige Beschränkung jeder Rechtsanwalt, der über die fachliche und persönliche
Eignung verfüge, um den Besonderheiten der revisionsrechtlichen Tätigkeit an den Zivilsenaten des
Bundesgerichtshofs zu genügen, zugelassen werden. Alternativ könnte der - dann allerdings nicht als
Singularzulassung ausgestaltete - Zugang zu den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs und eventuell auch der
anderen Revisionsgerichte einer „Fachanwaltschaft für Revisionsrecht“ vorbehalten bleiben, die besondere
theoretische und praktische Erfahrungen im Revisionsrecht nachzuweisen habe.
19
Dass eine bedürfnisorientierte Zulassung wegen möglicher Alternativen, die den Belangen des Bundesgerichtshofs
gleich effektiv Rechnung trüge, nicht erforderlich sei, werde durch den Umstand gestützt, dass es eine
„Hausanwaltschaft“ bei den anderen Bundesgerichten nicht gebe, obwohl diese mittlerweile ein ähnliches oder gar
höheres Pensum an Revisionen beziehungsweise Nichtzulassungsbeschwerden zu bewältigen hätten. Es sei auch
weder empirisch noch normativ schlüssig belegt, dass der Bundesgerichtshof hinsichtlich der rechtlichen Komplexität
der zu entscheidenden Sachfragen oder der Heterogenität beziehungsweise der Breite der jeweils betroffenen
Rechtsgebiete eine Sonderstellung unter den obersten Gerichtshöfen des Bundes einnehme. Daher fehle der These,
der Bundesgerichtshof benötige nicht nur eine spezielle, sondern sogar eine durch das Versprechen des
Alleinvertretungsanspruchs besonders protegierte Anwaltschaft, jede Plausibilität und Überzeugungskraft.
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Rechtlich unbeachtlich sei die Argumentation des Bundesgerichtshofs, eine Alternativregelung, die allein eine
strenge Qualitätskontrolle der Bewerber, hingegen keine Zahlenbeschränkung der zuzulassenden Rechtsanwälte
vorsehe, sei ungeeignet, weil sie im Fall der Beibehaltung der Singularzulassung ein offensichtlich beträchtliches
wirtschaftliches Risiko eröffne und damit besonders geeignete Bewerber abschrecke. Die durch Art. 12 Abs. 1 GG
garantiere Berufsfreiheit müsse zwangsläufig zu einer Konkurrenzsituation zwischen den Grundrechtsträgern führen
und verpflichte den Staat daher zu wettbewerbsrechtlicher Neutralität in berufsbezogenen Angelegenheiten; in keinem
Fall schulde der Staat den Grundrechtsträgern ein bestimmtes Mindesteinkommen oder einen bestimmten
Geschäftsumfang. Außerdem könne das befürchtete wirtschaftliche Risiko der bei dem Bundesgerichtshof
zugelassenen Rechtsanwälte über das Gebührenrecht oder über eine Aufhebung der beschränkten
Postulationsfähigkeit gemindert werden.
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Auch wenn das die besondere Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof prägende „Vier-Augen-Prinzip“ als ein
allgemein anerkanntes Instrument der Qualitätssicherung fungiere, stehe noch nicht fest, dass dieses Prinzip zur
Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich sei. Dessen Effekte, also die im Interesse des Mandanten gebotene
nochmalige und vom bisherigen Prozessgeschehen unabhängige Bewertung sowie die Beschränkung auf die
revisionsrechtlich wesentlichen Punkte, würden bereits durch andere, die Berufsfreiheit weniger einschränkende
Mechanismen, erreicht. Als wichtigstes Korrektiv wirke hier die anwaltliche Haftung für schuldhaft fehlerhafte
Beratung oder Prozessführung.
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Die in § 168 Abs. 2 BRAO liegende Zugangsbeschränkung sei auch nicht ausreichend bestimmt. Nach der
Numerus-Clausus-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gehöre die Kapazitätsermittlung zum Kern des
Zulassungswesens und daher auch die Festlegung der Kriterien für diese Ermittlung in den Verantwortungsbereich des
Gesetzgebers. Diskretionäre Zugangsentscheidungen durch eine Kommission könnten aus grundrechtlicher Sicht nur
dort ihren Platz haben, wo der Gesetzgeber zu einer normativen Konkretisierung selbst nicht oder nur unzureichend im
Stande sei. Vorliegend wäre ihm dies jedoch unschwer möglich. Er könnte als Bewertungsmaßstab für ein Bedürfnis
etwa die Entwicklung der Fallzahlen in der Vorinstanz nehmen oder sich an den Eingängen bei dem
Bundesgerichtshof selbst orientieren. Zur notwendigen Feinsteuerung könnte das Parlament mit einer
Verordnungskompetenz eine demokratisch legitimierte Grundlage für die Exekutive schaffen. Deshalb sei keine
Konstellation gegeben, die es dem Gesetzgeber erlaube, die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs
„angemessen“ auf ein sachkundiges und plural zusammengesetztes Gremium zu delegieren. Wie berechtigt die
Forderung nach mehr gesetzlicher Bestimmtheit sei, habe sich im vorliegenden Verfahren eindrucksvoll gezeigt. Das
Bundesministerium der Justiz habe offensichtlich einen deutlich höheren Bedarf als der Wahlausschuss gesehen.
Dabei müsse noch immer verwundern, wie eine sehr geringe Zahl an Rechtsanwälten das gleiche oder zumindest ein
annähernd gleiches Arbeitspensum als mehr als doppelt so viele Richter am Bundesgerichtshof bewältigen sollen.
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Die in § 165 Abs. 1 BRAO normierte Zusammensetzung des Wahlausschusses stelle auch nicht sicher, dass es zu
einer sachkundigen und nicht von Partikularinteressen geleiteten Entscheidung komme; denn fast die Hälfte der
Mitglieder gehörten zur Anwaltschaft. Dabei verfügten die fünf Vorstände der Rechtsanwaltskammer bei dem
Bundesgerichtshof über knapp 20 % der Stimmen, obwohl sie interessierte Gruppenvertreter seien und die Gefahr
bestehe, dass diese Ausschussmitglieder vor allem zugunsten der in den Kanzleien von Rechtsanwälten bei dem
Bundesgerichtshof tätigen Mitarbeiter stimmten.
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Schließlich hätte - entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofs - bei der Bedarfsfeststellung die Zahl der
wissenschaftlichen Mitarbeiter der am Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte berücksichtigt werden
müssen. Die bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte würden zwar nach hinreichender Prüfung
selbst die inhaltliche Verantwortung für die Vorarbeiten ihrer Mitarbeiter übernehmen, dies betreffe aber nur die
Endkontrolle. Der Blick hierauf gehe am Problem vorbei, weil die Mitarbeiter wesentlich zur Bewältigung des - den
Bedarf prägenden - tatsächlich anfallenden und eigenständig zu erledigenden Arbeitspensums beitragen würden.
II.
25
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs.
2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche
Bedeutung zu. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits entschieden. In der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass die anwaltliche Berufsausübung durch den Grundsatz der freien
Advokatur gekennzeichnet ist, der einer staatlichen Kontrolle und Bevormundung grundsätzlich entgegensteht (vgl.
BVerfGE 50, 16 <29>; 76, 171 <188>). Ferner ist entschieden, welche Anforderungen das Bestimmtheitsgebot stellt
(vgl. BVerfGE 117, 71 <111 f.>) und unter welchen Voraussetzungen gesetzliche Regelungen der Berufsausübung
zulässig sind (vgl. BVerfGE 93, 362 <369>; 103, 1 <10>). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht
zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt; denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht
auf Erfolg.
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Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer insbesondere nicht in seinem Grundrecht aus
Art. 12 Abs. 1 GG. Die Vorschriften der §§ 164 bis 170 BRAO für das Wahlverfahren der Rechtsanwälte bei dem
Bundesgerichtshof sind verfassungsgemäß (1.) und ihre Anwendung im Ausgangsverfahren nicht zu beanstanden (2.).
27
1. a) Die angegriffenen Entscheidungen und die ihnen zugrunde liegenden gesetzlichen Regelungen, insbesondere
über die Benennung durch den Wahlausschuss als Voraussetzung für die Zulassung als Rechtsanwalt bei dem
Bundesgerichtshof (§§ 164, 170 BRAO) und die begrenzte Anzahl der vom Wahlausschuss gegenüber dem
Bundesministerium der Justiz zu benennenden Bewerber (§ 168 Abs. 2 BRAO) beschränken die durch Art. 12 Abs. 1
GG gewährleistete Berufsfreiheit des Beschwerdeführers.
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Dieser Eingriff in die grundrechtliche Freiheit eines Rechtsanwalts betrifft allerdings nicht dessen Berufswahl. Die
Grundrechtsbeschränkung erfolgt vielmehr durch eine Berufsausübungsregelung, die Elemente enthält, die einer
Einschränkung der Berufswahl nahe kommen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 1982, a.a.O.; vgl. auch BGH,
Beschluss vom 14. Mai 1975 - AnwZ 7/75 -, unveröffentlicht; Beschluss vom 28. Februar 1983 - AnwZ (B) 37/82 -,
BRAK-Mitt 1983, S. 135 <136>; BGHZ 162, 199 <201 f.>).
29
Ergibt sich ein bestimmtes „Berufsbild“ nicht aus einer gesetzlichen Regelung (vgl. dazu BVerfGE 17, 232 <241>),
so setzt ein eigenständiger Beruf voraus, dass sich die berufliche Tätigkeit von der anderer Berufe wesensmäßig
unterscheidet und die Berufsträger in der sozialen Wirklichkeit als eigene Berufsgruppe in Erscheinung treten (vgl.
BVerfGE 86, 28 <38>). Hieran gemessen übt ein Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof keinen eigenständigen
Beruf aus, sondern betätigt sich in einem bestimmten Teilbereich des durch die Rechtstradition geprägten
Anwaltsberufs.
30
Bereits nach den Gesetzesmaterialien liegt der Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof kein eigenständiges
Berufsbild zugrunde. Die Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof ist als ein bloßer Wechsel der
Zulassung innerhalb der als Einheit verstandenen Rechtsanwaltschaft ausgestaltet (vgl. BTDrucks 3/120, S. 110 zu
§ 178). Die besondere Stellung der Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof ist durch ihren Wirkungskreis
bedingt; dabei soll sie ein Teil der gesamten Anwaltschaft bleiben (vgl. BTDrucks 3/120, S. 110 zu § 176). Auch das
auf diesen Erwägungen fußende Berufsrecht zeigt, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der bei dem Bundesgerichtshof
zugelassenen Rechtsanwälte von der Möglichkeit, einzelne Erwerbstätigkeiten nicht weiter als bloßen Berufsteil,
sondern als eigenständigen Beruf zu qualifizieren, keinen Gebrauch gemacht hat. So ist nicht nur einheitlich die
Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ vorgesehen, vielmehr gelten auch die Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA),
das Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG)
und - abgesehen von besonderen Regelungen in §§ 163 ff. BRAO - auch die Vorschriften des Ersten bis Siebten Teils
der Bundesrechtsanwaltsordnung für alle Rechtsanwälte.
31
Auch in der sozialen Wirklichkeit treten die bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte nicht als
eigene Berufsgruppe in Erscheinung. Zwar trifft der Rechtsanwalt, der sich für eine Zulassung bei dem
Bundesgerichtshof entscheidet, in beruflicher Hinsicht eine grundlegende und auf Dauer ausgerichtete
„Lebensentscheidung“ (vgl. BVerfGE 33, 125 <161>). Er muss nicht nur eine bisherige Sozietät (§ 172a BRAO),
sondern auch seinen Mandantenstamm aufgeben; seine Postulationsfähigkeit ist im Wesentlichen auf das Auftreten
vor dem Bundesgerichtshof beschränkt (§ 172 BRAO) und sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt nunmehr im
Revisionsrecht. Diese Besonderheiten der Tätigkeit als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof prägen aber - auch
unter Berücksichtigung der mit Blick auf das Ansehen herausgehobenen Stellung aus der Anwaltschaft und der
günstigeren Einkommenssituation (vgl. BVerfGE 11, 30 <41 f.>; 33, 125 <161 f.>) - nach der Verkehrsauffassung
keinen eigenständigen Beruf. Das wesenstypische Element der freien Rechtsanwaltschaft liegt vielmehr in der
staatlicher Einflussnahme entzogenen, unabhängigen Wahrnehmung der Interessen der Rechtsuchenden. In diesem
maßgeblichen Merkmal unterscheidet sich die Tätigkeit der bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte
nicht von der aller Rechtsanwälte.
32
Obwohl der Eingriff danach eine Berufsausübungsregelung darstellt, wirkt die Zulassungskontingentierung nach
§ 168 Abs. 2 BRAO wie eine objektive Zugangssperre und weist damit Elemente auf, die einer Beschränkung der
Berufswahl nahe kommen. Abgesehen von der personalen Komponente, dass Rechtsanwälten die berufliche
Herausforderung einer unmittelbaren Beteiligung an der Lösung grundsätzlicher zivilrechtlicher Rechtsfragen und der
Rechtsfortbildung versagt bleibt, berührt die Zulassungsbeschränkung jedoch nur einen verschwindend geringen Teil
des anwaltlichen Tätigkeitsfeldes. So ergibt sich aus dem Verhältnis der jährlich bei den Zivilsenaten des
Bundesgerichtshofs eingehenden ungefähr 4.000 Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden zu den etwa 4
Millionen Gerichtsverfahren ein Anteil von nur rund 0,1 % der Prozesse. Selbst ohne Berücksichtigung der
außergerichtlichen Mandate ist das forensische Tätigkeitsfeld des Rechtsanwalts daher nur so unbedeutend betroffen,
dass der Eingriff nicht annähernd ein Gewicht erlangt, wie es typischerweise Berufswahlregelungen zukommt.
33
b) Die Einschränkung der anwaltlichen Berufsausübungsfreiheit hinsichtlich einer Tätigkeit als Rechtsanwalt bei dem
Bundesgerichtshof durch das in §§ 164 bis 170 BRAO normierte Zulassungsverfahren ist gesetzlich ausreichend
bestimmt geregelt und durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Es gibt jedem Bewerber
gleichermaßen die faire Chance, im Rahmen der gebotenen Bestenauslese entsprechend seiner Eignung
berücksichtigt zu werden.
34
aa) Eingriffe in Art. 12 Abs. 1 GG bedürfen einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Dabei hängt der
verfassungsrechtlich gebotene Grad der Bestimmtheit (Art. 20 Abs. 3 GG) von der Besonderheit des jeweiligen
Tatbestandes ab. Die Anforderungen an hinreichende Bestimmtheit sind umso strenger, je schwerer die Auswirkungen
einer Regelung wiegen (vgl. BVerfGE 107, 104 <120>; 117, 71 <111>; stRspr).
35
Gemessen daran hält § 168 Abs. 2 BRAO einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand. Zwar hat der
Gesetzgeber dem Wahlausschuss keine Vorgaben zur konkreten Bestimmung der Anzahl der bei dem
Bundesgerichtshof zuzulassenden Rechtsanwälte gemacht. Trotz der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs
„angemessen“ lässt sich jedoch ein hinreichend bestimmter, vom Gesetzgeber gewollter Regelungsgehalt erkennen,
so dass die Möglichkeit einer Auslegung durch die Rechtsprechung eröffnet ist (vgl. BVerfGE 107, 104 <128>). Diese
führt mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck zu dem Ergebnis, dass - nicht anders als bei der Bedarfsprüfung für die
Bestellung von Notaren nach § 4 der Bundesnotarordnung (vgl. dazu BVerfGE 17, 371 <379 f.>; 73, 280 <292>) - die
angemessene Zahl der bei dem Bundesgerichtshof zuzulassenden Rechtsanwälte an den Erfordernissen einer
geordneten
Rechtspflege
auszurichten
ist.
Aufgrund
der
Notwendigkeit
einer
ausreichenden
Beschäftigungsmöglichkeit beschränkt einerseits der Geschäftsanfall der Zivilsenate die Zahl der Zulassungen,
während andererseits die sachgerechte Wahrnehmung der Interessen der Rechtsuchenden gebietet, dass für die
Parteien eine hinreichende Auswahl unter mehreren Rechtsanwälten möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7.
November 1983 - AnwZ 21/83 -, NJW 1984, S. 1042 <1043>; Beschluss vom 11. September 2006 - AnwZ 1/06 -,
AnwBl 2007, S. 83 <85>).
36
Diese Auslegung ist auch von Verfassungs wegen geboten. So wäre einerseits der verfassungsrechtlich verbürgte
Zugang der Rechtsuchenden zum Revisionsgericht beeinträchtigt, wenn für die notwendige anwaltliche Vertretung eine
hinreichende Auswahl unter den zugelassenen Rechtsanwälten nicht gewährleistet wäre. Andererseits erfordern
Gemeinwohlinteressen und die Berufsfreiheit der bereits bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte
eine Begrenzung der Zahl postulationsfähiger Prozessvertreter. Das im Allgemeininteresse liegende gesetzgeberische
Ziel, den Rechtsanwälten bei dem Bundesgerichtshof mit dem Ziel der Vermeidung von Rechtsmitteln ohne
hinreichende Erfolgsaussichten eine Filterfunktion zuzuweisen, wäre gefährdet, wenn so viele Rechtsanwälte
zugelassen würden, dass hierdurch ein ruinöser Wettbewerb unter den Revisionsanwälten einsetzen würde. Außerdem
erfordert das Verhältnismäßigkeitsgebot mit Blick auf die verfassungsrechtlich unbedenkliche (vgl. BVerfGE 106, 216)
- und mit der Verfassungsbeschwerde nicht in Zweifel gezogene - beschränkte Postulationsfähigkeit der
Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof (vgl. § 172 BRAO), dass den dadurch in ihrer beruflichen Betätigung
erheblich eingeschränkten Rechtsanwälten bei dem Bundesgerichtshof trotz der gebotenen Konzentration auf das
Revisionsrecht ein Geschäftsanfall verbleibt, der ausreichend ist, damit ihre Berufsausübung ihnen eine ihrer
besonderen Qualifikation entsprechende auskömmliche Lebensgrundlage ermöglicht.
37
Die Angemessenheit der Zahl der zuzulassenden Rechtsanwälte wird hierdurch in einer Hinsicht durch die
Gewährleistung hinreichender Auswahlmöglichkeiten der Rechtsuchenden sowie in anderer Hinsicht durch die
Sicherung ausreichender Betätigungsmöglichkeiten der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof begrenzt. Eine
genauere gesetzliche Regelung erscheint nach der Eigenart des zu ordnenden Sachverhalts und mit Rücksicht auf
den Normzweck kaum möglich (vgl. dazu BVerfGE 102, 347 <361>). Die Regelung ist nur dann auf Dauer geeignet,
den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege zu dienen, wenn sie es erlaubt, auf veränderte Umstände - wie
etwa Entwicklungen im Geschäftsanfall und Änderungen des Revisionsrechts - flexibel zu reagieren.
38
Überdies wird die verbleibende Ungenauigkeit dadurch abgemildert, dass die Festlegung der genauen Zahl der
Rechtsanwälte zwischen den genannten Grenzpunkten der Sachkunde des Wahlausschusses überlassen ist, dessen
Zusammensetzung sicherstellt, dass partikulare Motivationen und Interessen in der geheimen Wahl (§ 168 Abs. 1
Satz 2 und 3 BRAO) keine Mehrheit finden (vgl. BVerfG, Beschluss des Vorprüfungsausschusses vom 24. März
1982, a.a.O.; BGHZ 162, 199 <207>). Dabei lässt sich entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers die
Zusammensetzung des Wahlausschusses nicht beanstanden. Dass fünf der 24 Mitglieder des Wahlausschusses dem
Vorstand der Rechtsanwaltskammer bei dem Bundesgerichtshof angehören und weitere sechs Mitglieder aus der
Anwaltschaft stammen, hat seinen nachvollziehbaren Grund im vernünftigen Bestreben, den Sachverstand der
Rechtsanwaltschaft zu beteiligen, ohne jedoch den Vertretern des Berufsstandes ein Übergewicht im Verhältnis zur
Richterschaft zu ermöglichen. Über die genaue Zahl der zuzulassenden Rechtsanwälte entscheidet zudem nicht der
Wahlausschuss, sondern das Bundesministerium der Justiz (§ 170 Abs. 1 BRAO). Nachdem sich das
Bundesministerium - der geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September
2006, a.a.O., S. 84 f. m.w.N.) folgend - an die vom Wahlausschuss für angemessen erachtete Zahl von
Neuzulassungen nicht gebunden sieht, ist eine zusätzliche Korrekturmöglichkeit hinsichtlich der vom Wahlausschuss
für angemessen erachteten Anzahl von Neuzulassungen eröffnet. Hiernach können aus der Bewerberliste weniger
oder bis zu doppelt so viele Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof zugelassen werden, wie der Wahlausschuss
für angemessen hielt.
39
bb) Mit der Begrenzung der bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte gemäß § 168 Abs. 2 BRAO
verfolgt der Gesetzgeber ein gewichtiges Gemeinwohlziel, das die Beschränkung der Berufsausübung legitimieren
kann (vgl. BVerfGE 117, 163 <182>).
40
(1) Der Zweck, dem die §§ 164 ff. BRAO und hierbei insbesondere die von der Verfassungsbeschwerde angegriffene
Zulassungsbegrenzung nach § 168 Abs. 2 BRAO dienen, ergibt sich aus einer Verweisung der Materialien zur
Bundesrechtsanwaltsordnung auf die Rechtsanwaltsordnung von 1878. Danach bezweckt die Regelung eine
Förderung und Weiterentwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Zivilsachen, die im Wesentlichen auf
zweifachem Wege erreicht werden soll: Durch die Konzentration ihrer Tätigkeit auf die Zivilsachen bei dem
Bundesgerichtshof sowie durch die Beschränkung der Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte soll sichergestellt
werden, dass die Revisionsanwälte „mit den Rechtsanschauungen des Gerichtshofes und der darauf beruhenden
Auslegung und Weiterbildung des Rechts auf das Genaueste vertraut“ sind (vgl. BTDrucks 3/120, S. 111 zu § 185).
Aufgrund dieser besonderen Kenntnisse sowie ihrer allgemein hohen juristischen Qualifikation sollen die bei dem
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte durch ihre Beiträge zu den gerichtlichen Verfahren, erforderlichenfalls
auch durch kritische Einwände, die Weiterentwicklung der Rechtsprechung sichern und voranbringen. Überdies soll die
höchstrichterliche Rechtsprechung durch die Filterfunktion der Revisionsanwälte gefördert werden, indem die
Revisionsanwälte an sie herangetragene aussichtlose Verfahren „abvotieren“ und so vom Bundesgerichtshof
fernhalten oder ihm - bei Einlegung des Rechtsmittels zur Fristwahrung und Rücknahme vor der Begründung -
jedenfalls eine sachliche Befassung ersparen (vgl. BTDrucks 3/120, S. 111 zu § 185). Diese Entlastung, die mit dem
Arbeitsanfall von drei Zivilsenaten oder 20 Richtern veranschlagt wird (vgl. Gross, AnwBl 2001, S. 20 m.w.N.), soll die
Rechtsprechung dadurch fördern, dass die richterliche Arbeitskraft nicht durch Verfahren gebunden wird, die für die
eigentliche Aufgabe des Revisionsgerichts, die Beantwortung grundsätzlicher Rechtsfragen und die Fortbildung des
Rechts, unerheblich sind. Eine anderenfalls notwendige personelle Ausweitung des Revisionsgerichts, die für die
Kontinuität und Einheitlichkeit der Rechtsprechung nachteilig wäre und überdies den Staatshaushalt zusätzlich
belasten würde, soll vermieden werden.
41
Das Regelungsziel einer Förderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Zivilsachen ist als Gemeinwohlbelang
von besonderem Gewicht einzustufen, auch wenn die grundlegende Sicherung des gebotenen hohen Niveaus der
Qualität der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwar bereits durch die Auswahl besonders qualifizierter Richter und
der Gewährleistung entsprechender Arbeitsbedingungen erfolgt. Die Förderung der Rechtspflege ist schon allgemein
ein wichtiges Gemeinschaftsgut (vgl. BVerfGE 59, 302 <317>), so dass die Funktionsfähigkeit der höchstrichterlichen
Rechtsprechung in Zivilsachen insbesondere wegen ihrer Aufgabe, die Fortbildung des Rechts und die Einheitlichkeit
der Rechtsprechung zu sichern, als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut anzusehen ist. Unter diesen Umständen
wird mit dem Regelungszweck der Förderung und Weiterentwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in
Zivilsachen ein gewichtiges Gemeinwohlziel von weit größerer Bedeutung verfolgt, als sie „vernünftigen“ Erwägungen
oder „hinreichenden Gründen“ des Gemeinwohls zukommt, die als Legitimation für Eingriffe in die Berufsausübung im
Regelfall ausreichen.
42
Aus dem Ziel der Förderung der Weiterentwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt entgegen der
Ansicht des Beschwerdeführers, dass der Gesetzgeber mit der Zulassungsbegrenzung keinen Schutz vor Konkurrenz
zur Sicherung einer besseren Einkommenssituation der bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte
beabsichtigt. Dagegen kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, Art. 12 Abs. 1 GG garantiere die Berufsfreiheit und
verpflichte den Staat zu wettbewerbsrechtlicher Neutralität in berufsbezogenen Angelegenheiten. Der Gesetzgeber
muss vom überkommenen Gemeinwohlzweck der Förderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht deshalb
absehen, weil seine Regelung folglich auch einen Wettbewerbsschutz für einen Teil der Rechtsanwaltschaft bedingt.
Diese Folge wäre nur als eigenständiger Regelungszweck als Gemeinwohlbelang zurückzuweisen (vgl. BVerfGE 93,
362 <370>). Abgesehen von dem stets zu wahrenden Verhältnismäßigkeitsprinzip darf der Gesetzgeber bei der
Verfolgung legitimer Gemeinwohlbelange nur solche Folgen, die das Grundgesetz ausdrücklich ausschließt - wie
beispielsweise Arbeitszwang und Zwangsarbeit (Art. 12 Abs. 2 und 3 GG) - nicht in Kauf nehmen.
43
Hingegen sind der zwingende Anwaltswechsel zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz und das hieraus folgende
„Vier-Augen-Prinzip“ sowie das Anliegen einer „ersprießlichen Zusammenarbeit“ zwischen den Bundesrichtern und den
Rechtsanwälten bei dem Bundesgerichtshof für die Zulässigkeit der Beschränkung der Zahl der bei dem
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte ohne Bedeutung. Zwar mögen die Bundesrichter die
Zusammenarbeit mit einer überschaubaren Zahl bekannter Rechtsanwälte als sachdienlich empfinden, allein dies
rechtfertigt aber eine Beschränkung der anwaltlichen Tätigkeit nicht (vgl. BVerfGE 103, 1 <18>). Ob das „Vier-Augen-
Prinzip“ neben der sachgerechten Beratung der Partei auch die Rechtsprechungsqualität der Zivilsenate des
Bundesgerichtshofs fördern soll, kann hier dahingestellt bleiben. Die unterschiedliche anwaltliche Vertretung in den
Tatsachen- und der Revisionsinstanz ist nämlich nicht in den von der Verfassungsbeschwerde angegriffenen §§ 164
bis 170 BRAO verankert, sondern wesentliches Element der durch § 172 BRAO beschränkten Postulationsfähigkeit
der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof (vgl. BVerfGE 106, 216).
44
(2) Zur Förderung und Verbesserung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Zivilsachen sind das
Auswahlverfahren und insbesondere die Zulassungsbegrenzung nach § 168 Abs. 2 BRAO auch verhältnismäßig, also
geeignet, erforderlich und zumutbar.
45
(a) Ein Mittel ist bereits dann im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg
gefördert werden kann, wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (vgl. BVerfGE 67, 157 <175>; 103, 293
<307>).
46
Diese ist hier gegeben. Die Gewährleistung eines ausreichenden Geschäftsanfalls für die bei dem
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte durch die Zulassungsbegrenzung stellt sicher, dass die bei dem
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte über genügend Fallmaterial verfügen, um - wie im Interesse der
Rechtsuchenden erstrebt - mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der darauf beruhenden Auslegung
und Fortbildung des Rechts auf das Genaueste vertraut zu sein. Die mit der Zulassungsbegrenzung verbundenen
günstigen Erwerbsaussichten haben außerdem zur Folge, dass es die wirtschaftliche Attraktivität der Tätigkeit als
Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof erleichtert, hoch qualifizierte Rechtsanwälte für einen Wechsel zur
Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof zu gewinnen. Zugleich werden damit die Voraussetzungen dafür
geschaffen, dass die bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte ihre Filterwirkung effektiv wahrnehmen
und dadurch die höchstrichterliche Rechtsprechung fördern. Nur wirtschaftlich abgesicherte Rechtsanwälte verfügen
über die Unabhängigkeit, angetragene Mandate ohne Rücksicht auf das konkret zu erwartende Honorar oder
Folgemandate zu bewerten. Schließlich wird durch ein gesichertes wirtschaftliches Auskommen auch die Bereitschaft
dafür gefördert, dass Rechtsuchende in Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung jedoch mit nur geringem
Streitwert einen bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt finden, der ungeachtet eines im Einzelfall nur
geringen Honorars die anwaltliche Vertretung übernimmt.
47
(b) Zur Verfolgung des genannten legitimen Gemeinwohlziels ist die Zulassungskontingentierung auch erforderlich.
48
Ein Eingriff in die Berufsfreiheit ist nur dann erforderlich, wenn ein anderes, in jeder Hinsicht gleich wirksames (vgl.
BVerfGE 105, 17 <36>), die Berufsfreiheit aber weniger einschränkendes Mittel nicht zur Verfügung steht. Auch
soweit die Freiheit der Berufsausübung betroffen ist, dürfen Eingriffe nicht weiter gehen, als es die rechtfertigenden
Gemeinwohlbelange erfordern (vgl. BVerfGE 106, 216 <219>). Allerdings steht dem Gesetzgeber bei der Beurteilung
dessen, was er zur Verwirklichung der von ihm verfolgten Gemeinwohlzwecke für erforderlich halten darf, ein weiter
Einschätzungs- und Prognosespielraum zu, der vom Bundesverfassungsgericht je nach der Eigenart des in Rede
stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der auf dem Spiel
stehenden Rechtsgüter nur in begrenztem Umfang überprüft werden kann. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit
einer Maßnahme ist der Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers erst dann überschritten, wenn die
gesetzgeberischen Erwägungen so fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für derartige
Maßnahmen abgeben können (vgl. BVerfGE 110, 141 <157 f.>; 117, 163 <189>). Vor dem Hintergrund der hiernach
nur eingeschränkt möglichen verfassungsrechtlichen Überprüfung kann es nicht beanstandet werden, dass der
Gesetzgeber insbesondere die Zulassungsbegrenzung zur Förderung und Weiterentwicklung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung in Zivilsachen für erforderlich gehalten hat.
49
Zwar gibt es bei den anderen obersten Bundesgerichten keine (im Wesentlichen) nur dort vertretungsberechtigte
Rechtsanwaltschaft. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, auf eine besondere Rechtsanwaltschaft könne ohne
Nachteile für wesentliche Belange des Gemeinwohls auch bei dem Bundesgerichtshof verzichtet werden. Eine vom
Bundesministerium der Justiz zur Ausarbeitung von Vorschlägen zur Neuregelung des Rechts der Rechtsanwaltschaft
bei dem Bundesgerichtshof eingesetzte Kommission kam nach Anhörung der Vertreter der obersten Bundesgerichte
1998 im Gegenteil zu dem Ergebnis, dass eine spezielle Anwaltschaft auch bei den übrigen obersten Bundesgerichten
wünschenswert wäre, weil die Qualität der Prozessvertretung dort verbesserungswürdig erscheine. So seien beim
Bundessozialgericht vier Fünftel, beim Bundesarbeitsgericht die Hälfte und beim Bundesverwaltungsgericht und dem
Bundesfinanzhof jeweils ein Drittel der Nichtzulassungsbeschwerden wegen schwer wiegender formeller oder
inhaltlicher Mängel unzulässig (vgl. Bericht der Kommission, 1998, S. 29 f.). Diese Feststellung trifft - abgesehen vom
Bundesarbeitsgericht, das 2007 (nur) etwa ein Viertel der Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig verworfen hat -
weiter zu. Beim Bundesgerichtshof kommt es hingegen vor allem dann zu unzulässigen Revisionen, wenn nach einer
negativen Aussichtenprüfung durch den Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof absichtsvoll keine
Revisionsbegründung vorgelegt wird (vgl. Gross, a.a.O.). Der Gesetzgeber hat sich jedoch die weitere Einschätzung
der Kommission zu eigen gemacht, wonach eine Spezialisierung bei den anderen obersten Bundesgerichten - auch für
solche Rechtsanwälte, die im jeweiligen Bereich als Fachanwälte tätig sind - wirtschaftlich nicht tragbar sei.
50
Zudem ist die Erforderlichkeit einer Maßnahme immer in Abhängigkeit vom bezweckten Erfolg zu beurteilen. Zielt
die gesetzliche Regelung - wie hier - auf eine Stärkung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Zivilsachen, ist
unerheblich, ob der Gesetzgeber diese Regelung auch zur Stärkung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in den
anderen Gerichtsbarkeiten einsetzt.
51
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers stellt es keine gleich geeignete Alternative dar, den Zugang zu den
Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs - unter Aufgabe der gemäß § 172 BRAO eingeschränkten Postulationsfähigkeit -
noch einzuführenden Fachanwälten für Revisionsrecht oder im jeweiligen Rechtsgebiet der bisherigen
Fachanwaltschaften zu eröffnen. Fachanwälte verfügen zwar über eine besondere Qualifikation, die begrenzte Zahl
von jährlich etwa 4.000 Revisionsverfahren, Nichtzulassungsbeschwerden und Rechtsbeschwerden in Zivilsachen
schließt es jedoch aus, dass eine größere Anzahl von Fachanwälten eine ausreichende forensische Erfahrung in
Revisionsverfahren sammeln könnte. Dies zeigt sich besonders deutlich in dem von der Verfassungsbeschwerde
ausdrücklich genannten Bereich des Familienrechts mit 6.935 Fachanwälten. Im Jahr 2006 sind im Familienrecht
hingegen nur 66 Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden beim Bundesgerichtshof anhängig geworden. Die von
der Verfassungsbeschwerde vorgeschlagene Alternative einer Zugangsöffnung für Fachanwälte steht der
Erforderlichkeit auch deswegen nicht entgegen, weil sich der Gesetzgeber für eine beschränkte Postulationsfähigkeit
der bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte (§ 172 BRAO) entschieden hat. Die
Verfassungsbeschwerde greift diese Regelung nicht substantiiert an. Bei der Frage der Erforderlichkeit einer
zahlenmäßigen Beschränkung der zuzulassenden Rechtsanwälte kann deswegen nicht auf eine Alternativregelung
unter Aufgabe von § 172 BRAO, der eine kompetente Vertretung der Prozessparteien in der Revisionsinstanz und
eine Stärkung der Rechtspflege durch eine leistungsfähige und in Revisionssachen besonders qualifizierte
Anwaltschaft bezweckt (vgl. BVerfGE 106, 216 <220>), abgestellt werden.
52
Schließlich kann die Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof auch nicht unter Verzicht auf die zahlenmäßige
Begrenzung der zugelassenen Rechtsanwälte aufrechterhalten werden. Eine strenge Eignungsprüfung mit
entsprechend hohen subjektiven Voraussetzungen ist für sich allein nicht in gleicher Weise geeignet, den
Rechtsanwälten bei dem Bundesgerichtshof einen ausreichenden Geschäftsanfall zu sichern. Der Beschwerdeführer
stellt nicht in Abrede, dass dieses mildere Mittel zu einer höheren Zahl an Zulassungsberechtigten führen würde. Er
ist jedoch der Ansicht, der Markt werde regulierend wirken, weil die Nachfrage nach anwaltlicher Vertretung langfristig
auch das Angebot bestimme. Dabei bleibt jedoch außer Acht, dass die Situation auf dem Anwaltsmarkt selbst bei
strengen Eignungsprüfungen auch für die Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof eine hohe Zahl von
Zulassungen und einen hiermit verbundenen starken Konkurrenzdruck befürchten lässt. Gerade die Effektivität der
Filterwirkung der Revisionsanwälte beruht aber vor allem auf deren wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Insbesondere ein
unter den Revisionsanwälten einsetzender Verdrängungswettbewerb könnte die Effektivität der Filterfunktion
gefährden. Die Überlegung, dass eine höhere Zahl von Revisionsanwälten auch eine steigende Zahl von
Revisionsverfahren, Nichtzulassungsbeschwerden oder Rechtsbeschwerden ohne hinreichende Erfolgsaussichten
erwarten lässt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Außerdem führt jeder weitere bei dem
Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwalt zu einer geringeren durchschnittlichen Zahl an Mandaten und mindert
daher die Möglichkeit forensischer Erfahrung. Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet schließlich auch der
Hinweis des Bundesgerichtshofs in der angegriffenen Entscheidung, dass allein eine strenge Qualitätskontrolle der
Bewerber ohne zahlenmäßige Beschränkung der zuzulassenden Rechtsanwälte nicht gleich geeignet sei, weil die
auch von der Verfassungsbeschwerde erwartete „Regulierung durch den Markt“ im Fall der Beibehaltung von § 172
BRAO ein offensichtlich beträchtliches wirtschaftliches Risiko eröffne und damit besonders geeignete Bewerber vor
einem Wechsel zur Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof abschrecken werde.
53
(c) Die gesetzliche Regelung ist auch angemessen.
54
Das vom Gesetzgeber zur Verfolgung eines legitimen Zwecks gewählte Mittel muss nicht nur geeignet und
erforderlich, sondern auch angemessen sein. Voraussetzung hierfür ist, dass das Maß der Belastung des Einzelnen
noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht (vgl. BVerfGE 76, 1
<51>). Um dies feststellen zu können, ist eine Abwägung zwischen den Gemeinwohlbelangen, zu deren
Wahrnehmung der Eingriff in die Grundrechte erforderlich ist, und den Auswirkungen auf die Rechtsgüter der davon
Betroffenen notwendig (vgl. BVerfGE 92, 277 <327>; 117, 163 <193>). Die danach gebotene Gesamtabwägung führt
zu dem Ergebnis, dass die von der Zulassungsbegrenzung ausgehende Beschränkung der Berufsfreiheit eine
angemessene, den Betroffenen auch zumutbare Belastung darstellt.
55
Die §§ 164 bis 170 BRAO betreffen die Entscheidung, auf einem bestimmten Teilbereich des Rechtsanwaltsberufs
tätig zu sein. Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit enthält insoweit auch Elemente, die einer Berufswahl nahe
kommen, weil Rechtsanwälte ihre Mandanten in Zivilsachen vor dem Bundesgerichtshof nicht vertreten können.
Indessen ist die Freiheit der Berufsausübung in ihrer speziellen Funktion, Grundlage auch der wirtschaftlichen
Lebensführung zu sein (vgl. BVerfGE 101, 331 <346 f.>), nicht erheblich betroffen, denn die Zulassungsbeschränkung
betrifft mit dem auch anderweitig (§§ 542 ff. der Zivilprozessordnung ) eingeschränkten Zugang zum
Revisionsgericht in Zivilsachen nur einen sehr kleinen Teil der anwaltlichen Berufsausübung. Auch soweit sich ein
Rechtsanwalt bei seiner Berufswahl von der persönlichen Herausforderung hat leiten lassen, an der Weiterentwicklung
der höchstrichterlichen Rechtsprechung beteiligt zu sein, steht ihm diese Möglichkeit nicht nur bei den anderen
obersten Bundesgerichten, sondern auch noch in Strafsachen bei dem Bundesgerichtshof offen.
56
Demgegenüber ist das mit den §§ 164 bis 170 BRAO verfolgte Interesse des Gemeinwohls einer Förderung und
Verbesserung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Zivilsachen - mit Blick auf das dadurch berührte Rechtsgut
einer funktionierenden Rechtspflege - von besonderem Gewicht und trägt die Zumutbarkeit der Beeinträchtigung der
Berufsfreiheit. Zwar hängt das Qualitätsniveau der Rechtsprechung letztlich von der Richterschaft ab, die
Anwaltschaft hat hierauf jedoch nicht unerheblichen Einfluss. Neben fachlichen Anstößen hat deren Filterwirkung mit
Blick auf die ersparten Richterstellen auch fiskalische Bedeutung. Solche legitimieren zwar als selbständiges
Gesetzesziel keinen Grundrechtseingriff, sind aber beim Gewicht des einen legitimen Eingriff rechtfertigenden
Gemeinwohlbelangs zu berücksichtigen. Hinzu kommt, dass eine Erhöhung der Zahl der bei dem Bundesgerichtshof
tätigen Richter zu nachteiligen Folgen für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung führen kann.
57
2. Auch die konkrete Auslegung und Anwendung der §§ 164 bis 170 BRAO durch den Bundesgerichtshof ist aus
verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
58
Es kann dahinstehen, ob die Argumentation des Bundesgerichtshofs, die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter der
Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof seien bei der Festlegung der „angemessenen“ Zahl an Neuzulassungen
nicht zu berücksichtigen, weil diese sich durch eine Erhöhung der Zahl der zugelassenen Anwälte nicht beeinflussen
lasse, zu überzeugen vermag. Selbst wenn die Entscheidung in dieser Hinsicht fehlerhaft sein sollte, weil nicht
entscheidend ist, ob sich die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter bei einer Erhöhung der Zahl der zugelassenen
Rechtsanwälte verringert, sondern ob die Rechtsuchenden eine hinreichende Auswahlmöglichkeit unter den
zugelassenen Rechtsanwälten haben, wäre damit noch keine Verletzung von Grundrechten des Beschwerdeführers
gegeben. Eine Grundrechtsverletzung setzt vielmehr voraus, dass die Erwägungen des Fachgerichts
Auslegungsfehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Tragweite
eines Grundrechts, insbesondere seines Schutzbereichs beruhen, und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den
konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 103, 89 <100> m.w.N.; stRspr). Daran fehlt es jedoch,
wenn dem Wahlausschuss bei der Ermittlung des von einem Rechtsanwalt durchschnittlich zu bewältigenden
Arbeitspensums und damit bei der Festlegung der Zahl der zuzulassenden Rechtsanwälte deshalb ein Fehler
unterlaufen sein sollte, weil die Unterstützung durch wissenschaftliche Mitarbeiter nicht hinreichend beachtet worden
wäre. Es würde sich lediglich um einen Fehler bei der Bedarfsermittlung handeln, der nicht darauf beruht, dass
namentlich das Grundrecht des Beschwerdeführers in seiner Bedeutung und Tragweite verkannt worden wäre.
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Die weiteren für die Bedarfsermittlung herangezogenen Abwägungskriterien greift die Verfassungsbeschwerde nicht
an und insoweit sind aus verfassungsrechtlicher Sicht auch keine Zweifel ersichtlich.
60
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
61
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hohmann-Dennhardt
Gaier
Kirchhof