Urteil des BVerfG vom 20.06.2007

BVerfG: ohne aussicht auf erfolg, verfassungsbeschwerde, republik, verordnung, zugehörigkeit, ddr, papier, konsum, anwendungsbereich, willkür

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1029/07 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn N...
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Bodo Berwald,
Neue Grünstraße 18, 10179 Berlin -
gegen a) den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 5. März 2007 - B 4 RS 55/06 B -,
b)
den Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 10. April 2006 - L 1
RA 47/04 -,
c)
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. Dezember 2003 - S 12 RA 478/03 -,
d)
den Widerspruchsbescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 5.
Mai 2003 - 48 040837 N 005 BKZ 2020 SG -,
e)
den Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 27. Februar
2002 - 48 040837 N 005 BKZ 2020 -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
und die Richter Steiner,
Gaier
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 20. Juni 2007 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Berücksichtigung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen
Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) der Deutschen Demokratischen Republik aufgrund eines fiktiven
Anspruchs auf Einbeziehung in die Zusatzversorgung.
I.
2
Dem 1937 geborenen Beschwerdeführer wurde am 30. August 1960 in der Deutschen Demokratischen Republik der
Titel eines „Ingenieurs für Lebensmittelindustrie“ verliehen. Von September 1960 bis über den 30. Juni 1990 hinaus
war er im Konsum Mühlen- und Teigwarenwerk Magdeburg tätig. Eine Einbeziehung des Beschwerdeführers in die
AVTI ist nicht erfolgt. 1971 trat der Beschwerdeführer der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung bei. Mit seinem
Begehren einer rückwirkenden Berücksichtigung des Zeitraums von März 1971 bis Juni 1990 als Zeit der
Zugehörigkeit zur AVTI hatte der Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Rechtsweg keinen Erfolg. Er sei am 30. Juni
1990 nicht in einem volkseigenen Betrieb oder einem diesem gleichgestellten Betrieb tätig gewesen. Zuletzt verwarf
das Bundessozialgericht eine Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers als unzulässig.
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Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die sein Begehren zurückweisenden
Gerichtsentscheidungen und macht eine Verletzung seiner Grundrechte geltend.
II.
4
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe gemäß § 93 a Abs. 2
BVerfGG liegen nicht vor.
5
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Der Beschwerdeführer hat nicht gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG
den Rechtsweg ordnungsgemäß erschöpft, weil die von ihm erhobene Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig
verworfen wurde. Eine Verfassungsbeschwerde ist in der Regel unzulässig, wenn - wie hier - ein an sich gegebenes
Rechtsmittel, durch dessen Gebrauch der behauptete Grundrechtsverstoß ausgeräumt werden könnte, aus
prozessualen Gründen erfolglos bleibt (vgl. BVerfGE 74, 102 <114>; BVerfGK 1, 222 <223>). Es sind keine
Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Bundessozialgericht an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde
überhöhte Anforderungen gestellt hat.
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist im Übrigen auch in der Sache ohne Aussicht auf Erfolg, weil eine Verletzung von
Grundrechten des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden kann. Insoweit wird auf die Gründe des Beschlusses
der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 2005 (1 BvR 1921/04 u.a., NZS
2006, S. 314) verwiesen.
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Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die Fachgerichte hätten willkürlich das Konsum Mühlen- und
Teigwarenwerk Magdeburg, in welchem er am 30. Juni 1990 beschäftigt war, nicht als einen einem volkseigenen
Betrieb gleichgestellten Betrieb beurteilt, ist ein entsprechender Verfassungsverstoß weder substantiiert vorgetragen
noch ersichtlich.
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a) Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, auch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verwaltungspraxis der
Deutschen Demokratischen Republik würde die AVTI noch weitere, in der aufgrund der Verordnung über zusätzliche
Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom
17. August 1950 (GBl DDR I S. 844; im Folgenden: Verordnung AVTI) erlassenen 2. Durchführungsbestimmung zu
dieser Verordnung vom 24. Mai 1951 (GBl DDR I S. 487; im Folgenden: 2. Durchführungsbestimmung) nicht genannte
Betriebe erfassen.
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Wird - wie vom Beschwerdeführer gerügt - die tatsächliche Verwaltungspraxis der Deutschen Demokratischen
Republik bei der Einbeziehung in die AVTI von den Fachgerichten nicht hinreichend berücksichtigt, liegt darin kein
Verfassungsverstoß. Wie das Bundesverfassungsgericht im oben erwähnten Beschluss vom 26. Oktober 2005 in
Bezug auf Molkereigenossenschaften in der Deutschen Demokratischen Republik ausgeführt hat, begegnet es keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die Fachgerichte bei der Beurteilung der Zugehörigkeit eines Betriebes zum
Anwendungsbereich der AVTI Organisationsentscheidungen der Deutschen Demokratischen Republik weder
überprüfen noch korrigieren. Im Übrigen ist dem Vortrag des Beschwerdeführers nicht zu entnehmen, dass eine
entsprechende ständige Verwaltungspraxis der Deutschen Demokratischen Republik in Bezug auf den hier in Frage
stehenden Personenkreis vorgelegen hat. Er stützt sich zwar insoweit auf eine in dem von ihm vorgelegten Gutachten
vom 18. Januar 2007 getroffene Aussage. Danach seien etwa 3 bis 5 vom Hundert der in
konsumgenossenschaftlichen Produktionsbetrieben beschäftigten Ingenieure im Besitz einer Versorgungszusage
gewesen. Unabhängig davon, dass diese Angabe nicht substantiiert belegt ist, lässt sie - ihre Richtigkeit unterstellt -
keine Feststellung zu, ob den in das Versorgungssystem AVTI einbezogenen Ingenieuren die Versorgungszusage
gerade aufgrund ihrer Tätigkeit in den konsumgenossenschaftlichen Produktionsbetrieben oder aufgrund einer früheren
Tätigkeit in einem anderen Betrieb gegeben wurde.
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b) Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene fachgerichtliche Auslegung von § 1 Abs. 2 der 2.
Durchführungsbestimmung ist nicht willkürlich.
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aa) Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher
der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen.
Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein macht eine
Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt
wird. Von willkürlicher Missachtung kann dagegen nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der
Rechtslage eingehend auseinander setzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl.
BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>).
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bb) Die im vorliegenden Fall erfolgte und zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellte Auslegung und Anwendung
des § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung durch die Fachgerichte stellt keine krasse Verkennung der
Rechtslage dar. Die Fachgerichte haben sich vielmehr ausführlich und nachvollziehbar mit der Rechtslage
auseinandergesetzt.
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Soweit der Beschwerdeführer demgegenüber meint, es habe in der Rechtsordnung der Deutschen Demokratischen
Republik über die Regelung des § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung hinaus noch weitere
gleichstellungsfähige Betriebe gegeben, kann er damit einen Verfassungsverstoß nicht begründen. Die Fachgerichte
können sich in einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise auf Wortlaut und Systematik von § 1 der 2.
Durchführungsbestimmung stützen. § 1 Abs. 1 greift den Begriffsgebrauch der Verordnung AVTI auf, spricht von
„volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben“ und bestimmt den Kreis der Angehörigen der technischen
Intelligenz. In Absatz 2 wird dann abschließend festgelegt, welche Betriebe gleichgestellt werden. Der Betrieb, in dem
der Beschwerdeführer zum maßgeblichen Zeitpunkt beschäftigt war, ist nicht aufgeführt. Es fehlen im Wortlaut der
Vorschrift öffnende Begriffe, wie „beispielsweise“ oder „insbesondere“. Auch die vom Beschwerdeführer vorgelegte
gutachterliche Äußerung kommt zu dem Ergebnis, dass nach der Rechtsordnung der Deutschen Demokratischen
Republik konsumgenossenschaftliche Betriebe nicht den volkseigenen Betrieben gleichgestellt waren.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Steiner
Gaier