Urteil des BVerfG vom 16.09.2010
BVerfG: anspruch auf rechtliches gehör, einstellung der ermittlungen, verfassungsbeschwerde, rechtsgutachten, disziplinarverfahren, strafprozessordnung, rate, auflage, kennzeichnung, grundrecht
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2394/08 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S...,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Jochen Lober,
Deutzer Freiheit 92, 50679 Köln –
gegen
a)
den Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 5. Dezember 2008 - 51 Zs 606/06 -
25/07 -,
b)
den Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Oktober 2008 - 51 Zs 606/06 -
25/07 -
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Broß,
Di Fabio
und Landau
am 16. September 2010 einstimmig beschlossen:
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Oktober 2008 - 51 Zs 606/06 - 25/07 - verletzt den
Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Dieser Beschluss sowie der auf die Gehörsrüge hin ergangene Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom
5. Dezember 2008 - 51 Zs 606/06 - 25/07 - werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Köln
zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die inhaltlichen Anforderungen an eine gerichtliche Entscheidung im
Klageerzwingungsverfahren.
I.
2
1. Der Beschwerdeführer begehrt die Aufhebung zweier Beschlüsse des Oberlandesgerichts Köln, die in einem
Klageerzwingungsverfahren gemäß § 172 StPO ergangen sind. Einen früheren, im selben Klageerzwingungsverfahren
ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts, der den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung
als unzulässig ablehnte, hat das Bundesverfassungsgericht aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht
zurückverwiesen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. September 2008 - 2 BvR
967/07 -, juris). Der daraufhin ergangene Beschluss vom 21. Oktober 2008 ist Gegenstand der nunmehr vorliegenden
Verfassungsbeschwerde.
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a) Der Beschwerdeführer war Regierungsdirektor in einem Bundesministerium. Gegen ihn wurde im Mai 2001 ein
Disziplinarverfahren eingeleitet, weil er in einer vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistisch
eingestuften Zeitschrift Beiträge veröffentlicht hatte. Als Untersuchungsführer wurde der spätere Beschuldigte des
Ermittlungsverfahrens ernannt, der zum damaligen Zeitpunkt Abteilungspräsident einer Bundesanstalt war. Der
Untersuchungsführer gab ein Rechtsgutachten zu der Frage in Auftrag, ob der Beschwerdeführer durch die
Veröffentlichungen Dienstpflichten verletzt habe. Beauftragt wurde Professor Dr. L., der auch Prozessbevollmächtigter
eines Antragstellers im NPD-Parteiverbotsverfahren war. Sobald der Beschwerdeführer hiervon Kenntnis erlangt hatte,
lehnte er den Gutachter als befangen ab. Weil der Untersuchungsführer über diesen Antrag nicht entschied, lehnte der
Beschwerdeführer auch ihn als befangen ab. Im Falle der Ablehnung des Untersuchungsführers hätte nach § 56
Abs. 4 Satz 2 der Bundesdisziplinarordnung (BDO, BGBl 1967 I S. 750, 984) das Bundesdisziplinargericht
entscheiden müssen. Der Untersuchungsführer legte das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch dem
Bundesdisziplinargericht jedoch nicht vor, obwohl dies vom Rechtsanwalt des Beschwerdeführers angemahnt worden
war. Er ließ beide Ablehnungsgesuche vielmehr unbearbeitet, erstellte den Untersuchungsbericht und lud zur
Schlussanhörung. Erst als sich der Beschwerdeführer unmittelbar an das Bundesdisziplinargericht wandte, hob der
Untersuchungsführer den Termin auf und legte das gegen ihn selbst gerichtete Ablehnungsgesuch vor. Das
Bundesdisziplinargericht sah dieses Gesuch als begründet an, weil der Untersuchungsführer nicht über die Ablehnung
des Sachverständigen entschieden, das gegen ihn selbst gerichtete Ablehnungsgesuch nicht dem
Bundesdisziplinargericht zur Entscheidung vorgelegt und stattdessen einen Termin zur abschließenden Anhörung
angesetzt habe. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf stellte das Disziplinarverfahren im Februar 2005 schließlich ein,
weil die Einleitungsverfügung zu unbestimmt gewesen sei.
4
b) Der Beschwerdeführer stellte im September 2005 Strafanzeige gegen den Untersuchungsführer wegen des
Vorwurfs der Rechtsbeugung (§ 339 StGB). Der Beschuldigte habe dadurch das Recht gebeugt, dass er ein
Rechtsgutachten zu Fragen des innerstaatlichen Rechts eingeholt, nicht über die Anträge, das Rechtsgutachten für
unzulässig zu erklären und über die Befangenheit des Gutachters zu befinden, entschieden und schließlich das gegen
ihn selbst gerichtete Befangenheitsgesuch nicht dem zuständigen Gericht zur Entscheidung vorgelegt habe. Die
Staatsanwaltschaft Köln stellte das Ermittlungsverfahren ein. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies die
Generalstaatsanwaltschaft Köln zurück (vgl. die nähere Darstellung im Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats
vom 4. September 2008 - 2 BvR 967/07 -, juris).
5
c) Gegen den im daraufhin vom Beschwerdeführer angestrengten Klageerzwingungsverfahren gemäß § 172 StPO
ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 3. April 2007, der den Antrag auf gerichtliche Entscheidung
gemäß § 172 Abs. 3 StPO als unzulässig ablehnte, erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde. Das
Bundesverfassungsgericht hob den angegriffenen Beschluss auf und verwies die Sache an das Oberlandesgericht
zurück. Der Beschluss verletzte die Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 1 GG, indem
das Oberlandesgericht die Darlegungsanforderungen im Rahmen der Zulässigkeit des Klageerzwingungsantrags
überspannt hatte (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. September 2008 - 2 BvR
967/07 -, juris).
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d) Durch den mit der vorliegenden Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 21. Oktober 2008 hat das
Oberlandesgericht Köln erneut über den Klageerzwingungsantrag des Beschwerdeführers entschieden. Das Gericht
hielt den Antrag nunmehr für zulässig, verwarf ihn jedoch als unbegründet.
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Zur Begründung bezog es sich im Wesentlichen auf die vorangegangenen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft
sowie des Generalstaatsanwalts, die im Kern darauf abgestellt hatten, dass der für die Erfüllung des Tatbestands der
Rechtsbeugung erforderliche Vorsatz nicht bewiesen werden könne. Es könne nach Auffassung des Senats nicht
ausgeschlossen werden, dass der Beschuldigte als Untersuchungsführer die einschlägigen Regelungen der
Bundesdisziplinarordnung und der Strafprozessordnung schlichtweg übersehen habe. Auch die ihm vom damaligen
Bevollmächtigten des Beschwerdeführers erteilten rechtlichen Hinweise führten zu keinem anderen Ergebnis. Sie
seien allenfalls zur Begründung eines Fahrlässigkeitsvorwurfs geeignet, nicht jedoch zum Nachweis zumindest
bedingten Vorsatzes. Es lasse sich nicht nachweisen, dass er auch die Einsicht gewonnen habe, dass die Hinweise
auf die Rechtslage diese richtig dargestellt hätten. Da der Beschuldigte als Untersuchungsführer in Fragen des
Disziplinarverfahrens unerfahren gewesen sei, sei der Nachweis vorsätzlichen Handelns nicht zu erbringen.
8
e) Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer die Nachholung rechtlichen Gehörs gemäß § 33a StPO. Er sei
insofern nicht gehört worden, als sein Vortrag zum Nachweis zumindest bedingten Vorsatzes nicht berücksichtigt
worden sei. Das Oberlandesgericht Köln verwarf den Antrag durch den ebenfalls angegriffenen Beschluss vom
5. Dezember 2008 als unzulässig. Die Voraussetzungen für dieses Nachverfahren lägen nicht vor, weil das Gericht
kein Vorbringen des Beschwerdeführers übersehen, sondern auf der Grundlage dieses Vorbringens entschieden habe.
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2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte und
grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG. Insbesondere verletzten die
angegriffenen Entscheidungen ihn in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG. Das
Oberlandesgericht habe seinen Vortrag, aus dem sich Hinweise auf die Rechtskenntnis des Beschuldigten und damit
auf zumindest bedingten Vorsatz ergäben, offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen.
10
3. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hatte Gelegenheit zur Äußerung.
II.
11
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1
BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
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Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende
Kammerentscheidung sind gegeben. Die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das
Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 47, 182 <187 f.>; 86, 133 <145 ff.>). Danach ist die
Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.
13
1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Oktober 2008 verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
14
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu
nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 42, 364 <367 f.>; 47, 182 <187>). Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings nur
dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BVerfGE
25, 137 <140>; 34, 344 <347>; 47, 182 <187>). Denn grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus,
dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung
gezogen haben (BVerfGE 40, 101 <104 f.>; 47, 182 <187>). Die Gerichte sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem
Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerfGE 13, 132 <149>; 42, 364 <368>; 47, 182
<187>). Deshalb müssen, wenn das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen
soll, im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder
überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfGE 27, 248
<251 f.>; 42, 364 <368>; 47, 182 <187 f.>). Dergleichen Umstände können insbesondere dann vorliegen, wenn das
Gericht wesentliche, das Kernvorbringen eines Beteiligten darstellende Tatsachen unberücksichtigt lässt. Geht das
Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler
Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags
schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert ist
(BVerfGE 86, 133 <146>; vgl. auch BVerfGE 47, 182 <189>). Daraus ergibt sich eine Pflicht der Gerichte, die
wesentlichen,
der
Rechtsverfolgung
und
-verteidigung
dienenden
Tatsachenbehauptungen
in
den
Entscheidungsgründen zu verarbeiten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Dezember
2006 - 2 BvR 722/06 -, juris; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. November 2005 - 2 BvR
1090/05 -, juris).
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b) Nach diesem Maßstab verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 21. Oktober 2008 den
Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör, da er nicht erkennen lässt, dass das Gericht den Kern
seines Tatsachenvortrags zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat.
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aa) Die wesentliche Begründung des Beschlusses, für vorsätzliches Handeln des Beschuldigten als
Untersuchungsführer lägen nicht einmal Anhaltspunkte vor, ist auf der Basis des Tatsachenvortrags des
Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar. Dies lässt darauf schließen, dass das Oberlandesgericht diesen
Tatsachenvortrag nicht berücksichtigt hat.
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Der Beschwerdeführer hat in seinem Klageerzwingungsantrag wiederholt dargelegt, dass er den Beschuldigten
mehrfach auf die Rechtslage hingewiesen und sogar einschlägige Rechtsliteratur angeführt habe. Soweit das
Oberlandesgericht davon auszugehen scheint, dass der damalige Bevollmächtigte des Beschwerdeführers dem
Untersuchungsführer lediglich seine persönliche Rechtsauffassung mitgeteilt haben könnte, die von diesem als
zutreffend, aber auch als unrichtig gewertet worden sein könnte, schöpft es den Vortrag des Beschwerdeführers nicht
im gebotenen Maße aus. Sein damaliger Bevollmächtigter hat den Untersuchungsführer vielmehr umfassend auf die
tatsächliche Rechtslage hingewiesen. Die gleichwohl getroffene Feststellung des Oberlandesgerichts, es seien schon
keine Anhaltspunkte erkennbar, dass der Untersuchungsführer die Rechtslage zutreffend erkannt haben könnte, ist so
fernliegend, dass sie nur dadurch erklärt werden kann, dass das Oberlandesgericht den Vortrag des
Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen hat. Das Oberlandesgericht hält es für möglich, dass der
Beschuldigte als Untersuchungsführer die Vorschrift des § 74 StPO sowie diejenige des § 56 Abs. 4 Satz 2 BDO
übersehen haben könnte. Es ist nicht nachvollziehbar, dass das Oberlandesgericht bei dieser Feststellung nicht auf
die das Gegenteil belegenden Schreiben des damaligen Bevollmächtigten des Beschwerdeführers eingegangen ist,
obwohl die Ermittlungsakten zur üblichen Beurteilungsgrundlage im Klageerzwingungsverfahren gehören (vgl.
Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO-Kommentar, 5. Bd., 26. Auflage 2008, § 173 Rn. 1 und 3; vgl. auch
BVerfG, Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats vom 28. März 2002 - 2 BvR 2104/01 -, NJW 2002, S. 2859
<2860>). Dies gilt namentlich für die Schreiben vom 7. Dezember 2001 und vom 2. Mai 2002. Diese Schreiben weisen
nicht nur auf die fraglichen Vorschriften hin und erläutern deren wesentlichen Inhalt. Das Schreiben vom 2. Mai 2002
gibt auch die entscheidende, die Rechtslage umfassend darstellende Stelle des auch vom Untersuchungsführer zu
Rate gezogenen Kommentars zur Bundesdisziplinarordnung unter Kennzeichnung als wörtliches Zitat und Nennung
der Fundstelle wieder. Mit diesem Tatsachenvortrag ist die - nicht näher begründete - Annahme des
Oberlandesgerichts, es fehlten schon Anhaltspunkte dafür, dass sich der Untersuchungsführer tatsächlich informiert
habe, unvereinbar.
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bb) Schließlich ist die Begründung des Oberlandesgerichts angesichts des Tatsachenvortrags des
Beschwerdeführers auch insoweit nicht nachvollziehbar, als sie die Gründe unbeachtet lässt, aus denen der
Untersuchungsführer die Ablehnungsgesuche über Monate unbearbeitet gelassen haben könnte. Auf die möglichen
Motive des Beschuldigten hat der Beschwerdeführer im Klageerzwingungsantrag wiederholt hingewiesen. Diese
subjektiven Beweggründe sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für das Vorliegen eines
schwerwiegenden Rechtsverstoßes im Sinne des Rechtsbeugungstatbestands von Bedeutung (vgl. BGHSt 47, 105
<113 f.>). Es ist daher nicht nachvollziehbar, weshalb die mögliche Motivation des Beschuldigten als
Untersuchungsführer unbeachtet geblieben ist. Entsprechende Anhaltspunkte bietet vorliegend bereits der Beschluss
des Bundesdisziplinargerichts, welches dort auf seinen Eindruck hinweist, der Untersuchungsführer habe eine
Entscheidung über die Ablehnungsgesuche „verhindern“ bzw. einer solchen „aus dem Weg gehen“ wollen. Darüber
hinaus hat der Beschwerdeführer auf Ausführungen des Untersuchungsführers hingewiesen, in denen dieser, selbst
nachdem das Bundesdisziplinargericht das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt hatte, deutlich machte, dass er
trotz der in diesem Beschluss benannten Verstöße gegen die Strafprozess- und die Bundesdisziplinarordnung und in
Kenntnis dieses Beschlusses noch immer der Ansicht sei, „korrekt“ gehandelt zu haben. Es ist nicht nachvollziehbar,
weshalb die zu dieser Einschätzung führenden Beweggründe unberücksichtigt geblieben sind, waren dem
Untersuchungsführer die einschlägigen Vorschriften zum Zeitpunkt dieser Äußerung doch bekannt.
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Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des Oberlandesgerichts, für eine bewusste Missachtung der als zutreffend
erkannten Rechtslage lägen nicht einmal Anhaltspunkte vor, unverständlich und kann nur dadurch erklärt werden,
dass es den Tatsachenvortrag des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen
hat. Diese fehlende Berücksichtigung des Kernvortrags des Beschwerdeführers verletzt ihn in seinem Anspruch auf
rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.
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c) Da die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs Erfolg hat, bedarf es keiner Entscheidung, ob die angegriffenen
Entscheidungen - insbesondere hinsichtlich der vom Oberlandesgericht angeführten Begründung, dem
Untersuchungsführer sei selbst dann, wenn er die Rechtslage zutreffend erkannt hätte, nicht nachzuweisen, dass er
trotz dieser Einsicht anders verfahren sei - zugleich willkürlich sind und ob sie den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden
Anforderungen gerecht werden.
21
d) Der Beschluss beruht auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das
Oberlandesgericht bei Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers eine andere Entscheidung getroffen
hätte. Insbesondere in Anbetracht der vorliegend unbeachtet gebliebenen Hinweise auf die Kenntnis des
Beschuldigten als Untersuchungsführer von der Rechtslage ist es nicht ausgeschlossen, dass das Gericht entweder
die Einstellung der Ermittlungen beanstandet oder aber zumindest eigene Ermittlungen (§ 173 Abs. 3 StPO) angestellt
hätte, um die Bedeutung des Verhaltens des Beschuldigten für die Annahme hinreichenden Tatverdachts näher zu
untersuchen. Es geht aus der Entscheidung auch nicht hervor, dass der Klageerzwingungsantrag aus Sicht des
Oberlandesgerichts aus anderen Gründen in der Sache keinen Erfolg haben könnte.
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2. Auch der auf die Gehörsrüge hin ergangene Beschluss vom 5. Dezember 2008 ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG
aufzuheben. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob dieser Beschluss einen eigenständigen Grundrechtsverstoß
enthält. Wird eine gerichtliche Entscheidung wegen eines Grundrechtsverstoßes aufgehoben, erstreckt sich die
Aufhebung auch auf nachfolgende Entscheidungen, welche auf Rechtsbehelfe hin ergangen sind und die
vorangegangene Entscheidung bestätigen (vgl. BVerfGE 4, 412 <424>).
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3. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist schließlich auch zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG
genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt.
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Eine Annahme ist nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG dann angezeigt, wenn die geltend gemachte Verletzung
von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten besonderes Gewicht hat oder den Beschwerdeführer in
existenzieller Weise betrifft. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle
Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von
Grundrechten abzuhalten. Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer
groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit
grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (BVerfGE 90, 22 <25>).
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Im vorliegenden Fall hat die festgestellte Verletzung besonderes Gewicht, da der Beschluss vom 21. Oktober 2008
die aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen leichtfertig verkennt. Er lässt jede vertiefte Auseinandersetzung
mit dem Kernvortrag des Beschwerdeführers vermissen; objektive Umstände, aus denen Hinweise für das Vorliegen
der inneren Tatseite folgen könnten, bleiben vollkommen unbeachtet. Das Oberlandesgericht stützt sich allein auf die
Aussage des Untersuchungsführers, er habe die Rechtslage nicht gekannt, und hält diese Aussage für unwiderlegbar.
Diese Auffassung hätte nach Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers zumindest näher untermauert
werden müssen. Dass eine solche Begründungsleistung fehlt, lässt auf ein leichtfertiges Übergehen des Anspruchs
des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör schließen. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht im
vorliegenden Klageerzwingungsverfahren bereits im Beschluss vom 4. September 2008 der Grundrechtsverletzung,
die durch die erste Entscheidung des Oberlandesgerichts verursacht wurde, implizit besonderes Gewicht
beigemessen. Es besteht kein Grund, dies nunmehr abweichend zu bewerten.
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4. Die Beschlüsse sind daher aufzuheben. Die Sache ist an das Oberlandesgericht Köln zurückzuverweisen (§ 95
Abs. 2 BVerfGG).
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Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Broß
Di Fabio
Landau