Urteil des BVerfG vom 27.01.1999
BVerfG: abfindung, verfassungsbeschwerde, unternehmen, beendigung, grundrecht, aktiengesellschaft, aktionär, akte, gefahr, handelsregister
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1805/94 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. des Herrn W...,
2. der M... Vermögensverwaltungs- und Grundstücks-GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Michael Kaiser und
Partner, Schöneberger Ufer 67 a, Berlin -
gegen
a)
den Beschluß des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 29. August 1994 - 15 W
19/94 -,
b)
den Beschluß des Landgerichts Mannheim vom 30. Mai 1994 - 23 AktE 1/90 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den
Vizepräsidenten Papier
und die Richter Grimm,
Hömig
am 27. Januar 1999 einstimmig beschlossen:
Der Beschluß des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 29. August 1994 - 15 W 19/94 - und der Beschluß des
Landgerichts Mannheim vom 30. Mai 1994 - 23 AktE 1/90 - verletzen den Beschwerdeführer zu 1) in seinem
Grundrecht aus Artikel 14 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden, soweit sie den
Beschwerdeführer zu 1) betreffen, aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer zu 1) die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein aktienrechtliches Spruchstellenverfahren.
I.
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1. Die Beschwerdeführer waren Aktionäre der mittlerweile erloschenen SEN AG (nachfolgend: "SEN AG"). Die SEN
AG schloß im März 1987 einen Verschmelzungsvertrag gemäß §§ 340 ff. AktG a.F. mit der M. AG, welche
inzwischen als KHS.... AG (nachfolgend: "KHS AG") firmiert. Gegen den zustimmenden
Hauptversammlungsbeschluß der SEN AG zu dem Verschmelzungsvertrag erhoben verschiedene Aktionäre
Anfechtungsklagen, so daß sich die Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister verzögerte.
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Im Januar 1990, als die Anfechtungsklagen gegen den Verschmelzungsvertrag noch anhängig waren, schloß die
SEN AG einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag im Sinn des § 291 Abs. 1 AktG mit der K.M.
Maschinenbau GmbH (im folgenden: K. GmbH). Dieser Unternehmensvertrag setzte als angemessenen Ausgleich für
die außenstehenden Aktionäre eine jährliche Zahlung von 10,15 DM je Aktie im Nennbetrag von 50 DM fest und sah
als Abfindung eine Barzahlung in Höhe von 176 DM je Aktie im Nennbetrag von 50 DM vor.
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Der Beschwerdeführer zu 1) trennte sich vom dem Großteil seiner Aktien zu dem vertraglich angebotenen
Abfindungspreis, so daß er nur noch mit wenigen Aktien an der SEN AG beteiligt war. Die Beschwerdeführerin zu 2)
nahm das Abfindungsangebot nicht an. Beide Beschwerdeführer strengten sodann mit weiteren Minderheitsaktionären
zur Bestimmung eines angemessenen Ausgleichs und einer angemessenen Abfindung ein aktienrechtliches
Spruchstellenverfahren gemäß § 306 AktG an.
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Noch vor der Entscheidung des Landgerichts im Spruchstellenverfahren wurde die Verschmelzung der
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SEN AG auf die KHS AG nach rechtskräftiger Abweisung der dagegen gerichteten Anfechtungsklagen im August
1993 in das Handelsregister eingetragen. Im Ausgangsverfahren machten die Antragsgegnerinnen (SEN AG und K.
GmbH) daraufhin geltend, das Spruchstellenverfahren habe sich mit der Eintragung der Verschmelzung erledigt, da
eine Vertragspartnerin des Unternehmensvertrags (SEN AG) mit der Eintragung der Verschmelzung gemäß § 346
Abs. 4 Satz 1 AktG a.F. erloschen und der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag deshalb hinfällig geworden
sei.
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2. Das Landgericht stellte in dem angegriffenen Beschluß fest, das Verfahren zur Bestimmung des
Abfindungsanspruchs gemäß § 305 AktG habe sich erledigt (veröffentlicht in: DB 1994, S. 1463). Der
Abfindungsanspruch setze einen bestehenden Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag voraus. Da die SEN AG
im Zuge der Verschmelzung auf die KHS AG erloschen sei, sei deren Unternehmensvertrag mit der K. GmbH
gegenstandslos geworden. Ebenso sei der Abfindungsanspruch der außenstehenden Aktionäre gemäß § 305 AktG
erloschen. Die außenstehenden Aktionäre hätten auch keinen Abfindungsanspruch gegen das übernehmende
Unternehmen aus dem Verschmelzungsvertrag, weil man aus einer erloschenen Gesellschaft gar nicht mehr gegen
eine Abfindung ausscheiden könne.
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3. Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführer hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen (veröffentlicht in: DB
1994, S. 1917). Das Landgericht habe zu Recht angenommen, daß der Abfindungsanspruch mit der Eintragung der
Verschmelzung weggefallen sei. Mit der Eintragung seien die Aktionäre der SEN AG Aktionäre der übernehmenden
Gesellschaft geworden. Die SEN AG sei infolge ihres Erlöschens als Vertragspartnerin des Unternehmensvertrags mit
der K. GmbH weggefallen, so daß der Unternehmensvertrag seinerseits hinfällig geworden sei. Mit der Beendigung
des Unternehmensvertrags entfalle auch das dort enthaltene Angebot der herrschenden Gesellschaft auf Erwerb der
Aktien der abhängigen Gesellschaft gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung.
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Ein Fortbestehen des Abfindungsanspruchs lasse sich auch nicht dadurch konstruieren, daß man die übernehmende
Gesellschaft aus dem Verschmelzungsvertrag (KHS AG) als Anspruchsschuldnerin betrachte. Diese sei an dem
Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nicht beteiligt gewesen. Ein anderes Ergebnis sei auch nicht zur
Vermeidung einer mißbräuchlichen Einflußnahme des herrschenden Unternehmens auf ein ungünstig verlaufendes
Spruchstellenverfahren geboten. Die Aktionäre der SEN AG hätten die Möglichkeit gehabt, ihre Aktien gegen solche
der KHS AG einzutauschen. Das Gesetz stelle insoweit mit § 352 c AktG a.F. ein besonderes Verfahren zum Schutz
der Aktionäre der übertragenden Gesellschaft zur Verfügung, neben dem für die Fortsetzung eines
Spruchstellenverfahrens nach § 306 AktG kein Raum bleibe.
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Außerdem habe in der vorliegenden Konstellation von vornherein nicht die Gefahr einer mißbräuchlichen
Herbeiführung der Beendigung des Unternehmensvertrags bestanden. Der Verschmelzungsvertrag sei vor dem
Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen worden. Der Unternehmensvertrag habe lediglich eine
Übergangslösung während der Anhängigkeit der gegen die Verschmelzung gerichteten Anfechtungsklagen dargestellt.
In einer solchen Situation hätten die außenstehenden Aktionäre damit rechnen müssen, daß ihrem
Abfindungsanspruch nachträglich durch die Beendigung des Unternehmensvertrags der Boden entzogen werde.
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4. Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 14 GG. Der Abschluß eines
Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags stelle für sie den denkbar stärksten Eingriff in ihre Eigentumsposition
dar. Ihr Unternehmen werde zur Plünderung durch die herrschende Gesellschaft freigegeben. Ein solcher Eingriff sei
nur zulässig, wenn die außenstehenden Aktionäre dafür durch einen angemessenen Ausgleich und eine angemessene
Abfindung kompensiert würden. Das hätten die Gerichte im Ausgangsverfahren unter Mißachtung des Grundrechts
aus Art. 14 GG und des Gebots effektiven Rechtsschutzes verkannt.
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Die Eintragung der Verschmelzung stelle kein erledigendes Ereignis für das Spruchstellenverfahren dar. Für den
Beschwerdeführer zu 1), der mit einem Großteil seiner Aktien bereits aus der abhängigen Gesellschaft ausgeschieden
sei, habe die Verschmelzung überhaupt keine Wirkung mehr, da er nicht mehr Gesellschafter des übertragenden
Unternehmens sei. Durch die angegriffenen Entscheidungen sei ihm allerdings die Möglichkeit entzogen worden,
seinen Abfindungsergänzungsanspruch zu realisieren. Auch die Beschwerdeführerin zu 2), die das Abfindungsangebot
der K. GmbH nicht angenommen habe, werde durch die Auffassung der Gerichte beschwert. Sie erhalte keine
angemessene Abfindung. Der Hinweis des Oberlandesgerichts auf das Verfahren nach § 352 c AktG a.F. verfange
nicht, da der Bewertungszeitpunkt hinsichtlich der Umtauschrelation für die Verschmelzung und in bezug auf den
Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag verschieden, die Rechtswirkungen einer Entscheidung gemäß § 352 c
AktG a.F. auf den Kreis der widersprechenden Aktionäre beschränkt seien, und das Verfahren lediglich die
Angemessenheit des Umtauschverhältnisses im Rahmen der Verschmelzung sicherstelle, nicht aber die Möglichkeit
eröffne, aus der Gesellschaft auszuscheiden.
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5. Das Justizministerium Baden-Württemberg hat sich zu der Verfassungsbeschwerde nicht geäußert. Die übrigen
Verfahrensbeteiligten hatten ebenfalls Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Antragsgegnerinnen halten die
Verfassungsbeschwerde für unzulässig und unbegründet.
II.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde, soweit sie von dem Beschwerdeführer zu 1) erhoben worden ist,
zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93 a
Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung sind insoweit
gegeben. Die hierfür maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht (vgl.
insbesondere BVerfGE 14, 263) bereits entschieden (§ 93 c Abs. 1 BVerfGG).
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Soweit die Verfassungsbeschwerde von der Beschwerdeführerin zu 2) erhoben worden ist, liegen die
Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG dagegen nicht vor.
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1. Die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer zu 1) in seinem
Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.
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a) Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet das Eigentum. Nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts umfaßt der Schutz des Grundrechts auch das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum,
das im Rahmen seiner gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung durch Privatnützigkeit und Dispositionsbefugnis über
den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet ist (vgl. BVerfGE 14, 263 <276 f.>; 50, 290 <339, 341>).
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Der Gesetzgeber ist nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG befugt, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Er
hat dabei, da das in einer Aktie verkörperte Eigentum an einem Unternehmensträger regelmäßig in einem sozialen
Bezug und einer sozialen Funktion steht, einen weiten Gestaltungsspielraum. Allerdings darf er die grundlegende
Wertentscheidung des Grundgesetzes zugunsten des Privateigentums nicht über Gebühr verkürzen (vgl. BVerfGE 14,
263 <278>; 50, 290 <340>).
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b) Die Regelungen der §§ 291 ff. AktG greifen in die grundrechtlich geschützte Eigentumsposition der
"außenstehenden Aktionäre" einer Aktiengesellschaft ein. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG ermöglicht es den
Mehrheitsaktionären einer Aktiengesellschaft, die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen zu
unterstellen (Beherrschungsvertrag) und ihre Gesellschaft zu verpflichten, den ganzen Gewinn an ein anderes
Unternehmen abzuführen (Gewinnabführungsvertrag). Mit dem Abschluß eines Beherrschungs- und
Gewinnabführungsvertrags geht für die außenstehenden Aktionäre die Gefahr einer Auszehrung ihrer
Mitgliedschaftsrechte und insbesondere ihrer Vermögensbeteiligung einher. Das hat der Bundesgerichtshof im
einzelnen in seinem Beschluß vom 20. Mai 1997 ("Guano AG") aufgezeigt (BGHZ 135, 374).
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Das herrschende Unternehmen erlangt mit dem Unternehmensvertrag das Recht, der abhängigen Gesellschaft auch
nachteilige Weisungen zu erteilen (§ 308 Abs. 1 AktG) und den von der abhängigen Gesellschaft erzielten Gewinn zu
vereinnahmen. Die herrschende Gesellschaft kann kraft ihrer Weisungsbefugnis durch einen entsprechenden
Gebrauch von Ansatz- und Bewertungswahlrechten den Jahresüberschuß und damit auch den abzuführenden Gewinn
der abhängigen Gesellschaft erhöhen. Sie kann Rückstellungen oder Sonderposten mit Rücklagenanteil auflösen und
im Rahmen des § 301 AktG auch die Auflösung vorvertraglich gebildeter stiller Reserven veranlassen. Schließlich
kann das herrschende Unternehmen die abhängige Gesellschaft ihrer Vermögenswerte weitgehend entkleiden und sie
vollständig dem Konzerninteresse unterwerfen. Weisungsabhängigkeit und Gewinnabführungsverpflichtung können
mithin dazu führen, daß die abhängige Gesellschaft bei Beendigung eines Unternehmensvertrags nicht mehr in der
Lage ist, sich aus eigener Kraft zu behaupten (vgl. BGHZ 135, 374 <377 f.>).
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c) Trotz der mit dem Unternehmensvertrag für die außenstehenden Aktionäre einhergehenden Gefahren hat der
Gesetzgeber mit den Regelungen der §§ 291 ff. AktG die ihm durch Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG eingeräumte Befugnis
zur Inhalts- und Schrankenbestimmung nicht überschritten. Der Gesetzgeber darf im Interesse
gesellschaftsrechtlicher Flexibilität und einfacher Konzernbildung einer Aktiengesellschaft die Möglichkeit eröffnen,
sich im Rahmen eines Unternehmensvertrags der Herrschaft einer anderen Gesellschaft zu unterwerfen und zur
Abführung des Gewinns zu verpflichten (vgl. BVerfGE 14, 263 <282>). Allerdings muß der Gesetzgeber dabei die
berechtigten Interessen der außenstehenden Aktionäre beachten. Die Minderheitsaktionäre werden zwar - anders als
in der Fallkonstellation, welche der Feldmühle-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lag - nicht
"aus ihrer Gesellschaft gedrängt", müssen aber doch eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer grundrechtlich
geschützten Gesellschaftsbeteiligung hinnehmen. Das hat der Gesetzgeber berücksichtigt.
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Das Gesetz enthält ausreichende Schutzmechanismen für die außenstehenden Aktionäre: Mit der Möglichkeit, eine
Anfechtungsklage nach § 246 AktG gegen den Zustimmungsbeschluß der Hauptversammlung zu dem
Unternehmensvertrag (§ 293 AktG) zu erheben, haben die Minderheitsaktionäre einen wirksamen Rechtsbehelf gegen
einen denkbaren Mißbrauch wirtschaftlicher Macht. Außerdem erhalten sie im Rahmen des § 304 AktG einen
angemessenen Ausgleich und haben gemäß § 305 AktG die Möglichkeit, ihre Aktien der herrschenden Gesellschaft
gegen eine angemessene Abfindung anzudienen. Für den Verlust ihrer Rechtsposition werden sie damit im Prinzip
wirtschaftlich voll entschädigt. Die materiellrechtliche Position ist durch die Möglichkeit, ein Spruchstellenverfahren
nach § 306 AktG zu betreiben, auch verfahrensrechtlich abgesichert. Die gesetzliche Regelung genügt damit im
Grundsatz den Anforderungen, welche das Bundesverfassungsgericht im Feldmühle-Urteil an eine verhältnismäßige
Beschränkung des Eigentums der Minderheitsaktionäre gestellt hat (vgl. BVerfGE 14, 263 <283>).
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d) Der gesetzlich gewährleistete Schutz des Eigentums der außenstehenden Aktionäre darf allerdings nicht auf der
Rechtsanwendungsebene unterlaufen werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben
sich die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung eigentumsbeschränkender Gesetze innerhalb der Grenzen zu
halten, die dem Gesetzgeber bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Eigentümerbefugnisse gezogen sind (vgl.
BVerfGE 68, 361 <372>). Auch bei der Anwendung der §§ 304 ff. AktG ist dem Einfluß von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG
Rechnung zu tragen. Das Bundesverfassungsgericht kann einen Verfassungsverstoß allerdings erst dann feststellen,
wenn die richterliche Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts im Gesetz keine Stütze mehr findet oder wenn
sie das eingeschränkte Grundrecht, insbesondere seinen Schutzbereich, in Bedeutung und Tragweite grundlegend
verkennt und das auch für den konkreten Rechtsfall in der materiellen Auswirkung von einiger Relevanz ist (vgl.
BVerfGE 89, 1 <9 f.>).
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2. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die angegriffenen Entscheidungen, soweit sie den
Beschwerdeführer zu 1) betreffen, nicht.
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a) Landgericht und Oberlandesgericht sind davon ausgegangen, das Spruchstellenverfahren habe sich mit der
Eintragung der Verschmelzung erledigt, weil eine Vertragspartnerin des Unternehmensvertrags erloschen sei. Diese
formale Argumentation trägt dem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht hinreichend Rechnung. Das
Grundrecht verlangt, daß die Minderheitsaktionäre für die Beeinträchtigung ihrer Rechtsposition, welche mit dem
Abschluß eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags regelmäßig einhergeht, wirtschaftlich voll entschädigt
werden. Der Bundesgerichtshof hat in der Guano-Entscheidung überzeugend dargelegt, daß die außenstehenden
Aktionäre gegen bestimmte Maßnahmen der herrschenden Gesellschaft nur durch eine angemessene Abfindung
abgesichert werden können (vgl. BGHZ 135, 374 <379>).
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Das Aktiengesetz bestimmt nicht, wie sich die Verschmelzung eines Vertragspartners eines Unternehmensvertrags
auf ein laufendes Spruchstellenverfahren auswirkt. Die Bedeutung der Eigentumsgarantie wird aber grundlegend
verkannt, wenn ein Aktionär, der von dem vertraglichen Abfindungsangebot Gebrauch gemacht hat und tatsächlich
aus der abhängigen Gesellschaft ausgeschieden ist, für seine Aktien weniger als eine "angemessene" Abfindung
erhielte. Deshalb ist auch im Fall einer Verschmelzung ein laufendes Spruchstellenverfahren mit Blick auf diejenigen
Aktionäre, die ihre Aktien der herrschenden Gesellschaft angedient haben, fortzusetzen und über den
Abfindungsanspruch sachlich zu befinden.
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Die Erwägung des Oberlandesgerichts, es existierten keine Aktien der abhängigen Gesellschaft mehr, welche die
herrschende Gesellschaft erwerben könne, ist mit Blick auf den Beschwerdeführer zu 1) ohne Relevanz. Die Aktien
des Beschwerdeführers zu 1) hat die K. GmbH bereits erworben. Dafür hat sie eine angemessene Abfindung zu
bezahlen. Stellt sich im Verlauf des Spruchstellenverfahrens heraus, daß die vertraglich angebotene Abfindung zu
niedrig war, so hat die (nach wie vor existierende) K. GmbH eine entsprechende Nachzahlung hinsichtlich derjenigen
Aktien, welche sie zum Preis von 176 DM übernommen hatte, zu leisten.
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b) Das Bundesverfassungsgericht kann nicht ausschließen, daß sich im Spruchstellenverfahren eine Erhöhung des
Abfindungsbetrags ergibt. Die Anträge der außenstehenden Aktionäre auf Erhöhung der Ausgleichszahlung sind zwar
mittlerweile rechtskräftig zurückgewiesen worden (Beschluß des Landgerichts Mannheim vom 16. Dezember 1996 -
23 AktE 1/90 - und Beschluß des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 13. Juni 1997 - 15 W 1/97 -). Doch steht damit
keineswegs zwingend fest, daß auch die vertraglich angebotene Abfindung angemessen ist. Das Landgericht hat das
Verfahren deshalb mit Blick auf diejenigen Aktionäre, die ihre Aktien der K. GmbH angedient hatten, fortzusetzen und
sachlich über den Abfindungsanspruch zu befinden.
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3. Soweit die Beschwerdeführerin zu 2) von den angegriffenen Beschlüssen betroffen ist, kann das
Bundesverfassungsgericht nicht feststellen, daß die Gerichte die Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG
grundlegend verkannt haben. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) ist deshalb
nicht angezeigt.
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a) Das Oberlandesgericht hat betont, daß die außenstehenden Aktionäre für ihre Aktien der SEN AG Anteile an der
KHS AG erhalten haben. Sie hatten die Möglichkeit, das entsprechende Umtauschverhältnis gerichtlich überprüfen zu
lassen. Die Beschwerdeführerin zu 2) hatte - anders als der Beschwerdeführer zu 1) - das Abfindungsangebot der K.
GmbH nicht angenommen. Zum Zeitpunkt der Eintragung der Verschmelzung war sie noch im Besitz ihrer SEN-
Aktien. Dafür hat sie im Zuge der Verschmelzung Aktien der KHS AG erhalten. Aufgrund des besonderen
Geschehensablaufs lag der für die Verschmelzung maßgebliche Bewertungsstichtag vor dem Inkrafttreten des
Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags. Für die Beschwerdeführerin zu 2) bestand mithin keine Gefahr, daß
sich der Wert der SEN AG und damit der Wert ihrer Gesellschaftsbeteiligung, soweit er für die
Verschmelzungswertrelation von Belang war, infolge des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags verringerte.
Der Abschluß und damit auch die Beendigung des Unternehmensvertrags waren für die Frage, wieviele Aktien der
übernehmenden Gesellschaft (KHS AG) die Beschwerdeführerin zu 2) für ihre SEN-Beteiligung erhält, ohne
Auswirkung. Maßgeblich war insoweit allein der Wert der SEN AG zum für die Verschmelzung maßgeblichen
Bewertungsstichtag. Die Beschwerdeführerin zu 2) bedurfte deshalb nicht in gleichem Maß wie der Beschwerdeführer
zu 1) des Schutzes der §§ 305, 306 AktG. Das durfte das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung
berücksichtigen.
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Das Bundesverfassungsgericht hat nicht darüber zu befinden, ob die von den Gerichten im Ausgangsverfahren
vertretene Auffassung aktienrechtlich zwingend ist (vgl. dazu verneinend Meilicke W., AG 1995, S. 181 <187>;
bejahend Naraschewski, DB 1997, S. 1653 <1657>). Ebensowenig hat sich das Bundesverfassungsgericht im
Rahmen dieser Verfassungsbeschwerde mit der Frage zu befassen, wie gegebenenfalls ein (auch
verfassungsrechtlich) gebotener Abfindungsanspruch nach Beendigung eines Spruchstellenverfahrens zu realisieren
ist, wenn das abhängige Unternehmen infolge einer Verschmelzung oder Eingliederung erloschen ist. Von
Verfassungs wegen entscheidend ist allein, ob die wirtschaftlich volle Entschädigung, auf die ein Aktionär, dessen
Eigentumsposition durch einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag berührt ist, Anspruch hat, die
gerichtliche Bestimmung einer angemessenen Abfindung erfordert. Das ist dann nicht der Fall, wenn der Aktionär
durch Festsetzungen im Verschmelzungsvertrag und deren gerichtlicher Kontrolle geschützt ist und der maßgebliche
Bewertungsstichtag für die Bestimmung der Verschmelzungswertrelation vor dem Beginn des Spruchstellenverfahrens
liegt. So lagen die Dinge bei der Beschwerdeführerin zu 2).
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b) Die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) steht nicht in Widerspruch zu der
verfassungsrechtlich zutreffenden Argumentation des Bundesgerichtshofs im Fall der Guano AG. Der
Bundesgerichtshof hat dort entschieden, daß der Abfindungsanspruch der außenstehenden Aktionäre im Sinn des
§ 305 Abs. 1 AktG bei Beendigung des Unternehmensvertrags während des Spruchstellenverfahrens fortbesteht und
daß in dem Spruchstellenverfahren darüber sachlich zu entscheiden ist (vgl. BGHZ 135, 374 <377>). Der
Ausgangsfall, der der Guano-Entscheidung zugrunde lag, unterscheidet sich aber von der Konstellation im hier zu
beurteilenden Ausgangsverfahren maßgeblich dadurch, daß erstens im Fall der Guano AG der Unternehmensvertrag
durch eine Kündigung, nicht durch eine Verschmelzung beendet wurde, daß zweitens dort die herrschende, nicht die
abhängige Gesellschaft verschmolzen wurde und daß drittens der Verschmelzungsvertrag und damit
zusammenhängend der Bewertungsstichtag für die Verschmelzung dem Beginn des Spruchstellenverfahrens zeitlich
nachfolgten. Zu Recht hat der Bundesgerichtshof festgestellt, daß die außenstehenden Aktionäre in einer solchen
Konstellation allein durch die Fortführung des Spruchstellenverfahrens gegen eine mögliche Beeinträchtigung ihrer
Eigentumsposition geschützt werden konnten. Das ist anders, wenn - wie im Fall der SEN AG - die abhängige
Gesellschaft verschmolzen wird, die beteiligten Unternehmen das die Beendigung des Unternehmensvertrags
auslösende Moment (Verschmelzung) bereits vor dem Beginn des Spruchstellenverfahrens veranlaßt haben und der
Unternehmensvertrag aufgrund des konkreten Geschehensablaufs die Verschmelzungswertrelation nicht mehr
beeinflussen kann.
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4. Dem Beschwerdeführer zu 1) sind gemäß § 34 a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Grimm
Hömig