Urteil des BVerfG vom 24.09.2013
BVerfG: verfassungsbeschwerde, erlass, gewalt, verhinderung, vollmacht, zustand, räumung, lebensgefahr, rechtsschutz, bekanntmachung
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2455/12 -
Bundesadler
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. der Frau R…,
2. des Herrn R…,
- Bevollmächtigte:
Anwaltsgemeinschaft Schneider & Dr. Willms,
Oligsbendengasse 12 - 14, 52070 Aachen -
gegen
a)
den Beschluss des Landgerichts Aachen vom 13. August 2013 - 5 T
116/12 -,
b)
den Beschluss des Landgerichts Aachen vom 22. Juli 2013 - 5 T
116/12 -,
c)
den Beschluss des Landgerichts Aachen vom 27. September 2012 -
5 T 116/12 -,
d)
den Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 22. August 2012 - 903
M 1236-12 -,
e)
den Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 23. Juli 2012 - 903 M
1236-12 -
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Gerhardt,
die Richterin Hermanns
und den Richter Müller
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 24. September 2013 einstimmig
beschlossen:
Die Zwangsvollstreckung aus Ziffer I. des Tenors des Urteils des Amtsgerichts Aachen vom
11. Mai 2011 - 110 C 385/10 - wird einstweilen bis zur Entscheidung über die
Verfassungsbeschwerde, längstens für sechs Monate, ausgesetzt.
Gründe:
1
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor.
2
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand
durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur
Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl
dringend geboten ist. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab
anzulegen. Dabei haben die Gründe, welche der Beschwerdeführer für die
Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Hoheitsakte anführt, grundsätzlich außer Betracht zu
bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig
oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die
Folgen, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die
Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden,
wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber
der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 99, 57 <66>; stRspr).
3
Die Verfassungsbeschwerde ist nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand jedenfalls, soweit die
Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 2 Abs. 2
Satz 1 GG und aus Art. 103 Abs. 1 GG rügen, weder von vornherein unzulässig noch in Gänze
offensichtlich unbegründet. Soweit eine den Anforderungen des § 22 Abs. 2 BVerfGG
entsprechende Vollmacht der Beschwerdeführerin zu 1. bisher nicht vorliegt, kann diese
innerhalb einer zu bestimmenden Frist nachgereicht werden (BVerfGE 62, 194 <200>). Im
Rahmen der somit erforderlichen Abwägung überwiegen die Gründe für den Erlass einer
einstweiligen Anordnung.
4
Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber
als begründet, wäre nicht auszuschließen, dass der Räumungstitel in der Zwischenzeit
vollstreckt würde. Nach dem von dem Landgericht eingeholten Gutachten erscheint eine
Zwangsräumung aus ärztlicher Sicht derzeit nicht verantwortbar, weil sie zu erheblichen
Gesundheitsgefahren bis hin zu einer Lebensgefahr für die hochbetagte Beschwerdeführerin
zu 1. führen würde.
5
Erginge dagegen die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später
jedoch als nicht erfolgreich, so verzögerte sich die Räumung um wenige Monate. Das wiegt
insgesamt weniger schwer als die im Falle einer Zwangsräumung drohenden Nachteile. Der
Begünstigte des Ausgangsverfahrens hat in seiner Stellungnahme keine Nachteile geltend
gemacht, die über die durch die mit der Verzögerung (zwangsläufig) verbundene
Beeinträchtigung seines Eigentumsrechts und seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz
hinausgehen.
6
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Gerhardt
Hermanns
Müller