Urteil des BVerfG vom 19.12.2008
BVerfG: wiedereinsetzung in den vorigen stand, verfassungsbeschwerde, organisation, privatisierung, ernennung, gestaltung, ermessen, mitbewerber, kreis, ausschreibung
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 627/08 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn E ...,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Martin-Andreas Thater,
Freiherr-vom-Stein-Straße 1, 30926 Seelze -
gegen
a)
den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. Januar
2008 - 5 LA 68/07 -,
b)
das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 9. Februar 2006 - 2 A 7216/03 -
und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Voßkuhle,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 19. Dezember 2008 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegenstandslos geworden.
Gründe:
1
Der Beschwerdeführer wendet sich in einem beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit gegen die dem Abbruch des
Auswahlverfahrens nachfolgenden gerichtlichen Entscheidungen.
A.
2
Der Beschwerdeführer steht als Bauamtmann im Dienst des Landes Niedersachsen. Er bewarb sich um den
Dienstposten des Leiters einer Straßenmeisterei. Gegen die zugunsten eines Mitbewerbers ergangene
Auswahlentscheidung erlangte der Beschwerdeführer zweitinstanzlich erfolgreich Eilrechtsschutz.
3
In der Hauptsache erhob der Beschwerdeführer nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage mit dem Ziel, die
zuständige Landesbehörde zur erneuten Entscheidung über seine Bewerbung zu verpflichten. Die berichterstattende
Richterin wies die Beteiligten des Rechtsstreits darauf hin, dass das Unterliegen der Landesbehörde im Eilverfahren
einen sachlichen Grund für einen etwaigen Abbruch des Auswahlverfahrens darstelle. Einige Monate später teilte die
Landesbehörde dem Beschwerdeführer mit, dass das Ausschreibungsverfahren abgebrochen worden sei, weil im
politischen Raum zur Zeit diskutiert werde, ob die Aufgaben der Straßenmeistereien kommunalisiert oder privatisiert
werden sollten. Das Verwaltungsgericht wies die Klage daraufhin ab, weil der Anspruch des Beschwerdeführers auf
fehlerfreie Bewerberauswahl infolge des – aus sachlichem Grund und damit rechtmäßig erfolgten – Abbruchs des
Stellenbesetzungsverfahrens untergegangen sei. Ein sachlicher Grund sei sowohl in der politischen Diskussion über
die Aufgabenprivatisierung beziehungsweise -kommunalisierung als auch – unabhängig davon – im Ausgang des
vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zu sehen.
4
Den hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss
vom 24. Januar 2008 ab. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die geplante Privatisierung
beziehungsweise Kommunalisierung als Grund für den Abbruch des Auswahlverfahrens nur vorgeschoben seien.
5
Mit seiner verspätet eingelegten, um einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ergänzten
Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer die ihm nachteiligen Entscheidungen im Hauptsacheverfahren
an. Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 33 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 und
Art. 12 Abs. 1 GG sowie des Grundsatzes der Gewaltenteilung.
B.
6
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie – ungeachtet der Frage der
Verfristung – jedenfalls unbegründet ist. Die angefochtenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in
seinem grundrechtsgleichen Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern aus Art. 33 Abs. 2 GG.
7
Art. 33 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verleiht dem Beamten das Recht, eine dienstrechtliche
Auswahlentscheidung dahingehend gerichtlich überprüfen zu lassen, ob der Dienstherr ermessens- und
beurteilungsfehlerfrei über seine Bewerbung entschieden hat (vgl. BVerfGE 39, 334 <354>; BVerfGK 1, 292 <295 f.>).
Die besondere Verfahrensabhängigkeit dieses Bewerbungsverfahrensanspruchs erfordert eine angemessene
Gestaltung des Auswahlverfahrens, um die Durchsetzung der in Art. 33 Abs. 2 GG gewährleisteten Rechte
sicherstellen zu können (vgl. BVerfGE 73, 280 <296>).
8
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich die Fachgerichte im Streitfall
angeschlossen haben, besteht der Bewerbungsverfahrensanspruch aber nur dann, wenn eine Ernennung
vorgenommen wird. Der Dienstherr ist demnach rechtlich nicht gehindert, ein eingeleitetes Bewerbungs- und
Auswahlverfahren aus sachlichen Gründen jederzeit zu beenden. Das für den Abbruch des Auswahlverfahrens
maßgebliche weite organisations- und verwaltungspolitische Ermessen des Dienstherrn ist ein anderes als das bei der
Stellenbesetzung zu beachtende Auswahlermessen (vgl. zum Ganzen BVerwGE 101, 112 <115>; BVerwG, Urteil
vom 22. Juli 1999 – 2 C 14/98 –, NVwZ-RR 2000, S. 172 <173>).
9
Gegen diese Rechtsprechung, die verfassungsrechtlich bestätigt worden ist (vgl. BVerfGK 10, 355 <358>; vgl. auch
BVerfGK 5, 205 <215> zu dem aus sachlich nachvollziehbaren Gründen zulässigen Abbruch des Auswahlverfahrens
bei der Besetzung von Notarstellen), erhebt der Beschwerdeführer keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Seine
Argumentation konzentriert sich vielmehr darauf, dass seiner Ansicht nach kein sachlicher Grund für den Abbruch des
Auswahlverfahrens vorgelegen habe. Damit greift er die einfachrechtliche Rechtsanwendung und Subsumtion der
Fachgerichte an und setzt lediglich seine eigene Wertung an die Stelle derjenigen der Fachgerichte.
10
Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, warum die politische Diskussion über die Privatisierung beziehungsweise
Kommunalisierung der Aufgaben der Straßenmeistereien, auf welche die Fachgerichte entscheidend abgestellt haben,
keinen sachlichen Grund für den Abbruch des Auswahlverfahrens darstellen sollte. Das Verwaltungsgericht hat es
unabhängig vom Ausgang des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens angesichts der politischen Diskussion über die
zukünftige Organisation der Straßenmeistereien in nachvollziehbarer Weise für vertretbar erachtet, die endgültige
Entscheidung über den Dienstposten des Leiters der Straßenmeisterei aufzuschieben. Das Oberverwaltungsgericht
hat plausibel dargelegt, dass der Beschwerdeführer diese Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht schlüssig in
Frage gestellt hat. Dass der Abbruch des Auswahlverfahrens allein den Zweck verfolgt hätte, den Beschwerdeführer
als Mitbewerber gezielt und willkürlich auszuschalten, ist danach nicht erkennbar. Weder ist ersichtlich, dass der
Dienstherr trotz unveränderter politischer Diskussionslage eine Wiederholung des Stellenbesetzungsverfahrens
anstrebte, noch dass der Beschwerdeführer im Falle einer etwaigen erneuten Ausschreibung des Dienstpostens aus
dem Kreis möglicher Bewerber ausgeschlossen wäre.
11
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
12
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Voßkuhle
Osterloh
Mellinghoff