Urteil des BVerfG vom 25.03.1999
BVerfG: serbien und montenegro, charta der vereinten nationen, sicherheitsrat der vereinten nationen, nato, gewaltverbot, fraktion, kosovo, republik, katastrophe, hauptsache
Entscheidungen
L e i t s a t z
zum Beschluß des Zweiten Senats vom 25. März 1999
- 2 BvE 5/99 -
Zur Zulässigkeit von Anträgen im Organstreitverfahren (§ 64 BVerfGG).
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvE 5/99 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über den Antrag
1.
im Organstreitverfahren festzustellen, daß die Antragsgegner zu 1. und 2. durch die unmittelbare Beteiligung an
militärischen Operationen der NATO gegen die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) gegen
Art. 87a Abs. 2, Art. 24 Abs. 2, Art. 25, Art. 26 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes verstoßen,
2. im Wege der einstweiligen Anordnung den Antragsgegnern den Einsatz der Bundeswehr bei den in Ziffer 1.
genannten militärischen Operationen zu untersagen,
3. den Antragsgegnern die Erstattung der Auslagen des Antragstellers aufzuerlegen.
Antragsteller: Fraktion der PDS im Deutschen Bundestag, vertreten durch den Fraktionsvorsitzenden,
Rechtsanwalt Dr. Gregor Gysi, Bundeshaus, Bonn,
Antragsgegner:
1. Bundesregierung, vertreten durch den
Bundeskanzler, Adenauerallee 139/141, Bonn,
2. Bundesminister der Verteidigung, Hardthöhe, Bonn
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsidentin Limbach,
Kirchhof,
Winter,
Sommer,
Jentsch,
Hassemer,
Broß,
Osterloh
am 25. März 1999 gemäß § 24 BVerfGG beschlossen:
1. Der Antrag wird verworfen.
2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
1
Das Verfahren betrifft die Frage, ob die Rechte einer Fraktion oder des Bundestages durch die Beteiligung der
Bundeswehr an militärischen Operationen der NATO gegen die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und
Montenegro) verletzt worden sind.
A.
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1. Seit den Abendstunden des 24. März 1999 führt die NATO unter Beteiligung der Bundeswehr Luftangriffe gegen
die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) durch. Der Bundestag hat am 16. Oktober 1998 "dem
Einsatz bewaffneter Streitkräfte entsprechend dem von der Bundesregierung am 12. Oktober 1998 beschlossenen
deutschen Beitrag zu den von der NATO zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt
geplanten, begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen für die von den NATO-Mitgliedstaaten
gebildete Eingreifgruppe unter Führung der NATO" zugestimmt (vgl. BTDrucks 13/11469; BT-Plenarprotokoll, 13. WP,
248. Sitzung vom 16. Oktober 1998, S. 23161 ).
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In späteren Beschlüssen vom 13. November, 19. November 1998 und 25. Februar 1999 hat der 14. Deutsche
Bundestag den Beschluß vom 16. Oktober 1998 ausdrücklich aufgenommen, bekräftigt und in - hier nicht
einschlägigen - Ermächtigungen fortgebildet.
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2. Nach Auffassung der Antragstellerin verletzt die Beteiligung der Bundeswehr die Vorschriften der Art. 25, Art. 26,
Art. 87a Abs. 2 i.V.m. Art. 24 Abs. 2 und Art. 79 Abs. 1 und 2 GG.
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Die Antragsgegner hätten gegen grundgesetzliche Kompetenzen des Bundestages verstoßen. Der Bundestag sei
durch die angegriffenen Maßnahmen in seinen Rechten und Pflichten verletzt.
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a) Art. 25 GG sei verletzt, weil das allgemeine Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen als
universale Regel des Völkerrechts unter diese Vorschrift falle. Die ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat
unternommenen Militärschläge verletzten das völkerrechtliche Gewaltverbot und seien aus diesem Grund
völkerrechtswidrig. Sie seien insbesondere nicht durch die beiden Kosovo-Resolutionen des Sicherheitsrats Nr. 1160
vom 31. März 1998 und 1199 vom 4. September 1998 gedeckt. Diese Resolutionen enthielten weder direkt noch
indirekt ein Mandat für die NATO, ein anderes Bündnis oder irgendeinen Staat, Waffengewalt anzuwenden.
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Durch den gegen das Gewaltverbot verstoßenden Militärschlag werde ein Präzedenzfall mit unabsehbaren negativen
Folgen für die Wirksamkeit der Vereinten Nationen und des Völkerrechts geschaffen.
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Die Beteiligung der Bundeswehr verstoße auch gegen Art. 87a Abs. 2 GG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 GG. Art. 24 Abs. 2
GG sei im vorliegenden Fall als verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Rahmen
eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit nicht einschlägig. In seiner Entscheidung zur Beteiligung
deutscher Streitkräfte an den Einsätzen in Bosnien-Herzegowina habe sich das Bundesverfassungsgericht auf die
autorisierenden Beschlüsse des Sicherheitsrats bezogen. Damit setze das Bundesverfassungsgericht voraus, daß
NATO-Einsätze vom Sicherheitsrat autorisiert seien, um ihre Rechtfertigung in Art. 24 Abs. 2 GG zu finden. Im
vorliegenden Fall fehle es an einer entsprechenden Autorisierung durch den Sicherheitsrat.
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Aus den genannten Gründen verstoße die Beteiligung der Bundeswehr auch gegen Art. 26 GG. Handlungen, die dem
Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen widersprächen und einen bewaffneten Angriff auf ein Mitglied der
Vereinten Nationen darstellten, seien ein im Sinne dieser Vorschrift verfassungswidriger Angriffskrieg.
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b) Außerdem habe der Bundestag selbst ultra vires gehandelt, indem er über seine Kompetenzen hinaus Beschlüsse
zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte gefaßt habe, für die eine vorgehende Verfassungsänderung notwendig
gewesen sei. Die Antragstellerin habe als Teil des Bundestages im Falle eines Verfassungsänderungsverfahrens
andere und weitergehende Aufgaben und Kompetenzen als im einfachen Gesetzgebungsverfahren und sei somit in
ihren Rechten verletzt worden.
B.
11
Der Antrag zur Hauptsache ist unzulässig. Die Antragstellerin ist nicht antragsbefugt, weil weder ihre eigenen noch
die Rechte des Deutschen Bundestages verletzt sein können.
12
1. Fraktionen des Deutschen Bundestages sind im Organstreitverfahren gemäß §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG
parteifähig. Sie sind befugt, im eigenen Namen auch Rechte geltend zu machen, die dem Bundestag gegenüber
einem möglichen Antragsgegner zustehen können (BVerfGE 90, 286 <336>; stRspr).
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2. Die antragstellende Fraktion hat jedoch nicht dargelegt, daß der Bundestag durch die angegriffenen Maßnahmen
in Rechten verletzt sein könnte, die ihm durch das Grundgesetz übertragen worden sind (§ 64 Abs. 1 BVerfGG). Das
Organstreitverfahren dient dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht einer allgemeinen
Verfassungsaufsicht (vgl. BVerfGE 68, 1 <69 ff.>).
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a) Das Grundgesetz ermächtigt den Bund, Streitkräfte zur Verteidigung aufzustellen und sich Systemen kollektiver
Selbstverteidigung und gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzuschließen. Darin ist auch die Befugnis
eingeschlossen, sich mit eigenen Streitkräften an Einsätzen zu beteiligen, die im Rahmen solcher Systeme
vorgesehen sind und nach ihren Regeln stattfinden. Allerdings bedarf der Einsatz bewaffneter Streitkräfte
grundsätzlich der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages (BVerfGE 90, 286 <381 ff.>) . Diese
Zustimmung hat der Bundestag erteilt.
15
aa) Der 13. Bundestag hat am 16. Oktober 1998 militärischen Maßnahmen zur Abwendung einer humanitären
Katastrophe im Kosovo zugestimmt. Dieser Beschluß ermächtigt zu Luftoperationen der NATO, die in Phasen
durchzuführen sind. Bei diesem Beschluß war dem Bundestag bewußt, daß der Einsatz aller Voraussicht nach ohne
eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durchgeführt werden würde. Die Bundesregierung
hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sie dennoch einen Militäreinsatz der NATO für gerechtfertigt hielt (vgl.
BTDrucks 13/11469, S. 2). Der Beschluß vom 16. Oktober 1998 deckt damit die gegenwärtigen Luftangriffe der
NATO.
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bb) Die neueren Beschlüsse des 14. Bundestages haben den ersten Beschluß vom 16. Oktober nicht verdrängt oder
modifiziert. Sie beziehen sich auf spezielle Einzelfragen: auf ein Luftüberwachungsverfahren, welches mit
Jugoslawien vereinbart worden war (BTDrucks 14/16), auf den Schutz der OSZE-Mission im Kosovo durch NATO-
Einheiten in Mazedonien (BTDrucks 14/47) und auf die Umsetzung eines Rambouillet-Abkommens (BTDrucks 14/397
).
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Die späteren Beschlüsse nehmen auf den Beschluß vom 16. Oktober 1998 Bezug und machen damit deutlich, daß
auch der 14. Deutsche Bundestag an dem Beschluß zu einer militärischen Operation zur Verhinderung einer
humanitären Katastrophe festhält.
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Damit sind - ungeachtet der Frage, ob Art. 25 GG, der das allgemeine Völkerrecht, nicht das Völkervertragsrecht
betrifft (Steinberger, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, in: HStR Bd. VII, § 173 Rn. 9; Pernice, Art. 25 Rn. 17, in:
Dreier , Grundgesetz, Kommentar, Bd. 2, Tübingen 1998), und Art. 26 GG dem Bundestag eigene Rechte
zuweisen - Rechte des Deutschen Bundestages nicht verletzt.
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b) Auch Rechte des Deutschen Bundestages in einem Verfahren zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 2
und 3 GG) sind nicht berührt. Selbst für den Fall eines Verstoßes gegen das Grundgesetz hat kein Mitglied des
Bundestages die Einleitung eines Änderungsverfahrens auch nur erwogen.
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3. Die Antragstellerin ist auch nicht in ihren eigenen Rechten als Bundestagsfraktion verletzt. Als derartige Rechte
kommen nur solche im innerparlamentarischen Raum, nicht aber im Verhältnis zwischen Parlament und Regierung in
Betracht (vgl. BVerfGE 91, 246 <250 f.>). Zwar trägt die Antragstellerin vor, der Deutsche Bundestag habe selbst
ultra vires gehandelt, als er die Beschlüsse zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte gefaßt habe. Eine solche
Rechtsverletzung könnte jedoch nicht im Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung, erst recht nicht gegen den
Bundesminister der Verteidigung (vgl. BVerfGE 90, 286 <338>) geltend gemacht werden, sondern allenfalls in einem
Verfahren gegen den Deutschen Bundestag. Auch für dieses Verfahren fehlte es jedoch an der Antragsbefugnis, weil
die verfassungsrechtliche Ermächtigung des Bundes, Streitkräfte in einem System kollektiver Sicherheit einzusetzen,
grundsätzlich geklärt ist (BVerfGE 90, 286) und die Rechte der antragstellenden Fraktion sich insoweit auf eine
ordnungsgemäße Beteiligung an dem Verfahren beschränken, in dem der Bundestag dem Einsatz bewaffneter
Streitkräfte seine vorherige konstitutive Zustimmung erteilt hat.
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4. Mit der Verwerfung des Antrags in der Hauptsache erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen
Anordnung.
Limbach
Kirchhof
Winter
Sommer
Jentsch
Hassemer
Broß
Osterloh