Urteil des BVerfG vom 20.03.2001

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Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2058/00 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn B...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Werner Deckmann und Koll.,
Limmerstraße 40, 30451 Hannover -
gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. September 2000 - 3 StR 287/00 -,
b)
das Urteil des Landgerichts Hannover vom 29. Dezember 1999 - 31a 6/99 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Präsidentin Limbach
und die Richter Hassemer,
Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 20. März 2001 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2
BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, denn sie ist
unbegründet.
2
1. Der Anspruch des Angeklagten auf ein faires und rechtsstaatliches Strafverfahren verbietet es, ihn zum bloßen
Objekt des Verfahrens zu machen. Der Angeklagte hat einen Anspruch darauf, zur Wahrung seiner Rechte auf den
Gang und das Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss zu nehmen (BVerfGE 65, 171 <174 f.>). Er hat außerdem ein
Recht darauf, sich von einem gewählten Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen (BVerfGE 26, 66 <71>;
39, 156 <163>; 66, 313 <318 f.>).
3
2. Dieser verfassungsrechtliche Maßstab gebietet nicht die Zustellung des angefochtenen Urteils sowohl an den
Pflichtverteidiger als auch an den Wahlverteidiger. Der Zweck der förmlichen Zustellung des angefochtenen
tatrichterlichen Urteils besteht allein darin, den Zeitpunkt der Übergabe nachweisen zu können (BVerfGE 67, 208
<211>), wenn - wie hier - eine Frist in Lauf gesetzt werden soll. Weiter gehende Folgen sind mit dem förmlichen Akt
der Zustellung nicht verbunden.
4
Es ist daher von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht - der fachgerichtlich
vorherrschenden Ansicht folgend - annahm, dass bei mehrfacher Verteidigung die förmliche Zustellung des Urteils an
einen der Verteidiger genüge (BGHSt 22, 221 <222>; 34, 371 <372>; BGH NStZ-RR 1997, S. 364; Julius in:
Heidelberger Kommentar, § 145 a Rn. 5 unter Aufgabe der früheren Gegenansicht; Laufhütte in: Karlsruher
Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 145 a Rn. 3; Müller in: KMR, § 145 a Rn. 12). Das Recht des Beschwerdeführers auf
effektive Verteidigung ist dadurch nicht berührt. Seinem aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf Information
wird regelmäßig dadurch genügt, dass er nach § 145 a Abs. 3 Satz 1 StPO über die Tatsache der Zustellung an
seinen Verteidiger unterrichtet wird und zugleich selbst eine Abschrift der Entscheidung erhält. Der Wahlverteidiger
des Beschwerdeführers war daher gehalten, sich - entweder im Austausch mit dem Pflichtverteidiger oder durch
Akteneinsicht - Kenntnis der fehlenden Seite 50 der Urteilsgründe zu verschaffen.
5
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Limbach
Hassemer
Mellinghoff