Urteil des BVerfG vom 23.04.2003

BVerfG: pflicht zur duldung, verfassungsbeschwerde, psychiatrisches gutachten, elternrecht, papier, ermessensspielraum, beweismittel, grundrechtseingriff, erstellung, trennung

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 481/03 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau M ...
gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 20. Dezember 2002 - 16 WF
139/02 -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
den Richter Steiner
und die Richterin Hohmann-Dennhardt
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 23. April 2003 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Mutter zweier im Mai 1989 beziehungsweise Mai 1993 ehelich
geborener Töchter gegen eine psychiatrische Begutachtungsanordnung ihrer Kinder im Rahmen eines elterlichen
Sorgeverfahrens. Der Beweisbeschluss lautet:
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"1. Zu der Frage des gesundheitlichen und psychischen Zustands der Kinder,..., ist ein
psychiatrisches Gutachten einzuholen. In die Begutachtung sollen die Fragen einbezogen
werden, ob und ggfls. welches Auffälligkeiten bzw. Verhaltensstörungen bei den Kindern
vorliegen, ob diese auf die Krankheit der Mutter zurückgeführt werden können und ggfls.
welche Maßnahmen für die Kinder zur Abwendung der Gefährdung des Kindeswohls
erforderlich sind.
3
(...)
4
3. Die Kindesmutter,..., hat die Durchführung der Begutachtung und ggfls. eine hierfür
erforderliche stationäre Unterbringung der Kinder zu dulden."
5
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 GG.
II.
6
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (vgl. § 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.
7
1. Die Sache hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93 a Abs. 2
Buchstabe a BVerfGG. Die entscheidungserheblichen Fragen, insbesondere zum Inhalt von Art. 6 Abs. 2 GG als
Freiheitsrecht (vgl. BVerfGE 4, 55 <57>; 24, 119 <138>) und zur Ermittlungstätigkeit der Fachgerichte in
sorgerechtlichen Verfahren (BVerfGE 55, 171 <180 ff.>), sind durch die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt.
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2. Eine Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht gemäß § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur
Durchsetzung der von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt. Vor dem
Hintergrund der tatsächlichen Entwicklung im Verfahren ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin
durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde ein schwerer Nachteil entsteht (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG). Daher bedarf es keiner abschließenden Beantwortung, ob der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene
Beweisbeschluss das Elternrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 6 Abs. 2 GG verletzt hat.
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a) Allerdings begegnet die vom Amtsgericht beschlossene und vom Oberlandesgericht bestätigte
Begutachtungsanordnung verfassungsrechtlichen Bedenken.
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Art. 6 Abs. 2 GG garantiert den Eltern das Recht zur eigenständigen und selbstverantwortlichen Pflege und
Erziehung ihrer Kinder, über dessen Ausübung die staatliche Gemeinschaft wacht. Damit steht den Eltern ein
Abwehrrecht gegen staatlichen Eingriffe in alle ihre Kinder betreffenden Angelegenheiten zu, soweit diese nicht durch
das Wächteramt gedeckt sind (stRspr; vgl. BVerfGE 24, 119 <138> m.w.N.). Die Pflicht zur Duldung einer
psychiatrischen Untersuchung der Kinder greift insbesondere dann in erheblicher Weise in die elterliche
Selbstverantwortung ein, wenn damit die Pflicht zur Duldung der psychiatrischen Untersuchung mit einer Pflicht zur
Duldung einer stationären Unterbringung, also Fremdunterbringung der Kinder, verbunden wird, wie dies bei der
Beschwerdeführerin der Fall gewesen ist.
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Es erscheint fraglich, ob dieser Grundrechtseingriff gerechtfertigt ist. Zwar hat das Familiengericht bei der Auswahl
der für eine zu treffende Sorgeentscheidung geeigneten Beweismittel nach § 12 FGG einen Ermessensspielraum. Es
darf dabei aber keine Maßnahmen ergreifen, die in unverhältnismäßiger Weise bezogen auf den aufzuklärenden
Sachverhalt in das Elternrecht eingreifen. Der gefasste Beweisbeschluss hat nicht nur umfassend zur Erstellung
eines "psychiatrischen Gutachtens zu der Frage des gesundheitlichen und psychischen Zustands" der Kinder
ermächtigt, obgleich Anhaltspunkte für Verhaltensauffälligkeiten beziehungsweise psychische Defizite bei den Kindern
nicht vorgelegen haben. Das Amtsgericht hat seinen Beschluss lediglich auf die Mutmaßung stützen können, das
Verhalten der Mutter könne sich in irgendeiner Weise psychisch belastend auf die Kinder ausgewirkt haben. Dabei hat
das Oberlandesgericht in einer Entscheidung vom selben Tag wie dem der angegriffenen Entscheidung die Prämisse
des Amtsgerichts, die Mutter leide mit Sicherheit an einer schizophrenen Erkrankung, für nicht tragfähig befunden. Mit
dem Beschluss ist darüber hinaus die Trennung der Kinder von der Beschwerdeführerin durch deren Verpflichtung zur
Duldung einer stationären Unterbringung der Kinder angeordnet worden, ohne angesichts der völlig ungeklärten
Sachlage zu begründen, weshalb auch eine stationäre Unterbringung der Kinder für erforderlich erachtet worden und
nicht zunächst eine ambulante Untersuchung ausreichend gewesen ist. Vor diesem Hintergrund erscheint zumindest
die angeordnete Pflicht zur Duldung der stationären Unterbringung der Kinder unverhältnismäßig.
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b) Der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf es aber weder zur Durchsetzung des Elternrechts der
Beschwerdeführerin noch zur Abwendung eines schweren Nachteils für sie (vgl. § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
Nach Auskunft des Sachverständigen und des Familiengerichts ist die in Vollziehung des angegriffenen
Beweisbeschlusses durchgeführte Begutachtung der Kinder zwischenzeitlich abgeschlossen worden, ohne dass es zu
einer stationären Unterbringung der Kinder gekommen ist. Eine verfassungsrechtlich zu beanstandende Beschwer der
Beschwerdeführerin ist damit nicht eingetreten und auch nicht weiter zu erwarten (vgl. BVerfGE 10, 302 <308>). Es
ist nicht ersichtlich, dass das Gericht ohne neue Erkenntnisse nochmals eine stationäre Unterbringung der Kinder zur
Ermittlung des Sachverhalts anordnen wird.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Steiner
Hohmann-Dennhardt