Urteil des BVerfG vom 14.05.2013

BVerfG: partg, verfassungsbeschwerde, erlass, stundung, verrechnung, rechenschaftsbericht, hauptsache, abschlagszahlung, rechtsstaatsprinzip, sicherheitsleistung

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 547/13 -
Bundesadler
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der N …,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Carsten Schrank,
Niebuhrstraße 75, 10629 Berlin -
gegen
a)
das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2012 -
BVerwG 6 C 32.11 -,
b)
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23.
Mai 2011 - OVG 3a B 1.11 -,
c)
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Mai 2009 - VG 2 K
39.09 -,
d)
den Bescheid der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den
Präsidenten des Deutschen Bundestages - Verwaltung - vom 26.
März 2009
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Gerhardt,
die Richterin Hermanns
und den Richter Müller
am 14. Mai 2013 einstimmig beschlossen:
Der Präsident des Deutschen Bundestages wird im Wege der einstweiligen Anordnung
verpflichtet, der Antragstellerin die vom Bund zu leistenden Abschlagszahlungen zum 15. Mai
2013 und zum 15. August 2013 entsprechend seinem Schreiben an die Antragstellerin vom
31. Januar 2013 in Höhe von jeweils 303.414,05 Euro ohne Verrechnung mit dem im Bescheid
vom 26. März 2009 festgesetzten Zahlungsanspruch zu zahlen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat der Antragstellerin die notwendigen Auslagen für das
Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Gründe:
1
Mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung erstrebt die Antragstellerin die Aussetzung der
Vollziehung eines durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages gegen sie festgesetzten
Zahlungsanspruchs.
I.
2
Der Präsident des Deutschen Bundestages stellte Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht der
Antragstellerin für das Jahr 2007 fest und verpflichtete sie nach § 31b Satz 1 PartG zur Zahlung
eines dem Zweifachen des den Unrichtigkeiten entsprechenden Betrages. Das
Bundesverwaltungsgericht reduzierte letztinstanzlich die Zahlungspflicht, hielt sie im Grundsatz
aber aufrecht und führte dazu aus: Dem Wortlaut des § 31b Satz 1 PartG ließen sich zwar keine
subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen entnehmen, die Auswirkungen der
Zahlungsverpflichtung könnten die Betätigungsfreiheit der betroffenen Partei ohne das Korrektiv
eines subjektiven Tatbestandes aber in einem dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
widersprechenden Maße beeinträchtigen. Deshalb sei zu prüfen, ob die Antragstellerin
hinsichtlich der festgestellten Unrichtigkeiten ein Fahrlässigkeitsvorwurf treffe, wobei ein an den
allgemeinen Verkehrsbedürfnissen ausgerichteter objektiver Fahrlässigkeitsmaßstab anzulegen
sei. Das Bundesverwaltungsgericht sah ein fahrlässiges Verhalten der Antragstellerin als
gegeben an.
3
Die Antragstellerin begründet ihre unter anderem auf die Rüge einer Verletzung ihres
Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gestützte
Verfassungsbeschwerde insoweit damit, dass die vom Bundesverwaltungsgericht gefundene
Lösung, die darauf ziele, § 31b Satz 1 PartG die Schärfe zu nehmen, dem Gesetzgeber
vorbehalten gewesen sei, die in dieser Vorschrift vorgesehene verschuldensunabhängige
Sanktionierung von Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht aber gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit verstoße.
4
Den Erlass einer einstweiligen Anordnung hält die Antragstellerin zur Erhaltung ihrer finanziellen
Handlungsfähigkeit für erforderlich. Die Kosten für die Aufrechterhaltung eines minimalen
Parteibetriebs einschließlich der Sachausgaben für Wahlwerbung beliefen sich in 2013 auf
1.392.000,00 Euro, die sie ohne die staatliche Mittelzuweisung nur in Höhe von 392.000,00 Euro
decken könne. Die Schlusszahlung aus der staatlichen Teilfinanzierung für 2012 und die erste
Abschlagszahlung 2013 seien verrechnet worden.
5
Der Präsident des Deutschen Bundestages hält den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung für unzulässig. Die Antragstellerin habe gegen die von ihm abgelehnte Stundung der
Zahlungsforderung Klage erhoben, aber insoweit nicht um fachgerichtlichen Eilrechtsschutz
nachgesucht.
II.
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand
durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder
aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die
Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden,
grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich
von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des
Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die
eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde
aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige
Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl.
BVerfGE 88, 25 <35>; 89, 109 <110 f.>; stRspr).
7
2. Der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung steht nicht entgegen,
dass die Antragstellerin sich nicht mit einem Eilantrag an das Verwaltungsgericht gewandt hat,
um eine Stundung zu erreichen. Gefestigte Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Stundung von
Zahlungsansprüchen, die der Präsident des Deutschen Bundestages nach dem Parteiengesetz
gegen politische Parteien festgesetzt hat, besteht nicht. Im Schrifttum wird bestritten, dass eine
Forderung nach § 31b Satz 1 PartG gestundet werden kann (vgl. Rixen, in: Kersten/Rixen,
Parteiengesetz und europäisches Parteienrecht, 2009, § 31b Rn. 31 ff.). Jedenfalls
unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten kann die Antragstellerin deswegen nicht auf die vorrangige
Inanspruchnahme fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes verwiesen werden.
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3. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht offensichtlich unzulässig. Die Ausführungen der
Antragstellerin genügen jedenfalls im Hinblick auf die in Betracht kommende Verletzung des
Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG)
noch den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Mit dem Hinweis,
der vom Bundesverwaltungsgericht beschrittene Weg zur Wahrung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Anwendung des § 31b Satz 1 PartG hätte gesetzlich
vorgegeben sein müssen, macht die Antragstellerin geltend, dass das Gericht die Grenzen der
richterlichen Rechtsfortbildung zu ihren Lasten verlassen habe. Eine die verfassungsrechtlichen
Grenzen überschreitende gerichtliche Rechtsfortbildung kann eine Verletzung des Grundrechts
aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip darstellen (vgl. BVerfGE 65, 182
<190>; 87, 273 <279 f.>).
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4. Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Es ist nicht von
vornherein erkennbar, dass § 31b Satz 1 PartG ohne ein vom Gesetzgeber zu normierendes
Korrektiv subjektiver Verantwortlichkeit mit der Verfassung im Einklang steht. Diese im
Verwaltungsrechtszug erörterte Frage bedarf vielmehr der Klärung im Hauptsacheverfahren.
Gleiches gilt für die Frage, ob die Norm gegebenenfalls einer verfassungskonformen Auslegung
zugänglich ist. In diesem Zusammenhang wird zu überprüfen sein, ob die Auffassung des
Bundesverwaltungsgerichts, die Verhältnismäßigkeit der in § 31b Satz 1 PartG vorgesehenen
Zahlungsverpflichtung sei jedenfalls gewahrt, wenn die Unrichtigkeiten des
Rechenschaftsberichts fahrlässig herbeigeführt worden seien, sich in den Grenzen richterlicher
Gesetzesauslegung und -anwendung hält.
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5. Bliebe der Antragstellerin der Erlass einer einstweiligen Anordnung versagt, obsiegte sie aber
in der Hauptsache, könnten möglicherweise bereits eingetretene Rechtsbeeinträchtigungen
nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht werden. Die Abschlagszahlungen am 15. Mai
2013 und 15. August 2013 würden verrechnet (§ 31b Satz 4 i.V.m. § 31a Abs. 3 Satz 2 PartG;
über die Abschlagszahlung am 15. November 2013 kann im Hinblick auf § 32 Abs. 6 Satz 1
BVerfGG nicht befunden werden). Die Antragstellerin ist nach ihrer Darstellung zur Finanzierung
ihrer Parteiarbeit aber auf die staatlichen Mittelzuweisungen angewiesen. Ohne sie wären vor
allem ihre Wahlwerbemöglichkeiten im anstehenden Bundestagswahlkampf erheblich
eingeschränkt (vgl. zur Bedeutung des Wahlkampfes für die Wahlentscheidung der
stimmberechtigten Bürger BVerfGE 20, 56 <113>). Die Nachteile, die entstünden, wenn die
einstweilige Anordnung erginge, der Antragstellerin der Erfolg in der Hauptsache aber versagt
bliebe, wiegen dagegen weniger schwer. Die Realisierung des staatlichen Zahlungsanspruchs
würde lediglich hinausgeschoben. Die Möglichkeit zur Verrechnung mit späteren
Abschlagszahlungen bliebe erhalten.
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6. Die Summe der für 2013 noch ausstehenden und vom Bund zu leistenden
Abschlagszahlungen entspricht weitgehend dem von der Antragstellerin angegebenen, nicht
durch Eigeneinnahmen gedeckten Bedarf. Die Zahlungen brauchen nicht von einer
Sicherheitsleistung abhängig gemacht zu werden. Wegen der Möglichkeit der Verrechnung mit
künftigen Abschlagszahlungen erscheint die spätere Forderungsrealisierung nicht gefährdet.
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7. Die Entscheidung über die Erstattung von Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Gerhardt
Hermanns
Müller