Urteil des BVerfG vom 19.12.2008

BVerfG: verfassungsbeschwerde, abgrenzung, behandlung, lebensstandard, besoldung, zollverwaltung, zugehörigkeit, gestaltungsspielraum, stellenbeschreibung, zulage

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 380/08 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn B ...,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Thomas Stiller,
Bürgerstraße 12, 53173 Bonn -
I. unmittelbar gegen
a) den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29.
Januar 2008 - 1 A 2886/06 -,
b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 1. Juni 2006 - 15 K 7720/04 -,
II. mittelbar gegen
Nr. 9 der Vorbemerkungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Voßkuhle,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 19. Dezember 2008 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
A.
1
Der Beschwerdeführer ist Zollbetriebsinspektor und wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen den
Wegfall der Polizeizulage nach seiner Versetzung in einen neuen Arbeitsbereich mit der Bezeichnung "Verwaltung
technischer Ausstattung/Gerätepool". Seine gegen den Wegfall der Zulage gerichtete Klage blieb ebenso erfolglos wie
der gegen das klageabweisende Urteil gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung.
2
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte
aus Art. 33 Abs. 5 GG sowie des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG.
B.
3
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2
BVerfGG nicht vorliegt. Sie ist unbegründet.
I.
4
Art. 33 Abs. 5 GG lässt dem Gesetzgeber bei der Konkretisierung der Verpflichtung zur angemessenen
Alimentierung der Beamten einen weiten Gestaltungsspielraum (BVerfGE 26, 141 <158>; 56, 87 <95>; 61, 43 <62 f.>;
65, 141 <148 ff.>; 81, 363 <375 f.>; 103, 310 <320 f.>; 117, 330 <352>). Der Gesetzgeber muss lediglich
sicherstellen, dass die Besoldung dem Beamten einen amtsangemessenen Lebensunterhalt (Alimentation)
gewährleistet, der dem Dienstrang, der Verantwortung des Amtes, der Bedeutung des Berufsbeamtentums, den
allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen sowie dem allgemeinen Lebensstandard entspricht (vgl.
BVerfGE 44, 249 <263, 265>; 83, 89 <98>; 99, 300 <314>). Er kann die Struktur der Besoldungsordnung, die Struktur
des Beamtengehalts sowie die Zahlungsmodalitäten innerhalb des Rahmens, den die verfassungsrechtlich garantierte
Alimentierungspflicht zieht, pro futuro ändern, insbesondere auch die Gehaltsbeträge kürzen, solange sie nicht an der
unteren Grenze der amtsangemessenen Alimentierung liegen. Die Grenzen des gesetzgeberischen Spielraums sind
selbst dann nicht überschritten, wenn eine Stellenzulage gänzlich wegfällt, denn Art. 33 Abs. 5 GG gewährt keinen
Anspruch auf unveränderte Beibehaltung der Struktur der Besoldungsordnungen und des Beamtengehalts außerhalb
des Rahmens, den die verfassungsrechtlich garantierte Alimentierungspflicht zieht (BVerfGE 44, 249 <263>; stRspr,
z.B. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juli 1999 - 2 BvR 544/97 -, DVBl 1999, S. 1421;
Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Dezember 2000 - 2 BvR 1457/96 -, DVBl 2001, S. 719).
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Die "Polizeizulage" im Sinne der Nr. 9 der Vorbemerkungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B ist nicht
nur nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut, sondern auch nach ihrem Zweck eine Stellenzulage im Sinne des § 42
Abs. 4 BBesG, die für eine nicht auf Dauer angelegte Funktion gewährt wird und grundsätzlich widerruflich ist. Als
solche gehört sie - im Unterschied zum Grundgehalt sowie zur Amtszulage, die ein Zwischenamt darstellt - nicht zum
Kernbereich beamtenrechtlicher Alimentation (angelehnt an BVerfG, Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats
vom 14. Dezember 2000 - 2 BvR 1457/96 -, DVBl 2001, S. 719).
II.
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Auch der vom Beschwerdeführer gerügte Verstoß der gerichtlichen Entscheidungen und der Nr. 9 der
Vorbemerkungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz
aus Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor.
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1. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln (BVerfGE 74, 9
<24>), und verpflichtet die Grundrechtsadressaten, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches
entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln (vgl. bereits BVerfGE 1, 14 <52>; stRspr).
Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in
der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht
mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein
vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt, kurzum, wenn die Maßnahme als willkürlich bezeichnet
werden muss (vgl. BVerfGE 1, 14 <52>; 83, 89 <107 f.> m.w.N.).
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In diesem Rahmen hat der Gesetzgeber insbesondere bei Regelungen des Besoldungsrechts nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine verhältnismäßig weite Gestaltungsfreiheit (vgl. BVerfGE 26,
141 <158>). Aufgrund des weiten Spielraums politischen Ermessens, innerhalb dessen der Gesetzgeber das
Besoldungsrecht den tatsächlichen Notwendigkeiten und der fortschreitenden Entwicklung anpassen und
verschiedenartige Gesichtspunkte berücksichtigen darf, kontrolliert das Bundesverfassungsgericht nicht, ob der
Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat. Das Bundesverfassungsgericht
kann, sofern nicht von der Verfassung selbst getroffene Wertungen entgegenstehen, nur die Überschreitung äußerster
Grenzen beanstanden, jenseits derer sich gesetzliche Vorschriften bei der Abgrenzung von Lebenssachverhalten als
evident sachwidrig erweisen (vgl. BVerfGE 65, 141 <148 f.>; 110, 353 <364>; 117, 330 <353>). Dem Gesetzgeber
steht es insbesondere frei, aus der Vielzahl der Lebenssachverhalte die Tatbestandsmerkmale auszuwählen, die für
die Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgebend sein sollen (vgl. BVerfGE 71, 39 <53>; 76, 256 <295, 330>). Ihm
muss zugestanden werden, auch das gesamte Besoldungsgefüge und übergreifende Gesichtspunkte in den Blick zu
nehmen (vgl. BVerfGE 26, 141 <158>; 103, 310 <320>; 117, 330 <353>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des
Zweiten Senats vom 26. April 1995 - 2 BvR 794/91, 831/91 und 1288/91 -, ZBR 1995, S. 233).
9
Jede Regelung des Besoldungsrechts ist dabei unvollkommen, muss zwangsläufig generalisieren und typisieren und
wird in der Abgrenzung unvermeidbare Härten mit sich bringen; sie wird insoweit unter irgendeinem Gesichtspunkt für
die unmittelbar Betroffenen fragwürdig erscheinen (vgl. BVerfGE 26, 141 <159>). Die vielfältigen hier vom
Gesetzgeber zu berücksichtigenden Gesichtspunkte werden nicht immer miteinander in Einklang zu bringen sein. Die
sich daraus ergebenden Unebenheiten, Friktionen und Mängel sowie gewisse Benachteiligungen in besonders
gelagerten Einzelfällen müssen hingenommen werden, sofern sich für die Gesamtregelung ein vernünftiger Grund
anführen lässt (vgl. BVerfGE 26, 141 <159>; 49, 260 <273>; 65, 141 <148>; 76, 256 <295>; 103, 310 <320>;
BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. April 1995 - 2 BvR 794/91, 831/91 und 1288/91 -,
ZBR 1995, S. 233).
10
2. Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabs verstößt Nr. 9 der Vorbemerkungen zu den
Bundesbesoldungsordnungen A und B ebenso wenig gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG
wie die fachgerichtliche Anwendung und Auslegung dieser Vorschrift:
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Nr. 9 der Vorbemerkungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B knüpft die Zulageberechtigung an die
Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen an, wobei die Tätigkeit der begünstigten Beamten bei typisierender Betrachtung
auf die Wahrnehmung vollzugspolizeilicher Aufgaben ausgerichtet ist (vgl. dazu auch Tintelott, Vbm. Nr. 9 zu BBesO
A/B Rn. 6, in: Schwegmann/Summer (Hrsg.), BBesG, Bd. III [März 2008]). Davon ist - wie an der Stellenbeschreibung
des Beschwerdeführers ersichtlich - bei der Tätigkeit von Beamten der Zollverwaltung nicht ohne weiteres
auszugehen. Diese Differenzierung nach einer im Schwerpunkt vollzugspolizeilichen Tätigkeit stellt einen
hinreichenden sachlichen Grund dar und verstößt damit nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz im
Besoldungsrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.
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Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Voßkuhle
Osterloh
Mellinghoff