Urteil des BVerfG vom 08.02.2006

BVerfG: juristische person, rechtliches gehör, verfassungsbeschwerde, sicherheitsleistung, rechtssicherheit, erlass, staatsnotstand, zahlungsfähigkeit, abrede, willkürverbot

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 575/05 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Republik A...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Wolfgang Strba und R. Patrick Geiger,
Eschenheimer Anlage 28, 60318 Frankfurt am Main -
gegen
a)
den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. März 2005 - 8 U
59/03 -,
b)
den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. Januar 2005 - 8
U 59/03 -
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richter Di Fabio
und Landau
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 8. Februar 2006 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein Abänderungsverfahren, mit dem die Entscheidung über die Einstellung der
Zwangsvollstreckung gegen die Beschwerdeführerin dahingehend abgeändert wurde, dass die Vollstreckung nur noch
gegen Leistung einer Sicherheit eingestellt bleibt.
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Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von
grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung noch hat sie hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22
<25 f.>). Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig und darüber hinaus auch unbegründet.
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1. Der von der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss vom 27. Januar 2005 gewandte Schriftsatz hat die
Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG nicht offen gehalten. Nach Zustellung des Beschlusses vom 27. Januar
2005 reichte die Beschwerdeführerin beim Oberlandesgericht einen als "Rechtsmittel/Rechtsbehelf" gekennzeichneten
Schriftsatz ein, den sie in ihrer am 15. April 2005 eingegangenen Verfassungsbeschwerdeschrift als
"Gegenvorstellung" bezeichnet und mit welchem sie inhaltlich eine Anhörungsrüge erhebt. Eine solche Rüge ist nach
dem Wortlaut des Gesetzes unzulässig und kann vor dem Hintergrund des zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen
Anhörungsrügegesetzes nicht als für die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde fristwahrend angesehen werden.
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Nach § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 27. Januar 2005 unanfechtbar. Die
Anhörungsrüge gegen Entscheidungen, die keine Endentscheidungen sind, ist nach § 321 a Abs. 2 ZPO unzulässig.
Dementsprechend wies das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 15. März
2005 auch als unzulässig und außerdem als unbegründet zurück. Die Praxis, unzulässige Beschwerden wegen der
Abänderungsbefugnis des erkennenden Gerichts als Änderungsanträge zu begreifen, lag nach der Rechtslage vor
dem Inkrafttreten des Anhörungsrügegesetzes insbesondere darin begründet, dass die Möglichkeit der Korrektur
wegen der Versagung rechtlichen Gehörs bestehen sollte, wenn wegen Eilbedürftigkeit der Gegner nicht gehört worden
war (vgl. Zöller, ZPO, 24. Auflage, § 707 Rn. 22 mit Verweis auf Rn. 18).
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Gegen die fristwahrende Eigenschaft einer "Gegenvorstellung", die nach dem Wortlaut des Gesetzes weder als
Rechtsmittel noch als Anhörungsrüge zulässig sein kann, spricht, dass die Anhörungsrüge durch Gesetz
abschließend geregelt werden sollte, so dass es der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit widerspräche, darüber
hinaus Gegenvorstellungen als für die Verfassungsbeschwerde fristwahrend anzuerkennen. Gerade die
Rechtssicherheit und das Postulat der Rechtsmittelklarheit standen im Mittelpunkt der Erwägungen des Beschlusses
des Plenums des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 107, 395 <416>).
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2. Darüber hinaus ist die Verfassungsbeschwerde auch unbegründet. Der Beschluss des Oberlandesgerichts, die
Vollstreckung nunmehr nur noch gegen Sicherheitsleistung einzustellen, verletzt die Beschwerdeführerin nicht in
ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 GG.
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a) Eine Pflicht zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 2 GG bestand hinsichtlich der
gegenständlichen Zwischenentscheidung nicht. Die Kernpunkte der Frage, die das Oberlandesgericht zu entscheiden
hatte, bestanden in der Bewertung tatsächlicher Umstände, nicht aber in den möglichen Auswirkungen des
Staatsnotstandes als völkerrechtlichem Einwand gegen die Leistungsverpflichtung oder die Vollstreckung aus dem
Vorbehaltsurteil. Aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main sollte bis zur Klärung der völkerrechtlichen Frage
im Vorlageverfahren weiterhin nicht vollstreckt werden, wenngleich nur unter der Voraussetzung der Leistung einer
Sicherheit. Das Hauptverfahren, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts, ruht bis zur Entscheidung über die
Vorlageverfahren.
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b) Die Frage, ob der Staatsnotstand, der vom Oberlandesgericht nicht in Abrede gestellt wird, so gravierend ist, dass
nicht einmal die vorläufige Leistung einer Sicherheit in einer begrenzten Anzahl von Fällen verlangt werden kann, ohne
dass ein schwerer nicht zu ersetzender Nachteil entstünde, ist eine Frage der Bewertung der vorgebrachten
Tatsachen. Gleiches gilt für den Stand des Umschuldungsverfahrens. Die Entscheidung über die Bewertung der
Zahlungsfähigkeit und die Rückschlüsse, die sich daraus für eine Einstellung der Vollstreckung mit oder ohne
Sicherheitsleistung ergeben, ist eine Frage des einfachen Rechts, nicht des Verfassungsrechts und auch nicht des
Völkerrechts.
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c) Das Bundesverfassungsgericht kann weder über die zu Grunde liegenden Tatsachen, das heißt den Stand des
Umschuldungsverfahrens, noch über die fachgerichtliche Bewertung der Tatsachen im Rahmen des § 707 Abs. 1
Satz 2 ZPO urteilen, da Prüfungsmaßstab allein die mögliche Verletzung von Verfassungsrecht ist. Die Auslegung
des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache des dafür zuständigen Fachgerichts (vgl.
BVerfGE 18, 85 <93>; 30, 173 <196 f.>; 74, 102 <127>; stRspr).
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d) Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab im Hinblick auf die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung
einfachen Rechts ist das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Willkürverbot. Abgesehen davon, dass zweifelhaft ist, ob
sich die Beschwerdeführerin als (ausländische) juristische Person des öffentlichen Rechts auf das grundrechtliche
Gleichheitsgebot berufen kann (vgl. BVerfGE 39, 302 <316>), ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts über den
Abänderungsantrag nicht als willkürlich zu beanstanden. Die Abwägung der Interessen von Gläubiger und Schuldner
im Rahmen des § 707 Abs. 1 ZPO orientiert sich am Regel-Ausnahme-Prinzip des Gesetzeswortlauts und fällt nicht
einseitig und willkürlich zu Lasten der Beschwerdeführerin aus. Das Oberlandesgericht hat sich mit der Änderung der
tatsächlichen Umstände auseinandergesetzt und seine Entscheidung nachvollziehbar begründet.
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3. Die Beschwerdeführerin wird auch nicht in ihrem Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Die
Beschwerdeführerin hatte während des Abänderungsverfahrens mehrfach Gelegenheit zur Stellungnahme.
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4. Als juristische Person des öffentlichen Rechts kann sich die Beschwerdeführerin nicht auf Art. 19 Abs. 4 GG
berufen (vgl. BVerfGE 39, 302 <316>). Der Rechtsschutzstandard, wie ihn Art. 19 Abs. 4 GG für das Verhältnis der
Grundrechtsträger zum Staat vorhält, gilt mit Blick auf die im Bereich der öffentlichen Aufgaben grundsätzlich
fehlende Grundrechtsfähigkeit nicht für juristische Personen des öffentlichen Rechts (vgl. Maunz/Dürig/Herzog, GG,
Art. 19 Abs. 4 Rn. 42). Für eine Differenzierung zwischen inländischen und ausländischen juristischen Personen des
öffentlichen Rechts ergeben sich keine Anhaltspunkte. Danach sind ausländische wie inländische juristische
Personen des öffentlichen Rechts auf die Geltendmachung einzelner Prozessgrundrechte wie Art. 101 Abs. 1 Satz 2
und Art. 103 Abs. 1 GG beschränkt.
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Im Ergebnis wird die Effektivität des Rechtsschutzes auch nicht beeinträchtigt. Entgegen der Darstellung der
Beschwerdeführerin wird nicht aus einem "evident verfassungswidrigen" Urteil vollstreckt, sondern die Vollstreckung
bleibt eingestellt, wenngleich nur gegen Sicherheitsleistung. Gerade im Bereich des Art. 19 Abs. 4 GG sind auch die
auf dasselbe Ziel effektiven Rechtsschutzes gerichteten Gläubigerinteressen zu berücksichtigen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hassemer
Di Fabio
Landau