Urteil des BVerfG vom 13.07.2005

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Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1041/05 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn K...
gegen den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 26. Januar 2005 - B 11a/11 AL 15/04
BH -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
und die Richter Steiner,
Gaier
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 13. Juli 2005 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Prozesskostenhilfe für eine Nichtzulassungsbeschwerde
wegen fehlender Erfolgsaussichten der angestrebten Revision.
I.
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1. Das Sozialgericht wies eine Klage des Beschwerdeführers wegen der Verhängung einer Sperrzeit und der
Bemessung von Leistungen des Arbeitsförderungsrechts ab. Dabei bezog es einen zwischenzeitlich ergangenen und
den Streitgegenstand betreffenden ablehnenden Überprüfungsbescheid nach § 44 Abs. 1 SGB X nicht in das
Verfahren ein, weil es von ihm nichts erfahren hatte. Erst das Landessozialgericht entschied gemäß § 153 Abs. 1 in
Verbindung mit § 96 Abs. 1 SGG auch über diesen Bescheid. Insoweit wies es die Klage ab, im Übrigen die Berufung
zurück. Die Revision ließ es nicht zu.
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2. Der Beschwerdeführer beantragte beim Bundessozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine
beabsichtigte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das Berufungsurteil (§ 160 a Abs. 1 Satz 1
SGG). Er rügte unter anderem die Einbeziehung des Überprüfungsbescheides als Verfahrensfehler (§ 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG).
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Das Bundessozialgericht lehnte seinen Antrag durch den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss
ab. Es könne offen bleiben, ob das Landessozialgericht den Überprüfungsbescheid nach § 96 Abs. 1 SGG auch
gegen den Willen des Beschwerdeführers habe einbeziehen und insoweit die Klage abweisen dürfen. Die Prüfung der
Erfolgsaussicht als Voraussetzung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte
Nichtzulassungsbeschwerde erstrecke sich nämlich auch "auf den mit dem Rechtsstreit verfolgten Anspruch" unter
Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung. Im Falle des Beschwerdeführers könne aber eine Revision, würde sie
nachträglich zugelassen, nicht zum Erfolg führen. Der Überprüfungsbescheid sei rechtens.
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3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines Rechts auf
effektiven und gleichen Rechtsschutz. Die Ansicht des Bundessozialgerichts, Prozesskostenhilfe für eine
Nichtzulassungsbeschwerde sei nur dann zu gewähren, wenn auch die erstrebte spätere Revision Aussicht auf Erfolg
habe, überspanne die Anforderungen. Es sei einer Partei auch nicht zumutbar, in ihrem Antrag auf Gewährung von
Prozesskostenhilfe für eine Nichtzulassungsbeschwerde Ausführungen sowohl zu den Zulassungsgründen als auch
zu den Revisionsgründen zu machen. Dies müsse einer späteren Revisionsbegründung vorbehalten bleiben.
II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat keine grundsätzliche
verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die verfassungsrechtlichen Anforderungen
an die Gerichte bei der Anwendung des Prozesskostenhilferechts sind in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>; 92, 122 <124>). Die Verfassungsbeschwerde hat
auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
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1. Der angegriffene Beschluss des Bundessozialgerichts verletzt nicht das Recht auf effektiven und gleichen
Rechtsschutz, das für die öffentlichrechtliche Gerichtsbarkeit aus Art 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG
abgeleitet wird.
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a) Dieses Recht gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der
Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 67, 245 <248>; 78, 104 <117 f.>). Gefordert ist keine völlige
Gleichstellung. Der Unbemittelte muss nur einem solchen Bemittelten gleich gestellt werden, der seine
Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das - endgültige - Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfGE 81,
347 <357 f.>).
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Diesen Anforderungen genügt es, wenn die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig gemacht wird,
dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (vgl.
BVerfGE 81, 347 <357>). Jedoch überschreiten die Fachgerichte ihren Entscheidungsspielraum, wenn sie die
Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht überspannen und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe,
dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlen (vgl. BVerfGE 81,
347 <356 ff.>; BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 2003, S. 3190 <3191>). Auch die Gerichte dürfen den
Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer oder aus Sachgründen nicht gerechtfertigter - also in
unverhältnismäßiger - Weise ausschließen oder erschweren (vgl. BVerfGE 69, 381 <385 f.>).
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b) Nach diesen Grundsätzen ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die Gewährung von
Prozesskostenhilfe für eine Nichtzulassungsbeschwerde davon abhängig zu machen, dass auch die beabsichtigte
Revision hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Auch ein bemittelter, vernünftiger Beteiligter würde einen solchen
Zulassungsrechtsbehelf nicht erheben, wenn er absähe, dass er mit dem zugelassenen Hauptrechtsmittel keinen
Erfolg haben kann (vgl. BSG, SozR 1750 § 114 Nr. 5, S. 6). Der Anspruch auf Rechtsschutz gegen die öffentliche
Gewalt und der allgemeine Justizgewährungsanspruch sind auf die Verwirklichung des materiellen Rechts bezogen.
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Kann ein Prozessbeteiligter letztlich mit seinem Begehren in der Sache keinen Erfolg haben und wird ihm deshalb
Prozesskostenhilfe für einen vorgeschalteten, möglicherweise Erfolg versprechenden Rechtsbehelf versagt, so steht
dies mit dem Grundgesetz in Einklang. Die Ansicht des Bundessozialgerichts schützt den Prozessgegner vor einer
nicht angezeigten Verfahrensverlängerung und vermeidbaren Kosten. Sie verhindert auch, dass die Rechtspflege
unnötig in Anspruch genommen wird. Letztlich schützt sie den Betroffenen selbst, denn sie verhindert, dass er nach
einem Misserfolg der Revision trotz Bewilligung der Prozesskostenhilfe Kosten tragen muss (vgl. § 123 ZPO; vgl.
auch HessVGH, NJW 1998, S. 553 <554>).
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c) Aus dem dargestellten Verbot überspannter Anforderungen folgt allerdings, dass das Gericht nur die
Erfolgsaussichten solcher Rechtsmittel überprüfen kann, über die es selbst entscheidet, weil es über die
Tatsachenbeurteilung und die Rechtsauffassung anderer Gerichte keine Kenntnis hat. Auch sind die
Erfolgsaussichten des weiteren Rechtsmittels, dessen Zulassung begehrt wird, bereits dann zu bejahen, wenn der
Erfolg des Antragstellers lediglich offen ist (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>; vgl. BFH, VIII S 4/04 [PKH] vom 4. Mai
2004, JURIS). An den Vortrag dürfen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Im Einzelfall kann es
verfassungsrechtlich bedenklich sein, ein Prozesskostenhilfegesuch deshalb abzulehnen, weil der Antragsteller nicht
ausreichend zu den Erfolgsaussichten auch des weiteren Rechtsmittels vorgetragen hat.
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Diesen Anforderungen wird der angegriffene Beschluss gerecht. Der erkennende Senat des Bundessozialgerichts
wäre selbst zur Entscheidung über die Revision, deren Erfolgsaussichten er geprüft hat, berufen gewesen. Er hat
nicht auf einen ungenügenden Vortrag des Beschwerdeführers abgestellt, sondern die beabsichtigte Revision in der
Sache geprüft und die Erfolgsaussicht verneint.
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2. Es ist nach keiner Richtung hin ersichtlich, dass das Bundessozialgericht mit dem hier angegriffenen Beschluss
gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Verbot willkürlicher Gerichtsentscheidungen (vgl. BVerfGE 83, 82 <84>;
89, 1 <14>) verstoßen hat. Seine Entscheidung ist auf eine gesetzliche Grundlage, die Vorschriften der §§ 114 ff.
ZPO, gestützt. Nach dem Wortlaut des § 114 Satz 1 ZPO kommt es auf die Erfolgsaussichten der "beabsichtigten
Rechtsverfolgung" an. Hierunter kann ohne Weiteres eine materielle Erfolgsaussicht des Begehrens insgesamt
verstanden werden und nicht nur die Erfolgsaussicht des auf die Zulassung der Revision gerichteten Rechtsbehelfs.
Es ist auch zumindest gut vertretbar, als "Rechtszug" im Sinne des § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO jeweils das gesamte
Verfahren in einer Instanz zu verstehen. Zu berücksichtigen ist zudem, dass der Zulassungsgrund des § 160 Abs. 2
Nr. 3 SGG, auf den sich der Beschwerdeführer berufen hatte, voraussetzt, dass das angegriffene Berufungsurteil auf
dem geltend gemachten Verfahrensfehler beruhen kann. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, ein solches
Beruhen zu verneinen, wenn ein Beschwerdeführer trotz eines Verfahrensfehlers letztlich in der Sache nicht obsiegen
kann.
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3. Im Übrigen wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Steiner
Gaier