Urteil des BVerfG vom 08.12.2009

BVerfG: karte, verfassungsbeschwerde, besitz, versendung, geheimhaltung, papier, entziehen, wahrscheinlichkeit, hauptsache, presse

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2733/06 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau H...,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Christian Fraatz
in Sozietät Rechtsanwälte Hummel, Kaleck,
Immanuelkirchstraße 3-4, 10405 Berlin -
gegen
a)
den Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. September 2006 - 15 T
84/05 -,
b)
den Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 17. Mai 2006 - 15 T 84/05 -,
c)
den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Juli 2005 - 2.6 C 309/05 -
,
d)
den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 14. Juni 2005 - 2.6 C 309/05
-
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
und die Richter Bryde,
Schluckebier
am 8. Dezember 2009 einstimmig beschlossen:
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 14. Juni 2005 - 2.6 C 309/05 - und der Beschluss des
Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 17. Mai 2006 - 15 T 84/05 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem
Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse
werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.
2. Damit ist der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Juli 2005 - 2.6 C 309/05 - gegenstandslos.
3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
4. Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
5. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000
€ (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage der
Beschwerdeführerin gegen ihre Hausbank auf Rückgängigmachung von Belastungsbuchungen auf ihrem Girokonto.
I.
2
1. Die Beschwerdeführerin unterhält bei der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens ein Girokonto, für das ihr eine
bis zum Jahresende 2004 gültige EC-Karte mit zugehöriger persönlicher Geheimzahl („PIN“) zur Verfügung stand. Die
Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Antragsgegnerin sahen zur Frage einer Haftung für Schäden durch eine
missbräuchliche Kartenverwendung vor, dass der Kontoinhaber den Schaden in vollem Umfang zu tragen hat, wenn
die Antragsgegnerin ihre Verpflichtungen erfüllt und der Karteninhaber seine Pflichten grob fahrlässig verletzt habe, er
insbesondere die persönliche Geheimzahl auf der Karte vermerkt, mit ihr verwahrt oder einer anderen Person
mitgeteilt habe und der Missbrauch dadurch verursacht worden sei.
3
Von dem Konto der Beschwerdeführerin wurden am 8., 9. und 10. November 2004 an unterschiedlichen
Geldautomaten an ihrem Wohnort, die nicht durch Videokameras überwacht wurden, Geldbeträge in Höhe von 1.000 €,
1.000 € und 570 € abgehoben; die Gesamtsumme entsprach annähernd dem Guthabenstand des Girokontos
zuzüglich der eingeräumten Überziehungslinie. Die Beträge wurden dem Girokonto belastet. Auf Nachfrage der
Beschwerdeführerin zum Grund der Abbuchungen teilte die Antragsgegnerin mit, dass der Beschwerdeführerin
aufgrund der ablaufenden Gültigkeit ihrer bisherigen EC-Karte am 27. Oktober 2004 eine Nachfolgekarte per Post
zugesandt worden sei. Im Zuge der Kartenerneuerung sei keine neue PIN vergeben und übermittelt worden; vielmehr
habe die bisherige Geheimzahl ihre Gültigkeit für die neue Karte behalten. Die beanstandeten Abhebungen seien mit
der neuen Karte unter Eingabe der zutreffenden Geheimzahl vorgenommen worden. Zu Fehlversuchen bei der Eingabe
sei es nicht gekommen.
4
2. Im Ausgangsverfahren beantragte die Beschwerdeführerin vor dem Amtsgericht Prozesskostenhilfe für die
Erhebung einer Klage gegen die Antragsgegnerin, gerichtet auf Rückgängigmachung der Kontobelastungen in Höhe
von 2.570 € sowie einer weiteren Abbuchung in Höhe von 5,11 €, die von der Antragsgegnerin für die Kartensperrung
veranlasst worden war. Die Beschwerdeführerin trug vor, die neue EC-Karte nicht erhalten und die Abhebungen nicht
veranlasst zu haben. Sie bestritt, dass die Nachfolgekarte tatsächlich an sie versandt worden sei. Ferner berief sie
sich auf Unregelmäßigkeiten in ihren Kontoauszügen, welche nach ihrer Auffassung darauf hindeuteten, dass die
Ersatzkarte schon vor der behaupteten Versendung gebraucht worden sei, sowie auf den Umstand, dass sie im
zeitlichen Zusammenhang mit der behaupteten Versendung ihre ursprüngliche Karte unter Verwendung der
Geheimzahl eingesetzt habe. Die Antragsgegnerin trug vor, dass die übersandte Karte ohne Kenntnis der PIN
aufgrund von Sicherungsvorrichtungen nicht habe eingesetzt werden können.
5
Mit Beschluss vom 14. Juni 2005 lehnte das Amtsgericht den Prozesskostenhilfeantrag mangels Erfolgsaussicht
der beabsichtigten Rechtsverfolgung ab. Ein Anspruch, die Belastungsbuchungen rückgängig zu machen, bestehe
nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht. Gegen die Beschwerdeführerin spreche ein Beweis
ersten Anscheins, dass sie ihrer Pflicht zur Geheimhaltung der PIN nicht nachgekommen sei oder die Abhebungen
selbst veranlasst habe, da diese mit der neuen EC-Karte unter Verwendung der richtigen Geheimzahl ohne
Fehlversuche erfolgt seien. Dieser Geschehensablauf sei typisch für einen vorwerfbaren Verlust der Geheimnummer
seitens des Karteninhabers. Der Anschein sei durch die Beschwerdeführerin nicht entkräftet worden; hierzu sei die
pauschale Behauptung, dass sich eine unbekannte Person im Organisationsbereich der Antragsgegnerin Kenntnis von
der Geheimnummer verschafft und die Beträge abgehoben haben könnte, nicht ausreichend. Das Amtsgericht berief
sich zur Begründung seiner rechtlichen Bewertung auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 5.
Oktober 2004 - XI ZR 210/03 -, BGHZ 160, 308).
6
3. Die Beschwerdeführerin beanstandete mit ihrer gegen den amtsgerichtlichen Beschluss gerichteten sofortigen
Beschwerde, dass das Amtsgericht unberücksichtigt gelassen habe, dass die verwendete EC-Karte ihr nicht
gestohlen oder sonst abhanden gekommen, sondern gar nicht erst zugegangen sei; für einen Beweis ersten
Anscheins fehle es daher an einer ausreichenden Grundlage.
7
Das Amtsgericht half dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 20. Juli 2005 nicht ab; das Landgericht wies es mit
Beschluss vom 17. Mai 2006 zurück. Ergänzend zu den als zutreffend bezeichneten Ausführungen in der
angefochtenen Entscheidung führte das Landgericht aus, dass es zwar mehrere theoretische Möglichkeiten der
Kenntniserlangung von der PIN durch einen Dritten gebe, die streitgegenständlichen Abhebungen aber anders als
durch ein grob fahrlässiges Verhalten der Beschwerdeführerin nicht zu erklären seien, weil andere Ursachen bei
wertender Betrachtung außerhalb der Lebenserfahrung lägen. Soweit nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs die Möglichkeit eines Ausspähens der Geheimzahl bei Eingabe in einen Geldautomaten, in ein
Kartenterminal oder durch technische Manipulationen gegen eine Annahme grober Fahrlässigkeit sprechen könne,
liege eine solche Fallgestaltung nicht vor.
8
Mit Beschluss vom 18. September 2006 wies das Landgericht eine Gehörsrüge und eine Gegenvorstellung der
Beschwerdeführerin zurück. Es bemerkte, dass es nicht darauf ankomme, ob die neue EC-Karte tatsächlich versandt
worden sei, denn unabhängig hiervon spreche ein Beweis ersten Anscheins für ein grob fahrlässiges Verhalten der
Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der Geheimhaltung ihrer Geheimzahl.
II.
9
Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer gegen die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts gerichteten
Verfassungsbeschwerde eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und
aus Art. 103 Abs. 1 GG.
III.
10
Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens misst der Verfassungsbeschwerde keine Erfolgsaussicht bei und
meint, die Versagung der Prozesskostenhilfe entspreche der fachgerichtlichen Rechtsprechung und sei auch von
Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Die Landesregierung Brandenburg hat von einer Stellungnahme
abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen.
IV.
11
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Versagung von
Prozesskostenhilfe durch die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 14. Juni 2005 und des Landgerichts vom 17. Mai
2006 richtet. Die Annahme ist zur Durchsetzung der verfassungsmäßigen Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt
(§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Insoweit liegen die Voraussetzungen für eine stattgebende
Kammerentscheidung vor (§ 93c BVerfGG).
12
1. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu den
Anforderungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind durch die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 9, 124; 22, 83 <87>; 63, 380 <394>; 78, 104 <117 f.>; 81, 347
<357>). Danach gebietet Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip eine weitgehende Angleichung
der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 81, 347
<356>). So ist zwar verfassungsrechtlich unbedenklich, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 114
Satz 1 ZPO von einer hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
abhängt. Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf allerdings nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung selbst in das
summarische Prozesskostenhilfeverfahren zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu
lassen. Denn das Prozesskostenhilfeverfahren soll den gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern erst
zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>; BVerfGK 1, 111 <114>).
13
Diesen verfassungsrechtlich gebotenen Zweck der Prozesskostenhilfe haben die Fachgerichte bei Auslegung und
Anwendung von § 114 Satz 1 ZPO zu beachten. Den ihnen zukommenden Entscheidungsspielraum überschreiten sie,
wenn sie in Verkennung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit
die Anforderungen an die Erfolgsaussichten überspannen und der unbemittelten Partei im Verhältnis zur bemittelten
die Rechtsverfolgung unverhältnismäßig erschweren. Dies kommt dann in Betracht, wenn dem Unbemittelten wegen
fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorenthalten wird, obwohl die Entscheidung in der
Hauptsache von der Beantwortung einer in Ansehung der einschlägigen gesetzlichen Regelung und bereits
vorliegenden Rechtsprechung schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. BVerfGE 81, 347 <359 f.>;
BVerfGK 2, 279 <281>). Gleiches gilt für den Fall, dass eine entscheidungserhebliche Tatsache zwischen den
Parteien im Streit steht und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine durchzuführende Beweisaufnahme mit
hoher Wahrscheinlichkeit zu Lasten des bedürftigen Antragstellers ausgehen würde, oder wenn abzusehen ist, dass
der beweisbelastete Antragsgegner für das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Tatsache beweisfällig bleiben
wird (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 20. Februar 2002 - 1 BvR 1450/00 -, NJW-RR 2002,
S. 1069; 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 3. Juni 2003 - 1 BvR 1355/02 -, NJW-RR 2003, S. 1216).
14
2. Diesen Grundsätzen werden die Entscheidungen zur Versagung von Prozesskostenhilfe nicht gerecht. Die
Fachgerichte haben die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der von der Beschwerdeführerin beabsichtigten Klage
überspannt. Sie sind ersichtlich davon ausgegangen, dass die ihnen unterbreitete Fallgestaltung in beweisrechtlicher
Hinsicht durch obergerichtliche Rechtsprechung bereits geklärt, ihre rechtliche und tatsächliche Beurteilung daher
nicht als schwierig oder offen anzusehen ist. Dies trifft indes nicht zu.
15
a) Richtig ist zwar, dass ein Rückforderungsanspruch der Beschwerdeführerin dann ausscheidet, wenn sie die
beanstandeten Abhebungen selbst vorgenommen hat oder ihr ein grob fahrlässiges Verhalten zur Last liegt, welches
zu den Automatenverfügungen geführt hat. In diesem Fall steht der Bank ein Aufwendungsersatzanspruch nach
§§ 670, 675 BGB oder ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB gegen den Kunden zu. Im Einklang mit
fachprozessualen Grundsätzen und der fachgerichtlichen Rechtsprechung steht auch, dass die - insoweit
beweisbelastete - Bank sich zum Nachweis eines derartigen Verhaltens in bestimmten Fällen auf die Grundsätze des
Anscheinsbeweises berufen kann (vgl. BGHZ 160, 308 <312>; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 30. März 2006 - 16 U
70/05 -, NJW-RR 2007, S. 198; Casper, in: MünchKomm BGB, 5. Aufl., § 676h Rn. 34).
16
Bei einer Automatenabhebung unter Verwendung der EC-Karte und der zugehörigen Geheimnummer obliegt
demnach zunächst dem Bankkunden, durch die Darlegung eines atypischen Geschehensablaufes, etwa eines
Kartendiebstahls, die Vermutung zu entkräften, dass es sich um eine befugte Abhebung gehandelt habe (vgl.
Martinek, in: Staudinger, BGB, 13. Aufl., § 676h Rn. 81 m.w.N.). Soweit demnach von einer missbräuchlichen
Kartenverwendung auszugehen ist, spricht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Beweis ersten
Anscheins dafür, dass der Karteninhaber seine Pflicht zur Geheimhaltung der Geheimzahl grob fahrlässig verletzt hat,
indem er diese auf der EC-Karte vermerkt oder mit ihr verwahrt habe (BGHZ 160, 308 <312 ff.>). Der Karteninhaber
kann auch dieser Vermutung durch die Darlegung eines atypischen Verlaufs die Grundlage entziehen, etwa dadurch,
dass ihm die EC-Karte in einem näheren zeitlichen Zusammenhang mit einem - dann naheliegend durch einen Dritten
ausgespähten - eigenen Gebrauch der PIN entwendet worden sei (BGHZ 160, 308 <317 f.>).
17
b) Der den Fachgerichten im Ausgangsverfahren unterbreitete Sachverhalt unterschied sich von den bislang
entschiedenen Fällen zur Frage einer missbräuchlichen EC-Kartennutzung allerdings in entscheidungserheblichen
Punkten. Denn die Beschwerdeführerin war nach ihrem Vorbringen zu keiner Zeit im Besitz der bei den
streitgegenständlichen Abhebungen verwendeten EC-Karte. Ihre Behauptung, die von der Antragsgegnerin neu
ausgegebene Karte nicht erhalten zu haben, ist im Prozesskostenhilfeverfahren unstreitig geblieben; nach
allgemeinen Beweislastgrundsätzen wäre der Zugang der Karte zudem von der Antragsgegnerin nachzuweisen.
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Hiernach konnten die Fachgerichte auf Grundlage der bereits ergangenen Rechtsprechung nicht ohne weiteres von
dem Anschein einer von der Beschwerdeführerin selbst veranlassten oder in grob fahrlässiger Weise ermöglichten
Bargeldabhebung ausgehen. Der Vermutung einer Eigenabhebung steht als atypischer Umstand schon der fehlende
Besitz der Karte entgegen. Ein Anschein für ein vorwerfbares Verhalten der Beschwerdeführerin liegt nach dem
Maßstab der herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 160, 308) gleichfalls nicht vor.
Anknüpfungstatsachen für die - schon begrifflich den Karteninhaber betreffende - Beweisregel bilden der ursprüngliche
Besitz und nachfolgende Verlust der EC-Karte sowie die Kenntnis des Karteninhabers von der ihm zugewiesenen PIN.
Ist der Bankkunde von vornherein nicht im Besitz der Karte, fehlt es an einem maßgeblichen Teil des die Typizität
begründenden Sachverhalts; denn für die Vermutung einer unsorgfältigen Aufbewahrung der Geheimzahl zusammen
mit der Karte bietet sich keine Grundlage. Hinzu kommt, dass die Fachgerichte die Möglichkeit eines atypischen
Verlaufs nicht erörtert haben, wonach ein Dritter sich im Zusammenhang mit der Versendung der Karte in ihren Besitz
gebracht und zeitnah hierzu Kenntnis von der Geheimzahl bei ihrem Gebrauch seitens der Beschwerdeführerin erlangt
haben könnte.
19
Soweit die Fachgerichte ein vorwerfbares Verhalten der Beschwerdeführerin allein aus dem Umstand folgern, dass
die Abhebungen unter Verwendung der zutreffenden Geheimzahl ohne Fehlversuche vorgenommen wurden, konnten
sie sich auch nicht auf anderweitige obergerichtliche Entscheidungen stützen. Ebenso wenig liegt eine gefestigte
zivilgerichtliche Rechtsprechung zu vergleichbaren Fallgestaltungen vor, in denen bereits der ursprüngliche Besitz der
Karte durch den Bankkunden in Frage steht. So ist verschiedentlich ausgesprochen worden, dass das Risiko eines
Kartenmissbrauchs dem Bankkunden ohne nachgewiesenen Erhalt der Karte nicht zuzurechnen sei (vgl. OLG
Bamberg, Urteil vom 23. Juni 1993 - 8 U 21/93 -, WM 1994, S. 194 <196>; AG Berlin, Urteil vom 18. Oktober 2001 -
16 C 202/01 -, MDR 2002, S. 654). Demgegenüber soll nach einer von den Fachgerichten im Ausgangsverfahren
angeführten Entscheidung des LG Köln (Urteil vom 20. September 1994 - 11 S 338/92 -, WM 1995, S. 976) im Fall
einer dem Kartenmissbrauch unmittelbar vorausgehenden, nach Behauptung des Kunden fehlgeschlagenen
Versendung einer Ersatzkarte ein Anscheinsbeweis zu Lasten des Bankkunden anzunehmen sein.
20
c) Die von der konkreten Fallgestaltung aufgeworfenen Rechtsfragen sind damit in der ergangenen Rechtsprechung
noch nicht hinreichend geklärt. Sie sind auch im Übrigen nicht einfach oder eindeutig zu beantworten. Das Amts- und
das Landgericht hätten daher über sie im summarischen Prozesskostenhilfeverfahren zum Nachteil der
Beschwerdeführerin nicht abschließend befinden dürfen.
21
3. Die Entscheidungen über die Versagung von Prozesskostenhilfe beruhen auf dem dargelegten
Grundrechtsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Fachgerichte bei Beachtung der sich aus Art. 3 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gelangt wären. Schon
deshalb sind die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 14. Juni 2005 und des Landgerichts vom 17. Mai 2006
aufzuheben. Der auf die Anhörungsrüge hin ergangene Beschluss des Landgerichts vom 18. September 2006 ist
damit gegenstandslos.
V.
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Soweit die Verfassungsbeschwerde sich auch gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Juli 2005 über die
Nichtabhilfe auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin hin richtet, wird sie nicht zur Entscheidung
angenommen; insoweit ist sie unzulässig. Von diesem angegriffenen Beschluss geht keine eigenständige Beschwer
aus.
VI.
23
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
24
Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im
Verfassungsbeschwerdeverfahren beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Entscheidung einer Kammer
stattgegeben wird, in der Regel 8.000 €. Weder die objektive Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit
der anwaltlichen Tätigkeit weisen hier Besonderheiten auf, die eine Abweichung veranlassen würden.
Papier
Bryde
Schluckebier