Urteil des BVerfG vom 09.10.2000

BVerfG: anspruch auf rechtliches gehör, verfassungsbeschwerde, meinungsfreiheit, geschäftsführung, grundrecht, persönlichkeitsrecht, kollusion, geschäftsführer, werturteil, vorrang

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1839/95 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn M...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. Rudolf Nörr und Koll.,
Brienner Straße 28, München -
gegen a) das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 24. Juli 1995 - 30 U 117/95 -,
b)
das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 22. Dezember 1994 - 3 HK O 3129/94 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Papier
und die Richter Steiner,
Hoffmann-Riem
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 9. Oktober 2000 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen zivilgerichtliche Urteile, durch die ein vom Beschwerdeführer geltend
gemachter Unterlassungsanspruch zurückgewiesen wurde. Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens war ein Vorwurf
der Beklagten gegenüber dem Beschwerdeführer, wonach "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Kollusion der
damaligen Geschäftsführung zum Fusionsvertrag 1972 mit dem D.-Konzern geführt" habe. Der Beschwerdeführer rügt
die Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie seines Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103
Abs. 1 GG.
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Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht
vor. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), da
die von ihr aufgeworfenen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt sind (vgl. BVerfGE 61, 1 ff.;
85, 1 ff.; 90, 241 ff.; 99, 185 ff.). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte
angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf
Erfolg.
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1. Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 1 Abs. 1 GG kann nicht festgestellt werden.
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a) Der Beschwerdeführer wird allerdings durch die angegriffenen Entscheidungen in seinem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht berührt. Das Grundrecht schützt Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand besonderer
Freiheitsgarantien sind, aber diesen in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen. Dazu
gehört auch die soziale Anerkennung des Einzelnen. Aus diesem Grund umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht
den Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf sein Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken (vgl.
BVerfGE 99, 185 <193>). Die hier in Rede stehende Äußerung, die dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit
seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der M. KG unredliches Verhalten vorwirft, hat eine derartige
Persönlichkeitsrelevanz.
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b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Es findet seine Grenzen nach Art. 2
Abs. 1 GG in den Rechten anderer, zu denen auch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1
Satz 1 GG gehört. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers wird die streitgegenständliche Äußerung von dem
Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst. Hierbei kann zunächst dahinstehen, ob mit der Äußerung -
zumindest auch - eine Tatsachenbehauptung verbunden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts fallen unter den Schutz der Meinungsfreiheit nicht nur Werturteile, sondern auch
Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie meinungsbezogen sind. Außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs.
1 GG liegen nur bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der
Äußerung unzweifelhaft feststeht. Alle übrigen Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug genießen den
Grundrechtsschutz, auch wenn sie sich später als unwahr herausstellen (vgl. BVerfGE 99, 185 <197>). Bei dem von
den Beklagten des Ausgangsverfahrens im Zusammenhang mit dem Fusionsvertrag geäußerten Kollusionsverdacht
handelt es sich aber zumindest auch um die Bewertung eines tatsächlichen Vorganges. Anhaltspunkte dafür, dass
mögliche tatsächliche Bestandteile dieser Äußerung von den Beklagten bewusst der Wahrheit zuwider behauptet
wurden, liegen nicht vor. Hiergegen spricht nicht zuletzt der Umstand, dass das Oberlandesgericht in dem
Parallelverfahren 30 U 689/92 die Zusammenhänge mit dem Fusionsvertrag 1972 als klärungsbedürftig bezeichnet
hat.
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c) Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist freilich seinerseits kein
schrankenloses. Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt es vielmehr den Beschränkungen, die sich aus den allgemeinen
Gesetzen ergeben, zu denen auch die §§ 1004, 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 186 StGB gehören,
die dem verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrecht zivilrechtlich Ausdruck verleihen und deren Voraussetzungen die
Gerichte vorliegend abgelehnt haben. Die Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften ist Sache der Zivilgerichte.
Sie haben dabei jedoch beiden Grundrechten angemessen Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende
Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. Das führt im Rahmen der auslegungsfähigen
Tatbestandsmerkmale der einfach-rechtlichen Vorschriften regelmäßig zu einer fallbezogenen Abwägung zwischen der
Bedeutung der Meinungsfreiheit und dem Rang des durch die Meinungsäußerung beeinträchtigten Rechtsguts, das
das einfache Recht schützen will. Das Ergebnis dieser Abwägung lässt sich wegen ihres Fallbezugs nicht generell
und abstrakt vorwegnehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit jedoch bestimmte Vorzugsregeln
entwickelt, wobei es entscheidend darauf ankommt, ob es sich um ein Werturteil oder eine Tatsachenbehauptung
handelt. So geht bei Werturteilen der Persönlichkeitsschutz regelmäßig der Meinungsfreiheit vor, wenn sich die
Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde, Schmähkritik oder als Formalbeleidigung darstellt. Bei
Tatsachenbehauptungen hängt die Abwägung vom Wahrheitsgehalt ab. Wahre Aussagen müssen in der Regel
hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht (vgl. BVerfGE 99,
185 <196>). Wenn allerdings eine Äußerung derart substanzarm ist, dass sich ihr die Behauptung wenigstens einer
konkret-greifbaren Tatsache nicht entnehmen lässt, tritt ein möglicher tatsächlicher Gehalt gegenüber der Wertung
zurück (vgl. BVerfGE 61, 1 <9 f.>). Bei einer derartig substanzarmen Äußerung kann deshalb auch im Rahmen der
Abwägung dem Wahrheitsgehalt möglicher tatsächlicher Elemente keine Bedeutung zukommen.
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d) Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Grundsätze ist die - in erster Linie maßgebliche -
Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht zu beanstanden.
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aa) Das Oberlandesgericht ist im Ausgangspunkt zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Vorwurf der
"Kollusion der damaligen Geschäftsführung usw." um eine bloße subjektive Wertung handelt, die nicht als
Tatsachenbehauptung eingestuft werden kann. Der Äußerung lässt sich eine konkret-greifbare Tatsache - abgesehen
von der als solchen wahren Aussage, dass der Beschwerdeführer als Geschäftsführer an der Fusion 1972 mitgewirkt
hat - nicht entnehmen. Der Vorwurf ist vielmehr sehr pauschal formuliert. In welcher Art und Weise die
Geschäftsführung im Zusammenhang mit dem Fusionsvertrag 1972 möglicherweise unredlich gehandelt hat, ergibt
sich aus der Äußerung nicht. Dies wird deutlich, wenn man versucht, eine Beweisfrage zu formulieren, die mit den
Mitteln des zivilprozessualen Beweisrechts bewiesen werden könnte. Der verwendete Begriff "Kollusion" ist derart
auslegungsfähig und auslegungsbedürftig, dass ihm eine eindeutige, beweisbare Tatsachengrundlage nicht
entnommen werden kann. Sobald versucht wird, den Sinn des Begriffes zu ermitteln, wird unvermeidlich die Grenze
zu dem Bereich des Dafürhaltens und Meinens und damit auch des Kampfes der Meinungen überschritten. In diesem
Zusammenhang darf auch nicht der konkrete Streitgegenstand der gerichtlichen Entscheidungen aus dem Blick
verloren werden. Es ging insoweit lediglich um den zitierten Satz mit der vermeintlichen Kollusion der
Geschäftsführung. Soweit der Beschwerdeführer in seiner Verfassungsbeschwerde darüber hinaus auf weitere
konkrete Tatsachenbehauptungen der Beklagten des Ausgangsverfahrens abstellt und deren Unwahrheit zu belegen
versucht, kann dem im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung zukommen. Bei diesen Äußerungen mag es
sich in der Tat um dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptungen handeln; diese hat der Beschwerdeführer jedoch
nicht zum Gegenstand des Rechtsstreits gemacht.
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bb) Damit kommt es im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen auf den Wahrheitsgehalt
der Äußerung nicht an. Vielmehr finden die Abwägungsgrundsätze bei Werturteilen Anwendung. Insoweit könnte ein
eindeutiger Vorrang des Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers gegenüber dem Grundrecht der Beklagten des
Ausgangsverfahrens auf Meinungsfreiheit nur dann angenommen werden, wenn es sich bei der streitgegenständlichen
Äußerung um eine Schmähkritik handeln würde. Dies hat das Oberlandesgericht jedoch zu Recht verneint. Den
Beklagten des Ausgangsverfahrens ging es erkennbar nicht um die Diffamierung des Beschwerdeführers, sondern um
die Auseinandersetzung in der Sache. Die Äußerung ist im Zusammenhang mit dem Streit über den Fusionsvertrag
1972 zu sehen.
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cc) Die Tatsache, dass es sich nicht um Schmähkritik handelt, bedeutet jedoch nicht zwingend, dass der
Meinungsfreiheit in jedem Fall der Vorrang gebühren würde. Vielmehr bedarf es einer Abwägung der sich gegenüber
stehenden Grundrechtspositionen. Eine solche Abwägung hat das Oberlandesgericht jedoch in verfassungsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise vorgenommen. Tragfähig ist insbesondere seine Überlegung, dass die Beklagten ein
gesteigertes Recht zur Meinungsäußerung im Rahmen ihrer Gesellschafterstellung haben (vgl. hierzu auch BGH,
MDR 1972, S. 227). Insoweit hat das Oberlandesgericht auch nicht einseitig nur auf die Interessen der Beklagten
abgestellt. Vielmehr hat es zu Recht darauf hingewiesen, dass die Geschäftsführung und damit auch der
Beschwerdeführer allein auf Grund des Informationsvorsprunges in der Lage waren, sich zu wehren und
Gegenargumente vorzubringen. Schließlich hat das Oberlandesgericht auch zu Recht die Entscheidung in dem
Parallelverfahren 30 U 689/92 in seine Überlegungen mit einbezogen. Hieraus ergibt sich, dass die Vorgänge im
Zusammenhang mit der Fusion im Jahre 1972 zumindest klärungsbedürftig waren und die Äußerungen der Beklagten
in diesem Zusammenhang zu sehen sind.
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2. Der Beschwerdeführer wird durch die angegriffenen Urteile auch nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör
gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Diese Grundgesetzbestimmung bietet keinen Schutz dagegen, dass ein
angebotener Beweis aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts nicht erhoben wird (vgl. BVerfGE 50, 32
<36>; 65, 305 <307>; 69, 141 <143 f.>). Da die streitgegenständliche Äußerung als Werturteil anzusehen ist, hinter
dem der mögliche tatsächliche Gehalt zurücktritt, bedurfte es der von dem Beschwerdeführer begehrten
Beweisaufnahme über die vermeintliche Unrichtigkeit der Äußerung nicht.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Steiner
Hoffmann-Riem