Urteil des BVerfG vom 28.08.2000

BVerfG: verfassungsbeschwerde, privatisierung, unternehmen, rechtswegerschöpfung, geldleistung, kontrolle, vorprüfung, grundstück, entwertung, rechtsschutz

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2328/96 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. der
2. der
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Jochen Drescher,
Am Leutewitzer Park 6, Dresden -
1. unmittelbar gegen
a) das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 1996 - BVerwG 7 C 61.95
b) den Streitwertbeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 1996 -
BVerwG 7 C 61.95 -,
2. mittelbar gegen
a) § 3 b Abs. 1 Satz 2 des Vermögensgesetzes (VermG) in der Fassung des Gesetzes zur
Änderung des Vermögensgesetzes und anderer Vorschriften (Zweites
Vermögensrechtsänderungsgesetz - 2. VermRÄndG) vom 14. Juli 1992 (BGBl I S. 1257),
b) § 6 Abs. 6 a Satz 2 VermG in der Fassung sowohl des Gesetzes zur Beseitigung von
Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen
vom 22. März 1991 (BGBl I S. 766) als auch des Gesetzes zur Absicherung der
Wohnraummodernisierung und einiger Fälle der Restitution
(Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz - WoModSiG) vom 17. Juli 1997 (BGBl I S.
1823)
und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Kühling,
die Richterin Jaeger
und den Richter Hömig
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 28. August 2000 einstimmig beschlossen:
Der Antrag der Beschwerdeführerin zu 2 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts
wird abgelehnt.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
1. Der Antrag der Beschwerdeführerin zu 2 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die
beabsichtigte Rechtsverfolgung, wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt, keine hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO analog).
2
2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des
§ 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme
ist auch nicht zur Durchsetzung der von den Beschwerdeführern als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte
angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie ist unzulässig.
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a) Soweit sich die Beschwerdeführer unmittelbar gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und mittelbar
gegen § 3 b Abs. 1 Satz 2 VermG in der Fassung des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes vom 14. Juli
1992 (BGBl I S. 1257) und § 6 Abs. 6 a Satz 2 VermG in der Fassung sowohl des Gesetzes zur Beseitigung von
Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen vom 22. März 1991 (BGBl I
S. 766) als auch des Wohnraummodernisierungssicherungsgesetzes vom 17. Juli 1997 (BGBl I S. 1823) wenden,
haben sie den Rechtsweg nicht erschöpft.
4
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Rechtsweg grundsätzlich nicht
erschöpft, wenn die Sache durch ein Revisionsgericht an eine Vorinstanz zurückverwiesen wird. Die Bindungswirkung
des Revisionsurteils hinsichtlich der für einen Beschwerdeführer ungünstigen Beurteilung der verfassungsrechtlichen
Lage ändert daran nichts. Rechtsausführungen in den Gründen der Entscheidung schaffen für sich allein keine
Beschwer im Rechtssinne. Entscheidend ist, ob der Beschwerdeführer im Ergebnis mit seinem Begehren im weiteren
Verfahren noch Erfolg haben kann (vgl. BVerfGE 8, 222 <224, 225 f.>; 78, 58 <67 f.>).
5
bb) Gemessen daran haben die Beschwerdeführer hier den Rechtsweg noch nicht erschöpft. Zwar hat das
Bundesverwaltungsgericht die Sache nicht an eine gerichtliche Vorinstanz zurückverwiesen. Nach der Aufhebung des
verwaltungsgerichtlichen Urteils und des vom Kläger angefochtenen Bescheids des Landesamts zur Regelung offener
Vermögensfragen muss dieses aber erneut über die vermögensrechtlichen Anträge der Beschwerdeführerin zu 2 und
der übrigen früheren Gesellschafter der Beschwerdeführerin zu 1 entscheiden. Die Beschwerdeführer können daher
mit ihrem Restitutionsbegehren im Ergebnis noch Erfolg haben, worauf auch die vom Landesamt beabsichtigte neue
Entscheidung hindeutet.
6
Dass das Landesamt nunmehr zugleich über die Haftung unter anderem der Beschwerdeführerin zu 2 für
Gläubigerverbindlichkeiten der Verfügungsberechtigten und über ihre Pflicht zur Zahlung der ihr bei der Schädigung der
Beschwerdeführerin zu 1 tatsächlich zugeflossenen Geldleistung an die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte
Sonderaufgaben entscheiden will, führt zu keiner anderen Beurteilung. Darüber ist im ursprünglichen, vom
Bundesverwaltungsgericht aufgehobenen Restitutionsbescheid noch nicht entschieden worden, so dass diese
Rechtsfragen auch nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens gewesen sind. Insoweit fehlt es somit ebenfalls an der
Rechtswegerschöpfung.
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Es ist den Beschwerdeführern auch zuzumuten, die erneute Entscheidung des Landesamts abzuwarten und
gegebenenfalls dagegen Rechtsmittel einzulegen. Damit ist für sie eine Verkürzung des verfassungsgerichtlichen
Rechtsschutzes nicht verbunden. Sie haben die Möglichkeit, nach erneuter Beschreitung des Rechtswegs wiederum
Verfassungsbeschwerde gegen die Behörden- und Gerichtsentscheidungen zu erheben. Im Rahmen einer solchen
Verfassungsbeschwerde können die Beschwerdeführer dann auch die vermeintlich verfassungswidrige Auslegung und
Anwendung des einfachen Rechts durch das Bundesverwaltungsgericht zum Gegenstand verfassungsgerichtlicher
Kontrolle machen, soweit die künftigen Entscheidungen darauf beruhen.
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Selbst wenn man - etwa angesichts der mittlerweile zehnjährigen Verfahrensdauer - annehmen wollte, dass die
Beschwerdeführer durch die Verweisung auf den erneuten Rechtsweg einen schweren und unabwendbaren Nachteil
erleiden, kommt eine Vorabentscheidung nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG nicht in Betracht. Auch beim Vorliegen
der Voraussetzungen dieser Norm ist das Bundesverfassungsgericht nicht stets verpflichtet, vor Erschöpfung des
Rechtswegs zu entscheiden; es hat vielmehr auch andere für und gegen eine vorzeitige Entscheidung sprechende
Umstände zu berücksichtigen und alle Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen. Gegen eine Vorabentscheidung
kann dabei auch sprechen, dass es an einer hinreichenden Vorklärung der einfachrechtlichen Lage fehlt. Das ergibt
sich aus dem Sinn des Subsidiaritätsgrundsatzes, der vor allem sichern soll, dass durch die umfassende Vorprüfung
der Beschwerdepunkte durch die dafür zuständigen Gerichte dem Bundesverfassungsgericht nicht nur ein regelmäßig
in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet wird, sondern ihm auch die Fallanschauung und
Rechtsauffassung der Gerichte, insbesondere auch der obersten Bundesgerichte, vermittelt werden. Das
Bundesverfassungsgericht soll nicht gezwungen sein, auf ungesicherten Grundlagen weit reichende Entscheidungen
zu treffen. Darüber hinaus wird damit der grundgesetzlichen Aufgabenzuweisung entsprochen, nach der vorrangig die
allgemein zuständigen Gerichte Rechtsschutz (auch gegen Verfassungsverletzungen) gewähren (vgl. BVerfGE 86, 15
<26 f.> m.w.N.).
9
Diese Gesichtspunkte fallen hier entscheidend ins Gewicht. Die Streitfrage betrifft die Auslegung und Anwendung
des einfachen Rechts. Im Rahmen des weiteren Verfahrens muss zunächst geklärt werden, ob die Frage eines
Ausschlusses des geltend gemachten Restitutionsanspruchs durch die Eröffnung der Gesamtvollstreckung über das
Vermögen der Verfügungsberechtigten nach § 3 b Abs. 1 Satz 2 VermG in seiner ursprünglichen oder in der Fassung
des Wohnraummodernisierungssicherungsgesetzes zu beurteilen ist (vgl. dazu Kopp
,
§ 9 Rn. 37). Selbst bei einer Anwendung der ursprünglichen Fassung ist nicht ausgeschlossen, dass die Vorschrift
unter Berücksichtigung der amtlichen Begründung der Neufassung nunmehr zugunsten der Beschwerdeführer
ausgelegt wird. Hinsichtlich der im weiteren Verfahren zu erwartenden erstmaligen Anwendung des § 6 Abs. 6 a Satz
1 Halbsatz 2 und Satz 2 VermG fehlt es bisher noch an einer Klärung der Verwaltungsgerichte. In der von den
Beschwerdeführern erwähnten Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich festgestellt, dass ein
Rückgabebescheid nach Satz 1 des § 6 Abs. 6 a VermG grundsätzlich nicht ohne gleichzeitige Festsetzung der
Zahlungspflicht nach Satz 2 der Vorschrift ergehen darf (vgl. VIZ 1998, S. 144). Eine höchstrichterliche Entscheidung
über die Auslegung von § 6 Abs. 6 a Satz 2 VermG ist darin nicht zu erblicken. Zudem kann das Vorliegen der von
den Beschwerdeführern geltend gemachten Entwertung des Restitutionsanspruchs durch die Zahlungspflicht nach
dieser Bestimmung nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls und nicht generell beurteilt werden. In einer
solchen Situation würde es in die Funktion der für die Auslegung des Vermögensgesetzes zuständigen Gerichte
erheblich eingreifen, wenn das Bundesverfassungsgericht vorweg - und aufgrund einer wesentlich weniger
umfassenden Beurteilungsgrundlage - Aussagen über den Inhalt der in Frage stehenden einfachrechtlichen
Regelungen treffen und damit den Raum für die weitere Entwicklung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung
einengen würde. Das öffentliche Interesse daran, eine solche Lage zu vermeiden, wiegt so schwer, dass die
entgegengesetzten Interessen der Beschwerdeführer demgegenüber zurücktreten müssen (vgl. BVerfGE 86, 15 <27>;
BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, VIZ 2000, S. 120 <121>).
10
b) Soweit sich die Beschwerdeführer gegen den Streitwertbeschluss des Bundesverwaltungsgerichts wenden, ist die
Verfassungsbeschwerde mangels einer den Anforderungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 und des § 92 BVerfGG
genügenden Begründung unzulässig. Die Beschwerdeführer haben den Streitwertbeschluss nicht vorgelegt, so dass
sie das Bundesverfassungsgericht schon nicht in die Lage versetzt haben, das Vorliegen eines solchen Beschlusses
und etwaiger Verfassungsverstöße festzustellen.
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Es ist aber auch nicht erkennbar, dass der angegriffene Beschluss auf der gerügten Verletzung von Art. 103 Abs. 1
GG beruht. Die Beschwerdeführer machen geltend, dass der Streitwertfestsetzung ein ihnen unbekanntes Gutachten
zugrunde liege und das Bundesverwaltungsgericht ihnen keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Gutachten
eingeräumt habe. Ausweislich des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts unter anderem über die
Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin zu 2 gegen die Festsetzung des Streitwerts lagen der Ermittlung des vom
Gericht für maßgeblich erachteten Verkehrswerts des streitbefangenen Grundstücks zwei Gutachten zugrunde, die
den Wert mit 375.000 DM und 250.000 DM bemessen haben. Danach hat das Bundesverwaltungsgericht bei der
Schätzung des Verkehrswerts dem Vorbringen der Beschwerdeführer dadurch Rechnung getragen, dass es Abschläge
von den gutachterlich ermittelten Werten vorgenommen hat. Die Beschwerdeführer hätten daher näher aufzeigen
müssen, warum das Bundesverwaltungsgericht gleichwohl ihren Vortrag, das Grundstück weise Schäden und Mängel
auf, nicht berücksichtigt hat und was sie bei Kenntnis beider Gutachten ergänzend vorgetragen hätten (vgl. BVerfGE
28, 17 <20>; 91, 1 <25 f.>).
12
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Kühling
Jaeger
Hömig