Urteil des BVerfG vom 20.08.2009

BVerfG: vergütung, verfassungsbeschwerde, aufwand, heim, belastung, bemessungsfaktor, eingriff, gestaltungsspielraum, deckung, pauschalierung

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2889/06 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S...,
1. unmittelbar gegen
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 19. Zivilsenat in Freiburg - vom 31.
Oktober 2006 - 19 Wx 38/06 -,
b) den Beschluss des Landgerichts Konstanz vom 23. August 2006 - 12 T 146/06 N -,
c) den Beschluss des Amtsgerichts Überlingen vom 18. Mai 2006 - XVII 163/04 -,
2. mittelbar gegen
§ 5 des Gesetzes über die Vergütung von Vormündern und Betreuern (VBVG)
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Hohmann-Dennhardt
und die Richter Gaier,
Kirchhof
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 20. August 2009 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die pauschalierte Festsetzung der Vergütung seiner ehemaligen
Betreuerin. Mittelbar richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen § 5 Abs. 1 und Abs. 2 des Gesetzes über die
Vergütung von Vormündern und Betreuern - Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG).
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1. Die Vergütung eines Berufsbetreuers bemisst sich nach §§ 4 und 5 VBVG. § 4 VBVG regelt die Höhe des einem
Berufsbetreuer zu vergütenden Stundensatzes, § 5 VBVG den Stundenansatz. Differenzierungskriterien in § 5 Abs. 1
und Abs. 2 VBVG sind der Aufenthaltsort des Betreuten, das heißt, ob dieser in einem Heim lebt oder zu Hause, und
die Dauer der Betreuung. § 5 Abs. 1 VBVG regelt den einem Betreuer zu vergütenden Zeitaufwand für die Betreuung
eines bemittelten Betreuten, § 5 Abs. 2 VBVG den eines mittellosen Betreuten. In diesem Fall ist die Vergütung aus
der Staatskasse zu entrichten. Der für die Betreuung eines mittellosen Betreuten ansetzungsfähige und damit
vergütungsrelevante Zeitaufwand ist gegenüber dem bei Betreuung eines Bemittelten geringer bemessen. Für die
Betreuung eines mittellosen Betreuten werden ein bis anderthalb Stunden weniger angesetzt. Der Unterschied der
Höhe der Vergütung für die Führung einer Betreuung eines bemittelten Betreuten und im Falle der Vergütung aus der
Staatskasse bei Führung einer Betreuung eines unbemittelten Betreuten ergibt sich daher nicht aus der Höhe des in
Ansatz gebrachten Stundensatzes, sondern aus der Anzahl der für die Betreuung ansatzfähigen Stunden.
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2. Das Amtsgericht Überlingen ordnete für den Beschwerdeführer eine Betreuung an und bestellte eine (Vereins-
)Betreuerin. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers beschränkte das Landgericht den Aufgabenkreis zunächst
auf die Gesundheitsfürsorge und hob die Betreuung in der Folge in Gänze auf.
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Das Amtsgericht Überlingen setzte die Vergütung einschließlich Aufwendungsersatz und Umsatzsteuer der für den
Beschwerdeführer tätigen Vereinsbetreuerin in Höhe von 2.002 € fest. Das Gericht ging gemäß § 4 VBVG von einem
Stundensatz in Höhe von 44 € aus und errechnete die Stunden pauschal nach § 5 Abs. 1 VBVG. Rechtsmitteln des
Beschwerdeführers war kein Erfolg beschieden. Das Oberlandesgericht Karlsruhe wies zuletzt seine weitere sofortige
Beschwerde zurück; denn die Vorschriften der §§ 4, 5 VBVG verletzten das verfassungsimmanente Prinzip der
Verhältnismäßigkeit nicht. Ein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz liege nicht vor. Auch der Gleichheitsgrundsatz
aus Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Eine willkürliche Ungleichbehandlung aufgrund der unterschiedlichen
Stundenansätze für die Betreuung bemittelter und mittelloser Betreuter in den Absätzen 1 und 2 des § 5 VBVG liege
nicht vor. Für letztere werde jeweils ein zwischen einer und anderthalb Stunden niedrigerer Betreuungsaufwand pro
Monat angesetzt. Dies begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar komme die Überlegung des
Gesetzgebers, die Betreuung mittelloser Betreuter verursache in der Regel einen geringeren Aufwand, dann nicht zum
Tragen, wenn sich die Betreuung - wie vorliegend - ausnahmsweise nicht auf die Vermögenssorge erstrecke. Dennoch
knüpfe das Gesetz auch in diesen Fällen seine ungleichen Folgen an ein sachgerechtes Unterscheidungskriterium an.
Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn ein vermögender Betreuter für die gleiche Dienstleistung eine
höhere Vergütung erbringen müsse, als eine vermögenslose Person. Soweit die Betreuervergütung für
Minderbemittelte aus öffentlichen Mitteln aufgebracht werde, begünstige diese Konstruktion zugleich die Staatskasse.
Hierin liege ein legitimer Nebeneffekt der gesetzlichen Regelung.
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3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, die pauschalierte Vergütung bedeute in
seinem Fall eine unverhältnismäßige Belastung, die einer Äquivalenzprüfung nicht standhalten könne. Ein Eingriff in
Art. 3 Abs. 1 GG sei aufgrund der Differenzierung zwischen bemittelten und nicht bemittelten Betreuten gegeben. Für
letztere werde ein geringerer Betreuungsaufwand angesetzt, weil die Betreuung Mittelloser in der Regel einen
geringeren Aufwand verursache als die Betreuung Vermögender. Bei ihm sei aber die Betreuung nicht auf die
Vermögenssorge erstreckt worden.
II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Sie wird jedoch nicht zur Entscheidung angenommen; denn sie hat keine
Aussicht auf Erfolg. Die sich aus § 5 Abs. 1, Abs. 2 VBVG ergebende unterschiedliche Vergütung für die Betreuung
bemittelter und mittelloser Betreuter aufgrund der unterschiedlichen Stundenansätze ist von nicht zu beanstandenden,
sachlich gerechtfertigten Erwägungen getragen und verletzt nicht den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1
GG.
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1. Dem Gesetzgeber steht bei Vergütungsregelungen grundsätzlich ein Gestaltungsspielraum zu. Dabei kann er
Einzelabrechnungen, Pauschalierungen oder fixe Sätze vorsehen. Die angegriffene gesetzliche Regelung nutzt diesen
Spielraum in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise. Sie verfolgt einen legitimen Gemeinwohlzweck.
Das Ziel des Gesetzgebers, für die Festsetzung der Betreuervergütung ein effizientes, missbrauchsunanfälligeres
Abrechungssystem zum Zwecke der Vereinfachung und Streitvermeidung zu schaffen, das zugunsten der Betreuten
die Arbeitsleistung der Betreuer und des Vormundschaftsgerichts nicht zu sehr in Anspruch nimmt und damit
Kapazitäten für die eigentliche Betreuungsleistung freisetzt und das zugleich den Berufsbetreuern auskömmliche
Einnahmen sichert (vgl. BRDrucks 865/03, S. 44 ff.), basiert auf vernünftigen Erwägungen zum Nutzen der von der
Vergütungsregelung Betroffenen wie der Allgemeinheit.
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Rechtstatsächliche Grundlage der in § 5 Abs. 1 VBVG getroffenen Regelungen bildet die im Auftrag des
Bundesministeriums der Justiz erstellte Untersuchung zur „Qualität, Aufgabenverteilung und Verfahrensaufwand bei
rechtlichen Betreuungen“ des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG). In Übereinstimmung mit
dieser Untersuchung hat der Gesetzgeber den Zeitaufwand der Betreuung mit den in § 5 Abs. 1, Abs. 2 VBVG Gesetz
gewordenen Zeitabschnitten sowie den Aufenthaltsort des Betreuten als Differenzierungskriterien für die Bemessung
der Vergütung von Betreuern pauschaliert.
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Dass der Gesetzgeber die in der Studie des ISG vorgenommenen weiteren Differenzierungen mit der Begründung
nicht aufgegriffen hat, dass weder hinsichtlich der Art der die Betreuung auslösenden Erkrankung noch hinsichtlich
des Alters des Betreuten beim Betreuungsbedarf signifikante Unterschiede feststellbar seien, ist anhand der
Ergebnisse der Studie nachvollziehbar und wird selbst vom Beschwerdeführer nicht beanstandet. Ebenfalls tragfähig
ist das Anliegen des Gesetzgebers, die Art der Erkrankung auch deshalb als Differenzierungskriterium abzulehnen,
um hierdurch Streitigkeiten zu vermeiden, die sich aus einer nicht eindeutigen Abgrenzbarkeit von Krankheitsbildern
ergäben (vgl. BRDrucks 865/03, S. 83 f.).
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Indem sich der Gesetzgeber bei der Pauschalierung des Zeitaufwandes für die Betreuungstätigkeit auf die
Ergebnisse der Studie des ISG gestützt hat, ist er von vertretbaren Annahmen hinsichtlich der Deckung des
erforderlichen Arbeitseinsatzes eines Betreuers ausgegangen, mögen sich diese auch später als nicht oder nur
teilweise richtig erweisen (vgl. BVerfGE 50, 290 <335 f.>), sodass er gegebenenfalls zur Korrektur aufgefordert wäre.
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2. a) Die Herabsetzung des für die Betreuung eines mittellosen Betreuten in Ansatz zu bringenden Zeitaufwands in
§ 5 Abs. 2 VBVG und die damit einhergehende Reduzierung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung beruht
ebenfalls auf nicht zu beanstandenden Erwägungen, jedenfalls soweit sich der Gesetzgeber in diesem
Zusammenhang auf fiskalische Gründe stützt. Sein damit verfolgtes Anliegen, ähnlich wie bei den niedrigeren
Gebührensätzen für Rechtsanwälte im Rahmen der Prozesskostenhilfe auch hier den berechtigten Interessen der
Staatskasse an einer Reduzierung der Kosten bei der Gewährung von sozialen Leistungen Rechnung zu tragen (vgl.
BTDrucks 15/4874, S. 32), wird von Gemeinwohlbelangen getragen (vgl. BVerfG, Beschluss des Dreierausschusses
des Ersten Senats vom 27. Juli 1970 - 1 BvR 399/70 -, NJW 1971, S. 187; BVerfGE 68, 237 <254 f.>). Die Schonung
der öffentlichen Kassen ist ein legitimes Ziel des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 101, 331 <349>; BVerfGK 6, 130
<133>; 10, 322 <325>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 31. Oktober 2007 - 1 BvR 574/07 -
, NJW 2008, S. 1063 <1064>). Insofern kann dahingestellt bleiben, ob auch die Annahme des Gesetzgebers, die
Betreuung eines mittellosen Betreuten erfordere geringeren Aufwand, die Differenzierung zu rechtfertigen vermag.
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b) Der Gesetzgeber hat bei der Herabsetzung des Zeitaufwandes als Bemessungsfaktor für die Vergütung der
Betreuung eines Mittellosen und damit der Ungleichbehandlung von bemittelten und unbemittelten Betreuten aus
Gründen der Schonung öffentlicher Kassen auch nicht die Grenze der Zumutbarkeit überschritten (vgl. BVerfGE 68,
237 <254 f.>).
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Der Stundenansatz für den Vergütungsanspruch eines Betreuers gegen den bemittelten Betreuten entspricht dem
vom ISG erhobenen durchschnittlichen Zeitaufwand für eine Betreuung je nachdem, ob der Betreute in einem Heim
wohnt oder dies nicht der Fall ist. Vom bemittelten Betreuten wird damit nicht mehr an Vergütung verlangt als seine
Betreuung in pauschalierter Betrachtung an Zeit in Anspruch nimmt. Ob mittellose Betreute im Regelfall weniger Zeit
für ihre Betreuung in Anspruch nehmen, berührt nicht die Tragfähigkeit des von der ISG ermittelten und der Vergütung
der Betreuung bemittelter Betreuter zugrunde gelegten Zeitaufwandes.
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Zudem hält sich der Vergütungsunterschied in angemessenem Rahmen. Zwar haben bemittelte Betreute vor allem
im ersten Jahr der Betreuung eine höhere Vergütung als Mittellose zu tragen, bei der die monatliche Differenz zur
Vergütung der Betreuung Mittelloser anfänglich 27 € bis 66 € betragen kann. Jedoch verringert sich mit zunehmender
Dauer der Betreuung der Unterschiedsbetrag. Insofern ist die Vergütungsdifferenz degressiv und die mit ihr
verbundene höhere Belastung bemittelter Betreuter angesichts des legitimen staatlichen Interesses an einer
angemessenen Kostenreduzierung bei der Vergütung der Betreuung Mittelloser hinzunehmen.
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Eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung bemittelter Betreuter, bei denen die Betreuung den Aufgabenkreis der
Vermögenssorge nicht umfasst, gegenüber mittellosen Betreuten ist demnach nicht gegeben.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hohmann-Dennhardt
Gaier
Kirchhof