Urteil des BVerfG vom 22.06.1999

BVerfG: verfassungsbeschwerde, rechtswegerschöpfung, rechtsschutz, papier, subsidiarität, verfügung, presse, ausnahme, bibliothek, stadt

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 961/99 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. der mdj. M...,
gesetzlich vertreten durch die Beschwerdeführer
zu 2 und 3,
2. der Frau M...,
3. des Herrn M...
gegen
die Weigerung der Stadt Heidelberg, einer in der
städtischen Kindertagesstätte Adolf-Engelhardt-Str. 6,
Kirchheim-West, tätigen türkischen Anerkennungsprakti-
kantin muslimischen Glaubens das Tragen eines
Kopftuches im Dienst zu verbieten,
und Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den
Vizepräsidenten Papier
und die Richter Grimm,
Hömig
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473)
am 22. Juni 1999 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß
einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
I.
1
Die mit einem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde richtet sich
gegen die Weigerung des Trägers einer städtischen Kindertagesstätte, in der die Beschwerdeführerin zu 1 ganztägig
betreut wird, einer dort beschäftigten türkischen Anerkennungspraktikantin muslimischen Glaubens das Tragen eines
Kopftuchs während der Arbeit zu verbieten.
2
Die Beschwerdeführer sehen in der Betreuung der Beschwerdeführerin zu 1 durch die kopftuchtragende Praktikantin
eine Verletzung ihrer Grundrechte, insbesondere ihres Rechts aus Art. 4 Abs. 1 GG.
II.
3
1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a
Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde mangels Rechtswegerschöpfung gemäß § 90 Abs.
2 Satz 1 BVerfGG unzulässig ist.
4
Die Beschwerdeführer haben mit ihrem Begehren Klage erhoben, die nach Verweisung durch das Amtsgericht
nunmehr beim Verwaltungsgericht anhängig ist. Das Verfahren dort ist noch nicht abgeschlossen, so daß die
Beschwerdeführer den Rechtsweg bisher nicht erschöpft haben.
5
Eine Ausnahme vom Gebot der Rechtswegerschöpfung gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG kommt nicht in
Betracht. Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, wie er in diesem Gebot zum Ausdruck kommt,
soll sicherstellen, daß verfassungsrechtlich relevante Tatsachen- und Rechtsfragen durch die allgemein zuständigen
Gerichte hinreichend vorgeklärt werden (vgl. BVerfGE 56, 54 <69>; 79, 1 <20>). Das ist vorliegend insbesondere
deshalb unverzichtbar, weil der Verfassungsbeschwerde die konkreten Umstände der geltend gemachten
Beeinträchtigung der Beschwerdeführerin zu 1 durch die Betreuung seitens der kopftuchtragenden Praktikantin nicht
zu entnehmen sind.
6
Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß es für die Beschwerdeführer unzumutbar sein könnte, zunächst
den Rechtsweg zu erschöpfen (vgl. BVerfGE 55, 154 <157>; 79, 1 <20>). Dafür, daß die Klage der Beschwerdeführer
offensichtlich aussichtslos sein könnte, ist nichts ersichtlich. Auch ist nicht auszuschließen, daß eine den
Beschwerdeführern günstige Entscheidung noch vor Ablauf des Praktikums Ende August 1999 ergeht. Zudem steht
den Beschwerdeführern auch die Möglichkeit zur Verfügung, vor dem Verwaltungsgericht um einstweiligen
Rechtsschutz nachzusuchen. Die Beschwerdeführer können auf diesem Wege auch vor einer Erledigung ihres
Hauptsachebegehrens durch Zeitablauf effektiven Rechtsschutz im fachgerichtlichen Verfahren erlangen.
7
2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen
Anordnung.
8
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Grimm
Hömig