Urteil des BVerfG vom 23.08.2000

BVerfG: gesellschaft mit beschränkter haftung, auflösung, gesellschaftsvermögen, kontrolle, abfindung, vermögensübertragung, aktiengesellschaft, anfechtungsklage, eingliederung, kapitalanlage

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 68/95 -
- 1 BvR 147/97 -
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
der S... e.V. ,
vertreten durch den Vorsitzenden des Vorstands
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dr. Hans Norbert Götz,
Ludwig-Wilhelm-Straße 1, Baden-Baden -
1. gegen
a)
den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. Dezember 1994 - II ZR 8/94 -,
b)
das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 21. Dezember 1993 - 10 U 48/93
-
- 1 BvR 68/95 -,
2.
gegen
den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Dezember 1996 - 8 W
43/93 -
- 1 BvR 147/97 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den
Vizepräsidenten Papier
und die Richter Steiner,
Hoffmann-Riem
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 23. August 2000 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen zivilgerichtliche
Entscheidungen, mit denen die Veräußerung des gesamten Vermögens einer Aktiengesellschaft an eine
Tochtergesellschaft der Mehrheitsaktionärin mit anschließender Liquidation der Aktiengesellschaft aktienrechtlich
gebilligt wurde.
I.
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1. Der Beschwerdeführer war als Minderheitsaktionär an der Beklagten des Ausgangsverfahrens (= frühere Moto
Meter AG) beteiligt. Beherrscht wurde die Beklagte von der Bosch GmbH, die zum Zeitpunkt der maßgeblichen
Hauptversammlung knapp 99 % des Aktienkapitals hielt. Im Mai 1992 machte die Bosch GmbH den noch
verbliebenen Minderheitsaktionären das Angebot, deren Aktien für 615 DM zu übernehmen. Zuvor hatte ein von der
Beklagten in Auftrag gegebenes Gutachten einen Anteilswert in Höhe von 475 DM je Aktie ermittelt.
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Unabhängig davon gründete die Bosch GmbH eine - später als Moto Meter GmbH firmierende - Gesellschaft mit
beschränkter Haftung, an welche die Moto Meter AG sodann für einen Preis von 120 Mio. DM ihr gesamtes Vermögen
verkaufte. Das entsprach aus Sicht der Moto Meter-Aktionäre einem Preis von 500 DM je Aktie. Zugleich beschloss
die Bosch GmbH als Mehrheitsaktionärin der Moto Meter AG, diese zu liquidieren. Die erforderlichen Beschlüsse zur
Vermögensübertragung gemäß § 361 AktG a.F. sowie zur Liquidation nach § 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG wurden auf der
Hauptversammlung der Beklagten vom 6. Juli 1992 gegen die Stimmen unter anderem des Beschwerdeführers mit
einer Mehrheit von mehr als 99 % getroffen.
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In dem Ausgangsverfahren, das zu der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 68/95 führte, ging der Beschwerdeführer
gegen die zustimmenden Beschlüsse der Hauptversammlung mit einer Anfechtungsklage vor. In dem
Ausgangsverfahren, das zu der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 147/97 führte, beantragte der Beschwerdeführer die
Festsetzung einer angemessenen Abfindung für die Minderheitsaktionäre der Beklagten.
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2. Beide Anträge des Beschwerdeführers blieben erfolglos. In dem Anfechtungsverfahren sah das Oberlandesgericht
in dem Vorgehen der Mehrheitsaktionärin, das im Folgenden im Anschluss an Lutter/Drygala, Festschrift für Bruno
Kropff, 1997, S. 191 ff., abkürzend als "übertragende Auflösung" bezeichnet wird, keine unzulässige Umgehung der
rechtsform-ändernden oder verschmelzenden Umwandlung einer Aktiengesellschaft. Es gebe keinen Zwang, die von
der Mehrheitsaktionärin angestrebte Eingliederung der Beklagten in ihren Konzern auf einem bestimmten Weg, etwa
nach den Vorschriften des Umwandlungsrechts, zu bewirken. Die schutzwürdigen Interessen der Minderheitsaktionäre
seien durch die übertragende Auflösung nicht in rechtswidriger Weise beeinträchtigt. Der Auflösungsbeschluss sei
auch nicht auf Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit hin zu überprüfen. Die Mehrheitsaktionärin habe überdies nicht
gegen ihre gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verstoßen. Schließlich sei der Einwand des Beschwerdeführers, bei
einer Vermögensübertragung habe jedenfalls eine Wertkontrolle analog §§ 305, 306 AktG zu erfolgen, auch unter
Berücksichtigung von Art. 14 GG verfehlt (vgl. im Einzelnen OLG Stuttgart, ZIP 1995, S. 1515 - Moto Meter I -, sowie
das vorangegangene, in DB 1993, S. 472 veröffentlichte Urteil des Landgerichts). Der Bundesgerichtshof hat die
dagegen gerichtete Revision mit dem angegriffenen Beschluss nicht zur Entscheidung angenommen.
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Den Antrag, im Fall einer übertragenden Auflösung jedenfalls eine angemessene Abfindung festzusetzen, verwarf
das Landgericht als unzulässig (vgl. DB 1993, S. 473). Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das
Oberlandesgericht zurückgewiesen (veröffentlicht in: ZIP 1997, S. 362 - Moto Meter II). Dieser Beschluss ist
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 147/97. Dabei führte das Oberlandesgericht im Einzelnen aus, dass
das geltende Recht für den von der Mehrheitsaktionärin gewählten Weg der übertragenden Auflösung einen Anspruch
auf angemessene Abfindung und ein darauf gerichtetes Spruchverfahren nicht vorsehe. Ein solcher Anspruch sei
auch nicht im Weg der Gesamtanalogie aus aktien- und umwandlungsrechtlichen Vorschriften, etwa aus den §§ 305,
306 AktG, abzuleiten. Jedenfalls § 179 a AktG, der an die Stelle des § 361 AktG a.F. getreten sei und ebenfalls
keinen Anspruch auf angemessene Abfindung vorsehe, zeige, dass der Gesetzgeber die Vermögensübertragung mit
gleichzeitiger Liquidation nicht mit einem Abfindungsanspruch für die Minderheitsaktionäre verbinden wollte. Ein
Abfindungsanspruch ergebe sich auch nicht aus der Verfassung. Den verfassungsrechtlich notwendigen Schutz der
Aktionärsminderheit gegen Vermögensverluste infolge eines Missbrauchs wirtschaftlicher Macht bildeten
hauptsächlich die §§ 317, 243 Abs. 2 AktG.
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3. Mit seinen Verfassungsbeschwerden rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung mehrerer Grundrechte,
namentlich von Art. 14 Abs. 1 GG. Er trägt im Wesentlichen vor:
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Er und die übrigen Minderheitsaktionäre seien gegen ihren Willen unter dem Vorwand einer angeblichen Liquidation
aus der Gesellschaft ausgebootet worden. Dabei habe die Großaktionärin nicht die aktien- und umwandlungsrechtlich
vorgesehenen Wege, sondern den überraschenden Weg der Liquidation gewählt. Darin liege eine verfassungswidrige
Gesetzesumgehung. Ohne die vielfältigen gesetzlichen Schutzvorkehrungen, insbesondere des Umwandlungsrechts,
sei das Aktieneigentum der Minderheitsaktionäre dem willkürlichen Zugriff eines Mehrheitsaktionärs ausgeliefert. Bei
der "Moto Meter-Methode" bestimme der Großaktionär den Preis für das Gesellschaftsvermögen und damit mittelbar
den Liquidationserlös ohne jede Kontrolle. Das sei nicht nur treuwidrig, da die Minderheitsaktionäre keine ernsthafte
Möglichkeit gehabt hätten, das Gesellschaftsvermögen selbst zu erwerben, sondern auch verfassungswidrig. § 179 a
AktG sei daher aus verfassungsrechtlichen Gründen so auszulegen, dass die Vorschrift ausschließlich die
Vermögensübertragung an Dritte, nicht aber eine Vermögensübertragung im Rahmen konzerninterner
Strukturveränderungen erlaube. Jedenfalls aber müssten die Gerichte die von der Mehrheitsaktionärin gefassten
Beschlüsse auf eine sachliche Rechtfertigung hin überprüfen. Schließlich verletze es seine Verfassungsrechte, dass
die Gerichte in dem Ausgangsverfahren 1 BvR 147/97 noch nicht einmal die wirtschaftlichen Bedingungen seiner
Ausbootung aus der Moto Meter AG einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen hätten.
II.
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Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerden liegen nicht vor. Den
Verfassungsbeschwerden kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe
a BVerfGG). Die von ihnen aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen betreffen vor allem den Schutz des Art. 14
Abs. 1 GG in Zusammenhang mit dem Aktieneigentum von Minderheitsaktionären und sind in der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt (vgl. zuletzt BVerfGE 100, 289). Die Annahme der
Verfassungsbeschwerden ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt (§ 93 a
Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann der Fall,
wenn die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten besonderes Gewicht hat
oder den Beschwerdeführer in existentieller Weise betrifft (BVerfGE 90, 22 <25>). Beides kann hier ausgeschlossen
werden.
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1. Die angegriffenen Entscheidungen sind allerdings nicht frei von verfassungsrechtlichen Bedenken.
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a) Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist in erster Linie Art. 14 Abs. 1 GG, der das Eigentum gewährleistet.
Auch das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
in den grundrechtlichen Schutzbereich. Der Schutz erstreckt sich dabei sowohl auf die mitgliedschaftliche Stellung als
auch auf die vermögensrechtlichen Ansprüche, welche das Aktieneigentum vermittelt (vgl. BVerfGE 100, 289
<301 f.>). Die "übertragende Auflösung", wie sie von der Großaktionärin im vorliegenden Fall praktiziert und von den
Gerichten gebilligt worden ist, tangiert sowohl die mitgliedschaftliche Stellung der Minderheitsaktionäre, weil diese
gegen ihren Willen die Beteiligung an der Gesellschaft verlieren, als auch deren vermögensrechtliche Position, weil
und soweit sie auf Grund der von der Mehrheitsaktionärin gewählten Methode unter Umständen bei der Verteilung des
Liquidationserlöses keine volle Kompensation für den Verlust ihrer Gesellschaftsbeteiligung erhalten.
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aa) Mit Blick auf das mitgliedschaftliche Bestandsinteresse bestehen gegen die "Moto Meter-Methode" von
Verfassungs wegen keine Bedenken.
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(1) Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG schließt es nicht grundsätzlich aus, eine Aktionärsminderheit gegen ihren Willen aus
einer Aktiengesellschaft zu drängen. Das hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt mit Blick auf die Vorschriften
über die Eingliederung (§§ 320 ff. AktG) festgestellt (vgl. BVerfGE 100, 289 <302 f.>). Es gilt aber auch dann, wenn
ein Großaktionär - statt die mit entsprechenden gesetzlichen Schutzvorkehrungen ausgestatteten Wege der
Eingliederung oder Verschmelzung nach dem Umwandlungsgesetz zu beschreiten - eine "übertragende Auflösung"
wählt und dabei - wie vom Beschwerdeführer unterstellt - das Ziel verfolgt, die wenigen (verbliebenen)
Minderheitsaktionäre möglichst einfach aus der Gesellschaft zu drängen.
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Das Anliegen, eine kleine Zahl von Minderheitsaktionären aus der Gesellschaft auszuschließen, hat der
Gesetzgeber - etwa in den Bestimmungen zur Eingliederung - als grundsätzlich berechtigt anerkannt. Dies beruht auf
der Einschätzung, dass Minderheitsaktionäre die Durchsetzung unternehmerischer Entscheidungen gegen die
Stimmenmehrheit des Hauptaktionärs im Regelfall zwar nicht verhindern können, dass aber schon ihre Existenz für
den Großaktionär erheblichen Aufwand, potentielle Schwierigkeiten und unter Umständen die Verzögerung der von ihm
als sinnvoll erachteten unternehmerischen Maßnahmen mit sich bringt: Nach dem Aktien- und Umwandlungsgesetz
ist eine Vielzahl von Aktionärsrechten, etwa das Recht, eine Anfechtungsklage gemäß § 243 ff. AktG zu erheben,
nicht an ein Quorum gebunden, sondern kann auch von Aktionären mit nur einer einzigen Aktie wahrgenommen
werden. Umgekehrt sind zahlreiche Maßnahmen, die im Interesse eines Großaktionärs liegen können, erheblich
erleichtert, wenn sich alle Aktien in der Hand eines Aktionärs befinden oder jedenfalls mit Gegenstimmen von
Minderheitsaktionären nicht zu rechnen ist (vgl. nur im Zusammenhang mit Unternehmensverträgen die Vorschriften
der §§ 293 a Abs. 3, 304 Abs. 1 Satz 3 AktG, die Möglichkeit der Eingliederung nach § 319 Abs. 1 Satz 1 AktG oder
die umwandlungsrechtlichen Erleichterungen der Verschmelzung in §§ 5 Abs. 2, 8 Abs. 3 Satz 1, § 9 Abs. 3 UmwG).
Wenn (noch) Minderheitsaktionäre vorhanden sind, müssen zudem nach der so genannten Holzmüller-
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundlegende Strukturveränderungen der Gesellschaft durch einen
Beschluss der Hauptversammlung gebilligt werden (vgl. dazu Hüffer, AktG, 4. Aufl. 1999, § 119 Rn. 16 ff.). Das
Zustimmungserfordernis eröffnet den Minderheitsaktionären die Möglichkeit, den erforderlichen Beschluss mit der
Anfechtungsklage anzugreifen und kann so zu einer manchmal mehrjährigen Verzögerung der gewünschten
unternehmerischen Maßnahme führen.
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(2) Soweit der Gesetzgeber dem Großaktionär durch aktienrechtliche Regelungen die "übertragende Auflösung"
ermöglicht, müssen dem aber Schutzvorkehrungen zugunsten der Minderheitsaktionäre gegenüber stehen. Die
vorrangige Berücksichtigung der Interessen des Großaktionärs ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn
dies mit hinreichenden Schutzrechten auch für die Minderheitsaktionäre verbunden ist (vgl. BVerfGE 100, 289 <303>).
Diese dürfen allerdings auf die Vermögenskomponente der Beteiligung konzentriert werden.
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Die herrschaftsrechtliche Seite des Aktieneigentums ist für Kleinaktionäre ohnehin begrenzt, da sie auf die
Unternehmenspolitik regelmäßig keinen relevanten Einfluss nehmen können. Das Aktieneigentum ermöglicht ihnen
durch die Kapitalanlage eine Sphäre individueller Freiheit in finanzieller Hinsicht (vgl. BVerfGE 100, 289 <305>). Die
große Verkehrsfähigkeit der Aktie erlaubt es den Kleinaktionären, sich mit ihrem Kapital nicht auf längere Sicht zu
binden und es gegebenenfalls nach freiem Belieben neu zu investieren (vgl. BVerfGE 100, 289 <305>). Werden
Minderheitsaktionäre durch die "übertragende Auflösung" aus der Aktiengesellschaft gedrängt, so beeinträchtigt dies
zwar auch die mit jeder Mitgliedschaft verbundene, bei Minderheitsaktionären aber nur begrenzt bedeutsame Leitungs-
und Herrschaftskomponente. Im Vordergrund steht aber die Vermögenskomponente der Anlage, nämlich die
Auswahlentscheidung des Aktieneigentümers hinsichtlich seiner Kapitalanlage (vgl. Lutter/Drygala, a.a.O., S. 210).
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Diese Beeinträchtigung ist im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 GG gegen die von Minderheitsaktionären ausgehende
mögliche Beeinträchtigung der rechtlich geschützten Interessen des Großaktionärs abzuwägen. Es ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Beeinträchtigung der Minderheitsaktionäre hinsichtlich ihrer
Kapitalanlage im Licht dieses Grundrechts nicht als besonders schwer bewertet wird, sofern die Aktionäre eine dem
Wert ihrer Aktien entsprechende Entschädigung erhalten. Dann ist es ihnen in aller Regel möglich, eine alternative
Kapitalanlage in einem Unternehmen gleicher oder ähnlicher Ausrichtung zu finden, jedenfalls in Zeiten eines
funktionierenden Kapitalmarktes. Die rechtliche Bewertung ändert sich nicht dadurch, dass die Gesellschaft, aus der
der Minderheitsaktionär gedrängt wird, eine besonders gute Rentabilität verspricht. Bloße, in dem aktuellen Wert des
konkreten Eigentums noch nicht abgebildete Gewinnerwartungen und in der Zukunft liegende Verdienstmöglichkeiten
sowie Chancen und Gegebenheiten, innerhalb derer ein Unternehmer seine Tätigkeit entfaltet, liegen grundsätzlich
außerhalb des Schutzbereichs der Eigentumsgarantie (vgl. nur BVerfGE 45, 142 <173>; 68, 193 <222>; 77, 84
<118>); dies gilt auch für das Aktieneigentum.
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(3) In Abwägung der jeweiligen Interessen begegnet es daher entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Gesetzgeber es vermöge § 179 a AktG (früher
§ 361 AktG a.F.) einem Mehrheitsaktionär, der wie hier über 99 % der Aktien besitzt, ermöglicht, die restlichen freien
Aktionäre aus der Gesellschaft zu drängen. Die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften halten sich innerhalb der
dem Gesetzgeber durch Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG eingeräumten Befugnis, Inhalt und Schranken des Eigentums zu
bestimmen. Das Interesse der Minderheitsaktionäre kann insoweit hinter das Interesse des Großaktionärs an der
freien Entfaltung seiner unternehmerischen Initiative zurückgestellt werden, als dabei die schutzwürdigen Interessen
der zum Ausscheiden gezwungenen Aktionäre gewahrt bleiben. Das verlangt neben einem wirksamen Schutz gegen
einen Missbrauch wirtschaftlicher Macht vor allem eine Entschädigung für den Verlust der Rechtsposition (vgl.
BVerfGE 100, 289 <303>).
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bb) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die angegriffenen Entscheidungen zur Handhabung der "Moto Meter-
Methode" bestehen allerdings mit Blick auf den Schutz des Vermögensinteresses der Minderheitsaktionäre. Das
Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG erfordert, dass Minderheitsaktionäre, die gegen ihren Willen aus der Gesellschaft,
an der sie beteiligt sind, gedrängt werden, wirtschaftlich "voll" entschädigt werden. Es muss Sicherungen dafür geben,
dass ein zum Ausscheiden gezwungener Aktionär erhält, was seine gesellschaftliche Beteiligung an dem arbeitenden
Unternehmen wert ist (vgl. BVerfGE 100, 289 <303>).
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(1) Dieses verfassungsrechtliche Erfordernis stellt allerdings die Verfassungskonformität von § 179 a AktG (§ 361
AktG a.F.) nicht in Frage. Die Vorschrift sieht zwar - anders als etwa § 320 b AktG oder § 29 UmwG - für die
betroffenen Minderheitsaktionäre keinen Anspruch auf Abfindung oder eine gerichtliche Kontrolle des für die
Vermögensübertragung erzielten Veräußerungserlöses im Rahmen eines Spruchverfahrens entsprechend § 306 AktG
vor. Das wirft im Regelfall keine verfassungsrechtlichen Probleme auf, weil bei einer Veräußerung des
Gesellschaftsvermögens an einen unbeteiligten Dritten ein Schutzbedürfnis für die Minderheitsaktionäre nicht
entsteht. Der Schutz der Minderheitsaktionäre besteht dann regelmäßig darin, dass auch der Großaktionär einen
möglichst hohen Preis für das Gesellschaftsvermögen erzielen will. Dieser Schutz versagt aber in grundsätzlicher
Weise, wenn - wie im vorliegenden Fall - das Gesellschaftsvermögen letztlich an den Großaktionär verkauft wird und
dadurch zwischen den Gesellschaftergruppen in Bezug auf den Veräußerungserlös keine Interessenhomogenität,
sondern ein Interessenkonflikt besteht. Die schutzwürdigen Rechte der zum Ausscheiden gezwungenen
Minderheitsaktionäre würden in verfassungswidriger Weise beeinträchtigt, wenn der Großaktionär diesen
Interessengegensatz ohne jede gerichtliche Kontrolle nach seinem Belieben auflösen könnte.
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Die Gerichte haben daher - ähnlich wie im Rahmen eines aktienrechtlichen Spruchverfahrens gemäß § 306 AktG -
von Verfassungs wegen zu prüfen, ob eine Mehrheitsaktionärin im Fall der "auflösenden Übertragung" für das
Gesellschaftsvermögen einen Preis zahlt, der dem Wert der Unternehmensbeteiligung der Aktionäre entspricht. Eine
solche Prüfung wird nicht dadurch entbehrlich, dass die betroffene Aktiengesellschaft ihren Wert zuvor im Rahmen
eines Gutachtens durch sachverständige Prüfer hat ermitteln lassen (vgl. Lutter/Drygala, a.a.O., S. 206). Ebenso
wenig kann der Umstand, dass theoretisch auch die Minderheitsaktionäre selbst oder Dritte das
Gesellschaftsvermögen hätten erwerben können und von daher einer einseitigen Preisfestsetzung des Großaktionärs
Vorschub geleistet sei, eine gerichtliche Kontrolle ersetzen. Soweit es sich dabei - aus welchen Gründen auch immer
- wie im vorliegenden Fall nur um eine theoretische Möglichkeit handelt, vermag sie allein den Schutz der
Minderheitsaktionäre nicht sicherzustellen.
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(2) Die Regelungen des Aktienrechts stehen einer gerichtlichen Kontrolle des vom Großaktionär gezahlten Preises
für das Gesellschaftsvermögen nicht entgegen. Nach der Systematik des Aktiengesetzes findet eine gerichtliche
Wertkontrolle zwar vornehmlich im Rahmen eines Spruchverfahrens gemäß § 306 AktG statt, der mit Blick auf die
"übertragende Auflösung" nach § 179 a AktG keine unmittelbare Anwendung findet. Nach einer - wenn auch
umstrittenen - Auffassung können die Regelungen über das aktienrechtliche Spruchverfahren auf die "übertragende
Auflösung" aber analog angewandt werden (vgl. BayObLG, ZIP 1998, S. 2002 <2004>, das allerdings einen
entsprechenden materiellen Anspruch verneint; Wiedemann, ZGR 1978, S. 477 <492>; Windbichler, AG 1981, S. 169;
wohl auch Lutter/Leinekugel, ZIP 1999, S. 261 <266>; anders noch Lutter/Drygala, a.a.O., S. 215). Es lässt sich -
entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts in der Moto Meter II-Entscheidung - nicht feststellen, dass eine
analoge Anwendung des § 306 AktG zwingend ausscheidet, weil der Gesetzgeber bei der Novellierung der Vorschrift
(von § 361 AktG a.F. zu § 179 a AktG) trotz Kenntnis des Problems auf die Regelung eines Abfindungsanspruchs und
Spruchverfahrens verzichtet hat. Aus der Gesetzgebungsgeschichte lässt sich jedenfalls nicht ableiten, der
Gesetzgeber habe die Minderheitsaktionäre im Fall der "auflösenden Übertragung" um ein (gerichtlich nachprüfbares)
Abfindungsangebot bringen wollen (vgl. Wiedemann, ZGR 1999, S. 857 <863 ff.>). Gleichwohl ist es
verfassungsrechtlich nicht geboten, den Weg einer analogen Anwendung des § 306 AktG zu begehen. Entscheidend
ist, dass die Rechtsordnung hinreichende Schutzvorkehrungen für die Minderheitsaktionäre bereithält. Die gerichtliche
Kontrolle kann auch im Rahmen einer Anfechtungsklage erfolgen. Sollten die Gerichte sich allerdings aus
aktienrechtlichen Gründen an einer Wertkontrolle des vom Großaktionär gezahlten Kaufpreises gehindert sehen,
haben sie die "übertragende Auflösung", wie sie hier praktiziert worden ist, auf eine Anfechtungsklage hin zu
unterbinden, weil andernfalls die schutzwürdigen Eigentumsbelange der Minderheitsaktionäre nicht hinreichend
gewahrt wären.
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b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht.
24
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist es aus verfassungsrechtlicher Sicht allerdings nicht zu
beanstanden, dass die Gerichte die "übertragende Auflösung" im Prinzip für zulässig erachtet haben. Es ist von
Verfassungs wegen nicht zwingend erforderlich, den Anwendungsbereich von § 179 a AktG auf Fälle zu beschränken,
in denen das gesamte Vermögen an einen "unbeteiligten Dritten" veräußert wird. Da Art. 14 Abs. 1 GG keinen Schutz
gegen das "Hinausdrängen" aus einer Gesellschaft gewährt, bestehen gegen die "übertragende Auflösung" keine
prinzipiellen verfassungsrechtlichen Bedenken.
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Ebenso wenig begegnet es verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Gerichte eine Prüfung der "übertragenden
Auflösung" auf eine sachliche Rechtfertigung hin abgelehnt haben. Soweit die Zivilgerichte bestimmte Beschlüsse der
Hauptversammlung von Aktiengesellschaften dem Erfordernis einer besonderen "sachlichen Rechtfertigung"
unterwerfen, ist dies nicht durch Art. 14 Abs. 1 GG geboten. Aus dem Grundrecht folgt allein, dass
Minderheitsaktionäre gegen den Missbrauch wirtschaftlicher Macht geschützt werden müssen (vgl. BVerfGE 14, 263
<283>; 100, 289 <303>). Ein Missbrauch wirtschaftlicher Macht kann aber nicht allein darin gesehen werden, dass ein
Mehrheitsaktionär mit seiner Stimmenmehrheit das Ziel verfolgt, sich seiner wenigen verbliebenen
Minderheitsaktionäre zu entledigen. Dafür kann es - wie dargestellt - eine Reihe legitimer Gründe geben.
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Verfassungsrechtlich bedenklich ist es aber, dass das Oberlandesgericht weder im Anfechtungsverfahren noch in
dem Verfahren, in dem der Beschwerdeführer die Festsetzung einer angemessenen Abfindung beantragt hatte, geprüft
hat, ob die Beklagte für ihr Gesellschaftsvermögen von der Mehrheitsaktionärin einen Preis erhalten hat, der dem
Wert des arbeitenden Unternehmens entsprach. Der Großaktionärin war es dadurch möglich, den Preis für das
Gesellschaftsvermögen und damit mittelbar den Liquidationserlös letztlich selbst und ohne jegliche Kontrolle, sei es
durch Marktmechanismen, sei es durch ein Gericht, zu bestimmen. Das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Recht
des Beschwerdeführers, für den Verlust seiner Gesellschaftsbeteiligung wirtschaftlich voll kompensiert zu werden, war
damit nicht hinreichend gesichert.
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2. Gleichwohl ist die Annahme der Verfassungsbeschwerden nicht angezeigt.
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Der Beschwerdeführer war durch die "übertragende Auflösung" vor allem in seinem Vermögensinteresse
beeinträchtigt. Ausweislich des Teilnehmerverzeichnisses der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 6.
Juli 1992 war er an der Gesellschaft nur mit zwei Aktien beteiligt. Da er im Zuge der Liquidation einen Gegenwert von
etwa 500 DM je Aktie erhalten hat, nach seinem eigenen Vorbringen im Ausgangsverfahren aber 800 DM hätte
erhalten müssen, ist sein (möglicher) finanzieller Nachteil gering. Eine existentielle Betroffenheit durch die
angegriffenen Entscheidungen scheidet aus. Dass der Beschwerdeführer diese beiden Aktien erworben haben könnte,
um in erster Linie als Sachwalter der Interessen auch anderer Kleinaktionäre aufzutreten, ändert diese Betrachtung
nicht. Die Aktie als Bruchteil des Grundkapitals (§ 1 Abs. 2 AktG) ist eine vermögensrechtliche Beteiligung, deren
aktienrechtliche Behandlung von den Motiven des Erwerbs abgelöst ist. Aktienrechtlich sind die Aktionäre unter
gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln (§ 53 a AktG). Die Entscheidung des Beschwerdeführers, den
erstrebten Einfluss auf das Gesellschaftsverhalten mit nur zwei Aktien erreichen zu wollen, wirkt daher auf die
Möglichkeiten des rechtlichen Schutzes seiner Vermögensinteressen bei der Anwendung von § 93 a Abs. 2
Buchstabe b BVerfGG zurück. Dass es ihm darüber hinausgehend um grundsätzliche Fragen des Schutzes von
Aktionären ging, ist für die Annahme der Verfassungsbeschwerden unerheblich, wenn ihnen keine grundsätzliche
verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinn des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zukommt.
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Angesichts der verschwindend geringen Gesellschaftsbeteiligung ist es auch weder ersichtlich noch dargetan, dass
die angegriffenen Entscheidungen mit Blick auf den Beschwerdeführer geeignet wären, ihn von der Ausübung seiner
Grundrechte, also von der künftigen Beteiligung an Aktiengesellschaften, abzuhalten. Schließlich lässt sich trotz der
verfassungsrechtlichen Bedenken auch nicht feststellen, dass die Gerichte den Schutzbereich des Grundrechts grob
verkannt hätten. Die Gerichte haben das Schutzbedürfnis der Minderheitsaktionäre nicht vollends missachtet, sahen
aber die aktienrechtlichen Regelungen, namentlich die Möglichkeit von Schadensersatzansprüchen, als
ausreichenden Schutz an. Das deutet nicht auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten oder krasse
Verletzung von rechtsstaatlichen Grundsätzen hin, die das Bundesverfassungsgericht zum Einschreiten veranlassen
müsste. Die Voraussetzungen, unter denen das Bundesverfassungsgericht eine Annahme der
Verfassungsbeschwerden zur Durchsetzung von Grundrechten für angezeigt hält (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>), liegen
daher nicht vor.
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3. Für eine Verletzung der übrigen als verletzt gerügten Grundrechte ist nichts ersichtlich. Von einer Begründung
wird insoweit abgesehen (§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Steiner
Hoffmann-Riem