Urteil des BVerfG vom 29.05.2006

BVerfG: verfassungsbeschwerde, unfallversicherung, krasses missverhältnis, lebensversicherung, privatautonomie, versicherungsnehmer, versicherer, versicherungsvertrag, unternehmen, vertragsschluss

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 240/98 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn G...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwältin Dr. Astrid Wallrabenstein,
Prälat-Diehl-Straße 17, 64285 Darmstadt -
gegen a) das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 10. Dezember 1997 - 318 S 225/96 -,
b)
das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 7. August 1996 - 21a C 653/96 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier,
die Richterin Hohmann-Dennhardt
und den Richter Hoffmann-Riem
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 29. Mai 2006 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Prämiengestaltung bei privaten Unfallversicherungen.
A.
I.
2
Der Beschwerdeführer schloss im Jahr 1976 mit der Beklagten des Ausgangsverfahrens, einer Aktiengesellschaft
(im Folgenden: Beklagte), einen Unfallversicherungsvertrag. Mit Wirkung ab März 1989 vereinbarte er im Wege der
Anschlussversicherung einen neuen Unfallversicherungsvertrag mit einer Laufzeit von zehn Jahren; dem Vertrag
lagen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 88) zugrunde. Die Jahresprämie betrug zu Beginn der
Vertragslaufzeit 488 DM und erhöhte sich im Jahre 1996 auf 504,30 DM.
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Nach Ablauf des Monats Februar 1996 stellte der Beschwerdeführer die Prämienzahlungen ein und verklagte die
Versicherung auf Rückzahlung der seiner Ansicht nach wucherisch überhöhten Versicherungsprämien in Höhe von
insgesamt 2.668,49 DM. Die Klage stützte er auf § 138 BGB, wobei er geltend machte, dass die Beklagte nur rund ein
Drittel der Prämienleistungen für die Regulierung von Versicherungsfällen aufwende und der übrige Teil im
Unternehmen verbleibe. Die Prämie sei wucherisch überhöht, ihre Vereinbarung sittenwidrig. Die Beklagte schulde ihm
daher die Rückzahlung von zwei Dritteln der geleisteten Prämien als einer ungerechtfertigten Bereicherung. Hilfsweise
verlangte er die Angabe der Kosten- und Gewinnanteile, welche die Beklagte in Bezug auf den
Unfallversicherungsvertrag für die von ihr erbrachten Dienstleistungen kalkuliert bzw. tatsächlich verwendet und erzielt
habe. Er begründete den Auskunftsanspruch mit der Auffassung, ihm stehe ein Leistungsanspruch auf Auskehrung
überschüssiger Gewinnanteile zu, den er nach Erteilung der verlangten Auskünfte näher berechnen könne.
II.
4
1. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) bestehe
nicht, denn der Wuchertatbestand des § 138 BGB sei nicht gegeben. Soweit der Beschwerdeführer darauf abstelle,
die Markttransparenz fehle insgesamt, weil auch die Mitbewerber der Beklagten ihre Kalkulation nicht offen legten, sei
dies kein Grund, den Vertrag als wucherisch einzuordnen. Die Risiken, für die der Versicherer einzustehen habe,
seien bei Vertragsschluss nicht absehbar. Auch auf § 138 Abs. 2 BGB könne der Anspruch nicht gestützt werden.
Der Beschwerdeführer behaupte zwar aggressive Werbemethoden der Beklagten, trage hinsichtlich seines eigenen
Entschlusses, mit der Beklagten einen Vertrag zu schließen, aber nichts Konkretes vor. Der auf Auskunft über die
Gewinn- und Kostenanteile gerichtete Hilfsantrag sei ebenfalls unbegründet. Eine Aufschlüsselung der einzelnen
Kostenfaktoren sei vertraglich nicht vereinbart und auch gesetzlich nicht geregelt.
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2. Das Landgericht wies die Berufung zurück (vgl. LG Hamburg, VersR 1998, S. 225 ff.). Der
Unfallversicherungsvertrag sei nicht wegen Wuchers gemäß § 138 Abs. 2 BGB nichtig, da der Beschwerdeführer das
für den Wuchertatbestand neben dem Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen erforderliche vorsätzliche
Ausnutzen einer Zwangslage durch den von dem Missverhältnis begünstigen Vertragspartner nicht hinreichend
dargelegt habe.
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Das behauptete "strukturelle Verhandlungsungleichgewicht" führe ebenfalls nicht zur Nichtigkeit des
Versicherungsvertrags. Solange nicht dargelegt sei, dass die Beklagte in unlauterer Weise den Beschwerdeführer von
der Einholung von Auskünften abgehalten oder ihn falsch beraten habe, lägen die Tatbestandsvoraussetzungen des
§ 138 Abs. 2 BGB nicht vor. Der Versicherungsvertrag sei auch nicht wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1
BGB nichtig. Vornehmlich könne sich die Sittenwidrigkeit eines Vertrages aus seinem Rechtscharakter als
wucherähnliches Geschäft ergeben. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Abschluss von
Konsumentenkreditverträgen sei ein krasses Missverhältnis anzunehmen, wenn die von dem Kredit- oder
Leasingnehmer zu erbringende Leistung etwa doppelt so hoch sei wie das verkehrsübliche Äquivalent. Derartiges
habe der Beschwerdeführer nicht dargetan. Sein Vorbringen, wonach einzelne von etwa 100 Unternehmen in der
betreffenden Sparte deutlich niedrige Prämien verlangten, reiche hierfür nicht aus. Die Beklagte habe im Vertrag die
Prämie nach festen Sätzen aufgeschlüsselt. Entsprechende Sätze hätte der vom Bund der Versicherten unterstützte
Kläger bei anderen Versicherungsunternehmen erfragen und vortragen können, habe dies jedoch nicht getan.
Schließlich könne der Beschwerdeführer sich nicht darauf berufen, dass es auf dem deutschen Markt der
Unfallversicherungsunternehmen 1989 eine "Konkurrenz", aber keinen "wirklichen Wettbewerb" gegeben habe. Eine
allgemeine Kontrolle der Angemessenheit von Preisen möge im Kartellrecht notwendig sein, liege dem bürgerlichen
Recht aber fern.
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Der hilfsweise geltend gemachte Auskunftsanspruch ergebe sich weder aus den Vorschriften des Auftragsrechts
noch aus allgemeinen Grundsätzen. Ein allgemeiner Auskunftsanspruch sei dem geltenden Zivilrecht fremd.
Zahlungsansprüche, zu deren Geltendmachung die begehrten Auskünfte dienen könnten, seien mangels vertraglicher
Vereinbarung oder sonstiger Rechtsgrundlagen nicht gegeben. Das gelte auch im Hinblick auf einen im Ansatz
möglichen Auskunftsanspruch aus § 242 BGB.
III.
8
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und aus Art. 3 Abs. 1 GG.
9
1. Das Grundrecht der Privatautonomie aus Art. 2 Abs. 1 GG fordere einen umfassenden Interessenausgleich
anhand zivilrechtsimmanenter Gerechtigkeitsstandards. Im vorliegenden Fall gehe es um die Äquivalenz der
wechselseitigen Hauptleistungspflichten, die indes - anders als die Hauptleistungspflichten der meisten
bürgerlichrechtlichen Verträge - im Versicherungsverhältnis äußerst komplex strukturiert seien. Die Erfassung einer
Äquivalenzstörung sei hier nicht lediglich am allgemeinen Entgeltniveau auszurichten, vielmehr müsse sie die
Festlegung des Entgelts auch innerhalb des allgemeinen Marktgeschehens nachvollziehen. Zudem fordere der
Gleichheitssatz eine willkürfreie Anwendung und Fortbildung des Vertragsrechts. Gerade in einem unvollkommen
geregelten Bereich wie dem des Versicherungsrechts ergebe sich hieraus die Pflicht der Gerichte, sich an den
zivilrechtsimmanenten Gerechtigkeitsstandards zu orientieren.
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Die Zivilgerichte hätten daher nicht zu der Schlussfolgerung kommen dürfen, dem Missbrauch wirtschaftlicher
Machtstellungen sei im Bereich des Versicherungswesens durch die Gesetzgebung und die Tätigkeit der
Versicherungsaufsicht hinreichend Rechnung getragen. Insbesondere sei die Versicherungsaufsicht zur Verteidigung
individueller Rechtspositionen nicht hinreichend geeignet.
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2. Die angegriffenen Urteile beruhten auf einer grundsätzlichen Verkennung des Grundrechts auf Vertragsfreiheit.
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Die allein auf den hergebrachten Vorstellungen von Wucher aufbauende Inhaltskontrolle ergebe sich aus einer
unzulänglichen Erfassung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses. Die Gerichte hätten es versäumt, den Preis der
vertragsgegenständlichen Leistung als der für das Äquivalenzverhältnis maßgeblichen Größe offen zu legen. Die
Prämie sei nicht als Preis für denkbare Leistungen des Versicherers zur Schadensregulierung zu definieren, denn ihr
größerer Anteil stelle sich als Rücklage für den Schadensfall dar und sei daher treuhänderisch zu verwalten. Allein
diese Dienstleistung des Versicherers lasse sich marktwirtschaftlich mit einem Preis bewerten. Mangels Offenlegung
des hierauf entfallenden Prämienanteils sei der Versicherungsnehmer nicht in der Lage, die Leistung des Versicherers
zu bewerten. Eine durch Wettbewerb geförderte Preisbildung finde damit am Markt nicht statt. Die mangelnde
Transparenz der Prämienkalkulation führe zugleich zu der Unmöglichkeit, selbst völlig überhöhte Gegenleistungen zu
erkennen. Da sich ein Marktpreis nicht bilden könne, liege das allgemeine Entgeltniveau, an dem die
Ausgangsgerichte ihre Prüfung orientiert hätten, erheblich zu hoch. Eine Überhöhung im Einzelfall könne daher nie
nachgewiesen werden.
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Indem die Versicherten den Versicherern durch die Prämienzahlung erhebliche Kapitalbeträge an die Hand gäben,
die unter Zugrundelegung versicherungsmathematischer Grundsätze für die Schadensregulierung nicht benötigt
würden, komme es zu systemwidrigen Vermögensverschiebungen. Die so erzielten Gewinne ließen sich durch
Vorsorge für künftige Schadensfälle nicht rechtfertigen; selbst bei vorsichtigster Kalkulation werde nur ein Drittel der
Prämien für Deckung und Rücklagen gebraucht.
IV.
14
Zu der Verfassungsbeschwerde haben die Beklagte des Ausgangsverfahrens, das Bundesaufsichtsamt für das
Versicherungswesen, der Bund der Versicherten sowie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft
Stellung genommen.
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1. Die Beklagte hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Der Versicherungsvertrag sei mit der
herrschenden Meinung sowie der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts als
gegenseitiger Vertrag anzusehen, in dem Gefahrtragung und Prämie synallagmatisch miteinander verknüpft seien; die
von dem Beschwerdeführer vertretene Theorie einer treuhänderischen Geschäftsbesorgung durch den Versicherer sei
weder mit dem geltenden Recht noch mit der Vertragswirklichkeit zu vereinbaren. In dem betreffenden Bereich des
Versicherungswesens sei im Übrigen bei Untersuchungen ein funktionierender Wettbewerb festgestellt worden; zudem
würden in der einschlägigen Presse ausführliche Leistungs- und Prämienvergleiche veröffentlicht. Der Kunde könne
sich damit durchaus einen Überblick über die verlangten Prämien verschaffen. Der Verfassungsbeschwerde liege
zudem die grundsätzlich unrichtige Auffassung zugrunde, die Preisfreiheit sei von vornherein auf einen objektiv
gerechtfertigten Preis, was immer darunter zu verstehen sei, beschränkt.
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2. Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen führt unter anderem aus, in der Verfassungsbeschwerde
werde unterstellt, dass eine bestimmte Schadensquote und ein bestimmter Verwaltungskostensatz bei jedem
Versicherungsunternehmen in gleicher Weise geradezu naturgesetzlich vorgegeben seien. Dies entspreche nicht den
Erfahrungen der Aufsichtsbehörde. Vielmehr bestünden deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Unternehmen,
gerade auch hinsichtlich der Kosten.
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3. Der Bund der Versicherten meint, die angegriffenen Urteile beruhten auf einer grundsätzlichen Verkennung der
Bedeutung des Grundrechts der Vertragsfreiheit für Auslegung und Anwendung von § 138 BGB.
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4. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft vertritt die Auffassung, schon eine vertragliche
Disparität sei nicht vorhanden. Der Beschwerdeführer bleibe auch den Beweis für seine These schuldig, es fehle auf
dem Gebiet der Unfallversicherung an einem funktionierenden Wettbewerb.
B.
19
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil Annahmegründe im Sinne des § 93 a
Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Die angegriffenen Entscheidungen
verletzen den Beschwerdeführer nicht in einem seiner Grundrechte.
I.
20
Die in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Privatautonomie wird durch die angegriffenen Entscheidungen nicht verletzt.
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1. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die Privatautonomie als Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben. Die
eigenbestimmte Gestaltung der Rechtsverhältnisse ist ein Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit (vgl. BVerfGE 8, 274
<328>; 72, 155 <170>; stRspr), die ihre Grenzen allerdings in der Entfaltungsfreiheit anderer findet. Privatautonomie
setzt voraus, dass die Bedingungen der Selbstbestimmung des Einzelnen auch tatsächlich gegeben sind (vgl.
BVerfGE 81, 242 <254 f.>). Um dies zu sichern, bedarf die Privatautonomie der Ausgestaltung in der Rechtsordnung.
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Maßgebliches rechtliches Instrument zur Verwirklichung freien und eigenverantwortlichen Handelns in Beziehung zu
anderen ist der Vertrag, mit dem die Vertragspartner selbst bestimmen, wie ihre individuellen Interessen zueinander in
einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Freiheitsausübung und wechselseitige Bindung finden so ihre
Konkretisierung. Der zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien lässt deshalb in der Regel
auf einen durch den Vertrag hergestellten sachgerechten Interessenausgleich schließen, den der Staat grundsätzlich
zu respektieren hat (vgl. BVerfGE 103, 89 <100>).
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Ausnahmen hat das Bundesverfassungsgericht anerkannt, wenn auf Grund erheblich ungleicher
Verhandlungspositionen der Vertragspartner einer von ihnen ein solches Gewicht hat, dass er den Vertragsinhalt
faktisch einseitig bestimmen kann; dann ist es Aufgabe des Rechts, auf die Wahrung der Grundrechtsposition der
beteiligten Parteien hinzuwirken, um zu verhindern, dass sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in eine
Fremdbestimmung verkehrt (vgl. BVerfGE 89, 214 <232>; 103, 89 <100 f.>). Gleiches gilt, wenn die Schwäche eines
Vertragspartners durch gesetzliche Regelungen bedingt ist. Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatautonomie
durch Art. 2 Abs. 1 GG führt dann zu einer Pflicht des Gesetzgebers, für eine rechtliche Ausgestaltung des
Rechtsverhältnisses der davon betroffenen Vertragsparteien zu sorgen, die ihren Belangen hinreichend Rechnung
trägt (vgl. im Einzelnen BVerfG, NJW 2005, S. 2363 <2366 ff.>; BVerfG NJW 2005, S. 2376 <2377 ff.>).
24
2. Allerdings kann der Gesetzgeber nicht für alle Situationen Vorsorge treffen, in denen das
Verhandlungsgleichgewicht mehr oder weniger beeinträchtigt ist. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit darf ein
Vertrag nicht bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts nachträglich in Frage gestellt oder korrigiert werden
(vgl. BVerfGE 89, 214 <232>).
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Wenn der Gesetzgeber davon absieht, zwingendes Vertragsrecht für bestimmte Lebensbereiche oder für spezielle
Vertragsformen zu schaffen, bedeutet dies keineswegs, dass die Vertragspraxis dem freien Spiel der Kräfte und
insbesondere dem Machteinsatz durch eine Seite unbegrenzt ausgesetzt wäre. Vielmehr greifen dann ergänzend
zivilrechtlichen Generalklauseln ein, vor allem die §§ 138, 242, 315 BGB. Gerade bei der Konkretisierung und
Anwendung dieser Generalklauseln sind die Grundrechte zu beachten (vgl. BVerfGE 7, 198 <206>). Der
entsprechende Schutzauftrag der Verfassung richtet sich hier an den Richter, der den objektiven
Grundentscheidungen der Grundrechte in Fällen gestörter Vertragsparität mit den Mitteln des Zivilrechts Geltung zu
verschaffen hat (vgl. BVerfGE 81, 242 <255 f.>).
26
3. Nach diesen Maßstäben sind die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
27
Die Fachgerichte haben den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag weder wegen Vereinbarung einer
wucherisch überhöhten Prämie noch aus anderem Grund für sittenwidrig im Sinne des § 138 BGB gehalten.
Verfassungsrechtliche Bedenken sind dagegen nicht zu erheben. Die der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegenden
entgegenstehenden Rechtsansichten sind verfassungsrechtlich nicht tragfähig.
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Die Beschwerdebegründung geht dahin, in Ermangelung eines funktionierenden Wettbewerbs könne das allgemeine
Preisniveau hier kein Maßstab für die Angemessenheitsprüfung von Leistung und Gegenleistung sein. Zudem hätten
die Gerichte das vertragliche Leistungs-Gegenleistungs-Verhältnis nicht zutreffend erfasst. Wirtschaftlich gesehen sei
die Versicherungsprämie kein Preis, da ihr überwiegender Teil von den Versicherern treuhänderisch verwaltet werde;
lediglich der als Entgelt für die Dienstleistungen der Versicherer gedeckte Teil der Prämien ließe sich
marktwirtschaftlich als ein Preis verstehen. Diesen Annahmen kann nicht gefolgt werden.
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a) Der Verfassungsbeschwerde liegt die Rechtsansicht zugrunde, bei einem Unfallversicherungsvertrag wie dem des
Beschwerdeführers handele es sich - entgegen der herrschenden Auffassung, auf der auch die angegriffenen Urteile
beruhen - nicht um ein synallagmatisches Verhältnis zwischen Beitragszahlung durch den Versicherungsnehmer
einerseits und Übernahme eines bestimmten Lebensrisikos (Unfallfolgen) durch den Versicherer andererseits, sondern
um eine Art Treuhandverhältnis, bei dem die - allein entgeltfähige - Leistung des Versicherers in der Verwaltung des
ihm zu diesem Zweck von dem Versicherungsnehmer treuhänderisch zur Verfügung gestellten Geldes bestehe. Diese
Rechtsauffassung dürfte schon einfachrechtlich nicht haltbar sein. Sie ist jedenfalls verfassungsrechtlich nicht
geboten.
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aa) Anders als bei der Lebensversicherung, für die das Bundesverfassungsgericht aber auch keine Treuhandlösung
anerkannt hat (vgl. BVerfG, NJW 2005, S. 2376 <2379>), soll bei der Unfallversicherung kein Kapital anwachsen,
sondern es soll ein konkret definiertes Risiko durch die Aussicht auf eine bestimmte Leistung bei Risikoverwirklichung
abgedeckt werden. Diese Leistung wird ihrer Höhe nach nicht davon beeinflusst, wie gut der Unfall-Versicherer
wirtschaftet. Anders ist die Lage bei der kapitalbildenden Lebensversicherung, bei der die Überschussbeteiligung von
der Art des Wirtschaftens des Versicherers mit den ihm überlassenen Prämien abhängt. Der von den Allgemeinen
Bedingungen für die Unfallversicherung (AUB 88) bestimmte Versicherungsvertrag des Beschwerdeführers bietet
dementsprechend auch keinerlei Anknüpfungspunkte für ein Verständnis des Vertrags als Treuhandverhältnis;
während die Hauptleistungspflicht des Versicherers in § 1 I AUB als "Versicherungsschutz bei Unfällen, die dem
Versicherten während der Wirksamkeit des Vertrags zustoßen," beschrieben wird, ergibt sich die
Beitragszahlungspflicht des Beschwerdeführers aus § 5 AUB 88.
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bb) Die Auslegung des Unfallversicherungsvertrags des Beschwerdeführers im Sinne eines Geschäftsbesorgungs-
oder Treuhandvertrags ist auch nicht von Verfassungs wegen geboten. Das Verständnis des streitgegenständlichen
privaten Unfallversicherungsvertrags als eines Vertrags mit den Hauptleistungspflichten Risikoabsicherung einerseits
und Prämienzahlung andererseits, das die Gerichte ihren Entscheidungen zugrunde gelegt haben, verstößt nicht
gegen den Grundrechtsschutz der Privatautonomie aus Art. 2 Abs. 1 GG.
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Durch das von dem Beschwerdeführer angegriffene Verständnis des Unfallversicherungsvertrags wird keine
grundrechtsrelevante Beschränkung der Entscheidungsfreiheit des Beschwerdeführers bewirkt, die es ihm unmöglich
macht, seine Interessen in privatautonomer Entscheidung angemessen zu verfolgen. Nach seinem eigenen Vortrag im
Ausgangsverfahren haben eine Reihe von Versicherern deutlich günstigere Konditionen für Unfallversicherungen
angeboten als die Beklagte. Auch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen hat in seiner Stellungnahme
darauf hingewiesen, dass die Kostenstrukturen bei vielen Anbietern privater Unfallversicherungen im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses durchaus unterschiedlich gewesen seien. Angesichts der von dem Beschwerdeführer selbst
angeführten erheblichen Preisunterschiede hatte er eine Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Angeboten und war
keineswegs faktisch gezwungen, zu den Bedingungen der Beklagten abzuschließen. Die von ihm bemängelte
Prämienhöhe beruhte danach auf seiner freien Abschlussentscheidung, ohne dass er auf Grund einer strukturellen
Überlegenheit der Beklagten genötigt gewesen wäre, sie zu treffen.
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Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer durch ein seine Entscheidungsfreiheit einschränkendes
Vorgehen der Beklagten zum Vertragsschluss veranlasst worden wäre. Wie das Amtsgericht und das Landgericht
hervorgehoben haben, fehlt es an konkretem Sachvortrag des Beschwerdeführers etwa dazu, dass er durch unlautere
Werbemethoden der Beklagten zum Abschluss des Versicherungsvertrags bewogen worden sei.
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b) Auch die von dem Beschwerdeführer vertretene These eines grundsätzlich überhöhten Preisniveaus in der
Unfallversicherung auf Grund fehlenden Wettbewerbs vermag verfassungsrechtliche Bedenken gegen die
angegriffenen Entscheidungen nicht zu begründen.
35
aa) Der Beschwerdeführer verkennt, dass es einen objektiven Preis für eine Ware nicht gibt; die Preisbildung erfolgt
in einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung vielmehr grundsätzlich nicht unter Gesichtspunkten einer
vorgegebenen Angemessenheit, sondern nach dem Prinzip des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage. Der
Beschwerdeführer verweist allerdings - insoweit zutreffend - darauf, dass eine Preisbildung nach dem
marktwirtschaftlichen Prinzip bei strukturell gestörten Wettbewerbsverhältnissen zu versagen droht. Dementsprechend
geht die Argumentation des Beschwerdeführers dahin, im Bereich der privaten Unfallversicherung gebe es zwar
Konkurrenz zwischen den einzelnen Versicherern, aber keinen funktionierenden Wettbewerb.
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Belege dafür ergeben sich aus den Ausführungen des Beschwerdeführers nicht. Seiner Behauptung stehen die
eigenen Angaben im Ausgangsverfahren entgegen, mehrere Versicherungsunternehmen hätten bis zu fünffach
niedrigere Prämien verlangt als die Beklagte. Nach diesem Vortrag bestanden also erhebliche Preisunterschiede, die
den Versicherungsnehmern die Möglichkeit gegeben haben, günstigere Angebote als die der Beklagten des
Ausgangsverfahrens zu wählen. Dem Beschwerdeführer wäre es ohne weiteres zuzumuten gewesen, vor
Vertragsschluss einen Preisvergleich durchzuführen; dazu hätte er sich auch der Hilfe von
Verbraucherschutzorganisationen bedienen oder einen Preisvergleich mittels allgemein zugänglicher
Veröffentlichungen vornehmen können.
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bb) Verfehlt wäre es im Übrigen, die vom Bundesverfassungsgericht für die kapitalbildende Lebensversicherung
getroffenen Feststellungen über Defizite der Funktionsfähigkeit der Versicherungsmärkte (vgl. BVerfG, NJW 2005,
S. 2376 <2379>) schlicht auf die Unfallversicherung zu übertragen und bei der Vertragsauslegung maßgebend werden
zu lassen. So ist die Transparenz der Leistungsbedingungen bei der Unfallversicherung erheblich besser als bei der
Lebensversicherung: Letztlich geht es bei der Unfallversicherung nur um das Verhältnis zwischen dem vereinbarten
Risiko und der Höhe der Prämie; demgegenüber führen das Zusammenspiel von Versicherungssumme und
Überschussbeteiligung und die diffizilen Wege zur Berechnung der Schlussüberschüsse bei der Lebensversicherung
zu erheblichen Intransparenzen, die auch einem leichten Prämienvergleich entgegenstehen. Vor allem aber wird der
Unfall-Versicherungsnehmer - anders als der Versicherungsnehmer in der Lebensversicherung - nicht praktisch auf
Dauer gebunden. Eine Kündigung des Versicherungsvertrags und der Wechsel zu einem anderen
Versicherungsunternehmen sind in der Unfallversicherung relativ leicht möglich und sind anders als in der
Lebensversicherung nicht mit dem Risiko eines erheblichen Vermögensverlustes verbunden. Schließlich ist zu
berücksichtigen, dass eine Unfallversicherung nicht den gleichen Stellenwert für die Existenzsicherung der Bürger hat
wie eine kapitalbildende Lebensversicherung. Es mag Gründe für den Gesetzgeber geben, die Stellung der
Verbraucher auch im Unfallversicherungsrecht zu stärken; verfassungsrechtlich geboten ist dies nicht.
II.
38
Auch der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG wird durch die angegriffenen Entscheidungen nicht
verletzt.
39
Der Beschwerdeführer vertritt insoweit die Ansicht, er werde im Vergleich zu Vertragsschließenden "anderer
Massenverträge" willkürlich ungleich behandelt. Eine verfassungsrechtliche Überprüfung seiner Behauptung ist schon
im Ansatz nicht möglich, da es an einem tauglichen Vergleichsmaßstab fehlt. Es wird nicht ausgeführt, mit welchen
"anderen Massenverträgen" der Beschwerdeführer den vorliegenden Unfallversicherungsvertrag vergleichen will.
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Sofern der Vortrag dahin zu verstehen sein sollte, dass ein Verstoß gegen das Willkürverbot gerügt wird, kann dem
nicht gefolgt werden. Die Gerichte befinden sich mit ihren Entscheidungen im Einklang mit der herrschenden Meinung
und Rechtsprechung. Insbesondere das Landgericht hat sich zudem sehr sorgfältig mit den Argumenten des
Beschwerdeführers auseinander gesetzt. Unter diesen Umständen kann von Willkür keine Rede sein.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Hohmann-Dennhardt
Hoffmann-Riem