Urteil des BVerfG vom 14.12.2006

BVerfG: gerichtshof für menschenrechte, deutsche demokratische republik, ddr, verfassungsbeschwerde, verwaltung, entzug, eigentum, vermögenswert, enteignung, willkürverbot

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1366/05 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau S...,
der Frau L...,
des Herrn Dr. M...,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. Jost von Trott zu Solz und Koll.,
Kurfürstendamm 32, 10719 Berlin –
gegen
a)
den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2005 - BVerwG 3 B
123.04 -,
b)
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 13. August 2004 - VG 27 A 4.04 -,
c)
den Bescheid des Oberfinanzpräsidenten der Oberfinanzdirektion Berlin vom 21.
August 1995 - VZOG 112-04/755 A -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richter Di Fabio
und Landau
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 14. Dezember 2006 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Ausschluss vermögensrechtlicher Ansprüche österreichischer
Staatsangehöriger vom Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes.
I.
2
1. Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) schloss in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts
mit mehreren westeuropäischen Staaten so genannte Globalentschädigungsabkommen. Mit dem Vertrag zur
Regelung offener vermögensrechtlicher Fragen vom 21. August 1987 (Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus
, VermG, Bd. 2, Anh II 6) verpflichtete sich die DDR gegenüber der Republik Österreich zur Zahlung einer
Globalentschädigungssumme "zur Abgeltung von vermögensrechtlichen Ansprüchen, die der Republik Österreich,
österreichischen Staatsbürgern oder österreichischen juristischen Personen dadurch erwachsen sind, dass ihr
Vermögen durch Übernahme in staatliche Verwaltung oder durch sonstige staatliche Maßnahmen der Deutschen
Demokratischen Republik in deren ausschließliche Verfügungsgewalt gelangt ist" (Art. 1). Nach Art. 7 des Vertrags
sollten mit der - zwischenzeitlich erfolgten - Bezahlung des Betrags alle vom Vertrag erfassten vermögensrechtlichen
Ansprüche endgültig erledigt sein.
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2. a) Die Beschwerdeführer sind österreichische Staatsangehörige. Als Rechtsnachfolger ihrer 1974 verstorbenen
Mutter waren sie Eigentümer eines Grundstücksanteils in Ostberlin, der 1964 in staatliche Verwaltung genommen
worden war. Im Rahmen der Verhandlungen zwischen der DDR und der Republik Österreich über den Abschluss eines
Globalentschädigungsabkommens reichte die österreichische Seite zugunsten der Beschwerdeführer eine Anmeldung
ein. Diese hatte zur Folge, dass der Grundstücksanteil bei der Festlegung der Globalentschädigungssumme
berücksichtigt wurde.
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b) Im August 1995 stellte die Oberfinanzdirektion fest, dass die Bundesrepublik Deutschland (Entschädigungsfonds)
gemäß § 1 b Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Feststellung der Zuordnung von ehemals volkseigenem Vermögen
(Vermögenszuordnungsgesetz - VZOG, BGBl 1994 I S. 709) in Verbindung mit § 1 Abs. 8 lit. b des Gesetzes zur
Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG, BGBl 1997 I S. 1974) Eigentümerin des
Grundstückanteils sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage der Beschwerdeführer wies das
Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil vom 13. August 2004 ab.
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c) Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde mit dem
angegriffenen Beschluss vom 27. Juni 2005 zurück. Die Beschwerdeführer seien im Rahmen der Anfechtung der
Vermögenszuordnung auf den Einwand beschränkt, dass der Grundstücksanteil nicht Gegenstand einer
zwischenstaatlichen Vereinbarung im Sinne von § 1 Abs. 8 lit. b VermG geworden sei. Es komme daher nicht darauf
an, ob Österreich mit dem Abschluss des Globalentschädigungsabkommens auf Ansprüche seiner Staatsangehörigen
verzichtet habe. Art. 14 GG sei nicht verletzt, weil der vollständige Entzug sämtlicher Nutzungs- und
Verwertungsrechte vor Inkrafttreten des Grundgesetzes für das Gebiet der DDR die Rechtsstellung der
Beschwerdeführer faktisch ausgehöhlt habe, sodass nicht vom Fortbestand eines materiellen Eigentumsrechts
ausgegangen werden könne. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege nicht vor, da der - von den Beschwerdeführern
nicht bestrittene - Einbezug des Grundstücksanteils in das Globalentschädigungsabkommen einen sachlichen Grund
für die Ungleichbehandlung gegenüber anderen Personen, deren Vermögen durch Maßnahmen der DDR geschädigt
worden seien, darstelle.
II.
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Mit ihrer fristgemäß eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer
Grundrechte aus Art. 14 und Art. 3 Abs. 1 GG.
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Die angegriffenen Entscheidungen verletzten sie in ihrer Eigentumsfreiheit, weil ihnen das Eigentum an dem
Grundstücksanteil nicht mit dem Inkrafttreten des Vertrags zur Regelung offener vermögensrechtlicher Fragen,
sondern erst mit der Zuordnung an die Bundesrepublik Deutschland im August 1995 entzogen worden sei. § 1 b
Abs. 1 Satz 1 VZOG genüge jedoch nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die gemäß Art. 14 Abs. 3 GG
an eine zulässige Enteignung zu stellen seien. Die Auslegung der deutschen Gerichte, der zufolge Österreich mit dem
Abschluss des Vertrags wirksam auf Individualansprüche seiner Staatsangehörigen verzichtet habe, habe die
Verfassungswidrigkeit des Vertrags nach österreichischem Recht zur Folge. Da dies nicht mit völkerrechtlichen
Auslegungsgrundsätzen vereinbar sei, könne mit dem Vertrag lediglich ein Interventionsverzicht Österreichs, künftig
keine Ansprüche mehr zu erheben oder zu unterstützen, geregelt worden sein. Dies habe auch der Österreichische
Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 25. Juni 1992 festgestellt.
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Die angegriffenen Entscheidungen verstießen auch gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die
Beschwerdeführer würden infolge der Auslegung von § 1 b Abs. 1 Satz 1 VZOG in Verbindung mit § 1 Abs. 8 lit. b
VermG im Sinne eines Ausschlusstatbestands zu Lasten österreichischer Staatsangehöriger gegenüber deutschen
und anderen ausländischen Antragstellern benachteiligt. Diese Ungleichbehandlung könne sachlich nicht gerechtfertigt
werden, weil sie auf einer fehlerhaften Auslegung des Globalentschädigungsabkommens beruhe.
III.
9
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine hinreichende Aussicht auf
Erfolg hat, § 93a Abs. 2 BVerfGG (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).
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1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihrer Eigentumsfreiheit gemäß Art. 14
GG. Mit ihren Rügen machen sie nicht die Verfassungswidrigkeit von § 1 b Abs. 1 Satz 1 VZOG und § 1 Abs. 8 lit. b
VermG geltend. Sie wenden sich vielmehr gegen die in den angegriffenen Entscheidungen zum Ausdruck kommende
Annahme, dass es sich bei dem Grundstücksanteil um einen Vermögenswert handele, der Gegenstand einer
zwischenstaatlichen Vereinbarung im Sinne von § 1 Abs. 8 lit. b VermG sei. Damit richtet sich ihr Vorbringen gegen
die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts, die das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nur daraufhin
überprüft, ob sie willkürlich sind oder auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines
Grundrechts beruhen oder mit anderen verfassungsrechtlichen Vorschriften unvereinbar sind.
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Dieser Prüfungsmaßstab gilt auch für den Vertrag zur Regelung offener vermögensrechtlicher Fragen (vgl.
Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. November 2006 - 2 BvR
194/05 -, JURIS). Für eine Überprüfung des Vertrags am Maßstab der Eigentumsfreiheit bleibt kein Raum, weil Art. 14
GG in dem Zeitpunkt, in dem der Vertrag mit seinem Inkrafttreten Rechtswirkungen entfaltete, für die staatlichen
Organe der DDR nicht maßgeblich war (vgl. BVerfGE 84, 90 <122 f.>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats
des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Februar 2003 - 2 BvR 1867/00 -, VIZ 2003, S. 280 f.
;
1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Dezember 1997 - 1 BvR 2339/95 u.a. -, VIZ
1998, S. 139 <140>).
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2. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als
allgemeines Willkürverbot. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die in der Rechtsprechung
der Fachgerichte vertretene Auffassung zur Wirkung der Globalentschädigungsabkommen keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. BVerfGK 3, 367 <372>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten
Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14 Februar 2003 - 2 BvR 1867/00 -, VIZ 2003, S. 280; Beschluss der
1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Dezember 1997 - 1 BvR 2339/95 u.a. -, VIZ
1998, S. 139 <140>). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung Melchior gegen
Deutschland vom 2. Februar 2006 (Beschwerde Nr. 66783/01, EuGRZ 2006, S. 249 <252>) auf eine Beschwerde
gegen den Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Oktober 2000 (-
2 BvR 36/00 -, VIZ 2001, S. 33 f.) im Hinblick auf das zwischen der DDR und Dänemark geschlossene
Globalentschädigungsabkommen festgestellt, dass die vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Auslegung des
Abkommens durch die Fachgerichte, die im Wesentlichen derjenigen des vorliegenden Verfahrens entsprach, nicht
willkürlich war. Die Auffassung, nach der die betreffenden Staaten mit dem Abschluss der
Globalentschädigungsabkommen mit Wirkung für ihre Staatsangehörigen auf mögliche Rückforderungsansprüche
verzichtet haben, findet in dem völkerrechtlichen Institut des diplomatischen Schutzes einen normativen
Anknüpfungspunkt. Sie beruht daher nicht auf sachfremden Erwägungen (vgl. Beschluss der 4. Kammer des Zweiten
Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Oktober 2000 - 2 BvR 36/00 -, VIZ 2001, S. 33 f.; Beschluss der
1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. November 2006 - 2 BvR 194/05 -, JURIS).
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Es begegnet vor diesem Hintergrund auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Fachgerichte hier
davon ausgegangen sind, der Grundstücksanteil sei wirksam in ein zwischenstaatliches Entschädigungsabkommen
im Sinne von § 1 Abs. 8 lit. b VermG einbezogen worden. Selbst die Literaturansicht, die mit dem Österreichischen
Verfassungsgerichtshof meint, das Globalentschädigungsabkommen habe nicht zum Verlust individueller
Rechtspositionen geführt (vgl. Entscheidung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs vom 25. Juni 1992 -
B 214/92-11; G 21/92-11 -, VIZ 1993, S. 360 <361>), erkennt an, dass das Abkommen zu den von § 1 Abs. 8 lit. b
VermG erfassten Vereinbarungen gehört (vgl. Säcker/Hummert, in: Säcker , Vermögensrecht, 1995, § 1
VermG Rn. 304, 307).
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3. Die angegriffenen Entscheidungen sind schließlich mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG
vereinbar. Da die fachgerichtliche Auslegung des Globalentschädigungsabkommens keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken begegnet, ist in dem Einbezug des Grundstücksanteils in den Geltungsbereich des Abkommens ein
sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung der Beschwerdeführer zu sehen (vgl. Beschluss der 1. Kammer des
Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. November 2006 - 2 BvR 194/05 -, JURIS).
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Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hassemer
Di Fabio
Landau