Urteil des BVerfG vom 13.05.2009

BVerfG: politische verfolgung, örtliche zuständigkeit, unterbringung, freiheitsentziehung, rechtliches gehör, einweisung, ddr, verfassungsbeschwerde, jugendhilfe, gewalt

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 718/08 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn W …
gegen
den Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg
vom 10. März 2008 - 1 Ws Reh 131/08 –
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Broß,
Di Fabio
und Landau
am 13. Mai 2009 einstimmig beschlossen:
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 10. März 2008 - 1 Ws Reh 131/08 - verletzt den
Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Das Land Sachsen-Anhalt hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf Rehabilitierung wegen der
Unterbringung in Kinderheimen und anderen Einrichtungen der Jugendhilfe der DDR.
I.
2
1. Der 1955 geborene Beschwerdeführer wurde im Jahr 1961 nach der Scheidung seiner Eltern in das Kinderheim „E.
W.“ nach M. verbracht. In der Folgezeit war er bis 1966 weiterhin in dem Kinderheim „W. T.“ in B. bei B., einem
weiteren Kinderheim in A. bei M. und schließlich im Kinderheim O. B. untergebracht. Im Jahr 1966 wurde er aus der
Heimerziehung entlassen, 1967 jedoch zwangsweise in das Kombinat der Sonderheime der DDR verbracht. Bis 1970
war der Beschwerdeführer im Kombinat der Sonderheime zunächst in W. in B. und anschließend in B. bei B.
untergebracht, bevor er am 8. Juli 1970 in den Jugendwerkhof H. und von dort vorübergehend zwischen dem 17.
September 1971 und dem 31. Januar 1972 in den Geschlossenen Jugendwerkhof T. verbracht wurde. In einem
Bericht des Jugendwerkhofs H. vom 21. September 1971 werden als Grund für die Einweisung in das Kombinat der
Sonderheime 1967/68 sich verfestigende Fehlverhaltensweisen wie Rohheitsdelikte gegenüber Kindern, Wutausbrüche
und Sachbeschädigungen genannt.
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2. In einem gesonderten Verfahren beantragte der Beschwerdeführer seine Rehabilitierung wegen der Unterbringung
in den Jugendwerkhöfen H. und T., die ihm mit Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 15. Dezember 2004 in
Bezug auf den Geschlossenen Jugendwerkhof T. gewährt, im Übrigen jedoch vom Brandenburgischen
Oberlandesgericht verwehrt wurde.
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3. Am 6. Dezember 2006 beantragte der Beschwerdeführer beim Landgericht Magdeburg seine Rehabilitierung in
Bezug auf die übrige Unterbringung in Kinderheimen der DDR. Durch die ständige Verlegung von einem Heim ins
andere sei es bei ihm zu einer Zerstörung von Privatsphäre und völliger Kontaktlosigkeit gekommen, die seelische
und körperliche Schäden hinterlassen hätten. Bei der Entlassung aus der Heimerziehung im Jahr 1966 im Alter von elf
Jahren sei der Beschwerdeführer mit normalen Kindern nicht mehr vergleichbar gewesen. Das Kombinat der
Sonderheime, in das er 1967 verbracht worden sei, stelle eine absolute Sondereinrichtung unter den Heimen der DDR
dar. Die Unterbringung komme gezielter Freiheitsentziehung gleich, da unter anderem Türen und Fenster vergittert
gewesen seien und es vielfältige Misshandlungen wie Arrest, Essensentzug, stundenlanges Stehen, auch barfuß und
nur mit Unterwäsche bekleidet, Schlafentzug und körperliche Übergriffe gegeben habe. Auch sei er gezwungen
worden, Tabletten einzunehmen.
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4. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2007 wies das Landgericht Magdeburg den Antrag des Beschwerdeführers
zurück. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts sei zweifelhaft, da es auf den Sitz der Behörde ankomme, die die
Anordnung zur Aufnahme in ein Kinderheim oder eine Einrichtung der Jugendhilfe getroffen habe. Danach ergebe sich
die Zuständigkeit des Landgerichts Magdeburg wahrscheinlich nur für die Kinderheime „E. W.“ in M. und „W. T.“ in B.
bei B. Im Übrigen sei der Antrag des Betroffenen aber auch unbegründet. Nachforschungen beim Landkreis J. L. (B.),
beim Landesverwaltungsamt - Landesjugendamt - des Landes Sachsen-Anhalt, bei der Stiftung Evangelische
Jugendhilfe St. J. B. und bei der Landeshauptstadt Magdeburg hätten keinerlei Akten hinsichtlich des
Beschwerdeführers zutage gefördert. Auch unter Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers komme
eine Rehabilitierung nicht in Betracht; denn eine Freiheitsentziehung nach § 2 StrRehaG habe bei Kinderheimen und
sonstigen Einrichtungen der Jugendhilfe der DDR ohne Strafcharakter in der Regel nicht vorgelegen. Etwas anderes
gelte lediglich für den Jugendwerkhof T. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass die Einweisung in ein Kinderheim unter
Zugrundelegung des Standes der pädagogischen Wissenschaften im Jahr 1961 mit wesentlichen Grundsätzen einer
freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar gewesen sei. Es fänden sich keine Hinweise für politische
Verfolgung.
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5. In seiner dagegen gerichteten Beschwerde vom 22. Januar 2008 trug der Beschwerdeführer über den
Rehabilitierungsantrag hinaus vor, dass er während der Ehe seiner Eltern massiven Gewaltexzessen des häufig
betrunkenen Vaters ausgesetzt gewesen sei. Nach der Scheidung sei er ein Jahr zu früh eingeschult worden und
damit überfordert gewesen. Durch die Einweisung in das Kinderheim sei er zusätzlich traumatisiert worden. Eine
individuelle Persönlichkeitsbildung sei nicht möglich gewesen. Im Heim habe es seitens des Erziehungspersonals und
auch unter den Kindern häufig Gewalt gegeben; Gewalt unter den Kindern sei von den Erziehern nicht geahndet,
sondern das Opfer der Gewalt oft noch bestraft worden. Als er mit sieben Jahren Bettnässer geworden sei, sei dies
mit Essensentzug und Strafarbeiten sowie Diskriminierung vor den anderen Kindern bestraft worden; Päckchen von
zu Hause seien nicht weitergegeben worden. Schließlich sei behauptet worden, der Beschwerdeführer sei an einer
latenten Epilepsie erkrankt.
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Nach einer plötzlichen Entlassung aus dem Heim im Jahr 1966 habe der Beschwerdeführer erhebliche Probleme
gehabt, sich an ein selbstbestimmtes Leben zu gewöhnen. In der Schule seien Störungen, für die er nicht
verantwortlich gewesen sei, ihm vorgeworfen worden. Es habe eine Hetzkampagne gegen ihn gegeben, die dazu
geführt habe, dass die Lehrerschaft sich geweigert habe, ihn weiter zu unterrichten. Damit sei die Einweisung in das
Kombinat der Sonderheime eingeleitet worden. Das Heim sei von der Außenwelt abgeschnitten gewesen; Türen und
Fenster der Einrichtung seien gesichert gewesen. Es habe Gruppenzwang geherrscht, gemeinsame Anstaltskleidung,
Verbot des Postverkehrs, Verbot, Rundfunk und Fernsehen zu nutzen, finanzielle Unselbständigkeit. In der
Aufnahmestation und auch später seien dem Beschwerdeführer ohne Grund und unter Anwendung körperlicher Gewalt
Medikamente verabreicht worden, die zum Teil zu Unwohlsein, Erbrechen, Übelkeit, Kopfschmerz und motorischer
Unruhe geführt hätten. Während der Nachtruhe mit anderen zu sprechen sei damit bestraft worden, dass man zum
Teil zwei bis drei Stunden in den Toilettenraum eingeschlossen worden sei oder sportliche Übungen auf dem
Appellplatz ohne angemessene Kleidung habe machen müssen. Es habe auch körperliche Übergriffe von Erziehern
gegeben. Weiterhin habe es Übergriffe der Kinder untereinander gegeben. Das Klima in der Einrichtung sei wie ein
Pulverfass gewesen. Kinder seien zum Teil wie Tiere in den Duschraum getrieben und unter kalte Duschen gestellt
worden, bis sie sich wieder beruhigt hatten. In einem Urlaub bei seinen Eltern nach dem Schuljahr 1969 sei von einem
Neurologen diagnostiziert worden, dass keine Epilepsie bestehe.
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Die Verhaltensauffälligkeiten, die zu der Einweisung in den Jugendwerkhof T. geführt hätten, seien erst durch die
Heimerziehung entstanden und könnten nicht als Begründung für die Einweisung im Jahr 1961 dienen. Die
Unterbringung in den geschlossenen Heimen sei einer Freiheitsentziehung gleichzusetzen. Dies gelte insbesondere
für das Leben im Kombinat der Sonderheime.
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Der Beschwerdeschrift waren 16 Anlagen beigelegt, darunter Schreiben der Heimleitungen und Briefe des
Beschwerdeführers aus seiner Zeit in den Heimen.
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6. Mit Beschluss vom 10. März 2008 verwarf das Oberlandesgericht Naumburg die Beschwerde als unbegründet.
Die Unterbringung in Jugendwerkhöfen der ehemaligen DDR sei zwar von der Rechtsprechung als Freiheitsentziehung
im Sinne des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes gewertet worden. Ob das für die Unterbringung in
Kinderheimen entsprechend gelte, sei zweifelhaft, könne aber dahinstehen. Jedenfalls komme eine Rehabilitierung nur
in Betracht, wenn auch die übrigen Voraussetzungen nach § 1 StrRehaG gegeben seien, also die Einweisung mit
wesentlichen Grundsätzen einer rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar sei, was insbesondere dann der Fall sei, wenn
die Entscheidung politischer Verfolgung gedient habe oder die angeordneten Rechtsfolgen in grobem Missverhältnis
zu einer zugrunde liegenden Tat stünden. Für eine politische Verfolgung lägen hier keine Anhaltspunkte vor. Ebenso
sei nicht ersichtlich, dass eine „Tat“ des Beschwerdeführers die Anordnung der Unterbringung in einem Kinderheim zur
Folge gehabt hätte. Hintergrund der Unterbringung seien vielmehr die ungünstigen Familienverhältnisse und daraus
resultierende Erziehungsaspekte gewesen. Die Richtigkeit der Maßnahmen als solche zu überprüfen sei nicht
Aufgabe des strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens.
II.
11
Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung seiner Menschenwürde nach Art. 1
GG sowie seines Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 GG und des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 GG im Hinblick
auf die ihm widerfahrene Behandlung in den verschiedenen Heimen.
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Die Feststellung des Oberlandesgerichts, nicht eine Tat des Beschwerdeführers habe zu der Unterbringung geführt,
sondern die ungünstigen familiären Verhältnisse, könne die Ablehnung des Antrags nicht begründen. Die
Unterbringung sei zu einem sachfremden Zweck erfolgt; dies liege nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz
schon vor, wenn der Zweck einer Maßnahme nur dazu diene, dem Betroffenen ein sozialistisches Menschenbild
aufzuzwingen.
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Weiterhin rügt der Beschwerdeführer sinngemäß eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG: Das Landgericht habe keine klare Entscheidung über seine örtliche Zuständigkeit
getroffen. Schließlich rügt er sinngemäß auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103
Abs. 1 GG, indem er vorträgt, die Gerichte seien auf sein Vorbringen zu den Zuständen in dem Kombinat der
Sonderheime nicht eingegangen.
III.
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Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in
§ 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die
Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung
der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 3 Abs. 1 GG hat das
Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Ebenso ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.
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1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 10. März 2008 verletzt den Beschwerdeführer in seinem
Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot.
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a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht Entscheidungen der Fachgerichte nur in einem
eingeschränkten Umfang überprüft. Ihm obliegt keine Kontrolle dahin, ob die Fachgerichte das einfache Recht im
Sinne einer größtmöglichen Gerechtigkeit richtig anwenden. Es greift vielmehr nur bei einer Verletzung von
spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte ein. Spezifisches Verfassungsrecht ist aber nicht schon dann
verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muss gerade in
der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen (vgl. BVerfGE 18, 85
<92 f.>).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als
Willkürverbot dann verletzt, wenn die Rechtsanwendung oder das Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr
Willkürverbot dann verletzt, wenn die Rechtsanwendung oder das Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr
rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit
willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 83, 82 <84>; 86, 59 <63>; 87, 273 <278 f.>; 96, 189 <203>). Dabei
enthält die Feststellung von Willkür keinen subjektiven Schuldvorwurf. Willkür ist im objektiven Sinne zu verstehen als
eine Maßnahme, welche im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig
unangemessen ist (vgl. BVerfGE 83, 82 <84>; 86, 59 <63>), oder als die krasse Missdeutung des Inhalts einer Norm,
durch die ein gesetzgeberisches Anliegen grundlegend verfehlt wird (vgl. BVerfGE 86, 59 <64>; 87, 273 <279>; 96,
189 <203>).
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b) Die angegriffene Entscheidung ist danach mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren.
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aa) Nach § 1 Abs. 1 StrRehaG ist neben dem Vorliegen einer strafrechtlichen Verurteilung oder einer sonstigen eine
Freiheitsentziehung anordnenden Entscheidung im Sinne des § 2 StrRehaG Voraussetzung für die Rehabilitierung,
dass die Maßnahme mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist. § 1
Abs. 1 StrRehaG enthält zur Konkretisierung dieses Tatbestandsmerkmals in den Nrn. 1 und 2 zwei - nicht
abschließende - Beispiele, was an der Verwendung des Wortes „insbesondere“ deutlich wird: Die Maßnahme kann
insbesondere deshalb mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar
gewesen sein, weil die Entscheidung politischer Verfolgung gedient hat (Nr. 1) oder weil die angeordneten
Rechtsfolgen in grobem Missverhältnis zu der zugrunde liegenden Tat stehen (Nr. 2).
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Das Oberlandesgericht stellt diese gesetzlichen Voraussetzungen in seiner Entscheidung dar und prüft anschließend
das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StrRehaG. Für eine politische Verfolgung lägen keine
Anhaltspunkte vor. Bezüglich § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG geht das Oberlandesgericht davon aus, dass es zu einer
weiteren Prüfung nicht verpflichtet sei, da Anlass für die Unterbringung des Beschwerdeführers in den Heimen nicht
eine bestimmte Tat, sondern die ungünstigen familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers und daraus resultierende
Erziehungsaspekte gewesen seien. Die Richtigkeit darauf beruhender Maßnahmen, die weder Strafe seien noch als
solche verstanden werden könnten, als solche zu überprüfen sei jedoch nicht Aufgabe des strafrechtlichen
Rehabilitierungsverfahrens. Auch eine Prüfung des gesetzlichen Oberbegriffs - Unvereinbarkeit der Maßnahme mit
wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung - unterbleibt.
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Dieses Verständnis des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG erscheint schon in einfach-rechtlicher Hinsicht zweifelhaft: Das
strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz bezieht sich in erster Linie auf die Rehabilitierung wegen strafrechtlicher
Verurteilungen, die jeweils an eine bestimmte Tat anknüpfen. Nach § 2 StrRehaG in seiner ursprünglichen Fassung
war daneben eine Rehabilitierung nur für Einweisungen in psychiatrische Anstalten vorgesehen, die aus Gründen
politischer Verfolgung oder zu sonstigen sachfremden Zwecken erfolgten. Infolge einer Änderung des § 2 StrRehaG
durch Gesetz vom 23. Juni 1994, BGBl I S. 1311, erfasst das Gesetz nunmehr aber auch außerhalb eines
Strafverfahrens ergangene Entscheidungen, mit denen eine Freiheitsentziehung angeordnet wurde. In der
Gesetzesbegründung heißt es dazu ausdrücklich, § 2 werde auf alle rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehungen
ausgedehnt, die außerhalb von Strafverfahren erfolgten (vgl. BRDrucks 92/93, S. 149). Im Hinblick darauf kann der
Begriff der „Tat“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG nicht nur als eine bestimmte möglicherweise strafrechtlich
relevante Verhaltensweise, sondern muss allgemein als der Anlass für die die Freiheitsentziehung anordnende
Entscheidung verstanden werden. Anderenfalls verlöre die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Gesetzes auf
Freiheitsentziehungen, die außerhalb eines Strafverfahrens angeordnet wurden, nach § 2 StrRehaG ihren Sinn. In
diesem Sinne muss es auch Aufgabe des strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens sein, das Vorliegen eines
Missverhältnisses zwischen dem Anlass für die die Freiheitsentziehung anordnende Entscheidung und den
angeordneten Rechtsfolgen zu prüfen.
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Im Übrigen hätte das Oberlandesgericht selbst bei Zugrundelegung seiner Auslegung nach der oben dargelegten
Systematik des Gesetzes prüfen müssen, ob die - nach seiner Auffassung eventuell vorliegende - Freiheitsentziehung
in sonstiger Weise mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar war. Eine
solche Prüfung unterblieb jedoch.
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bb) Diese Anwendung des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes durch das Oberlandesgericht hält den
dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht stand.
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Die Annahme des Oberlandesgerichts, nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz seien nur Maßnahmen
rehabilitierungsfähig, die durch eine strafrechtlich relevante Tat veranlasst worden seien, führt - im Hinblick auf § 2
StrRehaG sinnwidrig und im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen
einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung in § 1 Abs. 1 StrRehaG auch über den Wortlaut des Gesetzes hinaus -
zu einer Beschränkung der Rehabilitierung von Freiheitsentziehungen auf Fälle, denen eine von der DDR-Justiz als
strafrechtlich relevant eingeordnete Tat zugrunde gelegen hat. Mit dieser Auslegung wird die gesetzgeberische
Intention, durch die Erweiterung des § 2 StrRehaG auch außerhalb eines Strafverfahrens angeordnete
Freiheitsentziehungen, auch über Einweisungen in psychiatrische Anstalten hinaus, rehabilitierungsfähig zu machen,
zunichte gemacht. Der Anwendungsbereich des Gesetzes wird dadurch in nicht vertretbarer, weil dem
gesetzgeberischen Willen entgegenstehender Weise verengt. Es handelt sich um eine krasse Missdeutung des
Inhalts der Norm, die auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht.
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2. Ob die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der weiteren Rügen begründet ist, kann hier dahinstehen, da bereits
die festgestellte Grundrechtsverletzung die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung erfordert.
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3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG
aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Die Zurückverweisung gibt dem
Oberlandesgericht auch Gelegenheit, bei seiner erneuten Entscheidung den ausführlichen Vortrag des
Beschwerdeführers hinsichtlich der Umstände der Unterbringung in den verschiedenen Heimen und deren
Auswirkungen auf die Einordnung der Unterbringung als Freiheitsentziehung und auf die Frage der Unvereinbarkeit der
Maßnahme mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung, insbesondere auf das
Vorliegen eines groben Missverhältnisses der angeordneten Rechtsfolgen im Verhältnis zu der zugrunde liegenden Tat
im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG, zu berücksichtigen.
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4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2
BVerfGG.
Broß
Di Fabio
Landau