Urteil des BVerfG vom 18.03.1999
BVerfG: unterbringung, verfassungsbeschwerde, freiheitsentziehung, schwerin, verwaltungsverfahren, behörde, öffentlich, grundrechtseingriff, rechtswidrigkeit, berechtigung
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1717/98 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn V...,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Martin Lorentz und Kollegen, Mozartstraße 8, Schwerin -
gegen   a) den Beschluß des Oberlandesgerichts Rostock
vom 21. August 1998 - 3 W 3/98 -,
b)
den Beschluß des Landgerichts Schwerin vom 30. Dezember 1997 - 5 T 450/97 -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die
Richter Sommer,
Broß
und die Richterin Osterloh
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473)
am 18. März 1999 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die  Kammer  nimmt  die  Verfassungsbeschwerde,  der  keine  grundsätzliche  verfassungsrechtliche  Bedeutung
zukommt,  nicht  zur  Entscheidung  an,  da  sie  keine  hinreichende  Aussicht  auf  Erfolg  hat  und  die  Annahme  schon
deshalb zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte nicht angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe
b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).
2
Zwar  hätte  das  Oberlandesgericht  die  sofortige  weitere  Beschwerde  des  Beschwerdeführers  nicht  mit  der
Begründung,  mit  Ablauf  der  Unterbringungsmaßnahme  habe  sich  die  Hauptsache  erledigt,  als  unzulässig  verwerfen
dürfen. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluß vom 30. April 1997 (vgl. BVerfGE 96, 27
<38 ff.>) seine frühere Rechtsprechung, wonach Art. 19 Abs. 4 GG bei erledigten Grundrechtseingriffen in der Regel
eine  nachträgliche  gerichtliche  Prüfung  durch  die  Fachgerichte  nicht  verlange,  aufgegeben.  Vielmehr  ist  ein
Rechtsschutzinteresse  auch  in  Fällen  tiefgreifender  Grundrechtseingriffe  gegeben,  in  denen  die  direkte  Belastung
durch  den  angegriffenen  Hoheitsakt  sich  nach  dem  typischen  Verfahrensablauf  auf  eine  Zeitspanne  beschränkt,  in
welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozeßordnung gegebenen Instanz kaum erlangen
kann.  Effektiver  Grundrechtsschutz  gebietet  es  in  diesen  Fällen,  daß  der  Beschwerdeführer  Gelegenheit  erhält,  die
Berechtigung  des  schwerwiegenden  -  wenn  auch  tatsächlich  nicht  mehr  fortwirkenden  -  Grundrechtseingriffs
gerichtlich klären zu lassen.
3
Zu  dieser  Fallgruppe  gehört  auch  die  Freiheitsentziehung  nach  §  70h  FGG.  Vorläufige  Unterbringungsmaßnahmen
durch einstweilige Anordnung nach § 70h Abs. 1 FGG sind zeitlich auf längstens sechs Wochen begrenzt (§ 70h Abs.
2  Satz  1  FGG).  In  den  Fällen  der  öffentlich-rechtlichen  Unterbringung  wird  dieser  Zeitraum  häufig  erheblich
unterschritten.  Eine  vorläufige  Unterbringungsmaßnahme  stellt  auch  einen  tiefgreifenden  Grundrechtseingriff  dar,  so
daß im Einzelfall ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der beanstandeten Maßnahme bestehen kann
(Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 1998 - 2 BvR 978/97 -,
NJW 1998, S. 2432 f.).
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Die angegriffene Entscheidung beruht allerdings nicht auf diesem Grundrechtsverstoß, da das Oberlandesgericht die
Zurückweisung  der  sofortigen  weiteren  Beschwerde  auch  auf  die  Erwägung  gestützt  hat,  daß  die  angefochtene
Entscheidung  nicht  unter  Verletzung  formellen  oder  materiellen  Rechts  zustande  gekommen  sei.  Dies  ist  von
Verfassungs  wegen  nicht  zu  beanstanden.  Es  stellt  keinen  Verstoß  gegen  Art.  19  Abs.  4  GG  dar,  daß  das
Oberlandesgericht sowohl hinsichtlich der Anordnung der sofortigen Unterbringung als auch seiner Art und Weise den
Rechtsweg  zu  den  ordentlichen  Gerichten  für  nicht  eröffnet  ansieht.  Dem  Beschwerdeführer  wird  dadurch  der
Rechtsschutz nicht genommen. Ihm verbleibt der Weg zu den Verwaltungsgerichten:
5
Für die Anfechtung von Maßnahmen der zuständigen Behörde im Verwaltungsverfahren ist nach der Generalklausel
des  §  40  VwGO  der  Verwaltungsrechtsweg  gegeben,  wenn  nicht  das  Landesrecht  einen  davon  abweichenden
Rechtsweg regelt. Da das Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke des Landes Mecklenburg-
Vorpommern  (PsychKG)  -  anders  als  Art.  18  Abs.  6  Bayerisches  Unterbringungsgesetz,  der  vom  Bayerischen
Obersten  Landesgericht  erweiternd  ausgelegt  wird  (vgl.  dazu  NJW  1983,  S.  2645  f.)  -  eine  abweichende  Regelung
nicht  kennt,  verbleibt  es  für  die  Überprüfung  der  vorläufigen  sofortigen  Unterbringung  im  Verwaltungsverfahren  beim
Rechtsweg  zum  Verwaltungsgericht  (vgl.  Saage/Göppinger,  Freiheitsentziehung  und  Unterbringung,  3.  Aufl.  1994,
Abschnitt 5.1 Rn. 36).
6
Im übrigen wird von einer Begründung abgesehen (§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
7
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Sommer
Broß
Osterloh