Urteil des BVerfG vom 10.12.2010

BVerfG: zusammenkunft, versammlungsfreiheit, verfassungsbeschwerde, schlüssiges verhalten, polizeirecht, kommunikation, bad, grundrecht, meinung, eingriff

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1402/06 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn K…
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwältin Gisa Pahl,
Dahlengrund 55 e, 21077 Hamburg -
gegen
a)
den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 16. Mai 2006 - 2 Ss
(OWi) 88 Z/06 -,
b)
das Urteil des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 13. Januar 2006 - 44 OWi 1421 Js
48312/04 (292/04) -,
c)
den Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle des Zentraldienstes der Polizei des
Landes Brandenburg vom 31. Januar 2005 - 281/04/0001737/6 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof
und die Richter Eichberger,
Masing
am 10. Dezember 2010 einstimmig beschlossen:
Das Urteil des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 13. Januar 2006 - 44 OWi 1421 Js 48312/04 (292/04) - verletzt
den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung an das Amtsgericht Bad Liebenwerda
zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 5.000 €
festgesetzt.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Auferlegung eines Bußgeldes wegen fahrlässiger Teilnahme an
einer unerlaubten Ansammlung gemäß § 113 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG).
I.
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1. Am Samstag, den 14. August 2004, fand in der Kleinstadt F. die angemeldete Demonstration unter freiem Himmel
mit dem Motto „Keine schweigenden Provinzen - Linke Freiräume schaffen“ statt.
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2. Anlässlich dieser Versammlung begab sich der Beschwerdeführer zusammen mit circa 40 anderen Personen mit
dem Kraftfahrzeug nach F. Die Gruppe postierte sich entlang der Route der angemeldeten Demonstration am L.D. auf
der Höhe der ehemaligen Grundschule. Die Mitglieder der Gruppe hatten überwiegend kurz geschorenes Haar. Dazu
trugen sie sogenannte Bomberjacken und Springerstiefel sowie die für die rechte Szene (jedenfalls damals) typische
Bekleidung der Marke L. Die Gruppe verfügte weder über Plakate oder Flugblätter noch über sonstige Hilfsmittel der
Kommunikation.
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Als die Polizeikräfte vor Ort der Gruppe gewahr wurden, ordnete der Einsatzleiter eine Identitätsfeststellung sowie
einen Fahndungsabgleich des Initiators und Wortführers der Gruppe, Herrn L.S., an. Daraufhin sprach der Einsatzleiter
gegenüber der Gruppe einen Platzverweis für die Stadt F. aus. Als diese darauf nicht reagierte und weiterdiskutierte,
wiederholte der Einsatzleiter den Platzverweis, dem ein Teil der Gruppe Folge leistete. Nachdem weitere Polizeikräfte
eingetroffen waren, sprach der Einsatzleiter unter gleichzeitiger Androhung von Zwangsmitteln den dritten
Platzverweis aus. Diesem kamen die verbliebenen Personen - darunter auch der Beschwerdeführer - nach, nachdem
weitere Polizeikräfte in Stellung gebracht worden waren.
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3. Mit angegriffenem Bußgeldbescheid vom 31. Januar 2005 setzte die Zentrale Bußgeldstelle des Zentraldienstes
der Polizei des Landes Brandenburg gegen den Beschwerdeführer wegen fahrlässiger Teilnahme an einer unerlaubten
Ansammlung gemäß § 113 OWiG eine Geldbuße samt zu zahlender Kosten in Höhe von circa 175,00 € fest.
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4. Mit angegriffenem Urteil vom 13. Januar 2006 verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer wegen
fahrlässiger Teilnahme an einer unerlaubten Ansammlung gemäß § 113 OWiG in Verbindung mit § 16 Abs. 1 Satz 1
des Brandenburgischen Polizeigesetzes (BbgPolG), der den Platzverweis regelt, zu einer Geldbuße in Höhe von
75,00 €.
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Nach Aussage des Zeugen S. und der übereinstimmenden Einlassung des Beschwerdeführers in der
Hauptverhandlung sei es bei der kurzfristig von Herrn L.S. anberaumten Zusammenkunft darum gegangen, gegenüber
den Teilnehmern der linken Demonstration „Gesicht zu zeigen“. Man habe vor Ort stehen und den Teilnehmern der
angemeldeten Demonstration beweisen wollen, dass es auch noch Rechte in F. gebe. Eine über die körperliche
Präsenz hinausgehende Absprache bezüglich des Zwecks der Veranstaltung habe es nicht gegeben.
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Der als Zeuge vernommene Einsatzleiter der Polizeikräfte bekundete in der Hauptverhandlung, dass er die Gruppe
aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes der rechten Szene zugeordnet habe. Dieser Eindruck habe sich verstärkt,
als die Überprüfung der Personalien des Initiators und Wortführers der Gruppe, des Herrn L.S., erbracht habe, dass
dieser wegen Verstößen gegen §§ 86a und 125 des Strafgesetzbuchs (StGB) polizeilich in Erscheinung getreten sei.
Es sei zu befürchten gewesen, dass es zwischen den Teilnehmern der angemeldeten linken Demonstration und den
Mitgliedern der rechten Gruppe zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen werde, da es in der Vergangenheit
schon mehrfach gewalttätige Ausschreitungen zwischen „Rechten“ und „Linken“ in F. gegeben habe. Hierbei habe er
berücksichtigt, dass die linke Demonstration angemeldet gewesen sei, wohingegen die Zusammenkunft der rechten
Gruppe ohne irgendeine behördliche Information abgehalten worden sei.
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Nach Auffassung des Amtsgerichts stehe damit fest, dass der Beschwerdeführer gegen § 113 OWiG in Verbindung
mit § 16 Abs. 1 Satz 1 BbgPolG verstoßen habe. Eine Auflösungsanordnung gemäß § 15 Abs. 3 des
Versammlungsgesetzes (VersG) sei entbehrlich gewesen, weil es sich bei der Zusammenkunft nicht um eine
Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG, sondern um eine Ansammlung im Sinne des § 113 Abs. 1 OWiG
gehandelt habe. Die Zusammenkunft habe nicht der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gedient. Allein die
bloße Anwesenheit der Gruppe - vom Beschwerdeführer und dem Zeugen als „Gesicht zeigen“ bezeichnet -, um von
den Demonstranten der angemeldeten linken Demonstration wahrgenommen zu werden, ohne eine nach außen
erkennbare Intention einer politischen oder sonstigen Meinung, sei keine Versammlung. Aus den Bekundungen des
Beschwerdeführers und der Zeugen zu der Organisation der Zusammenkunft, der Art und Weise des Auftretens der
Gruppe sowie aus dem Umstand, dass maßgeblicher Initiator und Wortführer eine strafrechtlich einschlägige Person
gewesen sei, ergebe sich, dass nur der Zweck habe verfolgt werden sollen, durch bloße Anwesenheit die Teilnehmer
der linken Demonstration - möglicherweise zu Gewalttaten - zu provozieren.
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5. Mit angegriffenem Beschluss vom 16. Mai 2006 verwarf das Oberlandesgericht den Antrag auf Zulassung der
Rechtsbeschwerde als unbegründet, da eine Zulassung zur Fortbildung des Rechtes nicht erforderlich sei.
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6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung - unter anderem - seines
Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG durch die fachgerichtlichen Entscheidungen sowie durch
den zugrunde liegenden Bußgeldbescheid.
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7. Der Landtag und die Regierung des Landes Brandenburg sowie der Präsident des Bundesgerichtshofs hatten
Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akte des Ausgangsverfahrens lag dem Bundesverfassungsgericht vor.
II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG zur Entscheidung anzunehmen, da dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers
angezeigt ist.
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1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen zu der Gewährleistung des Grundrechts der
Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG bereits entschieden und dabei auch die zu berücksichtigenden Grundsätze
entwickelt. Dies gilt namentlich für die Reichweite des Begriffs der Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG
sowie für den Einfluss des Grundrechts auf die Auslegung und Anwendung von Bußgeldvorschriften (vgl. BVerfGE 69,
315 <343 ff.>; 87, 399 <406 ff.>; 104, 92 <104>).
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2. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts der Versammlungsfreiheit durch die
fachgerichtlichen Entscheidungen rügt, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.
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3. In dem vorgenannten Umfang ist sie auch im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet.
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a) Die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht der
Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.
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aa) Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ist - ausgehend von den der angegriffenen Entscheidung zugrunde
gelegten Feststellungen - eröffnet.
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(1) Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe
an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; BVerfGK
11, 102 <108>). Die Versammlungsfreiheit schützt Versammlungen und Aufzüge - im Unterschied zu bloßen
Ansammlungen oder Volksbelustigungen - als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter
Entfaltung. Dieser Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird,
sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen. Daher
gehören auch solche Zusammenkünfte dazu, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder
aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 f.>; 87, 399 <406>).
Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art
des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung
nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>).
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Eine Versammlung verliert den Schutz des Art. 8 GG grundsätzlich nur bei kollektiver Unfriedlichkeit, mithin wenn
sie im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf
anstreben oder zumindest billigen (vgl. BVerfGE 69, 315 <361>). Der Schutz des Art. 8 GG besteht unabhängig
davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <351>;
BVerfGK 4, 154 <158>; 11, 102 <108>).
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(2) Ausgehend von diesen Kriterien spricht auf der Grundlage der Feststellungen in der angegriffenen Entscheidung
alles dafür, dass vorliegend eine Versammlung gegeben war. Jedenfalls hat das Amtsgericht den
Versammlungscharakter der Zusammenkunft, an welcher der Beschwerdeführer teilgenommen hat, mit
verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Gründen verneint.
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Das Amtsgericht hat bei der Prüfung des Versammlungscharakters der Zusammenkunft nicht berücksichtigt, dass
diese inhaltlich auf das Versammlungsmotto der angemeldeten Demonstration bezogen war. Der Beschwerdeführer
und die anderen Mitglieder der Gruppe wollten nach den tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts mit der
Zusammenkunft „Gesicht zeigen“ und sich gegen die Aussage des von der angemeldeten Demonstration
ausgerufenen Mottos stellen. Die Anwesenheit der von auswärts angereisten Gruppe zu diesem Zeitpunkt an diesem
Ort war erkennbar geprägt von dem Willen der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Dies ergibt sich
daraus, dass sich die Gruppe, die aufgrund der kurz geschorenen Haare und der szenetypischen Aufmachung vom
objektiven Empfängerhorizont aus betrachtet als dem rechtsradikalen Spektrum angehörend identifizierbar war und als
solche von den Polizeikräften auch identifiziert wurde, in zeitlicher und örtlicher Nähe zu der ausdrücklich
linksgerichteten - der zweite Teil des Mottos lautete: „Linke Freiräume schaffen“ - Versammlung postierte, nämlich an
einer Straße entlang der Demonstrationsroute außerhalb des Stadtkerns der Kleinstadt F., kurz bevor sich die
angemeldete Demonstration in Bewegung setzte.
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Die Versagung der Versammlungseigenschaft kann das Amtsgericht verfassungsrechtlich tragfähig nicht darauf
stützen, dass nach dem Willen der Gruppe weder mit den Teilnehmern der angemeldeten Demonstration noch mit der
Öffentlichkeit eine verbale Kommunikation stattfinden sollte. Ein kollektiver Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung
kann auch non-verbal, durch schlüssiges Verhalten wie beispielsweise durch einen Schweigemarsch, geäußert
werden. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts wollte die Gruppe mit ihrer Zusammenkunft ein
Gegenbild zu der von der angemeldeten Demonstration propagierten Lebenswirklichkeit entwerfen. Überdies lautete
der erste Teil des Mottos der angemeldeten Demonstration „Keine schweigenden Provinzen“. Angesichts dieser
Umstände hätte das Amtsgericht sich damit auseinandersetzen müssen, dass der physischen Präsenz in einer die
gegenteilige politische Ausrichtung zu erkennen gebenden Aufmachung gepaart mit dem Schweigen der Gruppe hier
naheliegenderweise eine eigenständige Aussage zukommen kann. Sofern sich der von der Gruppe geleistete Beitrag
zu der öffentlichen Meinungsbildung darin erschöpfte, Ablehnung gegenüber dem von der angemeldeten
Demonstration proklamierten Versammlungsmotto zu bekunden, wäre dies unschädlich, da es auf die Wertigkeit der
geäußerten Meinung nicht ankommt.
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Verfassungsrechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass die - folglich auf der Grundlage der Feststellungen des
Amtsgerichts als Gegendemonstration einzustufende - Zusammenkunft des Schutzes des Art. 8 GG wieder verlustig
gegangen ist, sind der Entscheidung des Amtsgerichts nicht zu entnehmen. Insbesondere lässt eine eventuell
notwendige, aber unterbliebene Anmeldung nicht den Grundrechtsschutz der Zusammenkunft entfallen.
Feststellungen zu einer kollektiven Unfriedlichkeit der Zusammenkunft hat das Amtsgericht nicht getroffen.
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bb) Hiervon ausgehend ist das Urteil des Amtsgerichts als Eingriff in die Versammlungsfreiheit des
Beschwerdeführers zu beurteilen.
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cc) Dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Die angegriffene Entscheidung lässt eine
Rechtsgrundlage für die Verurteilung des Beschwerdeführers im Bußgeldverfahren nicht erkennen.
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Das Grundgesetz erlaubt Beschränkungen von Versammlungen unter freiem Himmel nur nach Maßgabe des Art. 8
Abs. 2 GG. Danach kann die Versammlungsfreiheit für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf
Grund dieses Gesetzes beschränkt werden. Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung im vorliegenden Fall
ist eine Verurteilung im Bußgeldverfahren wegen des Zuwiderhandelns gegen eine auf das allgemeine Polizeirecht
gestützte Standardmaßnahme zur Gefahrenabwehr gemäß § 113 OWiG in Verbindung mit § 16 Abs. 1 Satz 1
BbgPolG.
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(1) Versammlungsspezifische Maßnahmen der Gefahrenabwehr richten sich nach den hierfür speziell erlassenen
Versammlungsgesetzen. Die dort geregelten, im Vergleich zu dem allgemeinen Polizeirecht besonderen
Voraussetzungen für beschränkende Verfügungen sind Ausprägungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit.
Dementsprechend gehen die Versammlungsgesetze als Spezialgesetze dem allgemeinen Polizeirecht vor, mit der
Folge, dass auf letzteres gestützte Maßnahmen gegen eine Person, insbesondere in Form eines Platzverweises,
ausscheiden, solange sich diese in einer Versammlung befindet und sich auf die Versammlungsfreiheit berufen kann
(vgl. BVerfGK 4, 154 <158>). Dieser Schutz endet erst mit der eindeutigen Auflösung der Versammlung oder dem
eindeutigen Ausschluss des Teilnehmers von der Versammlung (vgl. BVerfGK 4, 154 <159>; 11, 102 <115 f.>).
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(2) Diese besonderen Voraussetzungen für den Erlass von Maßnahmen aufgrund des allgemeinen Polizeirechts
sowohl gegen den Beschwerdeführer als auch gegen die - als Gegendemonstration einzustufende - Zusammenkunft
lagen indes nicht vor.
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Den Feststellungen des Amtsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass die Zusammenkunft den verfassungsrechtlichen
Anforderungen entsprechend aufgelöst oder der Beschwerdeführer hiervon ausgeschlossen wurde. Vielmehr hat sich
das Amtsgericht gerade auf den Standpunkt gestellt, dass eine solche Auflösungsverfügung entbehrlich gewesen sei,
weil es sich bei der Zusammenkunft bereits nicht um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG gehandelt
habe. Da sich ein Rückgriff auf die Bestimmungen des allgemeinen Polizeirechts, insbesondere die Vorschriften zum
Platzverweis, aus Rücksicht auf die Versammlungsfreiheit verbietet, kann das gegen den Beschwerdeführer
verhängte Bußgeld nicht auf § 113 OWiG in Verbindung mit § 16 Abs. 1 Satz 1 BbgPolG gestützt werden.
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b) Der den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Rechtsbeschwerde verwerfende Beschluss des
Oberlandesgerichts vom 16. Mai 2006 ist damit gegenstandslos.
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c) Die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts beruht auf dem aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehler. Es
ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 8 GG
ergebenden Vorgaben im Rahmen der erforderlichen erneuten Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache
kommen wird. Sollte es hierbei zu der Prüfung versammlungsrechtlicher Ordnungswidrigkeitenbestimmungen
gelangen, wird es zu berücksichtigen haben, dass Art. 8 Abs. 1 GG es verbietet, Verstöße gegen
versammlungsrechtliche Anordnungen ohne Rücksicht auf deren Rechtmäßigkeit mit einem Bußgeld zu ahnden (vgl.
BVerfGE 87, 399 <410>).
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d) Im Übrigen ist eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt. Soweit sich der Beschwerdeführer
gegen den Bußgeldbescheid selbst wendet, ist die Verfassungsbeschwerde mangels Fortbestehens des
Rechtsschutzinteresses unzulässig (vgl. BVerfGE 65, 248 <258>). Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung
weiterer Grundrechte rügt, ist die Verfassungsbeschwerde wegen fehlender hinreichender Substantiierung unzulässig.
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e) Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2
BVerfGG.
35
f) Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1
Satz 1 RVG.
Kirchhof
Eichberger
Masing