Urteil des BVerfG vom 05.01.2006

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Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2/06 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S ...
gegen die Sicherungsverfügung des Landgerichts Hannover vom 24. November 2005 - 39a
21/05 -
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Broß,
Mellinghoff
und Landau
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473)am 5. Januar 2006 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2
BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>); sie
ist unbegründet.
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1. Die angegriffene sitzungspolizeiliche Anordnung und der sie bestätigende Beschluss verstoßen nicht gegen das
Grundrecht der freien Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG).
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a) Gesetzliche Grundlage der Anordnung ist § 176 GVG. Danach obliegt dem Gerichtsvorsitzenden die
Aufrechterhaltung der Ordnung in den Sitzungen. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass auf
diese Vorschrift grundsätzlich auch die Anordnung der Durchsuchung von Personen und der von ihnen mitgeführten
Gegenstände auch in Gestalt von Einlasskontrollen in den dem Sitzungssaal vorgelagerten Räumlichkeiten gestützt
wird und dass sich die sitzungspolizeilichen Befugnisse auch auf die Verteidiger erstrecken (vgl. BVerfGE 48, 118
<123>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. September 1997 - 2
BvR 1676/97 -, NJW 1998, S. 296 <297>). Der Schutz der Freiheit der Berufsausübung beschränkt sich auf die
Abwehr übermäßiger und unzumutbarer Belastungen (vgl. BVerfGE 7, 377 <405>; 30, 1 <32 f.>).
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b) Die angegriffene Anordnung beruht im Kern auf der Erwägung, der Beschwerdeführer könnte durch Zwang oder
Drohung als Werkzeug für Befreiungsaktionen der Angeklagten eingesetzt werden. Deshalb sei es erforderlich, ihn in
den Kreis der Personen aufzunehmen, die zu durchsuchen seien. Das Bundesverfassungsgericht kann diese
Annahmen als Auslegung und Anwendung des so genannten einfachen Rechts (§ 176 GVG) im
Verfassungsbeschwerdeverfahren lediglich daraufhin überprüfen, ob sie von willkürlichen Erwägungen getragen sind
(vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 18, 315 <343>; 19, 290 <303>; stRspr). Das ist hier nicht der Fall.
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aa) Der Beschwerdeführer hebt mit Recht hervor, es könnte zweifelhaft sein, ob eine sitzungspolizeiliche Anordnung,
ihn vor Betreten des Gerichtssaals zu durchsuchen, vor dem Hintergrund des Schutzzwecks von Art. 12 Abs. 1 GG
Bestand hätte, wenn eine solche Verfügung ausschließlich auf ein nicht durch konkrete Anhaltspunkte gegründetes
Misstrauen ihm gegenüber gestützt würde. Der Strafverteidiger genießt kraft seiner Stellung als Organ der
Rechtspflege bis zum Beweis des Gegenteils einen staatlichen Vertrauensvorschuss. Es bedarf daher grundsätzlich
der Darlegung eines die Anordnung rechtfertigenden sachlichen Grundes. Zwar hat der Vorsitzende in seiner
Sicherungsverfügung vom 24. November 2005 zum Grund der Anordnung gegenüber dem Beschwerdeführer nichts
ausgeführt; ebenso findet sich in dem Vermerk des Vorsitzenden vom 25. November 2005 nur die Begründung, die
Anordnung erfolge, weil die Verteidiger jederzeit während der Hauptverhandlung Gelegenheit hätten, Kontakt zu den
Angeklagten aufzunehmen, bei Besprechungen auch unbeobachteten Kontakt. Wenn jedoch in dem Schreiben des
Vorsitzenden an den Beschwerdeführer vom 28. November 2005 und schließlich in dem die Anordnung bestätigenden
Kammerbeschluss ausgeführt wird, es sei denkbar, dass die Verteidiger, von Dritten unter Druck gesetzt, den
Angeklagten Gegenstände überlassen könnten, liegt dem erkennbar die Intention zu Grunde, die Integrität des
Beschwerdeführers zu schützen. Anhaltspunkte dafür, dass der Vorsitzende bei seiner Anordnung hieran gezweifelt
haben könnte, sind nicht ersichtlich.
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bb) Dem Vorsitzenden lagen auch ernst zu nehmende polizeiliche Erkenntnisse vor, die einen Anschlag auf das
Leben eines der Angeklagten oder einen Befreiungsversuch zumindest nicht als ausgeschlossen erscheinen lassen.
Dabei kann dahinstehen, ob der von der Polizei mitgeteilte Sachverhalt zutrifft, der Beschwerdeführer werde von einer
Prostituierten gezwungen, er solle seinen Mandanten befreien.
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Jedenfalls konnte die Polizei nicht ausschließen, dass aus der gewaltbereiten Gruppierung, der auch der Mandant
des Beschwerdeführers angehört, Einfluss auf den Prozessverlauf genommen wird. Sie ist deshalb von sich aus an
die Strafkammer mit entsprechenden Hinweisen herangetreten, was das Landgericht zu einer Pressemitteilung
veranlasst hat, in der die Sicherheitsfrage offen angesprochen wurde. In seiner sitzungspolizeilichen Anordnung vom
24. November 2005, bei der es sich lediglich um die Aktualisierung eines Formblatts zu handeln scheint, hat der
Vorsitzende hierauf zwar keinen ausdrücklichen Bezug genommen. Das Schreiben des Vorsitzenden an den
Beschwerdeführer vom 28. November 2005 enthält jedoch einen Hinweis auf eine Rücksprache mit der Polizei.
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cc) Der Sicherungsanordnung und dem sie bestätigenden Kammerbeschluss ist zudem noch mit hinreichender
Deutlichkeit zu entnehmen, dass die gegenüber dem Beschwerdeführer angeordneten Sicherungsmaßnahmen in
erster Linie dem Schutz seiner Integrität dienen und der Anschein vermieden werden sollte, die Verteidiger, die sich
während der Hauptverhandlung in ständiger und unmittelbarer Nähe der Angeklagten befinden müssen, könnten als
geeignete Helfer etwa für das "Einschmuggeln" gefährlicher Gegenstände in Betracht kommen. Die Annahme des
Vorsitzenden, gerade diesen Zweck nur durch Anordnung der Durchsuchung auch der Verteidiger wirksam erreichen
zu können, überschreitet von Verfassungs wegen nicht das ihm durch § 176 GVG eingeräumte pflichtgemäße
Ermessen. Sind bei Eingriffen in die Berufsausübungsfreiheit eines Strafverteidigers auch unter rechtsstaatlichen
Gesichtspunkten grundsätzlich Vorsicht und Zurückhaltung geboten, stellen die Erwägungen in den angegriffenen
Anordnungen im vorliegenden Fall jedenfalls keine pauschale Diskriminierung des Beschwerdeführers dar.
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dd) Die aus den Anordnungen folgenden Beschränkungen der anwaltlichen Berufsausübung sind auch von
vernünftigen Erwägungen des Allgemeinwohls gedeckt. Sie begegnen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die angeordneten Eingriffe stehen nicht außer
Verhältnis zu dem gegebenen Anlass und belasten die betroffenen Verteidiger nicht unzumutbar.
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(1) Die Durchsuchung des Beschwerdeführers, die sich auch auf die Schuhe erstreckt, ist ersichtlich geeignet und
erforderlich. Ein weniger einschneidendes Mittel, das geeignet wäre, den mit der Durchsuchung angestrebten Erfolg
ebenso wirksam sicherzustellen, ist nicht ersichtlich. Auch der vom Beschwerdeführer geforderte Einsatz des
Detektionsrahmens kann nicht als gleich wirksam gegenüber der Abtastung der Kleidung und der Durchsuchung der
Schuhe angesehen werden, denn hierdurch können – anders als bei einer gegenüber Menschen indes untunlichen
Durchleuchtung – nur Metall-, nicht aber Glas- und Keramikgegenstände erkannt werden, die ebenfalls ein erhebliches
Gefahrenpotential bergen können.
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(2) Auch im Blick auf seine Stellung als Organ der Rechtspflege sind die mit den Durchsuchungen verbundenen
Beschränkungen der anwaltlichen Berufsausübung zumutbar.
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Zwar genügt es nicht, wenn eine Verfügung die Durchsuchung der Verteidiger nur generell anordnet, die Bestimmung
des Umfangs der Zwangsmaßnahmen aber den für die Durchsuchung zuständigen Bediensteten überlässt. Vielmehr
muss die Verfügung selbst nach ihrem Wortlaut und durch hinreichende Bestimmtheit in der Fassung sicherstellen,
dass der Umfang der Durchsuchung im Einzelfall dem Maß der angenommenen Gefahr entspricht und die Überprüfung
den betroffenen Verteidiger jedenfalls nur insoweit belastet, als dies unumgänglich erscheint (vgl. Beschluss der 2.
Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. September 1997 - 2 BvR 1676/97 -, NJW
1998, S. 296 <298>).
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Diesen Anforderungen ist hier genügt. Die Abtastung und Durchsuchung waren generell für alle nicht der Justiz
angehörigen Personen im Sitzungssaal festgelegt, so dass dem sie durchführenden Justizbeamten die
Durchsuchungsmethode vorgegeben war, die er gleichmäßig auf alle Personen anzuwenden hatte und - nach der dem
Beschwerdeführer gegebenen Auskunft - auch auf alle Personen angewendet hat. Auch dass die Justizbeamten von
der Metallsonde keinen Gebrauch gemacht haben, stellt keine Belastung dar, die nicht durch die
Sicherungsanordnung gedeckt wäre.
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Vorallem ergibt sich aus dem Zusammenhang der Anordnung, dass der Vorsitzende es für denkbar hielt, dass der
Beschwerdeführer, etwa von Dritten unter Druck gesetzt, den Angeklagten anlässlich der Hauptverhandlung
Gegenstände überlassen könnte. Angesichts dieser Einschätzung ist die sich auch auf die Schuhe des
Beschwerdeführers erstreckende Durchsuchung zumutbar.
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2. Eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers mit dem Sitzungsvertreter
der Staatsanwaltschaft ist nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer hat bereits nicht vorgetragen, dass der
Staatsanwalt in dem von der Kammer benutzen Sicherheitssaal des Oberlandesgerichts in gleichem Maße Zugang zu
den Angeklagten hat wie der Beschwerdeführer.
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3. Da die Durchsuchung des Beschwerdeführers ihre gesetzliche Grundlage in § 176 GVG findet und dem Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen wird, verletzen die angegriffenen Anordnungen den Beschwerdeführer
auch nicht in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.
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4. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Broß
Mellinghoff
Landau