Urteil des BVerfG vom 07.12.2011

BVerfG: faires verfahren, öffentliche sicherheit, daten, schlüssiges verhalten, verfassungskonforme auslegung, rechtliches gehör, verfassungsbeschwerde, wohnung, zweckänderung, gefahr

L e i t s a t z
zum Beschluss des Zweiten Senats vom 7. Dezember 2011
- 2 BvR 2500/09 -
- 2 BvR 1857/10 -
Zur Verwertbarkeit rechtswidrig erhobener personenbezogener Informationen im Strafprozess.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2500/09 -
- 2 BvR 1857/10 -
Bundesadler
Im Namen des Volkes
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
1. des Herrn K. ...,
...,
2. des Herrn S. ...,
...,
3. des Herrn S. ...,
...,
- Bevollmächtigte:
1. Rechtsanwalt Axel Nagler,
II. Hagen 39, 45127 Essen
Bev. zu Zif.: 1,
2. Rechtsanwältin Ricarda Lang,
Neuhauser Straße 3 a, 80331 München
Bev. zu Zif.: 1,
3. Rechtsanwältin Andrea Groß-Bölting,
Ehrenhainstraße 1, 42329 Wuppertal
Bev. zu Zif.: 2,
4. Rechtsanwalt Jochen Thielmann,
Ehrenhainstraße 1, 42329 Wuppertal
Bev. zu Zif.: 3,
5. Rechtsanwalt Michael Ried,
Pforzheimer Straße 37, 76337 Waldbronn
Bev. zu Zif.: 3 -
gegen
a)
das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. August 2009 - 3 StR
552/08 -,
b)
das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 5. Dezember
2007 - III-VI 10/05 –
- 2 BvR 2500/09 -,
des Beschwerdeführers zu 2.,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwältin Andrea Groß-Bölting,
Ehrenhainstraße 1, 42329 Wuppertal -
gegen
a)
den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. Juli 2010 - 3 StR
202/10 -,
b)
das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. Februar 2010 -
III-2 STs 1/09 -
- 2 BvR 1857/10 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und
Richter
Präsident Voßkuhle,
Di Fabio,
Lübbe-Wolff,
Gerhardt,
Landau,
Huber,
Hermanns
am 7. Dezember 2011 beschlossen:
Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08 - verletzt die
Beschwerdeführer in ihrem Recht aus Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes. Das Urteil wird
aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
Die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 20. Oktober 2009 - 3 StR 552/08 - und vom 20. Juli
2010 - 3 StR 202/10 - sowie das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. Februar 2010 -
III-2 STs 1/09 - sind gegenstandslos.
Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern jeweils die Hälfte ihrer
notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
A.
1
Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen strafrechtliche Verurteilungen. Sie betreffen die
Fragen, ob Informationen aus einer präventiv-polizeilichen Wohnraumüberwachung im Urteil
verwertet werden durften und ob die Annahme einer Betrugsstrafbarkeit (§ 263 StGB) durch den
Abschluss von Lebensversicherungen mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist.
I.
2
Durch Urteil vom 3. März 2004 stellte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts fest, dass
Vorschriften der Strafprozessordnung über die akustische Wohnraumüberwachung unvereinbar
mit dem Grundgesetz sind, weil sie keine Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs privater
Lebensgestaltung enthielten (vgl. BVerfGE 109, 279 <280 f., 325 ff.>). Die betroffenen
Vorschriften der Strafprozessordnung blieben aufgrund einer entsprechenden Anordnung unter
Berücksichtigung des Schutzes der Menschenwürde und des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit bis zum 30. Juni 2005 anwendbar (BVerfGE 109, 279 <280 f., 381>).
II.
3
1. Im Juni 2004 beantragte das Polizeipräsidium Mainz die richterliche Anordnung der
Wohnraumüberwachung mit technischen Mitteln gemäß § 29 Abs. 1 des Rheinland-Pfälzischen
Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG RP) für die Wohnung des Beschwerdeführers zu
1). Der Antrag wurde damit begründet, dass der sich in der Wohnung regelmäßig treffende
Personenkreis die Begehung terroristischer Anschläge plane. Das Amtsgericht Mainz lehnte den
Antrag ab, da bereits der Anfangsverdacht einer Straftat nach §§ 129a, 129b StGB bestehe. Auf
die Beschwerde des Polizeipräsidiums Mainz genehmigte das Landgericht Mainz den Antrag mit
Beschluss vom 14. Juli 2004 gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 POG
RP. Die Genehmigung wurde nicht befristet. Im Rubrum dieses Beschlusses war der
Beschwerdeführer zu 2) nicht aufgeführt. In den Gründen des Anordnungsbeschlusses wurde er
dem Personenkreis zugerechnet, der sich regelmäßig in der Wohnung des Beschwerdeführers
zu 1) treffe. Zudem wurde erwähnt, dass der Beschwerdeführer zu 2) seit dem 15. Mai 2004 in
der Wohnung des Beschwerdeführers zu 1) gemeldet sei. Die Wohnraumüberwachung begann
am 24. August 2004. Das Polizeipräsidium Mainz erließ für die eingesetzten Beamten
Handlungsanweisungen; diese dienten der Umsetzung der Vorgaben zum Schutz des
Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 3. März 2004 (BVerfGE 109, 279). Die angeordnete manuelle Gesprächsaufzeichnung
führten Polizeibeamte und Dolmetscher im Schichtbetrieb durch.
4
Das Polizeipräsidium Mainz beantragte am 8. Oktober 2004 beim Amtsgericht Mainz die
Verlängerung der Maßnahme. Die Überwachung habe ergeben, dass der Beschwerdeführer zu
1) in die Netzwerke arabischer Mudjahedin verstrickt sowie die Beschwerdeführer zu 2) und 3)
bereit seien, den Märtyrertod zu sterben. Danach bestehe wegen zu befürchtender
Anschlagsplanungen eine fortdauernde dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Das
Amtsgericht Mainz verlängerte durch Beschluss vom 12. Oktober 2004 die Genehmigung für die
Dauer von drei Monaten. Dieser Beschluss führt im Rubrum den Beschwerdeführer zu 2)
wiederum nicht auf. Das Amtsgericht Mainz ordnete an, dass die Überwachung sofort
abzubrechen sei, wenn sich die Beschwerdeführer zu 1) oder 2) jeweils allein in der Wohnung
aufhielten, wenn Gespräche offensichtlich für die Gefahrenabwehr irrelevant seien oder wenn
der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung - auch kurzzeitig - betroffen sei. Das
Polizeipräsidium Mainz ergänzte die Handlungsanweisungen und berücksichtigte die Vorgaben
des Amtsgerichts Mainz.
5
Mit Wirkung ab 10. März 2004 hatte § 29 POG RP in der Fassung des Landesgesetzes zur
Änderung des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes und anderer Gesetze vom 2. März 2004
(GVBl S. 202) folgenden Wortlaut (§ 29 POG RP 2004):
6
§ 29
7
Datenerhebung durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen
8
(1) Die Polizei kann personenbezogene Daten durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel
zur Datenerhebung nach § 28 Abs. 2 Nr. 2 in oder aus Wohnungen des Betroffenen zur Abwehr
einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit erheben über
9
1. die nach den §§ 4 und 5 Verantwortlichen und unter den Voraussetzungen des § 7 über die
dort genannten Personen und
10
2. Kontakt- und Begleitpersonen (§ 26 Abs. 3 Satz 2), soweit die Datenerhebung zur Verhütung
von besonders schwerwiegenden Straftaten nach Absatz 2 erforderlich ist.
11
Die Datenerhebung darf auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.
12
(2) Besonders schwerwiegende Straftaten im Sinne dieses Gesetzes sind
13
1. Straftaten nach § 129 Abs. 4 in Verbindung mit § 129 Abs. 1, den §§ 129a, 129b und 181
Abs. 1 Nr. 2 und 3, den §§ 211, 212, 234, 234a, 239a, 239b und 244 Abs. 1 Nr. 2, den §§ 244a
und 250 Abs. 1 und 2, § 253 Abs. 4 und den §§ 255, 260, 260a und 261 Abs. 1 bis 4 des
Strafgesetzbuches sowie nach § 6 des Völkerstrafgesetzbuches,
14
(…)
15
(3) Eine Datenerhebung nach Absatz 1 in ein durch ein Amts- oder Berufsgeheimnis geschütztes
Vertrauensverhältnis im Sinne der §§ 53 und 53 a der Strafprozessordnung ist unzulässig.
16
(4) Die Maßnahme bedarf der richterlichen Entscheidung. Sie ist auf höchstens drei Monate zu
befristen. Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist zulässig, soweit die in
Absatz 1 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen
Bezirk die Polizeibehörde ihren Sitz hat. § 21 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend. Bei Gefahr im
Verzug kann die Maßnahme durch die Behördenleitung oder einen von ihr besonders
beauftragten Beamten des höheren Dienstes angeordnet werden; die richterliche Entscheidung
ist unverzüglich nachzuholen.
17
(5) Nach Absatz 1 erlangte personenbezogene Daten sind besonders zu kennzeichnen und
dürfen für einen anderen Zweck verwendet werden, soweit dies zur Verfolgung von Straftaten
von erheblicher Bedeutung (§ 28 Abs. 3), zur Abwehr einer dringenden Gefahr oder zur
vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung erforderlich ist. Die
Zweckänderung der Daten muss im Einzelfall festgestellt und dokumentiert werden.
18
(…)
19
Der von § 29 Abs. 5 Satz 1 POG RP 2004 in Bezug genommene § 28 Abs. 3 POG RP 2004 hatte
folgenden Wortlaut:
20
§ 28
21
(...)
22
(3) Straftaten von erheblicher Bedeutung im Sinne dieses Gesetzes sind
23
1. Verbrechen und
24
2. Vergehen, die im Einzelfall nach Art und Schwere geeignet sind, den Rechtsfrieden
besonders zu stören, soweit sie
25
a) sich gegen Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder bedeutende Sach- oder
Vermögenswerte richten,
26
b) auf den Gebieten des unerlaubten Waffen- oder Betäubungsmittelverkehrs, der Geld- und
Wertzeichenfälschung oder des Staatsschutzes (§§ 74a und 120 des
Gerichtsverfassungsgesetzes) begangen werden, oder
27
c) gewerbs-, gewohnheits-, serien- oder bandenmäßig oder sonst organisiert begangen werden.
28
(...)
29
2. Im Oktober 2004 leitete der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof gegen die
Beschwerdeführer zu 1) und 2) ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft
in einer terroristischen Vereinigung ein. Auf Antrag des Generalbundesanwalts beim
Bundesgerichtshof, der zur Begründung des Tatverdachts auf die Erkenntnisse aus der zuvor auf
polizeirechtlicher Grundlage durchgeführten Wohnraumüberwachung verwies, ordnete das
Landgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 24. November 2004 gemäß § 100c Abs. 1 Nr. 3e,
Abs. 2 und 3 StPO die Wohnraumüberwachung für die Dauer von vier Wochen an. Die bisher
gewonnenen Erkenntnisse ließen den Schluss zu, dass der Beschwerdeführer zu 1) im Auftrag
von Al Qaida Mitglieder zur Begehung von Selbstmordattentaten rekrutiere und in dem
Beschwerdeführer zu 2) bereits eine zum Märtyrertod bereite Person gefunden habe. Eine
Ausforschung des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung sei nicht mit
Wahrscheinlichkeit zu erwarten, weil die in der abgehörten Wohnung zusammentreffenden
Personen nicht miteinander verwandt seien und nicht in einer Beziehung höchstpersönlichen
Vertrauens zueinander stünden. Soweit sich die Brüder des Beschwerdeführers zu 2) in der
Wohnung aufhielten, sei der sofortige Abbruch der Überwachung sichergestellt, sobald der
Kernbereich der privaten Lebensgestaltung berührt werde. Das Landgericht Karlsruhe
verlängerte die Maßnahmen durch Beschlüsse vom 22. Dezember 2004 und 19. Januar 2005
um jeweils vier Wochen. Am 23. Januar 2005 wurde die Wohnraumüberwachung nach
Festnahme der Beschwerdeführer zu 1) und 2) beendet.
30
3. Im Überwachungszeitraum von etwa fünf Monaten wurden 703 Aufzeichnungen mit einer
Gesamtdauer von etwas über 304 Stunden erstellt. Insgesamt 313 Gespräche wurden übersetzt.
31
4. Mit Wirkung ab 3. August 2005 wurde § 29 POG RP unter anderem um Regelungen zum
Kernbereichsschutz ergänzt (Sechstes Landesgesetz zur Änderung des Polizei- und
Ordnungsbehördengesetzes vom 25. Juli 2005, GVBl S. 320, POG RP 2005). Außerdem wurden
die Verwendungsregelungen geändert. Die Vorschrift hatte danach folgenden Wortlaut:
32
§ 29
33
Datenerhebung durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen
34
(...)
35
(3) Die Datenerhebung nach Absatz 1 darf nur angeordnet werden, soweit nicht aufgrund
tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Daten erfasst
werden, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind. Abzustellen ist dabei
insbesondere auf die Art der zu überwachenden Räumlichkeiten und das Verhältnis der dort
anwesenden Personen zueinander.
36
(4) Das Abhören, die Beobachtung sowie die Auswertung der erhobenen Daten durch die
Polizei sind unverzüglich zu unterbrechen, sofern sich tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben,
dass Daten, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden.
Unberührt bleibt die automatisierte Speicherung der Daten. Ist das Abhören und die
Beobachtung nach Satz 1 unterbrochen worden, so dürfen diese Maßnahmen unter den in
Absatz 3 Satz 1 genannten Voraussetzungen fortgeführt werden.
37
(5) Die Datenerhebung nach Absatz 1, die in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung
eingreift, ist unzulässig. Die erhobenen Daten sind unverzüglich zu löschen und Erkenntnisse
über solche Daten dürfen nicht verwertet werden. Die Tatsache der Erfassung der Daten und
ihre Löschung sind zu dokumentieren.
38
(…)
39
(8) (...) Soweit ein Verwertungsverbot nach Absatz 5 Satz 2 in Betracht kommt, hat die Polizei
unverzüglich eine Entscheidung des anordnenden Gerichts über die Verwertbarkeit der
erlangten Erkenntnisse herbeizuführen.
40
(9) Nach Absatz 1 erlangte personenbezogene Daten sind besonders zu kennzeichnen. Nach
einer Übermittlung ist die Kennzeichnung durch die Empfänger aufrechtzuerhalten. Solche
Daten dürfen für einen anderen Zweck verwendet werden, soweit dies zur
41
1. Verfolgung von besonders schweren Straftaten, die nach der Strafprozessordnung die
Wohnraumüberwachung rechtfertigen,
42
2. Abwehr einer dringenden Gefahr im Sinne des Absatzes 1 erforderlich ist. Die
Zweckänderung muss im Einzelfall festgestellt und dokumentiert werden.
43
(...)
44
Durch eine Gesetzesänderung mit Wirkung ab 23. Februar 2011 wurden die Regelungen zum
Kernbereichsschutz in § 39a POG RP aufgenommen, auf den § 29 POG RP nun verweist
(Siebtes Landesgesetz zur Änderung des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes vom
15. Februar 2011, GVBl S. 26).
III.
45
1. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte am 5. Dezember 2007 die Beschwerdeführer zu
1) und 2) wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit
mit versuchtem bandenmäßigen Betrug in 28 tateinheitlich begangenen Fällen zu
Freiheitsstrafen von sieben Jahren (Beschwerdeführer zu 1) und sechs Jahren
(Beschwerdeführer zu 2) sowie den Beschwerdeführer zu 3) wegen Unterstützung einer
ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit versuchtem bandenmäßigen Betrug
in 28 tateinheitlich begangenen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs
Monaten.
46
a) Nach den vom Oberlandesgericht Düsseldorf getroffenen Feststellungen hatte der
Beschwerdeführer zu 1) in den Jahren 2000 und 2001 in Trainingslagern der Organisation Al
Qaida in Afghanistan eine terroristische Ausbildung erhalten und seither den gewaltsamen Jihad
gegen die „Ungläubigen“ als seine außer jeder Diskussion stehende Individualpflicht betrachtet.
Nach zwischenzeitlichem Aufenthalt in Deutschland reiste er im Oktober 2001 erneut nach
Afghanistan und beteiligte sich dort von Ende 2001 bis Anfang 2002 an Kampfhandlungen der Al
Qaida-Verbände. Er hatte dabei Kontakt zu Osama Bin Laden und gliederte sich in die
Hierarchie der Organisation ein. Mitte Juli 2002 kehrte er nach Deutschland zurück und folgte der
Anweisung, weiterhin für Al Qaida zu arbeiten. In der Folgezeit entfaltete er zu diesem Zweck
umfangreiche Aktivitäten für Rekrutierungs- sowie Beschaffungsmaßnahmen und warb für die
Unterstützung des gewaltsamen Jihad durch einen Märtyrereinsatz oder zumindest durch eine
Spende an die Organisation.
47
Die Rekrutierungsbemühungen des Beschwerdeführers zu 1) hatten bei den Beschwerdeführern
zu 2) und 3) Erfolg. Die Beschwerdeführer beschlossen, gemeinsam Geldmittel für Al Qaida zu
beschaffen. Sie verabredeten, dass der Beschwerdeführer zu 2) Lebensversicherungsverträge
mit Bezugsberechtigung des Beschwerdeführers zu 3) abschließt. Anschließend sollte der
Beschwerdeführer zu 2) nach Ägypten reisen und dort durch Bestechung von Amtspersonen
inhaltlich unrichtige amtliche Dokumente wie eine Sterbeurkunde und einen polizeilichen
Unfallbericht beschaffen, aus denen sich ein tödlicher Unfall des Beschwerdeführers zu 2)
ergeben sollte. Mit diesen Dokumenten und unterstützt durch den Beschwerdeführer zu 1) sollte
der Beschwerdeführer zu 3) den Versicherungsunternehmen einen tödlichen Autounfall des
Beschwerdeführers zu 2) belegen und als Begünstigter die Versicherungsleistungen geltend
machen. Ein erheblicher Teil des so erlangten Geldes war für Al Qaida bestimmt. Zu diesem
Zweck stellte der Beschwerdeführer zu 2) mit Unterstützung des Beschwerdeführers zu 3) im
Zeitraum vom 10. August 2004 bis zum 18. Januar 2005 insgesamt 28 Anträge auf Abschluss
von Lebensversicherungsverträgen mit einer garantierten Todesfallsumme von insgesamt
4.325.985 Euro. Er verneinte die häufig gestellte Frage nach weiteren Todesfallabsicherungen
oder entsprechenden Anträgen bei anderen Versicherungen. Nachdem seine wahrheitsgemäße
Berufsangabe „Student“ zu Rückfragen geführt hatte, gab der Beschwerdeführer zu 2) in
späteren Anträgen seinen Beruf mit „Autohändler“ oder „selbständiger Kaufmann“ an. Im Januar
2005 trafen die Beschwerdeführer Vorbereitungen für die Reise des Beschwerdeführers zu 2)
nach Ägypten, die bis spätestens Ende Januar 2005 stattfinden sollte. Letztlich wurden neun
Versicherungsverträge mit einer garantierten Todesfallsumme von 1.264.092 Euro
abgeschlossen, 19 Anträge aufgrund zwischenzeitlicher Warnhinweise der Polizei und wegen
der Festnahme der Beschwerdeführer zu 1) und 2) abgelehnt oder nicht mehr weiter bearbeitet.
48
b) Das Oberlandesgericht Düsseldorf stützte seine Überzeugungsbildung wesentlich auf
Erkenntnisse, die durch die Wohnraumüberwachungsmaßnahmen gewonnen worden waren.
Von 142 in die Hauptverhandlung eingeführten Gesprächen wurden Passagen aus 86
Aufzeichnungen im Urteil wiedergegeben.
49
Das Oberlandesgericht Düsseldorf war der Auffassung, dass die aus der polizeirechtlichen
Wohnraumüberwachung erlangten Erkenntnisse nach § 100d Abs. 6 StPO in der zum
Verurteilungszeitpunkt geltenden Fassung verwertbar seien und dass die polizeirechtlichen
Rechtsgrundlagen der Wohnraumüberwachung verfassungskonform ausgelegt werden könnten.
Die verfassungskonforme Organisation der Wohnraumüberwachung sei überprüft worden.
Aufzeichnungen seien nicht automatisch erfolgt. Im Schichtbetrieb eingesetzte Polizeibeamte
hätten mit Unterstützung von ebenfalls anwesenden Dolmetschern mitgehört und kurzfristig
entschieden, ob neben dem Mithören aufgezeichnet oder ob auch das Mithören unterbrochen
werde. Auf Grundlage der Angaben oder Notizen der Dolmetscher über den Gesprächsinhalt
seien zur Dokumentation des Ablaufs und zur Vorbereitung der Entscheidung über eine
ausführliche Übersetzung kurze Inhaltsangaben verfasst worden. „Soweit in den
aufgezeichneten Gesprächen - eingestreut in unmittelbar gefahren- oder tatbezogene
Äußerungen - auch Themen von allgemeinem Belang zur Sprache“ gekommen seien, habe die
Überwachung den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht tangiert.
Anhand der im Ermittlungsverfahren erstellten Wort- und Inhaltsprotokolle seien für die
Hauptverhandlung Gesprächsaufzeichnungen ausgewählt und Sprachsachverständigen zur
Erstellung deutschsprachiger Gesprächsprotokolle vorgelegt worden. Die
Sprachsachverständigen hätten nur die verfahrensrelevanten Gesprächssequenzen wörtlich
wiedergegeben, während erkennbar wiederholende oder nicht verfahrensrelevante
Unterhaltungsteile lediglich inhaltlich beschrieben und im Protokoll durch Kursivdruck kenntlich
gemacht worden seien. Aufgezeichnete Gebete seien in gefahrrelevante Gespräche über die
Rechtfertigung von terroristischen Anschlägen oder die Verherrlichung des Märtyrertodes
eingebettet gewesen; „Heirat“ und „Familie“ betreffende Gespräche hätten sich vorrangig auf die
Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus sowie im Zusammenhang mit dem geplanten
Versicherungsbetrug auf die finanzielle Versorgung als Voraussetzung des Märtyrertodes
bezogen. „Im Hinblick auf mögliche Zweifel an einer Einhaltung der Grundsätze zum
unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung“ sei „vorsorglich“ von einer Verwertung
derjenigen Gesprächsaufzeichnungen abgesehen worden, die „Selbstgespräche“ des
Beschwerdeführers zu 1) „während der Phasen seiner alleinigen Anwesenheit in der Wohnung
erfassten“.
50
Seit dem 1. Juli 2005 und damit zum Zeitpunkt der Verurteilung durch das Oberlandesgericht
Düsseldorf hatte § 100d Abs. 6 Nr. 3 StPO in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des
Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 (akustische Wohnraumüberwachung)
vom 24. Juni 2005 (BGBl I S. 1841) folgenden Wortlaut:
51
§ 100d
52
(...)
53
(6) Personenbezogene Informationen aus einer akustischen Wohnraumüberwachung dürfen für
andere Zwecke nach folgenden Maßgaben verwendet werden:
54
(…)
55
3. Sind verwertbare personenbezogene Informationen durch eine entsprechende
polizeirechtliche Maßnahme erlangt worden, dürfen diese Informationen in einem Strafverfahren
ohne Einwilligung der insoweit überwachten Personen nur zur Aufklärung einer Straftat,
aufgrund derer die Maßnahme nach § 100c angeordnet werden könnte, oder zur Ermittlung des
Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden.
56
(...)
57
c) Zur rechtlichen Würdigung führte das Oberlandesgericht Düsseldorf aus, dass versuchte
Betrugstaten vorlägen, weil „die Beantragung von Lebensversicherungen schon den ersten
Teilakt der mehrstufigen Tatausführung“ dargestellt habe. Zwar seien nach dem Tatplan noch
weitere Täuschungshandlungen erforderlich gewesen. Die Einzelheiten der Vorgehensweise
und deren zeitnahe Verwirklichung hätten jedoch von Anfang an festgestanden. Dies habe eine
konkrete Gefahr für das Vermögen der Versicherungen als geschütztes Rechtsgut begründet.
Gleichwohl liege in den Fällen, in denen bereits ein Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen
worden sei, keine Tatvollendung vor. Ein Schaden sei mangels Auszahlung der erstrebten
Versicherungssummen nicht eingetreten. Die Gewährung von Versicherungsschutz habe auch
noch nicht zu einer schadensgleichen Vermögensgefährdung geführt, da die Ausreise des
Beschwerdeführers zu 2) nach Ägypten erst im Januar 2005 unmittelbar bevorgestanden habe
sowie die Ermittlungsbehörden zu diesem Zeitpunkt bereits umfassend Kenntnis von den
Einzelheiten der Tatplanung erlangt hatten und daher deren weitere Umsetzung hätten
verhindern können.
58
2. Mit Wirkung ab 1. Januar 2008 (Gesetz zur Neuregelung der
Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur
Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007, BGBl I 2007, S. 3198) wurde
§ 100d Abs. 6 StPO durch § 100d Abs. 5 StPO ersetzt. § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO hat nunmehr
folgenden Wortlaut:
59
§ 100d
60
(...)
61
(5) Personenbezogene Daten aus einer akustischen Wohnraumüberwachung dürfen für andere
Zwecke nach folgenden Maßgaben verwendet werden:
62
(…)
63
3. Sind verwertbare personenbezogene Daten durch eine entsprechende polizeirechtliche
Maßnahme erlangt worden, dürfen sie in einem Strafverfahren ohne Einwilligung der insoweit
überwachten Personen nur zur Aufklärung einer Straftat, auf Grund derer die Maßnahme nach
§ 100c angeordnet werden könnte, oder zur Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat
beschuldigten Person verwendet werden.
64
3. Der Bundesgerichtshof änderte auf die Revisionen der Beschwerdeführer die Schuldsprüche
durch Urteil vom 14. August 2009 (BGHSt 54, 69) ab. Danach waren der Beschwerdeführer zu 1)
der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Betrug in
neun sowie mit versuchtem Betrug in 19 tateinheitlichen Fällen, der Beschwerdeführer zu 2) der
Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Betrug in neun
sowie mit versuchtem Betrug in 19 tateinheitlichen Fällen und der Beschwerdeführer zu 3) der
Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Betrug in fünf
sowie mit versuchtem Betrug in 18 tateinheitlichen Fällen schuldig. Bezüglich des
Beschwerdeführers zu 2) wurde unter Aufrechterhaltung der Feststellungen der Strafausspruch
aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung
an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
65
a) Hinsichtlich der durch die Wohnraumüberwachungsmaßnahmen erlangten Informationen
liege kein Beweisverwertungsverbot vor.
66
aa) Die durch die präventiv-polizeiliche Wohnraumüberwachungsmaßnahme erlangten
Erkenntnisse seien verwertbar. Dies richte sich zunächst nach § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO. Die
Erkenntnisse seien zum Nachweis einer Straftat nach §§ 129a, 129b StGB herangezogen
worden, zu deren Aufklärung die Wohnraumüberwachung zum Zeitpunkt der Verwertung im
Strafverfahren hätte angeordnet werden dürfen. Bei den Erkenntnissen handle es sich um
verwertbare Daten im Sinne des § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO; der Begriff der Verwertbarkeit
beziehe sich auf hier nicht vorliegende Verwertungsverbote aus § 100c StPO. Die Umwidmung
der Daten werde durch § 29 Abs. 9 Satz 3 Nr. 1 POG RP 2005 zugelassen.
67
Als Ermächtigungsgrundlage für die Datenerhebung sei § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 POG RP 2004
mit Art. 13 Abs. 4 GG vereinbar und hinreichend bestimmt gewesen. Dagegen entspreche § 29
POG RP 2004 mangels einfachrechtlicher Vorschriften zum Schutz des Kernbereichs privater
Lebensgestaltung nicht in vollem Umfang den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 (BVerfGE 109, 279). Dies führe
allerdings nicht dazu, dass die Daten nicht verwendet werden dürften. Grundsätzlich setze
§ 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO voraus, dass die Daten polizeirechtlich rechtmäßig erhoben worden
seien. Obwohl eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift entgegen der Auffassung des
Oberlandesgerichts Düsseldorf nicht möglich sei, stehe dies einer Verwertbarkeit nicht entgegen.
Denn nicht jeder Rechtsverstoß bei der Beweisgewinnung führe zu einem Verwertungsverbot;
es sei je nach den Umständen des Einzelfalls unter Abwägung aller maßgeblichen
Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Diese Grundsätze hätten
auch Geltung für Verwendungsregelungen wie § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO. Hier überwiege das
öffentliche Interesse an der Strafverfolgung. Die Unvereinbarkeit des § 29 POG RP 2004 mit
höherrangigem Recht begründe zwar einen Verstoß von Gewicht. Auch diese Vorschrift wäre
jedoch entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelungen der
strafprozessualen Wohnraumüberwachung (BVerfGE 109, 279) während einer Übergangszeit für
weiter anwendbar erklärt worden. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum
Kernbereichsschutz habe der Landesgesetzgeber in die ansonsten verfassungsgemäße
Vorschrift in einem Zeitraum von nur etwas über vier Monaten noch nicht einarbeiten können. Bei
dieser Ausgangslage sei die Annahme, die Wohnraumüberwachung dürfe bei Gewährleistung
des Kernbereichsschutzes durch entsprechende Vollzugsanordnungen durchgeführt werden,
nicht unvertretbar gewesen. Jedenfalls habe materiell kein ungerechtfertigter Eingriff vorgelegen.
68
Die Anordnungsentscheidungen unterlägen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zum
Zeitpunkt der Anordnung hätten konkrete Tatsachen die Einschätzung belegt, dass in der
überwachten Wohnung Planungen und Vorbereitungen für Terroranschläge stattfänden. Die
fehlende Erfassung des Beschwerdeführers zu 2) in Rubrum und Tenor der Anordnung als
weiterer Bewohner der überwachten Wohnung habe nicht zu einer Umgehung des
Richtervorbehalts geführt; dieser sei vielmehr im Ergebnis wie ein Dritter (§ 29 Abs. 1 Satz 2
POG RP 2004) behandelt worden. Jedenfalls wäre ein Verstoß nur geringfügig, da auch gegen
den Beschwerdeführer zu 2) unproblematisch eine Anordnung hätte erwirkt werden können. Die
Verlängerungsanordnung sei ebenfalls nicht zu beanstanden.
69
Die Erkenntnisse seien auch nicht wegen einer Kernbereichsverletzung unverwertbar. Eine
Unverwertbarkeit ergebe sich nicht aus § 100d Abs. 5 Nr. 3, § 100c Abs. 5 Satz 3 StPO, da im
Urteil keine kernbereichsrelevanten Gespräche verwertet worden seien. Ein Verstoß gegen das
Beweiserhebungsverbot aus § 100c Abs. 4 Satz 1 StPO sei nicht dargelegt oder sonst
ersichtlich. Die Durchführung der Wohnraumüberwachung habe grundsätzlich den
verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf habe die
aufgezeichneten Gespräche eingehender Prüfung unterzogen und einzelne nicht verwertet. Die
Polizeibehörden hätten die Anordnungen nicht planmäßig überschritten, sondern seien mit
hohem personellen und technischen Aufwand um die Umsetzung der verfassungsrechtlichen
Vorgaben bemüht gewesen. Aufgezeichnete Gebete seien in gefahrrelevante Gespräche über
die Rechtfertigung terroristischer Anschläge oder die Verherrlichung des Märtyrertodes
eingebettet gewesen. Die Themen „Heirat“ und „Familie“ seien durch Gespräche berührt worden,
die sich vorrangig auf die Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus bezogen oder in
Zusammenhang mit dem geplanten Versicherungsbetrug gestanden hätten. Es handle sich um
eine Mutmaßung, dass über den gesamten Zeitraum jedenfalls mitgehört worden sei. Aus der
Darstellung im Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf ergebe sich vielmehr, dass bei
Wahrnehmung von kernbereichsrelevanten Gesprächen auch das Mithören beendet worden sei.
Erst bei veränderten Personenkonstellationen in der Wohnung sei durch gelegentliches
Hereinhören überprüft worden, ob die Gespräche verfahrensrelevante, nicht dem Kernbereich
zugehörige Themen betroffen hätten. Der Verwertbarkeit der Äußerungen der Beschwerdeführer
zu 2) und 3) stehe § 100c Abs. 6 StPO nicht entgegen. Gegen den Beschwerdeführer zu 3) habe
zum maßgeblichen Zeitpunkt der Verwertung ein hinreichender Tatverdacht bestanden.
Äußerungen eines Bruders der Beschwerdeführer zu 2) und 3) hätten nach § 100c Abs. 6 Satz 2
StPO verwertet werden dürfen.
70
Die Erkenntnisse aus der präventiv-polizeilichen Wohnraumüberwachung hätten danach auch
Grundlage für die Anordnung der strafprozessualen Wohnraumüberwachung sein können.
71
bb) Die Rüge, es habe eine unzulässige Rundumüberwachung vorgelegen, sei jedenfalls
unbegründet.
72
Wohnraumüberwachungsmaßnahmen seien etwa fünf Monate lang durchgeführt worden, wobei
sich die Dauer der Aufzeichnungen auf 8,4 % des Gesamtüberwachungszeitraums belaufen
habe. Die Videoüberwachung des Hauseingangs sei zwei Wochen vor der
Wohnraumüberwachung begonnen und mit dieser beendet worden. Außerdem seien die
Videoüberwachung eines von den Beschwerdeführern zu 1) und 2) gelegentlich genutzten
Telefonladens für einen Zeitraum von zwei Monaten genehmigt und die Anbringung von zwei
Sendern an Fahrzeugen für ein Wochenende, die Herausgabe von Verbindungsdaten von
insgesamt sechs an einem Tag aus fünf verschiedenen Telefonzellen geführten Gesprächen
sowie die planmäßige Beobachtung des Beschwerdeführers zu 2) für einen Zeitraum von vier
Monaten angeordnet worden. Etwa zehn Tage vor der Festnahme sei die Überwachung der von
den Beschwerdeführern zu 1) und 2) genutzten Mobiltelefone, die Beschlagnahme aller an diese
gerichteten Postsendungen und die langfristige Observation des Beschwerdeführers zu 1)
angeordnet worden. Hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 3) seien keine
Überwachungsmaßnahmen angeordnet worden; dieser sei nur reflexartig betroffen gewesen.
73
Die über einen längeren Zeitraum durchgeführte und engmaschig strukturierte
Wohnraumüberwachung sei angesichts der Gefahrenlage sowie zur Aufklärung der Planungs-
und Verbindungsstrukturen erforderlich gewesen. Bei der konkreten Durchführung sei zudem auf
einen möglichst schonenden Vollzug geachtet worden, was auch durch die im Verhältnis zum
Zeitraum der Überwachung geringe Dauer der Aufzeichnungen belegt werde. In diesem
Zusammenhang habe die Videoüberwachung des Hauseingangs die Eingriffsintensität nicht
gesteigert, sondern durch die Überprüfbarkeit des in der Wohnung verkehrenden
Personenkreises die Intensität der eingriffsintensiveren Abhörmaßnahme verringert. Auch bei
einer Gesamtschau der Maßnahmen ergebe sich keine unzulässige Rundumüberwachung, mit
der ein Persönlichkeitsprofil erstellt werden könnte. Eine solche Rundumüberwachung sei durch
die vorhandenen verfahrensrechtlichen Sicherungen ausgeschlossen. Der Ermittlungsrichter
und der Generalbundesanwalt seien über sämtliche Maßnahmen informiert gewesen.
74
b) Die Verurteilung der Beschwerdeführer wegen tateinheitlichen versuchten Betrugs in 28
Fällen halte rechtlicher Überprüfung nicht in vollem Umfang stand.
75
aa) In allen Fällen sei jedenfalls konkludent darüber getäuscht worden, nach den
Vertragsbedingungen dauerhaft die Versicherungsprämien zahlen zu wollen und bereit zu sein,
den Versicherungsschutz allein zur Abdeckung des zukünftigen Risikos eines ungewissen
Schadenseintritts zu nutzen. Dies habe bei den Versicherungsunternehmen zu einer
entsprechenden Fehlvorstellung über die Leistungsbereitschaft und die Vertragstreue geführt.
76
bb) Mit dem Abschluss eines Lebensversicherungsvertrags sei bei dem jeweiligen
Versicherungsunternehmen ein Vermögensschaden eingetreten und die Betrugstat vollendet.
Der beim Betrug durch Abschluss eines Vertrags (Eingehungsbetrug) vorzunehmende Vergleich
der beiderseitigen Vertragsverpflichtungen ergebe, dass die Versicherungsprämien keinen
äquivalenten Ausgleich für die mit dem Vertrag eingegangenen Verpflichtungen dargestellt
hätten. Die Inanspruchnahme des Versicherers sei aufgrund der von den Beschwerdeführern
beabsichtigten Manipulation sicher zu erwarten gewesen. Einer entsprechenden Forderung
hätte sich der Versicherer nur durch den Beleg der Unredlichkeit des Versicherungsnehmers,
etwa durch den Nachweis der Unrichtigkeit der ägyptischen Todesbescheinigung, entziehen
können. Damit sei die Leistungswahrscheinlichkeit der Versicherungen gegenüber dem
vertraglich vereinbarten Einstandsrisiko signifikant erhöht gewesen. Eine dem Tatplan
entsprechende spätere Auszahlung hätte lediglich zu einer Schadensvertiefung geführt und den
Eingehungs- zum Erfüllungsbetrug werden lassen. Zwar könne eine Berechnung der
Schadenshöhe nach bilanziellen Maßstäben schwierig sein, weil es für die Bewertung der
Verpflichtung aus einem täuschungsbedingt abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag
keine anerkannten Richtgrößen gebe. Dies führe jedoch lediglich dazu, dass unter Beachtung
des Zweifelssatzes im Wege der Schätzung Mindestfeststellungen zu treffen seien.
Erforderlichenfalls müsse sich das Gericht der Hilfe von Sachverständigen aus den Gebieten der
Versicherungsmathematik oder der Versicherungsökonomik und/oder des Bilanzwesens
bedienen. In den Fällen der Beantragung einer Lebensversicherung liege danach ein versuchter
Eingehungsbetrug vor.
77
Die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, in allen Fällen habe ein versuchter
Erfüllungsbetrug vorgelegen, sei rechtlich nicht haltbar. Es hätten noch wesentliche
Zwischenschritte erfolgreich zurückgelegt werden müssen, bevor es möglich gewesen wäre, die
Versicherungen in Anspruch zu nehmen. Denn vor Fingierung des Tods des Beschwerdeführers
zu 2) in Ägypten und Beschaffung der entsprechenden falschen Unterlagen wäre es nicht
möglich gewesen, die Versicherer durch deren Vorlage in Anspruch zu nehmen.
78
cc) Der Beschwerdeführer zu 3) habe nicht an allen Betrugstaten mitgewirkt; die vor seiner
Mitwirkung begangenen Taten könnten ihm nicht zugerechnet werden.
79
c) Der Bundesgerichtshof schloss aus, dass bei zutreffender rechtlicher Würdigung geringere
Freiheitsstrafen gegen die Beschwerdeführer zu 1) und 3) verhängt worden wären. Dagegen
müsse hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 2) über den Strafausspruch neu entschieden
werden.
80
4. Die Beschwerdeführer machten gegenüber dem Bundesgerichtshof die Verletzung rechtlichen
Gehörs geltend (§ 356a StPO). Sie beanstandeten, „bezüglich der jetzt vom BGH gewählten
rechtlichen Konstruktion des Eingehungsbetrugs mit einem nicht bezifferten Schaden sui generis
kein rechtliches Gehör in der einzigen Tatsacheninstanz erhalten“ zu haben. Auch hätten sie
keine Gelegenheit gehabt, durch entsprechende Beweisanträge, Erklärungen oder sonstige
Prozesshandlungen auf die dieser Wertung zugrunde liegenden Tatsachenfragen Einfluss zu
nehmen.
81
Der Bundesgerichtshof verwarf die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 20. Oktober 2009 als
unbegründet. Die Beschwerdeführer seien zum verwerteten Verfahrensstoff gehört worden, zu
berücksichtigendes Vorbringen sei nicht übergangen worden. Der rechtsfehlerfrei festgestellte
Sachverhalt sei rechtlich abweichend gewürdigt worden, die konkrete Schadenshöhe habe für
die revisionsrechtliche Prüfung keine Bedeutung gehabt.
82
5. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte den Beschwerdeführer zu 2) am 4. Februar 2010
zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten.
83
6. Die Revision des Beschwerdeführers zu 2) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts
Düsseldorf vom 4. Februar 2010 verwarf der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 20. Juli 2010
als unbegründet.
B.
I.
84
1. Die Beschwerdeführer zu 1) bis 3) greifen mit der Verfassungsbeschwerde 2 BvR 2500/09 das
Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 5. Dezember 2007 und das Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 14. August 2009 an. Sie beanstanden die Verwertung von
Informationen aus der Wohnraumüberwachung und den Schuldspruch wegen Betrugs.
85
a) Hinsichtlich der Verwertung von Informationen aus der Wohnraumüberwachung rügen die
Beschwerdeführer die Verletzung zahlreicher Grundrechte.
86
Es bestehe ein Beweisverwertungsverbot. Nach § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO dürften nur
rechtmäßig erhobene Erkenntnisse verwertet werden. Die vom Bundesgerichtshof angewendete
Abwägungslösung finde im Grundgesetz keine Stütze. Aus der Unverwertbarkeit der im
präventiv-polizeilichen Ausgangsverfahren erhobenen Daten folge, dass diese auch im
Strafverfahren nicht verwertet werden dürften. Es fehle an einer wirksamen
Ermächtigungsgrundlage in § 29 POG RP 2004. Diese Vorschrift verstoße gegen das
Bestimmtheitsgebot und enthalte keine Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater
Lebensgestaltung. Der Bundesgerichtshof habe in angemaßter Zuständigkeit eine besondere
Form der Fortgeltung der verfassungswidrigen Norm fingiert. Wegen Verletzungen des
Kernbereichs privater Lebensgestaltung dürften die Erkenntnisse insgesamt nicht verwertet
werden. Die Wohnraumüberwachungsmaßnahme sei in unzulässiger Weise ausgeführt worden;
ein Mithören ohne Aufzeichnung und Dokumentation verkürze die Rechtsschutzmöglichkeit der
Beschwerdeführer. Auch die Anordnung der Wohnraumüberwachung sei rechtswidrig gewesen.
Bei der Annahme einer dringenden Gefahr sei der Regelungsgehalt des Art. 13 Abs. 4 GG nicht
beachtet worden; der Sache nach habe es sich um einen Eingriff zur Gefahrenerforschung,
Gefahrenvorsorge und Gefahrenverhütung gehandelt. Da der Beschwerdeführer zu 2) auch in
der Wohnung gewohnt habe, nicht jedoch im Rubrum der jeweiligen Beschlüsse aufgeführt
worden sei, liege ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt vor und stellten sich die
Entscheidungen als willkürlich dar. Da die Anordnungen des Landgerichts Karlsruhe auf den
rechtswidrig erlangten Erkenntnissen der polizeilichen Überwachung beruhten, seien auch diese
verfassungswidrig. Außerdem habe jedenfalls hinsichtlich der Beschwerdeführer zu 1) und 2)
eine unzulässige Rundumüberwachung vorgelegen.
87
b) Hinsichtlich des Schuldspruchs wegen vollendeten Betrugs durch den Bundesgerichtshof
rügen die Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 103 Abs. 1 und
Art. 103 Abs. 2 GG.
88
aa) Der Bundesgerichtshof sei von einer Täuschung ausgegangen, obwohl es an einer
Manipulation vor Vertragsschluss gefehlt habe. Die Annahme, dass jeder unredliche
Vertragsschließende eine Täuschung vornehme, überschreite den möglichen Wortsinn dieses
Tatbestandsmerkmals. Durch die Annahme eines vollendeten Betrugs bereits mit Abschluss der
Lebensversicherungsverträge werde eine abstrakte Vermögensgefährdung als Schaden erfasst.
Eine Bezifferung des Schadens sei unmöglich, insoweit lägen auch keine Mindestfeststellungen
vor.
89
bb) Da sie keine Möglichkeit gehabt hätten, sich vor Erlass der Entscheidung des
Bundesgerichtshofs zu dessen Wertung zu äußern, sei ihr Anspruch auf rechtliches Gehör
verletzt worden. Wegen der Änderung des Schuldspruchs durch den Bundesgerichtshof ohne
diesbezügliche Zurückverweisung sei ihnen auch die Möglichkeit genommen worden, durch
ergänzende Tatsachenfeststellungen das Fehlen eines Schadens zu belegen.
90
cc) Schließlich seien sie mangels Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen ihrem
gesetzlichen Richter entzogen worden.
91
2. Der Beschwerdeführer zu 2) greift mit seiner weiteren Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1857/10
das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. Februar 2010 und den Beschluss des
Bundesgerichtshofs vom 20. Juli 2010 an.
II.
92
Das Bundesministerium der Justiz und das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen
haben von Stellungnahmen abgesehen. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat mitgeteilt,
dass der 4. Strafsenat zur Problematik des Eingehungsbetrugs auf sein Urteil vom 29. November
2007 - 4 StR 386/07 -, NStZ-RR 2008, S. 83, verweise. Der Generalbundesanwalt beim
Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 2500/09 für unbegründet; die
Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1857/10 hält er für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.
III.
93
1. Der Beschwerdeführer zu 1) hat seinen mit der Erhebung der Verfassungsbeschwerde
gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung am 26. November 2009
zurückgenommen.
94
2. Auf Antrag des Beschwerdeführers zu 2) wurde durch Beschluss der 1. Kammer des Zweiten
Senats vom 16. Juni 2011 - 2 BvR 1857/10 - im Wege der einstweiligen Anordnung die
Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom
4. Februar 2010 bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde - längstens für die
Dauer von sechs Monaten - ausgesetzt.
C.
I.
95
Die Voraussetzungen eines Verwertungsverbots als Folge einer Verletzung des Kernbereichs
privater Lebensgestaltung haben die Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
II.
96
Eine § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügende Begründung der Verfassungsbeschwerde
setzt voraus, dass der die Rechtsverletzung enthaltende Vorgang substantiiert und schlüssig
vorgetragen wird (vgl. BVerfGE 81, 208 <214>; 89, 155 <171>; 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>;
113, 29 <44>). Bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten
Verfassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer sich mit dieser inhaltlich
auseinanderzusetzen (vgl. BVerfGE 82, 43 <49>; 86, 122 <127>; 88, 40 <45>; 105, 252 <264>).
Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete
Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>). Liegt
zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Verfassungsfragen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts bereits vor, der die angegriffenen Gerichtsentscheidungen folgen, so
ist der behauptete Grundrechtsverstoß in Auseinandersetzung mit den vom
Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. BVerfGE 77, 170
<214 ff.>; 99, 84 <87>; 101, 331 <345 f.>; 123, 186 <234>).
III.
97
Danach sind die Ausführungen der Beschwerdeführer zur Verwertung kernbereichsrelevanter
Informationen aus der Wohnraumüberwachung (1.), zur unzulässigen Durchführung der
Wohnraumüberwachung insgesamt (2.) und zur Rundumüberwachung (3.) in tatsächlicher und
rechtlicher Hinsicht unzureichend.
98
1. Die Beschwerdeführer legen nicht dar, dass im Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom
5. Dezember 2007 kernbereichsrelevante Gespräche verwertet wurden.
99
a) Aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt sich, dass ein Kernbereich privater Lebensgestaltung als absolut
unantastbar geschützt ist (vgl. BVerfGE 119, 1 <29 f.>; 120, 274 <335>; 124, 43 <69>). Selbst
sehr schwerwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in ihn nicht
rechtfertigen; eine Abwägung findet nicht statt (vgl. BVerfGE 34, 238 <245 f.>; 80, 367 <373 f.>;
109, 279 <313 f.>; 120, 274 <335>). Den Kernbereich betreffende Informationen dürfen nicht
verwendet und damit auch nicht in einem Urteil verwertet werden (vgl. BVerfGE 109, 279 <324,
331 f.>; 120, 274 <337>). Ob eine Information dem Kernbereich zuzuordnen ist, hängt davon ab,
in welcher Art und Intensität sie aus sich heraus die Sphäre anderer oder Belange der
Gemeinschaft berührt (vgl. BVerfGE 80, 367 <374>; 109, 279 <314 f.>; 113, 348 <391>; 124, 43
<69 f.>). Maßgebend sind die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls (vgl. BVerfGE 80, 367
<374>; 109, 279 <314>; 124, 43 <70>). Zum Kernbereich gehören etwa Äußerungen innerster
Gefühle oder Ausdrucksformen der Sexualität (vgl. BVerfGE 109, 279 <313, 314 f.>; 119, 1
<29 f.>). Allerdings gehören nicht zum Kernbereich Äußerungen, die in unmittelbarem Bezug zu
konkreten strafbaren Handlungen stehen, wie etwa Angaben über die Planung bevorstehender
oder Berichte über begangene Straftaten (vgl. BVerfGE 80, 367 <375>; 109, 279 <319>; 113, 348
<391>; 124, 43 <70>).
100
b) Die Beschwerdeführer legen in der Begründung der Verfassungsbeschwerde schon nicht dar,
dass kernbereichsrelevante Aufzeichnungen aus der Wohnraumüberwachung im Urteil des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 5. Dezember 2007 verwertet wurden. Weder bezeichnen sie
die in den Urteilsgründen wiedergegebenen Gespräche, die dem Kernbereich zuzurechnen sein
sollen, noch führen sie hinsichtlich der in der Begründung der Verfassungsbeschwerde
bezeichneten Gespräche aus, dass diese im Urteil verwertet wurden.
101
2. Ebenfalls nicht dargelegt ist die Verwertung von Informationen, die in einem Zeitraum
gewonnen wurden, in dem die Erfassung absolut geschützter Informationen wahrscheinlich war.
102
a) Akustische Wohnraumüberwachungsmaßnahmen sind unzulässig, wenn es wahrscheinlich
ist, dass dadurch zum Kernbereich gehörende Informationen erfasst werden (vgl. BVerfGE 109,
279 <320 ff., 328>). Informationen, die in einem Zeitraum gewonnen wurden, in dem die
Erfassung absolut geschützter Informationen wahrscheinlich war, dürfen umfassend und
ungeachtet ihres Inhalts nicht verwendet werden (vgl. BVerfGE 109, 279 <331>).
103
Zur Bestimmung des Umfangs eines Verwendungsverbots hätte dargelegt werden müssen, in
welchem Zeitraum die Erfassung absolut geschützter Gespräche wahrscheinlich war. Eine
solche Darlegung ist nicht erfolgt. Die Beschwerdeführer legen auch nicht dar, dass dem
Kernbereich zuzurechnende Informationen tatsächlich aufgezeichnet oder überwacht wurden.
Sie führen nur stichwortartige Beschreibungen wie „Selbstgespräch“, „Beten“, „Gespräch über
Tod des Vaters“ oder „Heirat“ an. Mangels genauerer Angaben zum Inhalt und zu den
Begleitumständen der bezeichneten Äußerungen kann nicht beurteilt werden, ob sie
höchstpersönlichen Charakter haben.
104
b) Die von den Beschwerdeführern gerügte Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeit wegen
eines Verstoßes gegen Dokumentationspflichten ist nicht schlüssig dargelegt. Schriftlich
festzuhalten ist nur, dass es zur Aufnahme absolut geschützter Gesprächsinhalte gekommen ist
und dass die diesbezüglichen Aufzeichnungen deswegen vollständig gelöscht worden sind (vgl.
BVerfGE 109, 279 <333>). Jede darüber hinausgehende aussagekräftige Dokumentation würde
gegen das absolute Verbot der Erhebung kernbereichsrelevanter Informationen verstoßen (vgl.
BVerfGE 109, 279 <318 f., 323 f., 331 ff.>; BVerfGK 11, 164 <177 f.>). Unbefriedigt bleibt danach
zwar ein mögliches Interesse des Betroffenen an vollständiger Kenntnis darüber, welche
Gesprächsinhalte überwacht worden sind (vgl. BVerfGE 109, 279 <332 f.>). Dies ist jedoch
notwendige Konsequenz des Kernbereichsschutzes im Bereich der Wohnraumüberwachung,
dem gerade auch das Absehen von einer automatischen Aufzeichnung dient (vgl. BVerfGE 109,
279 <323 f.>; BVerfGK 11, 164 <177 f.>).
105
3. Aus der Begründung der Verfassungsbeschwerde ergibt sich nicht, dass eine unzulässige
Rundumüberwachung durchgeführt wurde.
106
a) Unzulässig ist eine Überwachung, wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und
derart umfassend ist, dass nahezu lückenlos alle Bewegungen und Lebensäußerungen des
Betroffenen registriert werden und zur Grundlage für ein Persönlichkeitsprofil werden können
(vgl. BVerfGE 109, 279 <323>; 112, 304 <319>; BVerfGK 11, 164 <176 f.>). Es muss
sichergestellt werden, dass die eine Ermittlungsmaßnahme beantragende oder anordnende
Staatsanwaltschaft als primär verantwortlicher Entscheidungsträger über alle Ermittlungseingriffe
informiert wird, die den Grundrechtsträger treffen (vgl. BVerfGE 112, 304 <319 f.>).
107
b) Aus der Begründung der Verfassungsbeschwerde ergibt sich nur, dass intensive verdeckte
Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt wurden, gegen deren Verhältnismäßigkeit angesichts des
konspirativen Verhaltens der Beschwerdeführer und der Schwere des Tatverdachts keine
Bedenken bestehen (vgl. BVerfGE 112, 304 <321>; vgl. weiter EGMR, Urteil vom 2. September
2010 - 35623/05 -, Uzun/Deutschland, NJW 2011, S. 1333 <1334 ff.> zu Art. 8 EMRK). Die
Beschwerdeführer legen hingegen - darüber hinausgehend - nicht dar, dass die verdeckten
Ermittlungsmaßnahmen geeignet waren, ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen. So sind sie etwa
der fachgerichtlichen Feststellung nicht entgegen getreten, dass sich die Dauer der
Aufzeichnungen lediglich auf 8,4 % des Gesamtüberwachungszeitraums belaufen habe.
D.
108
Im Übrigen verletzt die Verwertung von Erkenntnissen aus der Wohnraumüberwachung die
Beschwerdeführer nicht in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten (I.). Der
Schuldspruch wegen tateinheitlichen (versuchten) Betrugs verstößt gegen Art. 103 Abs. 2 GG
(II.).
I.
109
Verfassungsrechtlich ist die Verwertung von Informationen aus den präventiv-polizeilichen
Wohnraumüberwachungsmaßnahmen im Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom
5. Dezember 2007 nicht zu beanstanden. Die Verwertung dieser Informationen verletzt die
Beschwerdeführer weder in ihrem Recht auf ein faires Verfahren (1.) noch in ihrem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht (2.) oder in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (3.).
110
1. Die Verwertung von Erkenntnissen aus der Wohnraumüberwachung verletzt die
Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht auf ein faires Strafverfahren (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m.
Art. 20 Abs. 3 GG).
111
a) Das Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung
mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 86, 288 <317>;
118, 212 <231>; 122, 248 <271>) und gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines
rechtsstaatlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 46, 202 <210>). Am Recht auf ein
faires Verfahren ist die Ausgestaltung des Strafprozesses zu messen, wenn und soweit keine
spezielle verfassungsrechtliche Gewährleistung existiert (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 109, 13
<34>; 122, 248 <271>).
112
Das Recht auf ein faires Verfahren enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder
Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Eine
Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst vor, wenn eine Gesamtschau auf das
Verfahrensrecht auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte ergibt, dass
rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich
Unverzichtbares preisgegeben worden ist (vgl. BVerfGE 57, 250 <275 f.>; 63, 45 <61>; 64, 135
<145 f.>; 70, 297 <308 f.>; 86, 288 <317 f.>; 122, 248 <272>).
113
Im Rahmen dieser Gesamtschau sind nicht nur die Rechte des Beschuldigten, insbesondere
prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und
Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu
können, sondern auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick
zu nehmen (vgl. BVerfGE 122, 248 <272 f.>). Das Rechtsstaatsprinzip gestattet und verlangt die
Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der
Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46,
214 <222>; 122, 248 <272>). Es besteht daher die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates,
eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 51, 324
<343 f.>; 77, 65 <76>; 107, 104 <118 f.>; 122, 248 <272 f.>). Diese muss dem Schuldgrundsatz
Rechnung tragen, der sich aus der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des
Menschen (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG) sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3
GG) ergibt. Danach ist jede strafende Ahndung einer Tat ohne Schuld des Täters
ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>; 109, 133 <171>; 110, 1 <13>; 122,
248 <270>; 123, 267 <413>). Außerdem muss bei der Festsetzung der Strafe das gerechte
Verhältnis zwischen Tatschwere und Verschulden des Täters unter Berücksichtigung der
besonderen Umstände des einzelnen Falls beachtet werden (vgl. BVerfGE 45, 187 <259 f.>; 54,
100 <108 f.>; 86, 288 <313>; 95, 96 <140>; 105, 135 <154 f.>; 120, 224 <253 f.>). Aus diesen
verfassungsrechtlichen Vorgaben folgt, dass ein zentrales Anliegen des Strafprozesses die
bestmögliche Ermittlung des wahren Sachverhalts sein muss (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 63,
45 <61>; 80, 367 <375>; 86, 288 <317>; 107, 104 <118 f.>; 115, 166 <192>; 118, 212 <230 f.,
233>; 122, 248 <270>).
114
Bei der Konkretisierung des Rechts auf ein faires Verfahren muss zudem der
Beschleunigungsgrundsatz berücksichtigt werden, der zwar in erster Linie den Interessen des
Beschuldigten dient, aber auch eng mit dem rechtsstaatlichen Erfordernis einer
funktionstüchtigen Strafrechtspflege verknüpft ist (vgl. BVerfGE 41, 246 <250>; 63, 45 <68 f.>;
122, 248 <273>). Denn eine funktionstüchtige Strafrechtspflege erfordert die Durchsetzung des
staatlichen Strafanspruchs innerhalb so kurzer Zeit, dass die Rechtsgemeinschaft die Strafe
noch als Reaktion auf geschehenes Unrecht wahrnehmen kann. Unnötige
Verfahrensverzögerungen stellen nicht nur die Zwecke der Kriminalstrafe in Frage; sie
beeinträchtigen auch das verfassungsrechtlich abgesicherte öffentliche Interesse an einer
möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozess, da die Beweisgrundlage durch
Zeitablauf verfälscht werden kann (vgl. BVerfGE 57, 250 <280>; 122, 248 <273>).
115
b) Die Verwertbarkeit rechtswidrig erhobener oder erlangter Informationen ist am Recht auf ein
faires Verfahren zu messen.
116
aa) Es existiert keine andere verfassungsrechtliche Gewährleistung, aus der sich ein
vollständiger Maßstab für die Verwertbarkeit von rechtswidrig erhobenen oder verwendeten
Informationen ergibt. Soweit es um die Verwertung personenbezogener Informationen geht, ist
zwar auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht berührt (siehe unten D.II.2.a). Die Frage eines
Verwertungsverbots kann sich aber auch in Bezug auf Informationen stellen, deren Gewinnung
oder Verwertung nicht oder nicht nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten
berührt. Insbesondere müssen dem Angeklagten - unabhängig von der Frage, ob die Verwertung
einer Information sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berührt - hinreichende Möglichkeiten
verbleiben, auf Gang und Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 26, 66
<71>; 41, 246 <249>; 46, 202 <210>; 54, 100 <116>; 63, 332 <337 f.>; 64, 135 <144>; 65, 171
<174 f.>; 66, 313 <318>; 110, 226 <253>). Außerdem sind Mindesterfordernisse an eine
zuverlässige Wahrheitserforschung zu wahren (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 ff.>; 70, 297 <308>;
77, 65 <76>; 86, 288 <317>; 118, 212 <230 f.>). Wegen der umfassenderen Schutzwirkung des
Rechts auf ein faires Verfahren sind die Auswirkungen eines Rechtsverstoßes bei der
Informationserhebung oder -verwendung daher in erster Linie an dieser Gewährleistung zu
messen (vgl. BVerfGE 13, 290 <296>; 64, 229 <238 f.>; 65, 104 <112>; 75, 348 <357>).
117
bb) Ein Beweisverwertungsverbot stellt von Verfassungs wegen eine begründungsbedürftige
Ausnahme dar, weil es die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung
oder Widerlegung des Verdachts strafbarer Handlungen einschränkt und so die Findung einer
materiell richtigen und gerechten Entscheidung beeinträchtigt. Grundrechtsverletzungen, zu
denen es außerhalb der Hauptverhandlung gekommen ist, führen daher nicht zwingend dazu,
dass auch das auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhende Strafurteil gegen
Verfassungsrecht verstößt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist ein Beweisverwertungsverbot
geboten, wenn die Auswirkungen des Rechtsverstoßes dazu führen, dass dem Angeklagten
keine hinreichenden Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Gang und Ergebnis des Verfahrens
verbleiben, die Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung nicht mehr
gewahrt sind oder die Informationsverwertung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das
allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde. Zudem darf eine Verwertbarkeit von
Informationen, die unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften gewonnen würden, nicht bejaht
werden, wo dies zu einer Begünstigung rechtswidriger Beweiserhebungen führen würde. Ein
Beweisverwertungsverbot kann daher insbesondere nach schwerwiegenden, bewussten oder
objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder
systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten sein (vgl. BVerfGE 113, 29 <61>; 125,
260 <339 f.>).
118
c) Nach diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben liegt kein Verstoß gegen das Recht auf ein
faires Verfahren vor. Der rechtliche Ausgangspunkt des Bundesgerichtshofs entspricht den
verfassungsrechtlichen Anforderungen (aa). Auch die Anwendung der
Beweisverwertungsgrundsätze im konkreten Fall ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden
(bb).
119
aa) Die erforderliche Gesamtschau auf das Verfahrensrecht in seiner Auslegung und
Anwendung durch die Fachgerichte ergibt nicht, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen
nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben worden ist.
120
(1) Rechtsgrundlage für die Beweisverwertung in einem strafgerichtlichen Urteil ist § 261 StPO
(vgl. BVerfGE 106, 28 <48 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom
20. Mai 2010 - 2 BvR 1413/09 -, NJW 2010, S. 2937 <2938>; BGHSt 56, 127 <134>; Rogall, JZ
2008, S. 818 <822 f., 825>). Dem Wortlaut dieser Vorschrift lassen sich keine Anhaltspunkte
dafür entnehmen, dass die Verwertung rechtswidrig erhobener oder erlangter Informationen nicht
oder nur eingeschränkt zulässig ist (vgl. weiter Rogall, JZ 2008, S. 818 <822 f.>). Die
Strafprozessordnung enthält keine allgemeinen Regelungen zu der Frage, welche Rechtsfolgen
eine rechtswidrige Erhebung oder Verwendung von Informationen nach sich zieht; dies ist nur
ausnahmsweise geregelt (vgl. § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO). Auch Verwendungs- und
Verwertungsverbote, die nicht an eine rechtswidrige Informationserhebung oder -verwendung
anknüpfen, sind jeweils nur für Einzelfälle ausdrücklich angeordnet (vgl. etwa § 100a Abs. 4
Satz 2, § 100c Abs. 5 Satz 3, Abs. 6 Satz 2, § 100d Abs. 5 Nr. 1, § 100i Abs. 2 Satz 2, § 108
Abs. 2 und 3, § 160a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3, § 161 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 477 Abs. 2
Satz 2 StPO; vgl. zur uneinheitlichen gesetzlichen Terminologie Allgayer/Klein, wistra 2010,
S. 130 <130 f.>).
121
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt ein Rechtsverstoß bei der
Beweiserhebung nicht ohne Weiteres zur Unverwertbarkeit der dadurch erlangten Erkenntnisse
(vgl. BGHSt 24, 125 <128 ff.>; 38, 214 <219 f.>; 44, 243 <248 f.>). Es bedarf in jedem Einzelfall
einer Abwägung der für und gegen die Verwertung sprechenden Gesichtspunkte (vgl. BGHSt 31,
304 <307 f.>; 38, 214 <219 f.>; 44, 243 <248 f.>). Für die Verwertbarkeit spricht stets das
staatliche Aufklärungsinteresse, dessen Gewicht im konkreten Fall vor allem unter
Berücksichtigung der Verfügbarkeit weiterer Beweismittel, der Intensität des Tatverdachts und
der Schwere der Straftat bestimmt wird. Auf der anderen Seite muss berücksichtigt werden,
welches Gewicht der Rechtsverstoß hat. Dieses wird im konkreten Fall vor allem dadurch
bestimmt, ob der Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich begangen wurde,
welchen Schutzzweck die verletzte Vorschrift hat, ob der Beweiswert beeinträchtigt wird, ob die
Beweiserhebung hätte rechtmäßig durchgeführt werden können und wie schutzbedürftig der
Betroffene ist. Verwertungsverbote hat der Bundesgerichtshof insbesondere bei grober
Verkennung oder bewusster Missachtung der Rechtslage angenommen (vgl. BGHSt 31, 304
<307 ff.>; 34, 39 <52 f.>; 35, 32 <33 f.>; 36, 396 <398 ff.>; 41, 30 <31>; 47, 362 <365 f.>; 48, 240
<248>; 51, 1 <2 f.>; 51, 285 <289 ff.>; BGH, Beschluss vom 30. August 2011 - 3 StR 210/11 -,
juris, Rn. 10 ff.). Teilweise macht der Bundesgerichtshof ein Beweisverwertungsverbot davon
abhängig, dass der Verwertung der betroffenen Information nach ihrer Einführung in die
Hauptverhandlung widersprochen wird ("Widerspruchslösung"); ein Angeklagter ohne
Verteidiger muss darüber belehrt werden (vgl. BGHSt 38, 214 <225 f.>; 39, 349 <352>; 42, 15
<22 ff.>; 50, 272 <274>; 51, 367 <376>; 52, 38 <41>; 52, 110 <113 f.>; Gössel, in: Löwe-
Rosenberg, StPO, Bd. 1, 26. Aufl. 2006, Einl. Abschn. L Rn. 28 ff.). Im Revisionsverfahren bedarf
es zur Geltendmachung eines Verwertungsverbots der Erhebung einer Verfahrensrüge (vgl.
BGHSt 37, 245 <248>; 47, 362 <365>; 48, 240 <241>; 52, 38 <40>; 52, 110 <111>).
122
(2) Dies deckt sich auch mit den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention
(vgl. zu deren Berücksichtigung BVerfGE 111, 307 <315 ff.>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats
vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a. -, NJW 2011, S. 1931 <1935 f.>). Danach ist die
Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise an den Maßstäben des fairen Verfahrens nach
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu messen. Ob ein Verfahren fair war, ist nach Prüfung der
Gesamtumstände zu entscheiden (vgl. EGMR, Urteil vom 25. März 1999 - 25444/94 -,
Péllisier und Sassi/Frankreich, NJW 1999, S. 3545 <3545 f.>; EGMR, Urteil vom 11. Juli 2006 -
54810/00 -, Jalloh/Deutschland, NJW 2006, S. 3117 <3122 f.>; EGMR, Urteil vom 10. März 2009
- 4378/02 -, Bykov/Russland, NJW 2010, S. 213 <215>; EGMR, Urteil vom 1. Juni 2010 -
22978/05 -, Gäfgen/Deutschland, NJW 2010, S. 3145 <3148 ff.>). In diesem Rahmen findet
Berücksichtigung, welches Gewicht der Verstoß gegen innerstaatliches Recht oder gegen ein
Konventionsrecht hat (vgl. EGMR, Urteil vom 11. Juli 2006 - 54810/00 -, Jalloh/Deutschland,
NJW 2006, S. 3117 <3122 f.>). Dies gilt auch für die Verwertung von Beweismitteln, die unter
Verletzung von Art. 8 EMRK gewonnen worden sind (vgl. EGMR, Urteil vom 12. Mai 2000 -
35394/97 -, Kahn/Vereinigtes Königreich, JZ 2000, S. 993 <993 f.>; EGMR, Urteil vom 10. März
2009 - 4378/02 -, Bykov/Russland, NJW 2010, S. 213 <215>; Meyer, in: Karpenstein/Mayer,
EMRK, 2012, Art. 6 Rn. 228 ff.).
123
(3) Die Abwägungslösung des Bundesgerichtshofs und die von ihm herangezogenen Kriterien
entsprechen den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich aus dem Recht auf ein faires
Verfahren ergeben.
124
Es begegnet keinen Bedenken, dass ein Verwertungsverbot nach einem Rechtsverstoß bei der
Informationserhebung oder -verwendung von einem Widerspruch in der Hauptverhandlung
abhängig gemacht wird. Dies trägt einerseits dem Interesse des Angeklagten an einer möglichst
weitreichenden Dispositionsbefugnis Rechnung und gewährleistet andererseits, dass eine
Beanstandung sowie die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen noch während der
Hauptverhandlung geprüft werden können, damit rechtzeitig Klarheit für deren weiteren Verlauf
geschaffen wird. Auch die Erforderlichkeit einer Verfahrensrüge im Revisionsverfahren ist
unbedenklich, solange an deren Begründung keine überspannten Anforderungen gestellt
werden (vgl. BVerfGE 63, 45 <70>; 112, 185 <207 ff.>).
125
Das Bundesverfassungsgericht prüft die von den Fachgerichten vorgenommene Abwägung nicht
im Einzelnen nach. Die Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher Rechtsverstoß hat
und ob er zu einem Beweisverwertungsverbot führt, obliegt in erster Linie den zuständigen
Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich auf die Kontrolle, ob die
Fachgerichte in verfassungsrechtlich erheblicher Weise den Schutzbereich einer verletzten
Norm und eines betroffenen Grundrechts verkannt, die weiteren Anforderungen für die Annahme
eines Verwertungsverbots nach einem Rechtsverstoß bei der Informationserhebung oder -
verwendung überspannt und rechtsstaatliche Mindeststandards gewahrt haben.
126
bb) Nach diesem verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab ist die Ablehnung eines
Beweisverwertungsverbots im Ausgangsverfahren durch den Bundesgerichtshof nicht zu
beanstanden. Es wurden alle relevanten Gesichtspunkte in die Abwägung eingestellt (1). Auch
gegen das Abwägungsergebnis bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (2).
127
(1) Der Bundesgerichtshof musste keine weiteren Gesichtspunkte berücksichtigen, die gegen die
Verwertbarkeit der Informationen aus der polizeirechtlichen Wohnraumüberwachung sprechen.
128
(a) Die Ermächtigungsgrundlage des § 29 Abs. 1 POG RP 2004 ist hinreichend bestimmt. Ihre
Tatbestandsvoraussetzung „zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit“
entspricht dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 4 Satz 1 GG; daraus ergibt sich eine ausreichende
Beschreibung der Eingriffsvoraussetzungen und Einschränkung der Eingriffsbefugnisse (vgl.
BVerfGE 109, 279 <378 f.>). Insbesondere ermöglicht die Vorschrift keine allgemeine Vorsorge
für die Verhütung oder Verfolgung künftiger Straftaten, da die Begrenzung des Eingriffs auf die
Abwehr „dringender“ Gefahren neben dem Ausmaß auch die Wahrscheinlichkeit des Schadens
in Bezug nimmt (vgl. BVerfGE 113, 348 <377 ff.>; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011,
Art. 13 Rn. 30; Gornig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 13 Rn. 124).
129
(b) Die Fachgerichte sind in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon
ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 POG RP 2004 vorlagen.
Insbesondere beruht die Annahme, dass die Maßnahme zur Abwehr einer dringenden Gefahr für
die öffentliche Sicherheit erfolgte, auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage und einem
zutreffenden Prüfungsmaßstab (vgl. BVerfGE 115, 320 <364 f., 367 ff.>).
130
(c) Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 2) der
Richtervorbehalt umgangen wurde oder dies beabsichtigt war. Zwar erfassen ihn die
Tenorierungen der erstmaligen Anordnung und der Verlängerung der präventiv-polizeilichen
Wohnraumüberwachung nicht. Allerdings wurde er im Antrag des Polizeipräsidiums Mainz
ausdrücklich als Kontaktperson im Sinne von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 POG RP 2004 bezeichnet
und vom Landgericht Mainz (sowie vom Amtsgericht Mainz durch die Bezugnahme auf den
Beschluss des Landgerichts Mainz) als solche behandelt. Zudem ergibt sich bereits aus der
Begründung des Anordnungsbeschlusses, dass hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 2) die
Anordnungsvoraussetzungen vorlagen.
131
(d) Der Beschluss des Landgerichts Mainz vom 14. Juli 2004 war entgegen § 29 Abs. 4 Satz 2
POG RP 2004 nicht befristet. Das Fehlen einer Befristung hat sich jedoch nicht ausgewirkt, weil
die Anordnung vor Ablauf der Höchstfrist von drei Monaten verlängert worden ist.
132
(e) Die im Zeitraum der Zweckänderung geltende Verwendungsregelung des § 29 Abs. 5 Satz 1
Alt. 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 3 POG RP 2004 ermöglichte keine unzulässigen
Zweckänderungen.
133
(aa) Speicherung und Verwendung personenbezogener Informationen und Daten sind
grundsätzlich an den Zweck und an das Verfahren gebunden, für die sie erhoben wurden (vgl.
BVerfGE 100, 313 <360>; 109, 279 <375>; 120, 351 <368>). Eine Zweckänderung bedarf einer
formell und materiell verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage und muss durch Allgemeinbelange
gerechtfertigt sein, die die grundrechtlich geschützten Interessen überwiegen (vgl. BVerfGE 65, 1
<51, 62>; 100, 313 <360>; 109, 279 <375 f.>; 110, 33 <69>; 120, 351 <368 f.>). Der neue
Verwendungszweck muss sich auf die Aufgaben und Befugnisse der Behörde beziehen, der die
Daten übermittelt werden, und hinreichend klar geregelt sein. Schließlich dürfen der
Verwendungszweck, zu dem die Erhebung erfolgt ist, und der veränderte Verwendungszweck
nicht miteinander unvereinbar sein (vgl. BVerfGE 100, 313 <360>; 109, 279 <375 f.>; 110, 33
<68 f.>; 120, 351 <368 f.>; 125, 260 <333>; vgl. ferner EGMR, Entscheidung vom 29. Juni 2006 -
54934/00 -, Weber und Saravia/Deutschland, NJW 2007, S. 1433 <1434> zu Art. 8 EMRK). Eine
solche Unvereinbarkeit läge vor, wenn mit der Zweckänderung grundrechtsbezogene
Beschränkungen des Einsatzes bestimmter Erhebungsmethoden umgangen würden, die
Informationen also für den geänderten Zweck nicht oder nicht in dieser Art und Weise hätten
erhoben werden dürfen ("hypothetischer Ersatzeingriff"; vgl. BVerfGE 100, 313 <389 f.>; 109, 279
<377>; 110, 33 <73>; 120, 351 <369>; 125, 260 <333>). Zur Sicherung der Zweckbindung muss
eine gesetzliche Verpflichtung zur Kennzeichnung und Protokollierung bestehen (vgl. BVerfGE
100, 313 <360 f., 395 f.>; 109, 279 <379 f.>; 110, 33 <75>; 125, 260 <333>). Zu gewährleisten ist
die Erfüllung dieser Anforderungen durch Vorschriften des Normgebers, der für den Erlass der
Vorschriften über die Datenerhebung zuständig ist (vgl. BVerfGE 100, 313 <320 ff., 360, 388 ff.>;
109, 279 <289, 375 f., 378 f.>; 110, 33 <35 ff., 68 ff.>; 125, 260 <344 ff., 355 f.>).
134
(bb) Es kommt im vorliegenden Zusammenhang nicht darauf an, ob die Vereinbarkeit von
Erhebungs- und Verwendungszweck bei § 29 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 3
POG RP 2004 gewährleistet ist sowie ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine
verfassungskonforme Auslegung erforderlich und möglich wäre (vgl. BVerfGE 109, 279 <280 f.,
344 ff., 375 f., 377, 381>). Denn § 100f Abs. 2 StPO in der Fassung des Gesetzes zur
Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4. Mai 1998 (BGBl I S. 845)
beschränkte die Verwendung im Strafverfahren ausweislich der Verweisung auf § 100c Abs. 1
Nr. 3 StPO auf den verfassungskonformen Umfang dieser Vorschrift (vgl. BVerfGE 109, 279
<283 ff., 288 f., 343 ff., 348 f., 375, 377 f.>). Vorschriften der Strafprozessordnung können zwar
nicht über den Regelungsgehalt von Normen des Landespolizeirechts disponieren. Sie können
jedoch bestimmen, dass von einer nach Landespolizeirecht zulässigen Zweckänderung im
Strafverfahren nicht oder nur eingeschränkt Gebrauch gemacht wird. Die Pflicht zur Feststellung
und Dokumentation der Zweckänderung ergibt sich aus § 29 Abs. 5 Satz 2 POG RP 2004.
135
(2) Auch die Gewichtung der für die Abwägung relevanten Gesichtspunkte durch den
Bundesgerichtshof unterliegt keinen Bedenken. Dabei ist entscheidend, dass es sich bei der
präventiv-polizeilichen Wohnraumüberwachung nicht um eine nach dem Grundgesetz generell
unzulässige Maßnahme handelt und dass ihre tatsächliche Durchführung den
verfassungsrechtlichen Anforderungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung
entsprach (vgl. BVerfGE 85, 386 <400 ff.>).
136
2. Die Verwertung von Informationen, die durch die Wohnraumüberwachung und andere
verdeckte Ermittlungsmaßnahmen gewonnen wurden, verletzt die Beschwerdeführer auch nicht
in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).
137
a) Die Verwertung personenbezogener Informationen in einer gerichtlichen Entscheidung greift
in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein (vgl. BVerfGE 34, 238 <245>; 80, 367 <376, 379 f.>;
106, 28 <39, 44>; BVerfGK 14, 20 <23>). Das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1
GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als besondere Ausprägungen unter
anderem das Recht am eigenen Wort, das Recht am eigenen Bild und das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 35, 202 <220>; 54, 148 <153 f.>; 106, 28 <39>;
118, 168 <183 ff.>). Abhängig von der Art der in der strafgerichtlichen Entscheidung verwerteten
Informationen kann ein Eingriff in das Recht am eigenen Bild (vgl. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO)
oder in das Recht am eigenen Wort (durch die Wiedergabe einer Äußerung) vorliegen (vgl.
BVerfGE 106, 28 <44>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 19. Dezember
1991 - 1 BvR 382/85 -, NJW 1992, S. 815; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats
vom 31. Juli 2001 - 1 BvR 304/01 -, NZA 2002, S. 284). Ist keine speziellere Ausprägung des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen, greift die Verwertung von personenbezogenen
Informationen jedenfalls in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieses Recht
gewährleistet die Befugnis, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung
persönlicher Daten zu entscheiden (vgl. BVerfGE 65, 1 <41 f.>; 78, 77 <84>; 80, 367 <373>; 113,
29 <45 f.>; 115, 166 <187 f.>; 115, 320 <341>).
138
b) Die Rechtsgrundlage für die Verwertung personenbezogener Informationen in einem
strafgerichtlichen Urteil bildet § 261 StPO (siehe oben D.I.1.c.aa.1). Diese Vorschrift ist
verfassungsgemäß.
139
aa) Die Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist zum Schutz überwiegender
Allgemeininteressen zulässig durch ein Gesetz oder auf Grundlage eines Gesetzes, das
Voraussetzungen und Umfang der Beschränkung hinreichend klar umschreibt und dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt (vgl. BVerfGE 65, 1 <44, 54>; 67, 100 <143>; 78, 77
<85>; 84, 239 <279 f.>; 92, 191 <197>; 115, 320 <344 f.>).
140
(1) Die hinreichend klare Umschreibung der Voraussetzungen und des Umfangs einer
Beschränkung muss sich nicht unmittelbar aus der einschlägigen Vorschrift selbst ergeben. Sie
kann auch durch den Regelungszusammenhang gewährleistet sein, in dem die Vorschrift steht
(vgl. BVerfGE 65, 1 <54>; 92, 191 <197>; 113, 29 <51 f.>; 115, 166 <190 f.>; 120, 351 <367>;
124, 43 <60 f.>).
141
(2) Das Gewicht des in der Verwertung liegenden Eingriffs hängt maßgeblich davon ab, welchen
Grad an Persönlichkeitsrelevanz die betroffenen Informationen haben und auf welchem Weg sie
erlangt wurden. Die Eingriffsintensität ist insbesondere dann gesteigert, wenn die ursprüngliche
Erhebung der verwerteten Informationen mit einem Eingriff in Art. 10 oder Art. 13 GG verbunden
war (vgl. BVerfGE 115, 166 <189 f., 192 f.>; 115, 320 <348>). Demgegenüber hat das mit der
Beschränkung verfolgte Ziel besonderes Gewicht, wenn ihm Verfassungsrang zukommt (vgl.
BVerfGE 113, 29 <54>; 115, 166 <192>; 120, 351 <367>).
142
bb) Danach entspricht § 261 StPO den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
143
(1) Als Rechtsgrundlage für die Verwertung personenbezogener Informationen entspricht § 261
StPO dem Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit. Nach §§ 155, 264 StPO erfolgt
die Informationsverwertung allein zur Sachverhaltsaufklärung und -feststellung, soweit dies im
Rahmen der angeklagten prozessualen Tat für die richterliche Entscheidungsfindung erforderlich
ist (vgl. BVerfGE 113, 29 <51 f.>; 115, 166 <190 f.>; 124, 43 <60 f.>). Eine größere
Regelungsdichte ist nicht erforderlich (vgl. Jahn, in: Verhandlungen des 67. Deutschen
Juristentages, 2008, Gutachten C, S. C 68 f. m.w.N. auch zu abweichenden Ansichten).
144
(2) § 261 StPO entspricht bei verfassungskonformer Anwendung, die in Ausnahmefällen ein
Verwertungsverbot anerkennt, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Unverhältnismäßige
Eingriffe sind bereits durch die Verfahrensstruktur regelmäßig ausgeschlossen; verbleibenden
Ausnahmefällen kann durch ein Verwertungsverbot begegnet werden.
145
(a) Die Verwertung personenbezogener Informationen in strafgerichtlichen Urteilen dient
Zwecken, die Verfassungsrang haben. Sie erfüllt die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates,
eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten; zentrales Anliegen des
Strafprozesses ist die vollständige Ermittlung des wahren Sachverhalts (siehe oben D.I.1.a).
Abschließendes und notwendiges Element dieser Sachverhaltsaufklärung ist die nach der
Beweiserhebung erfolgende tatrichterliche Überzeugungsbildung auf Grundlage der zur
Verfügung stehenden - gerade auch personenbezogenen - Informationen (vgl. BVerfGE 57, 250
<277>; 64, 135 <148>; 74, 358 <372 f.>; 86, 288 <318>).
146
(b) In Strafverfahren wird, soweit es um die Verwertung rechtmäßig erhobener Daten geht, die
Verhältnismäßigkeit der Informationsverwertung im Urteil in aller Regel bereits durch
Beschränkungen der vorangehenden Informationserhebung gewährleistet, da zahlreiche
Ermittlungsmaßnahmen und Beweiserhebungen nur unter einschränkenden Voraussetzungen
zulässig sind. Dies ist insbesondere der Fall, wenn diese in Grundrechte mit qualifiziertem
Schrankenvorbehalt eingreifen (vgl. zur akustischen Wohnraumüberwachung BVerfGE 109, 279
<325 ff.>; zur Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten BVerfGE 107, 299 <312 ff.>;
125, 260 <309 ff.>; zur Telekommunikationsüberwachung BVerfG, Beschluss des Zweiten
Senats vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 236/08 u.a. -). Außerdem muss bei jeder
strafprozessualen Eingriffsmaßnahme im Einzelfall der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
gewahrt sein (vgl. zur Zeugenvernehmung BVerfGE 33, 367 <374 f.>; 38, 312 <325>; zur
Beschlagnahme BVerfGE 34, 238 <248 ff.>; 44, 353 <372 ff.>; zur Wohnungsdurchsuchung
BVerfGE 96, 44 <51>; 113, 29 <52 ff.>; 115, 166 <197 ff.>; 124, 43 <66 f.>; zu körperlichen
Untersuchungen BVerfGE 16, 194 <201 f.>; 17, 108 <117>; 27, 211 <219>; zur Auskunft über
Telekommunikationsverkehrsdaten BVerfGE 107, 299 <323 f.>; zur Kombination verschiedener
verdeckter Ermittlungsmaßnahmen BVerfGE 112, 304 <321>).
147
Die Informationsverwertung ist in aller Regel auch dann verhältnismäßig, wenn - wie im
vorliegenden Ausgangsverfahren - die Informationen ursprünglich zu einem anderen Zweck
erhoben wurden und somit der weiteren Verwendung im Strafverfahren eine Zweckänderung
vorangegangen ist. Eine solche Zweckänderung unterliegt materiellen Beschränkungen (siehe
oben D.I.1.c.bb.1.e.aa). Der Verwendungszweck, zu dem die Erhebung erfolgt ist, und der
veränderte Verwendungszweck dürfen nicht miteinander unvereinbar sein (vgl. BVerfGE 100,
313 <360>; 109, 279 <375 f.>; 110, 33 <68 f.>; 120, 351 <368 f.>; 125, 260 <333>). Eine solche
Unvereinbarkeit läge vor, wenn mit der Zweckänderung grundrechtsbezogene Beschränkungen
des Einsatzes bestimmter Erhebungsmethoden umgangen würden, die Informationen also für
den geänderten Zweck nicht oder nicht in dieser Art und Weise hätten erhoben werden dürfen
("hypothetischer Ersatzeingriff"; vgl. BVerfGE 100, 313 <389 f.>; 109, 279 <377>; 110, 33 <73>;
120, 351 <369>; 125, 260 <333>).
148
(c) Schon angesichts dieser Struktur des Strafverfahrens und der dadurch gewährleisteten
Filterfunktion bereits auf der Ebene der Informationserhebung und Zweckänderung bedarf es für
den Regelfall rechtmäßiger Informationserhebung keiner (weiteren) gesetzlichen
Einschränkungen oder Konkretisierungen auf der Ebene der Informationsverwertung im Urteil.
Dies schließt die Annahme eines Verwertungsverbots nicht aus, wenn ein unverhältnismäßiger
Eingriff im Einzelfall vorliegen sollte (vgl. BVerfGE 34, 238 <248 ff.>; 80, 367 <375 f., 379 f.>; vgl.
zum Zivilprozess BVerfGE 106, 28 <48 ff.>).
149
cc) § 261 StPO verstößt auch nicht gegen das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG).
150
(1) Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG muss ein Gesetz dasjenige Grundrecht unter Angabe seines
Artikels nennen, das durch dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes eingeschränkt wird.
Dieses Zitiergebot erfüllt - bei nachkonstitutionellen Gesetzen - eine Warn- und
Besinnungsfunktion (vgl. BVerfGE 64, 72 <79 f.>; 113, 348 <366>; 120, 274 <343>; BVerfG,
Beschluss des Zweiten Senats vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 236/08 u.a. -). Durch die
Benennung des Eingriffs im Gesetzeswortlaut soll sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber
nur Eingriffe vornimmt, die ihm als solche bewusst sind und über deren Auswirkungen auf die
betroffenen Grundrechte er sich Rechenschaft ablegt (vgl. BVerfGE 5, 13 <16>; 85, 386 <403 f.>;
113, 348 <366>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 236/08
u.a. -).
151
(2) Danach findet das Zitiergebot auf § 261 StPO keine Anwendung. Die Vorschrift des § 261
StPO ermöglicht zwar auch die Verwertung von Informationen, deren ursprüngliche Erhebung
mit einem Eingriff in Art. 10 GG oder - wie im Ausgangsverfahren - in Art. 13 GG verbunden war.
Die Beachtung des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG bei Erlass der für die Erhebung der Informationen
einschlägigen Rechtsgrundlage (vgl. § 8 POG RP 2004) trägt aber der Warn- und
Besinnungsfunktion des Zitiergebots in Bezug auf deren weitere Verwendung in einem
gerichtlichen Verfahren ausreichend Rechnung. Rechtsgrundlagen für die Informationserhebung
müssen Voraussetzungen sowie Umfang der Beschränkung hinreichend klar umschreiben und
damit erkennen lassen, für welche Zwecke die erhobenen Informationen verwendet werden
dürfen (vgl. BVerfGE 100, 313 <359 f., 372>; 110, 33 <53 f.>; 113, 348 <375 ff.>; 115, 320 <365>;
118, 168 <186 ff.>; 120, 274 <315 f.>). Dadurch ist gewährleistet, dass dem Gesetzgeber neben
dem in der Informationserhebung liegenden Eingriff auch dessen weitere Auswirkungen bewusst
sind. § 29 Abs. 5 POG RP 2004 erlaubt die Verwendung bei der Wohnraumüberwachung
gewonnener personenbezogener Daten zu Zwecken der Strafverfolgung. Damit ist der
Landesgesetzgeber von einer Verwendung auch und gerade bei der Wahrheitsermittlung im
Strafprozess ausgegangen. Auch wenn diese Verwendung einen selbständigen
Grundrechtseingriff darstellt, ist damit keine Erweiterung der Grundrechtseinschränkung
verbunden (vgl. dazu BVerfGE 113, 348 <366 f.>), vielmehr verwirklicht sich lediglich ein mit dem
ursprünglichen Grundrechtseingriff verbundener Zweck. Deshalb besteht bei der Regelung der
strafgerichtlichen Sachermittlung durch den Bundesgesetzgeber kein Anlass zur Nennung
insoweit eingeschränkter Grundrechte gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG.
152
c) Auch die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass nach § 261 StPO
rechtswidrig erhobene oder erlangte personenbezogene Informationen verwertet werden
können, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
153
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führen Rechtsverstöße bei der
Beweiserhebung nicht in jedem Falle zur Unverwertbarkeit der dadurch erlangten Erkenntnisse
(siehe oben D.I.1.c.aa.1). Diese Sichtweise respektiert die gesetzgeberische Grundentscheidung
und ist nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung vertretbar (vgl. BVerfGE 122,
248 <257 f.>).
154
bb) Hinsichtlich der Verwertung rechtswidrig erhobener oder erlangter Informationen ist § 261
StPO weder zu unbestimmt noch unverhältnismäßig.
155
(1) Die ausreichende Bestimmtheit ergibt sich auch insoweit daraus, dass die
Informationsverwertung auf die Sachverhaltsaufklärung und -feststellung im Rahmen der
angeklagten prozessualen Tat beschränkt ist (siehe oben D.I.2.b.bb.1). Eine darüber
hinausgehende gesetzliche Präzisierung und Differenzierung unter Bezugnahme auf
unterschiedliche Arten von Rechtsverstößen bei der Informationserhebung und -verwendung ist
aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht erforderlich, zumal einer gesetzlichen Präzisierung keine
orientierende Bedeutung für das Verhalten - insbesondere für die schützenswerte
Grundrechtsausübung - von Grundrechtsträgern zukommt. Art, Gewicht und Auswirkungen von
Rechtsverstößen bei der Erhebung oder Verwendung von Informationen stellen sich sehr
unterschiedlich dar und müssen deshalb auch einer einzelfallbezogenen Betrachtung
unterliegen (siehe oben D.I.1.b.bb).
156
(2) Die grundsätzliche Verwertbarkeit von personenbezogenen Informationen, die rechtswidrig
erhoben oder erlangt wurden, lässt keine unverhältnismäßigen Eingriffe in das allgemeine
Persönlichkeitsrecht zu. Zunächst führt nicht jeder Rechtsverstoß bei der Erhebung oder
Verwendung personenbezogener Informationen dazu, dass deren spätere Verwertung
unverhältnismäßig wäre. Rechtsverstöße, die eine Informationsverwertung als
unverhältnismäßig erscheinen ließen, führen bereits nach den Maßstäben des fairen Verfahrens
zur Unverwertbarkeit (siehe oben D.I.1.b.bb).
157
d) Danach bestehen ebenfalls keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Auslegung
des § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO durch den Bundesgerichtshof, wonach diese Vorschrift jedenfalls
nicht generell rechtswidrig erhobene Informationen von der Verwendung im Strafverfahren und
damit auch von der Verwertung im Urteil ausschließt. Weder der allgemeine Sprachgebrauch
noch die Terminologie der Strafprozessordnung indizieren eine Gleichstellung von „verwertbar“
und „rechtmäßig erhoben“. Die Gesetzesmaterialien zu § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO und zu den
Vorgängerregelungen enthalten ebenfalls keine entsprechenden Anhaltspunkte (vgl. BTDrucks
16/5846, S. 49, 64; BTDrucks 13/8651, S. 15 zu § 100f Abs. 2 StPO in der Fassung des
Gesetzes zu Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4. Mai 1998,
BGBl I S. 845; BTDrucks 15/4533, S. 18 zu § 100d Abs. 6 Nr. 3 StPO i.d.F. des Gesetzes zur
Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 (akustische
Wohnraumüberwachung) vom 24. Juni 2005, BGBl I S. 1841). Auch sonst ist die Anwendung
des § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO durch den Bundesgerichtshof verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.
158
3. Der Bundesgerichtshof hat durch das Unterlassen einer Vorlage des § 29 POG RP 2004 an
das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG
verstoßen.
159
a) Aus Art. 100 Abs. 1 GG ergibt sich eine Pflicht der Fachgerichte zur Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht, wenn sie ein Gesetz, auf das es für eine Entscheidung ankommt, für
unvereinbar mit dem Grundgesetz halten. Die insoweit alleinige Normverwerfungskompetenz
des Bundesverfassungsgerichts dient der Wahrung der Autorität des Gesetzgebers im Verhältnis
zur Rechtsprechung und soll Rechtsunsicherheit sowie Rechtszersplitterung verhindern (vgl.
BVerfGE 1, 184 <199 f.>; 6, 55 <63>; 22, 373 <378>; 42, 42 <49>; 97, 117 <122>).
Ausschließlich das Bundesverfassungsgericht kann feststellen, dass eine Vorschrift mit dem
Grundgesetz unvereinbar ist und welche Rechtsfolge sich daraus ergibt (vgl. BVerfGE 34, 320
<322 ff.>). Für die Zulässigkeit - und demgemäß auch für die Notwendigkeit - einer Vorlage ist
daher ohne Bedeutung, dass im Falle der Unvereinbarkeit einer Norm mit dem Grundgesetz das
Bundesverfassungsgericht ihre weitere Anwendung anordnen kann (vgl. BVerfGE 87, 153
<180>; 93, 121 <131>; 117, 1 <28>). Bei einer außer Kraft getretenen Vorschrift kommt es darauf
an, ob von ihr noch Rechtswirkungen ausgehen, die für das beim Fachgericht anhängige
Verfahren entscheidungserheblich sind (vgl. BVerfGE 39, 148 <152>; 47, 46 <64>; 55, 32 <36>;
68, 155 <169 f.>; 106, 275 <296 f.>).
160
Das Unterlassen einer Vorlage verstößt gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn sich dem
Fachgericht die entscheidungserhebliche Verfassungswidrigkeit einer Norm in einer Weise
aufdrängen musste, dass das Absehen von einer Vorlage willkürlich war (vgl. BVerfGE 75, 223
<245>; 117, 330 <356>).
161
b) Danach liegt ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vor. Sowohl die Feststellung
des Bundesgerichtshofs, § 29 POG RP 2004 sei nicht in vollem Umfang mit dem Grundgesetz
vereinbar, als auch die damit in Zusammenhang stehende Erwägung, das
Bundesverfassungsgericht hätte § 29 POG RP 2004 im Fall einer verfassungsrechtlichen
Prüfung während einer Übergangszeit für weiter anwendbar erklärt, sind für die Entscheidung
des Bundesgerichtshofs nicht erheblich gewesen. Er hätte sich auf die Aussage beschränken
können, dass auch die Annahme einer teilweisen Unvereinbarkeit des § 29 POG RP 2004 mit
dem Grundgesetz nicht zu einem Verwertungsverbot führen würde.
II.
162
Der Schuldspruch wegen tateinheitlichen vollendeten und versuchten Betrugs verstößt gegen
Art. 103 Abs. 2 GG (1.). Es bedarf keiner Entscheidung, ob insoweit auch ein Verstoß gegen
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG oder Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt (2.).
163
1. Die Annahme des Bundesgerichtshofs, dass sich die Beschwerdeführer mit Abschluss von
Lebensversicherungsverträgen wegen vollendeten Betrugs und mit der Beantragung von
Lebensversicherungsverträgen wegen versuchten Betrugs strafbar gemacht haben, ist mit
Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu vereinbaren.
164
a) Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die
Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Die Bedeutung dieser
Verfassungsnorm erschöpft sich nicht im Verbot der gewohnheitsrechtlichen oder rückwirkenden
Strafbegründung. Art. 103 Abs. 2 GG enthält ein striktes Bestimmtheitsgebot für die
Gesetzgebung sowie ein damit korrespondierendes, an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot
strafbegründender Analogie (vgl. BVerfGE 14, 174 <185>; 73, 206 <234>; 75, 329 <340>; 126,
170 <194>).
165
Aus Art. 103 Abs. 2 GG ergeben sich für die Strafgerichte Verpflichtungen in mehrfacher
Hinsicht. Der Gesetzgeber und nicht der Richter ist zur Entscheidung über die Strafbarkeit
berufen (vgl. BVerfGE 71, 108 <116>; 92, 1 <19>; 126, 170 <197>). Der Gesetzgeber hat zu
entscheiden, ob und in welchem Umfang ein bestimmtes Rechtsgut mit den Mitteln des
Strafrechts verteidigt werden muss. Den Strafgerichten ist es verwehrt, seine Entscheidungen zu
korrigieren (vgl. BVerfGE 92, 1 <13>; 126, 170 <197>). Sie müssen in Fällen, die vom Wortlaut
einer Strafnorm nicht mehr gedeckt sind, daher zum Freispruch gelangen und dürfen nicht
korrigierend eingreifen (vgl. BVerfGE 64, 389 <393>; 126, 170 <197>). Aus dem Erfordernis
gesetzlicher Bestimmtheit folgt ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher
Strafbegründung. Dabei ist „Analogie“ nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen;
ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die - tatbestandsausweitend - über den
Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht, wobei der Wortlaut als äußerste Grenze
zulässiger richterlicher Interpretation aus der Sicht des Normadressaten zu bestimmen ist (vgl.
BVerfGE 71, 108 <115>; 82, 236 <269>; 92, 1 <12>; 126, 170 <197 f.>). Dementsprechend darf
die Auslegung und Anwendung der Tatbestandsmerkmale, mit denen der Gesetzgeber das unter
Strafe gestellte Verhalten bezeichnet hat, nicht dazu führen, dass die dadurch bewirkte
Eingrenzung der Strafbarkeit im Ergebnis wieder aufgehoben wird.
166
Bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung, ob die Strafgerichte diesen aus Art. 103 Abs. 2 GG
folgenden Vorgaben gerecht geworden sind, ist das Bundesverfassungsgericht nicht auf eine
Vertretbarkeitskontrolle beschränkt. Der in Art. 103 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende strenge
Gesetzesvorbehalt erhöht nämlich die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Die Bestimmung
der äußersten Grenzen des Strafgesetzes betrifft die Entscheidung über die Strafbarkeit und
damit die Abgrenzung der Kompetenzen von Judikative und Legislative. Für die Klärung der
insoweit aufgeworfenen Fragen ist das Bundesverfassungsgericht zuständig (vgl. BVerfGE 126,
170 <199>).
167
b) Gemessen hieran ist die Annahme von Täuschungen in den angegriffenen Entscheidungen
verfassungsrechtlich unbedenklich (aa). Dagegen lässt sich die Annahme des
Bundesgerichtshofs, dass bereits der Abschluss der Lebensversicherungsverträge einen
Schaden verursacht habe (vollendeter Betrug) oder nach Vorstellung der Beschwerdeführer
verursachen würde (versuchter Betrug), mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht mehr vereinbaren (bb).
168
aa) Der mögliche Wortsinn des § 263 Abs. 1 StGB („durch Vorspiegelung falscher oder durch
Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen“) ist nicht überschritten, wenn eine
Täuschung durch schlüssiges Verhalten angenommen wird. Auch die Erfassung konkludenter
Täuschungen darüber, zukünftig den eigenen vertraglichen Verpflichtungen nachkommen zu
wollen und keine Verletzung vertraglicher Pflichten zu beabsichtigen, bewirkt keine Entgrenzung
des § 263 Abs. 1 StGB oder Ausuferung der Strafbarkeit. Insbesondere führt dies nicht dazu,
dass schon allein „allgemeine Unredlichkeit“ oder „böse Absichten“ strafbar wären. Aus der
grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 263 Abs. 1 StGB auf derartige Täuschungen folgt nicht,
dass ein schlüssiges Verhalten mit entsprechendem Erklärungswert auch im konkreten Einzelfall
vorliegt. Außerdem begrenzen weitere Tatbestandsvoraussetzungen die Strafbarkeit. Die
Täuschung muss zunächst einen korrespondierenden Irrtum verursachen. Schließlich setzt der
Straftatbestand voraus, dass ein Schaden verursacht wird. Schon dies verhindert, dass allein die
Verletzung oder beabsichtigte Verletzung von Vertragspflichten ohne Vermögensbezug zur
Strafbarkeit führt.
169
Die fachgerichtliche Bewertung, dass das Verhalten der Beschwerdeführer eine konkludente
Täuschung darstellt, gibt keinen Anlass für ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts (zu
möglichen Prüfungsansätzen vgl. BVerfGE 57, 250 <272>; 95, 96 <127 f.>; BVerfGK 1, 145
<149 ff.>; 4, 72 <73 f.>; 10, 125 <127>; 14, 12 <18>).
170
bb) Dagegen ist die Annahme des Bundesgerichtshofs, dass bereits der Abschluss der
Lebensversicherungsverträge einen Schaden verursacht habe (vollendeter Betrug) oder nach
Vorstellung der Beschwerdeführer verursachen würde (versuchter Betrug), mit Art. 103 Abs. 2
GG nicht zu vereinbaren. Gegen die Auslegung des § 263 Abs. 1 StGB im rechtlichen
Ausgangspunkt bestehen zwar keine Bedenken (1). Die Darlegung verursachter oder
beabsichtigter Vermögensschäden und die Bewertung des festgestellten Sachverhalts
entsprechen jedoch nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen (2).
171
(1) Der rechtliche Ausgangspunkt des Bundesgerichtshofs, bereits mit Abschluss eines Vertrags
könne ein Betrug vollendet sein („Eingehungsbetrug“), ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.
172
(a) Als Eingehungsbetrug werden Fallgestaltungen bezeichnet, in denen bereits der Abschluss
eines gegenseitigen Vertrags und nicht erst die auf Grundlage des Vertrags erfolgende
Leistungserbringung zu einem Vermögensschaden führt (vgl. BGHSt 16, 220 <221>; 23, 300
<302>; 30, 388 <389 f.>; 32, 211 <212 f.>; 45, 1 <4>; Fischer, StGB, 58. Aufl. 2011, § 263
Rn. 176). Dies ist nach herrschender Auffassung durch den Vergleich der Werte der
gegenläufigen Ansprüche festzustellen. Ein Vermögensschaden und damit ein vollendeter
Betrug bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses liege vor, wenn der erlangte Anspruch
weniger wert sei als die übernommene Verpflichtung (vgl. BGHSt 16, 220 <221>; 30, 388
<389 f.>; 45, 1 <4>; 51, 165 <174>; Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010,
§ 263 Rn. 128 ff.). Dabei wird der Vermögensschaden teilweise als schadensgleiche konkrete
Vermögensgefährdung beschrieben (vgl. BGHSt 23, 300 <303>; 32, 211 <212 f.>; Dannecker, in:
Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 263 StGB Rn. 99, 101; Fischer,
StGB, 58. Aufl. 2011, § 263 Rn. 164, 176; Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl.
2010, § 263 Rn. 127, 131 f.).
173
Als Erfüllungsbetrug werden demgegenüber Fallgestaltungen bezeichnet, in denen erst die
Abwicklung des Vertrags zu einem Vermögensschaden führt (vgl. BGHSt 32, 211 <213>; BGH,
Urteil vom 8. Januar 1992 - 2 StR 102/91 -, NJW 1992, S. 921 <923>; Fischer, StGB, 58. Aufl.
2011, § 263 Rn. 175, 177). Wenn bereits der Abschluss des gegenseitigen Vertrags zu einem
Vermögensschaden führe, könne dieser durch die spätere Vertragsabwicklung vertieft werden;
es liegt dann nur ein Fall des Betrugs vor (vgl. BGHSt 47, 160 <170 f.>; Dannecker, in:
Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 263 StGB Rn. 97, 104; Fischer,
StGB, 58. Aufl. 2011, § 263 Rn. 159).
174
Der Vermögensschaden im Sinne des Betrugstatbestands soll bereits dann vorliegen, wenn das
Vermögen konkret gefährdet ist (vgl. BGHSt 33, 244 <246>; 34, 394 <395>; 47, 160 <167>; 48,
331 <347 f.>; Fischer, StGB, 58. Aufl. 2011, § 263 Rn. 156). Dieser Schadenstypus wird ganz
überwiegend als schadensgleiche Vermögensgefährdung oder Gefährdungsschaden
beschrieben (vgl. BVerfGE 126, 170 <221 ff.>; Saliger, in: Festschrift Samson <2010>, S. 455
<469 f., 471 f.> m.w.N.). Nach einer teilweise vertretenen Ansicht sind die schadensgleiche
Vermögensgefährdung oder der Gefährdungsschaden als eigenständige Kategorie jedoch
entbehrlich oder sogar irreführend, da ohnehin stets eine Bewertung und Bezifferung des
Schadens erforderlich sei (vgl. dazu BGHSt 53, 199 <201 ff.>; Saliger, in: Festschrift Samson
<2010>, S. 455 <469 ff.>; Fischer, StGB, 58. Aufl. 2011, § 263 Rn. 157 f.; Dannecker, in:
Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 263 StGB Rn. 94 f.). Die ursprünglich
im Rahmen des Betrugstatbestands (§ 263 Abs. 1 StGB) entwickelte Rechtsfigur der
schadensgleichen Vermögensgefährdung wurde auf das Nachteilsmerkmal des
Untreuetatbestands (§ 266 Abs. 1 StGB) übertragen und findet auch dort Anwendung (vgl.
BVerfGE 126, 170 <221 ff., 229>; BVerfGK 15, 193 <200>). In der Rechtsprechung und ganz
überwiegend auch in der Literatur werden die mit der schadensgleichen Vermögensgefährdung
zusammenhängenden Fragestellungen unabhängig von der Zuordnung zu § 263 Abs. 1 oder
§ 266 Abs. 1 StGB einheitlich behandelt (vgl. BVerfGE 126, 170 <221 ff.>; BVerfGK 15, 193
<200>; Fischer, StGB, 58. Aufl. 2011, § 263 Rn. 156, § 266 Rn. 115, 150; Saliger, in: Festschrift
Samson <2010>, S. 455 ff.; gegen eine parallele Betrachtung Safferling, NStZ 2011, S. 376
<378>).
175
(b) Es ist jedenfalls grundsätzlich mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz
vereinbar, bereits bei der konkreten Gefahr eines zukünftigen Verlusts einen gegenwärtigen
Vermögensschaden anzunehmen. Die für den Straftatbestand der Untreue (§ 266 StGB)
maßgeblichen Erwägungen (vgl. BVerfGE 126, 170 <223 ff., 226, 229>) gelten auch für
Fallgestaltungen des Eingehungsbetrugs.
176
Allerdings darf auf diese Weise der Tatbestand des § 263 StGB nicht verfassungswidrig
überdehnt werden (vgl. BVerfGE 126, 170 <226 ff.>). Das Tatbestandsmerkmal des
Vermögensschadens begrenzt die Betrugsstrafbarkeit und kennzeichnet § 263 Abs. 1 StGB als
Vermögens- und Erfolgsdelikt. Verlustwahrscheinlichkeiten dürfen daher nicht so diffus sein oder
sich in so niedrigen Bereichen bewegen, dass der Eintritt eines realen Schadens ungewiss
bleibt (vgl. BVerfGE 126, 170 <229>). Die bloße Möglichkeit eines solchen Schadens genügt
daher nicht. Zur Verhinderung der Tatbestandsüberdehnung muss, von einfach gelagerten und
eindeutigen Fällen - etwa bei einem ohne weiteres greifbaren Mindestschaden - abgesehen, der
Vermögensschaden der Höhe nach beziffert und dies in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise
in den Urteilsgründen dargelegt werden (vgl. BVerfGE 126, 170 <211, 228 ff.>). Bestehen
Unsicherheiten, so kann ein Mindestschaden im Wege einer tragfähigen Schätzung ermittelt
werden (vgl. BVerfGE 126, 170 <212, 229 f.>). Normative Gesichtspunkte können bei der
Bewertung von Schäden eine Rolle spielen; sie dürfen die wirtschaftliche Betrachtung allerdings
nicht überlagern oder verdrängen (vgl. BVerfGE 126, 170 <212, 228>).
177
(2) Gemessen hieran entspricht die Darlegung der verursachten oder erwarteten
Vermögensschäden und infolgedessen die Bewertung des festgestellten Sachverhalts nicht den
verfassungsrechtlichen Anforderungen.
178
(a) Es fehlt an der ausreichenden Beschreibung und der Bezifferung der Vermögensschäden,
die durch den Abschluss der Lebensversicherungsverträge verursacht wurden oder - in den
Versuchsfällen - verursacht worden wären. Ein Schuldspruch wegen Betrugs durch das
Revisionsgericht setzt voraus, dass eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen
entsprechende Bezifferung und Darlegung eines Mindestschadens entweder bereits erfolgt oder
- in den Evidenzfällen, in denen eine nähere Darlegung sich erübrigt - sicher möglich ist.
Entsprechende Feststellungen lassen sich dem angegriffenen Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 14. August 2009 nicht entnehmen. Dort ist ausgeführt, dass sich die Bestimmung der
Schadenshöhe als schwierig erweisen könne und sich eine Berechnung nach bilanziellen
Maßstäben als schwierig darstelle, weil es für die Bewertung keine anerkannten Richtgrößen
gebe. Diese Schwierigkeiten ließen indes den Schaden nicht entfallen. Sie führten lediglich
dazu, dass der Tatrichter grundsätzlich unter Beachtung des Zweifelsatzes im Wege der
Schätzung Mindestfeststellungen zu treffen habe. Anhand welcher Kriterien die Schätzung
konkret zu erfolgen habe, wird nicht erläutert. Danach ist ein Mindestschaden weder ohne
weiteres greifbar, noch wurde dargelegt oder ist sonst ersichtlich, dass und wie er bestimmt
werden kann. Da die Schadenshöhe entscheidend von der Wahrscheinlichkeit und vom Risiko
eines zukünftigen Verlusts abhängt (vgl. BVerfGE 126, 170 <224>; Dannecker, in:
Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 263 StGB Rn. 95; Saliger, in:
Festschrift Samson <2010>, S. 455 <470 f.>), setzt die Bestimmung eines Mindestschadens
voraus, dass die Verlustwahrscheinlichkeit tragfähig eingeschätzt werden kann. Der Hinweis des
Bundesgerichtshofs auf die „Hilfe von Sachverständigen aus den Gebieten der
Versicherungsmathematik bzw. Versicherungsökonomie und/oder des Bilanzwesens“ ersetzt die
für einen Schuldspruch notwendigen Darlegungen nicht. Welche Art statistischer Grundlagen
oder probalistischer Annahmen hierfür in einer Fallkonstellation wie der abgeurteilten in Betracht
kommen könnte, haben das Oberlandesgericht Düsseldorf und der Bundesgerichtshof nicht
einmal näherungsweise beschrieben.
179
(b) Zugleich überdehnt der Bundesgerichtshof mit der Annahme, mit Abschluss der
Lebensversicherungsverträge seien die Verlustwahrscheinlichkeiten so groß gewesen, dass
bereits gegenwärtige Vermögensschäden vorgelegen hätten, den Tatbestand in entgrenzender
und damit verfassungswidriger Weise. Aus den teils vagen, teils in sich widersprüchlichen
Ausführungen zur Schadensfeststellung ist zu entnehmen, dass dem Merkmal des
Vermögensschadens in seiner tatbestandsbegrenzenden Funktion nicht die ihm von Gesetzes
wegen zukommende Bedeutung beigemessen worden ist. Es fehlt bereits an Erwägungen dazu,
inwiefern tragfähig geschätzt werden kann, wie hoch zum Zeitpunkt der (beabsichtigten)
Vertragsabschlüsse die Wahrscheinlichkeit war, dass die Beschwerdeführer ihren Tatplan
erfolgreich ausführen, die Versicherungsleistungen also später tatsächlich an sie ausgezahlt
werden würden. Die Einschätzung des Bundesgerichtshofs, die Inanspruchnahme der
Versicherungen sei „sicher zu erwarten“ gewesen, lässt sich mit dem festgestellten Sachverhalt
nicht vereinbaren. Sie steht zudem im Widerspruch zu nachfolgenden Ausführungen, die
lediglich diffuse Verlustwahrscheinlichkeiten zum Ausdruck bringen. Danach soll die
„Leistungswahrscheinlichkeit gegenüber dem vertraglich vereinbarten Einstandsrisiko signifikant
erhöht“ gewesen sein. Im Zusammenhang mit der Erörterung des versuchten Erfüllungsbetrugs
betont der Bundesgerichtshof als relevante Kriterien „die Dichte des Tatplans“ sowie den „Grad
der Rechtsgutsgefährdung“ und stellt für das fehlende unmittelbare Ansetzen zum Versuch
entscheidend darauf ab, dass „zunächst noch wesentliche Zwischenschritte erfolgreich hätten
zurückgelegt werden müssen, bevor es möglich gewesen wäre, die Versicherungen zur Leistung
auf den Todesfall in Anspruch zu nehmen“. Zum Strafausspruch ist ausgeführt, dass „die
(potentiellen) Vermögensschäden der Versicherer durch die (versuchten)
Eingehungsbetrugstaten ... wesentlich hinter den Beträgen zurückbleiben, die nach gelungener
Vortäuschung des Versicherungsfalles“ erlangt werden sollten. Der Gesichtspunkt, dass die
Beschwerdeführer bereits zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse intensiv überwacht wurden,
fand keine erkennbare Berücksichtigung (vgl. weiter Joecks, wistra 2010, S. 179 <180 f.>;
Saliger, in: Festschrift Samson <2010>, S. 455 <478 f.>). Alles dies deutet darauf hin, dass der
Bundesgerichtshof nicht die Feststellung eines konkreten Schadens in den Blick genommen hat,
sondern für die Feststellung eines Vermögensschadens (abstrakte) Risiken genügen lässt, die
jeder Vertragsschluss mit einem unredlichen Vertragspartner mit sich bringt. Damit wird der
Charakter des Betrugs als Vermögensdelikt unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG
hintangestellt.
180
2. Weil schon Art. 103 Abs. 2 GG verletzt ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob der
Bundesgerichtshof durch das Unterlassen einer Vorlage gemäß § 132 Abs. 2 oder Abs. 4 GVG
an den Großen Senat für Strafsachen gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen hat (vgl.
BVerfGE 101, 331 <359 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16.
August 1994 - 2 BvR 647/93 -, NStZ 1995, S. 76; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten
Senats vom 26. Oktober 2006 - 2 BvR 1178/06 -, juris, Rn. 6; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer
des Zweiten Senats vom 10. März 2009 - 2 BvR 49/09 -, wistra 2009, S. 307 <309>). Ebenso
bedarf es keiner Entscheidung, ob der Bundesgerichtshof von einer Zurückverweisung in die
Tatsacheninstanz absehen durfte.
E.
181
Zur Beseitigung des festgestellten Verfassungsverstoßes wird das Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 14. August 2009 aufgehoben und die Sache an diesen
zurückverwiesen. Zwar wäre aus verfassungsrechtlicher Sicht lediglich die Aufhebung der
Schuldsprüche wegen tateinheitlichen (versuchten) Betrugs durch das Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 14. August 2009 und der möglicherweise darauf beruhenden
Strafaussprüche erforderlich. Jedoch haben die Fachgerichte zu beurteilen, ob sich daraus
weiterreichende Konsequenzen ergeben. Dies kann durch den Bundesgerichtshof erfolgen, was
den Aufhebungsumfang auf das erforderliche Maß beschränkt (vgl. BVerfGK 14, 177 <186 f.>;
BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juli 1995 - 2 BvR 1180/94 -, NJW
1995, S. 2706 <2706 f.>; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2011 - 4 StR 643/10 -, juris, Rn. 6 f.). Mit
der Aufhebung des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 14. August 2009 entfällt die Grundlage
für die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 20. Oktober 2009 - 3 StR 552/08 - und vom
20. Juli 2010 - 3 StR 202/10 - sowie das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom
4. Februar 2010 - III-2 STs 1/09 -; diese sind gegenstandslos.
182
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Neben
ihrem Teilerfolg hat die Verfassungsbeschwerde zur Klärung verfassungsrechtlicher Fragen
beigetragen (vgl. BVerfGE 109, 190 <243>).
Voßkuhle
Di Fabio
Lübbe-Wolff
Gerhardt
Landau
Huber
Hermanns