Urteil des BVerfG vom 20.03.2007
BVerfG: verfassungsbeschwerde, irreführende werbung, behandlung, verbraucher, heilpraktiker, berufsausübungsfreiheit, beschränkung, begriff, kranker, gefahr
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1226/06 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. der Frau H...,
2. des Herrn E...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Deubner & Kirchberg,
Mozartstraße 13, 76133 Karlsruhe -
gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 31. März 2006 - 4 U 20/06 -,
b)
das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 8. Dezember 2005 - 5 O 121/04 -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten
Papier
und die Richter Steiner,
Gaier
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 20. März 2007 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1
Die Beschwerdeführer sind als so genannte Geistheiler tätig und wenden sich gegen fachgerichtliche
Entscheidungen, durch die sie wegen Verstoßes gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) in
Verbindung mit dem Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (Heilmittelwerbegesetz - HWG) zur
Unterlassung bestimmter Werbeaussagen in ihrem Internetauftritt verurteilt wurden.
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1. Der Beschwerdeführer zu 2) bezeichnet sich als Geistheiler, spiritueller Meister und Lehrer, der den wunderbaren
Umgang mit der universellen Lebensenergie erlernt habe und über starke Heilkräfte verfüge. Er habe die göttliche
Gabe des Heilens zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Es sei ihm insbesondere möglich, einen Beckenschiefstand in
Sekundenschnelle ohne Körperberührung zu beheben. Diese sichtbare und beweisbare geistige Heilung sei die
wichtigste Hilfe bei der „Volkskrankheit Nr. 1“ - dem „Kreuz mit dem Kreuz“ - und bedeute die Wiederherstellung der
„göttlichen Ordnung“ zur Heilwerdung in allen Bereichen. Die besondere göttliche Kraft zur Körperbegradigung sei von
ihm auch auf die Beschwerdeführerin zu 1) übertragen worden.
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a) Auf ihrer frei zugänglichen Internetseite stellen die Beschwerdeführer ihre Tätigkeit ausführlich dar und werben
unter anderem für ihre „Beckenschiefstandkorrektur“ mit Beinlängenausgleich und Wirbelsäulenaufrichtung bei
Beckenschiefstand, verkrümmter Wirbelsäule und ungleich langen Beinen. Im Rahmen dieses Internetauftritts stellen
sich die Beschwerdeführer auch persönlich und ihren Werdegang dar. Dabei weisen sie im Texteingang nach dem
fettgedruckten Wort „Hinweis“ darauf hin, dass sie weder Ärzte noch Heilpraktiker seien und ihre Hilfe ausschließlich
durch die geistige Kraft geschehe, die sich bei der Behandlung beweise und wie ein Wunder darstelle. Geistige
Heilung sei keine Arbeit im ärztlichen Sinne, sondern ein spiritueller Vorgang, der umso größeren Erfolg erziele, je
Heilung sei keine Arbeit im ärztlichen Sinne, sondern ein spiritueller Vorgang, der umso größeren Erfolg erziele, je
uneingeschränkter das Wirken der geistigen Kraft bejaht werde.
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Auf einer dieser Internetseiten wird unter der Rubrik „Unsere Arbeit“ die Wirkung der „Beckenschiefstandkorrektur“
durch vergleichende bildliche Darstellung des Körperzustandes vor und nach der Anwendung vorgeführt. Darüber
hinaus zeigen Bilder, wie der Beschwerdeführer zu 2) Personen, teilweise unter Zuhilfenahme eines Lineals, näher in
Augenschein nimmt. Im Weiteren enthält die Internetseite ein so genanntes Gästebuch, in welchem die Besucher der
Seite eigene Kommentare hinterlassen können. Im Gästebuch befinden sich Einträge von Besuchern, die über die
erfolgreiche Anwendung der „Beckenschiefstandkorrektur“ berichten und den Beschwerdeführern dafür ihren Dank
aussprechen.
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Unter der Rubrik „Das Kreuz mit dem Kreuz“ werben die Beschwerdeführer damit, dass mit geistigem Heilen
Krankheiten wie Hexenschuss, Ischias, Bandscheibenvorfall, Arthrose,
Osteoporose, Bluthochdruck, Herzmuskelstörungen, Herzrhythmusstörungen, Nervenerkrankungen und anderes mehr
im Wege geistigen Heilens behandelt werden können. Des weiteren werben die Beschwerdeführer damit, dass
Geistheilung bei Störungen jeglicher Art, insbesondere bei Krebs, Aids, multipler Sklerose und auch bei Süchten
erfolgreich angewandt werden könne.
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b) Wegen ihres Internetauftritts wurden die Beschwerdeführer von der Klägerin des Ausgangsververfahrens (im
Folgenden: Klägerin), einem Verband, dem auch zwei Fachverbände von Heilpraktikern angehören, auf Unterlassung
dieser öffentlichen Werbung außerhalb der Fachkreise in Anspruch genommen. Ferner beantragte die Klägerin, den
Beschwerdeführer zu 2) zu verurteilen, es zu unterlassen, berufs- oder gewerbsmäßig die
„Beckenschiefstandkorrektur“ anzubieten und/oder die Beckenschiefstandkorrektur berufs- oder gewerbsmäßig
durchzuführen, es sei denn, dass er ärztlich bestallt oder im Besitz einer Erlaubnis für die Ausübung der Heilkunde
gemäß § 1 des Heilpraktikergesetzes (HeilprG) wäre.
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c) Das Landgericht gab dieser Klage mit Urteil vom 8. Dezember 2005 teilweise statt.
8
Einen Unterlassungsanspruch gegen den Beschwerdeführer zu 2) nach dem Heilpraktikergesetz verneinte das
Gericht unter Hinweis auf die einschlägigen Entscheidungen der 2. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2004 (1 BvR 784/03, NJW-RR 2004, S. 705 ff., „Geistheiler“) und der
3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juni 2004 (BVerfGK 3, 234 ff.,
„Wunderheiler“).
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Allerdings wurden die Beschwerdeführer zur Unterlassung der beanstandeten Werbung verpflichtet. Der
Anwendungsbereich des Heilmittelwerbegesetzes sei eröffnet, die von Seiten der Beschwerdeführer angebotene
„Beckenschiefstandkorrektur“ sei ein Verfahren oder eine Behandlung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 2. Alternative HWG.
Der Begriff des Heilmittels im Heilmittelwerbegesetz sei nämlich weiter gehend als der Begriff der Ausübung der
Heilkunde. Das Heilmittelwerbegesetz wollte die Verbraucher zum einen vor den Gefahren der Selbstmedikation, zum
anderen in der durch Ängste und Nöte um seine Gesundheit geprägten Zwangslage davor schützen, durch
unsachliche Werbung in die Irre geführt zu werden und unnötige Aufwendungen für seine Gesundheit zu tätigen. Ob
diese Mittel oder Verfahren üblicherweise durch einen Arzt oder Heilpraktiker angewandt oder verschrieben würden,
bliebe dabei unerheblich. Die Beschwerdeführer seien durch die Werbebeschränkung nur in ihrer
Berufsausübungsfreiheit betroffen, diese Berufsausübungsbeschränkungen seien durch hinreichende Gründe des
Gemeinwohls gerechtfertigt. Insoweit müsse das Interesse der Beschwerdeführer an einer ungehinderten Werbung
zurückstehen; insbesondere seien sie hinsichtlich ihrer Werbung nicht auf gegen § 11 Abs. 1 Nr. 5 b HWG
verstoßende bildliche Darstellungen des Gesundheitszustandes ihrer Kunden vor und nach Anwendung der
„Beckenschiefstandkorrektur“ angewiesen. Auch die Einrichtung eines Gästebuches auf ihrer Internetseite, in
welchem sich Dritte entgegen § 11 Abs. 1 Nr. 11 HWG anerkennend, empfehlend und dankend hinsichtlich der
Behandlungsmethoden der Beschwerdeführer äußerten, sei als Werbemaßnahme nicht zwingend geboten. Gleiches
gelte auch für die - gegen § 11 Abs. 1 Nr. 4 HWG verstoßende - Darstellung des Beschwerdeführers zu 2) bei der
Ausübung der „Beckenschiefstandkorrektur“.
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d) Die Berufung der Beschwerdeführer wurde vom Oberlandesgericht durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO
zurückgewiesen. Das Landgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass sich die Aktivlegitimation der Klägerin aus
§ 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ergebe. Mit dieser Klage verhalte sich die Klägerin im Rahmen ihres Verbandszwecks.
Insbesondere handele es sich bei Heilpraktikern und Geistheilern auch um Wettbewerber, da beide Personengruppen
um diejenigen Kranken konkurrierten, die sich von einer ärztlichen Behandlung keine Heilung versprächen. Soweit
sich die Beschwerdeführer nunmehr auch auf Art. 5 GG beriefen, ändere dies nichts am Unterlassungsanspruch der
Klägerin, da auch insoweit die Rechtsgüterabwägung zu Lasten der Beschwerdeführer ginge.
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2. Gegen diese zivilgerichtlichen Entscheidungen richtet sich die Verfassungsbeschwerde. Die Beschwerdeführer
rügen die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20
Abs. 3 GG.
12
Die angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen die Grundrechte der Beschwerdeführer, weil eine wirksame
Beschränkung ihrer Grundrechte durch das Heilmittelwerbegesetz nicht erfolgt sei. Zwar sei der für das
Heilmittelwerbegesetz maßgebliche Begriff der „Behandlung“ weiter gehend als der Begriff der „Ausübung der
Heilkunde“. Allerdings setze eine „Behandlung“ bereits ihrem Wortlaut nach eine Einwirkung voraus, die auf
naturwissenschaftlich-logischen oder rational nachvollziehbaren Wirkungsmechanismen beruhe. Davon sei eine rein
spirituelle Wirkung daher nicht erfasst. Auch angesichts des Schutzzwecks des Heilmittelwerbegesetzes unterfalle
die Tätigkeit eines Geistheilers nicht den „Behandlungen“ im Sinne des Heilmittelwerbegesetzes. Die Gefahr einer
Selbstmedikation bestehe vorliegend nicht. Eine gesundheitliche Gefährdung durch das Handauflegen könne ebenfalls
nicht angenommen werden. Zwar könnte der weitere Schutzzweck des Heilmittelwerbegesetzes, nämlich der Schutz
privater Verbraucher vor wirtschaftlicher Übervorteilung einschlägig sein. Zu berücksichtigen sei jedoch, dass es sich
bei der Selbstdarstellung im Internet um eine passive Darstellungsplattform handele, die sich der breiten Öffentlichkeit
nicht unvorbereitet aufdränge (Hinweis auf BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. April 2004 -
1 BvR 2334/03 -, NJW 2004, S. 2660). Zudem bliebe den Beschwerdeführern letztlich keine andere Möglichkeit, die
beanstandeten Informationen zu verbreiten, weil es „Fachkreise“ für Geistheiler nicht gäbe.
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Ferner liege eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 GG vor, weil das Heilmittelwerbegesetz zwar ein allgemeines Gesetz
im Sinne dieser Vorschrift sei, vorliegend jedoch nicht einschlägig und daher auch nicht geeignet sei, um die
Grundrechtseinschränkungen der Beschwerdeführer zu rechtfertigen.
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Schließlich verletzten die angegriffenen Entscheidungen auch das Willkürverbot. Die Annahme der Gerichte, der
Klägerin stehe eine Klagebefugnis gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG zu, sei willkürlich. Die Instanzgerichte gingen zu
Unrecht davon aus, dass von Heilpraktikern und Geistheilern die gleichen Kreise von Nachfragern angesprochen
würden. Richtig sei vielmehr, dass die Verbraucher sehr wohl zwischen denjenigen Personen, die auf medizinischer
Grundlage arbeiteten, wie etwa Ärzte, Heilpraktiker und Masseure, und denjenigen, die allein auf Grundlage spiritueller
und/oder religiöser Riten tätig würden, unterschieden. Die bei einem Geistheiler Heilung Suchenden wüssten, dass
ihnen dort keine medizinische Hilfe zuteil würde. Wer sich an einen Geistheiler wende, sei oft medizinisch
austherapiert, weswegen Heilpraktiker und Geistheiler nicht als Mitbewerber angesehen werden könnten.
II.
15
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93 a
Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
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1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93 a Abs. 2
Buchstabe a BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die entscheidungserheblichen Fragen zu den Grenzen der
Berufsausübungsfreiheit im Allgemeinen (vgl. BVerfGE 30, 292 <315 ff.>) ebenso geklärt wie die relevanten Fragen
zum Werberecht der freien Berufe (vgl. BVerfGE 71, 162 <173 f.>). Dabei hat das Bundesverfassungsgericht bereits
entschieden, dass in den Bereich der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten berufsbezogenen Tätigkeiten auch die
berufliche Außendarstellung der Grundrechtsberechtigten einschließlich der Werbung für die Inanspruchnahme ihrer
Dienste fällt (vgl. BVerfGE 85, 97 <104>; 94, 372 <389>). Namentlich für die heilenden Berufe ist zudem geklärt,
welche Gemeinwohlbelange der Werbefreiheit Grenzen setzen können (vgl. BVerfGE 71, 162 <173 f.>).
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2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der von den Beschwerdeführern als
verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG); denn die
Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
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a) Die Annahme der zulässigen Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Durchsetzung des Rechts der
Beschwerdeführer aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt. Die Beschränkung der Werbemöglichkeiten der
Beschwerdeführer betrifft deren Berufsausübung (vgl. BVerfGE 85, 97 <106>) und ist durch hinreichende Gründe des
Gemeinwohls (vgl. BVerfGE 103, 1 <10>) unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE
94, 372 <389 f.>; 106, 181 <191 f.>) gerechtfertigt.
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aa) Die fachgerichtlichen Entscheidungen, gegen die sich die Verfassungsbeschwerde richtet, greifen in die durch
Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführer ein. Zur Freiheit der Berufsausübung
gehört nicht nur die berufliche Praxis selbst, sondern auch jede Tätigkeit, die mit der Berufsausübung
zusammenhängt und dieser dient (vgl. BVerfGE 94, 372 <389>). Sie schließt die Außendarstellung von selbständigen
Berufstätigen ein, soweit sie auf die Förderung des beruflichen Erfolges gerichtet ist. Staatliche Maßnahmen, die
geschäftliche oder berufliche Werbung beschränken, sind Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung (vgl. BVerfGE
85, 248 <256> m.w.N.).
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bb) Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung bedürfen gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen
Grundlage, die den Anforderungen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügt.
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(1) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den Bestimmungen des Heilmittelwerbegesetzes, welche die
Grenzen zulässiger Werbung für Arznei- und andere Mittel zur Behandlung von Krankheiten festlegen.
Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme der Zivilgerichte, dass der Anwendungsbereich des
Heilmittelwerbegesetzes gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG eröffnet sei, weil Werbung für Verfahren und Behandlungen
erfolge und sich die Werbeaussage auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden,
Körperschäden oder krankhaften Beschwerden bei Mensch oder Tier beziehe.
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(2) Die hiernach einschlägige gesetzliche Bestimmung ist mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Sie ist durch
ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und trägt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung.
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(a) Das Heilmittelwerbegesetz soll in erster Linie Gefahren begegnen, welche der Gesundheit des Einzelnen und den
Gesundheitsinteressen der Allgemeinheit durch unsachgemäße Selbstmedikation drohen; unerheblich ist, ob diese
Gefahren im Einzelfall auch tatsächlich eintreten (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 2002 - I ZR 101/00 -, NJW-RR
2003, S. 478 <479> m.w.N.). Darüber hinaus soll verhindert werden, dass durch eine mit Übertreibungen arbeitende,
suggestive oder marktschreierische Werbung Kranke und besonders ältere Menschen zu Fehlentscheidungen beim
Arzneimittelgebrauch und bei der Verwendung anderer Mittel zur Beseitigung von Krankheiten oder Körperschäden
verleitet werden (BGH, a.a.O.).
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Die hiernach maßgebenden gesetzlichen Ziele des Gesundheitsschutzes und des Schutzes gegen wirtschaftliche
Übervorteilung besonders schutzbedürftiger Privater stellen hinreichende Gründe des gemeinen Wohls (vgl. BVerfGE
103, 1 <10>) dar, die Einschränkungen der Berufsausübungsfreiheit rechtfertigen können.
25
Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der werbenden Tätigkeit von „Geistheilern“. Bei der vom Gesetzgeber
verfolgten Schutzrichtung ist eine Differenzierung danach, ob die auf Heilung zielende Behandlung auf
naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, traditionsgeleiteter Erfahrung oder behaupteter spiritueller Begabung des
Heilenden beruht, nicht angezeigt. Anlass der gesetzlichen Regelung ist nämlich nicht die Sicherstellung der
Befähigung und der fachlichen wie charakterlichen Geeignetheit des Heilenden (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der
2. Kammer des Ersten Senats vom 2. März 2004
- 1 BvR 784/03 -, NJW-RR 2004, S. 705 f.), sondern die besondere Schutzbedürftigkeit erkrankter oder älterer
Menschen vor unangemessen beeinflussender Werbung. Insbesondere der Schutz vor wirtschaftlicher Übervorteilung
privater Verbraucher (vgl. dazu Doepner, Heilmittelwerbegesetz, 2. Aufl. 2000, Einl. Rn. 40 m.w.N.) ist nicht etwa
deswegen weniger einschlägig oder weniger dringend, weil der „Heiler“ jenseits der Grenzen naturwissenschaftlicher
Erkenntnisse und Überprüfbarkeit arbeitet. Anders als bei Prüfung der Erforderlichkeit einer besonderen Zulassung zu
„geistigem Heilen“ (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. März 2004 - 1 BvR 784/03
-, NJW-RR 2004, S. 705) oder der Strafbarkeit einer solchen Berufstätigkeit ohne Zulassung (vgl. dazu BVerfGK 3,
234 <238 ff.>) zielt das Heilmittelwerbegesetz auf die besondere Schutzbedürftigkeit Kranker angesichts grob
unsachlicher oder besonders suggestiver Werbemaßnahmen.
26
Deswegen ist vorliegend ohne Belang, ob ein Heiler, der spirituell wirkt und den religiösen Riten näher steht als der
Medizin, im Allgemeinen die Erwartung auf heilkundlichen Beistand weckt (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der
2. Kammer des Ersten Senats vom 2. März 2004 - 1 BvR 784/03 -, NJW-RR 2004, S. 705). Diese Frage ist zwar für
die Erlaubnispflichtigkeit der Tätigkeit des „Heilers“ nach dem Heilpraktikergesetz entscheidend, weswegen die
Fachgerichte die auf das Heilpraktikergesetz gestützten Unterlassungsklagen gegen den Beschwerdeführer zu 2)
auch unter Berücksichtigung der einschlägigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung abgewiesen haben. Für die
Anwendbarkeit des Heilmittelwerbegesetzes und die Bestimmung der mit ihm verfolgten Schutzzwecke erlangt die
heilkundliche Bewertung der Tätigkeit von „Geistheilern“ jedoch keine Bedeutung.
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(b) Die Beschränkung der Werbeaussagen hinsichtlich der Verwendung bildlicher Darstellungen oder der Wiedergabe
von lobenden Äußerungen Dritter ist auch geeignet, den Schutz behandlungsbedürftig Kranker vor wirtschaftlicher
Übervorteilung zu sichern. Gerade die Suggestivkraft von Bildern, die angeblich den auch vom Adressaten der
Werbung angestrebten Heilungserfolg bei gleichermaßen Erkrankten beweisen, kann durch Krankheit und Alter
geschwächte Menschen an sachgerechten Entscheidungen hindern und dazu führen, dass sie sich auf
Behandlungsangebote einlassen, die sich jedenfalls wirtschaftlich als nachteilig erweisen. Diese Eignung der
Werbebeschränkung ließe sich nur dann bezweifeln, wenn man bei der Inanspruchnahme von „Geistheilern“ generell
unterstellen wollte, dass die behandlungsbedürftig Kranken um die Aussichtslosigkeit der ihnen angebotenen
Verfahren und Behandlungen zur Erkennung, Beseitigung oder Linderung ihrer Krankheiten wüssten und diese in
einem bewussten Akt der „Selbstschädigung“ dennoch in Anspruch nähmen. Davon kann jedoch gerade nicht
ausgegangen werden, weil die Hinwendung zu einem „Geistheiler“ zwar von den Patienten häufig als „ultima ratio“
verstanden wird, selbstredend aber mit der Hoffnung auf Heilung verbunden bleibt. Wird - wie im vorliegenden Fall -
der Eintritt des Heilungserfolges vom „Geistheiler“ sogar noch bei entsprechender Einstellung des Erkrankten als
sicher hingestellt, so tritt dieser Zusammenhang besonders klar zu Tage.
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(c) Die einschlägigen Werbeverbote sind nicht nur generell, sondern auch hinsichtlich der Werbeaussagen von
„Geistheilern“ erforderlich. Ein milderes Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels, behandlungsbedürftig Kranke
wirksam vor wirtschaftlicher Übervorteilung zu schützen, ist nicht ersichtlich. Anders als bei der Frage einer aus dem
Heilpraktikergesetz abgeleiteten Erlaubnispflicht der Tätigkeit der „Geistheiler“ und der hiermit verbundenen
Beschränkung der Berufswahlfreiheit der Beschwerdeführer ist bei den hier zu betrachtenden Werbemaßnahmen ein
aufklärender Hinweis auf die nicht medizinische, sondern spirituelle Grundlage der Behandlung nicht in gleicher Weise
für den erstrebten Schutz der Gemeinwohlbelange geeignet wie das begrenzte Werbeverbot.
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Im Unterschied zur Auswahlentscheidung, die ein behandlungsbedürftig Kranker zwischen Arzt, Heilpraktiker und
Geistheiler trifft, ist der private Verbraucher, der sich Heilmittelwerbung gegenüber sieht, nämlich nicht nur durch
seinen krankheitsbedingten Zustand in besonderer Weise der Gefahr ausgesetzt, wirtschaftlich übervorteilt und
ausgenutzt zu werden. Vielmehr wird diese besondere Anfälligkeit von Kranken durch im Heilmittelwerbegesetz
exemplarisch aufgeführte besonders suggestive, mit Übertreibungen arbeitende oder marktschreierische
Werbemethoden weiter vertieft. So vergrößert sich die ohnehin schon bestehende Gefahr, Fehlentscheidungen bei der
Verwendung von Mitteln zur Heilung oder Linderung von Krankheiten und Körperschäden zu treffen. Die auf diese
Weise gesteigerte Schutzbedürftigkeit der Verbraucher lässt sich nicht durch einen bloß aufklärenden Hinweis
ausgleichen.
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(d) Bei der gebotenen Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit der
„Geistheiler“ und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe ergibt sich, dass die Grenze der Zumutbarkeit für die
Grundrechtsträger noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 76, 196 <207>; 94, 372 <390>).
31
Die aufgezeigten Werbeeinschränkungen sind angesichts der Bedeutung und des Ausmaßes der Bedrohung der
durch das Heilmittelwerbegesetz geschützten Rechtsgüter angemessen. Sie sind den Beschwerdeführern auch
zumutbar, weil sie ihnen weiterhin umfangreiche Möglichkeiten offen lassen, für ihre Tätigkeiten in sachlicher und
inhaltlich uneingeschränkter Weise werben zu können. Von ihnen wird keineswegs eine generelle Aufgabe ihres
Werbeauftritts verlangt. Es bleibt ihnen vielmehr unbenommen, bis an die Grenze irreführender Werbung ihre
Behandlungsansätze und -methoden darzustellen. Eine Privilegierung von als „Geistheiler“ Tätigen gegenüber den
Heilberufen der Ärzte oder Heilpraktiker erscheint zudem unter keinem Gesichtspunkt geboten. Ebenso wie diesen
sind auch „Geistheilern“ bestimmte bebilderte Werbeaussagen, suggestive oder irreführende Werbung mit
Stellungnahmen Dritter oder die Abgabe unhaltbarer Wirksamkeits- oder Erfolgsversprechen verboten.
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Demgegenüber führt der Umstand allein, dass es im Bereich der „Geistheiler“ keine eigenen Fachkreise im Sinne
von § 2 HWG gibt, bei denen die Beschwerdeführer uneingeschränkt werben könnten, nicht zu einer anderen
Beurteilung. Dass von einer geringeren Schutzbedürftigkeit dieser Adressaten ausgegangen wird, ist dem besonderen
Kenntnisstand in Fachkreisen sowie dem Umstand geschuldet, dass mit ihnen keine behandlungsbedürftig Kranken
angesprochen sind. Fehlt es - wie im Tätigkeitsfeld von „Geistheilern“ - an solchen Fachkreisen, so reduziert dies
weder die Schutzbedürftigkeit der privaten Verbraucher, noch gibt es Anlass für kompensatorische Maßnahmen.
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Anderes ergibt sich vorliegend auch nicht daraus, dass es sich bei der hier beanstandeten Werbung um eine
Selbstdarstellung im Internet und damit in einem Medium handelt, das als passive Darstellungsplattform in der Regel
von interessierten Personen auf der Suche nach ganz bestimmten Informationen aus eigener Initiative heraus
aufgesucht wird und sich daher der breiten Öffentlichkeit nicht unvorbereitet aufdrängt (vgl. dazu BVerfGK 1, 240
<244>). Bereits der Schutzzweck des Heilmittelwerbegesetzes legt es nahe, dem Aspekt der eigeninitiativen Suche
keine maßgebliche Bedeutung zuzumessen. Gerade der Kreis der durch das Heilmittelwerbegesetz Geschützten wird
regelmäßig und mit Fortdauer der Erkrankung verstärkt nach Informationen über angebotene Heilungsmethoden
suchen und dabei auch zunehmend auf die Möglichkeiten des Internet zurückgreifen. Stößt er dann auf einschlägige
Werbeaussagen, so ist er in besonderem Maße auf deren Sachlichkeit angewiesen.
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b) Eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG durch das
Heilmittelwerbegesetz als allgemeines Gesetz sowie durch seine Anwendung im Einzelfall ist ebenfalls nicht
ersichtlich. Für eine spezifische Verletzung ihres Grundrechts auf Meinungsäußerung haben die Beschwerdeführer
auch nichts vorgetragen, sondern haben lediglich auf ihre Ausführungen zu Art. 12 GG verwiesen.
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c) Auch unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 Abs. 1 GG ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht
angezeigt. Für eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG reicht eine unzutreffende Rechtsanwendung allein nicht aus (vgl.
BVerfGE 75, 329 <347>); notwendig ist vielmehr, dass die Rechtsanwendung oder das Verfahren unter keinem
denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden und
damit willkürlichen Erwägungen beruhen (vgl. BVerfGE 80, 48 <51>; 86, 59 <63>). Eine in diesem Sinne krasse
Fehlentscheidung (vgl. BVerfGE 89, 1 <14>) liegt nicht vor. Die Annahme der Klagebefugnis der Klägerin ist vielmehr
nachvollziehbar und sachgerecht begründet; das gilt insbesondere für die angenommene Überschneidung der
Nachfragekreise hinsichtlich des Angebots der heilenden Berufe.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Steiner
Gaier