Urteil des BVerfG vom 17.06.1999
BVerfG: versorgung, verfassungsbeschwerde, innere medizin, krankenversicherung, facharzt, weiterbildung, trennung, eigentum, qualifikation, hausarzt
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2507/97 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn Dr. S...
- Bevollmächtigter:
Prof. Dr. Friedhelm Hufen,
Backhaushohl 62, Mainz -
gegen 1. unmittelbar
das Urteil des Bundessozialgerichts vom 18. Juni 1997 - 6 RKa 13/97 -,
gegen 2. mittelbar
§ 73 Abs. 1 bis 1 c, § 87 Abs. 2 a, § 95 a Abs. 1 bis 3 des Fünften Buches des
Sozialgesetzbuchs (SGB V) in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung und
Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung
(Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266)
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den
Richter Kühling,
die Richterin Jaeger
und den Richter Steiner
am 17. Juni 1999 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Trennung zwischen der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung in
der gesetzlichen Krankenversicherung; diese Trennung wirkt sich auf die Vergütung der beiden Arztgruppen aus.
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1.  Der  Beschwerdeführer  wendet  sich  unmittelbar  gegen  ein  Urteil  des  Bundessozialgerichts,  durch  das  ihm
letztinstanzlich die Zulassung zur gleichzeitigen hausärztlichen und fachärztlichen Versorgungstätigkeit versagt wird.
Mittelbar  wendet  er  sich  gegen  §  73  Abs.  1  bis  1  c,  §  87  Abs.  2  a,  §  95  a  Abs.  1  bis  3  des  Fünften  Buches  des
Sozialgesetzbuchs (SGB V) in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen
Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266).
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2.  Durch  das  Gesundheitsstrukturgesetz  wurde  die  bereits  in  der  ursprünglichen  Fassung  des  SGB  V  vom  20.
Dezember  1988  (BGBl  I  S.  2477)  in  §  73  Abs.  1  SGB  V  angelegte,  jedoch  hinsichtlich  der  Konkretisierung  den
Vertragsparteien der Bundesmantelverträge überantwortete Gliederung der kassenärztlichen (jetzt: vertragsärztlichen)
Versorgung  in  einen  fachärztlichen  und  einen  hausärztlichen  Versorgungsbereich  fortgeführt.  Die  Vorschrift  lautet
nunmehr:
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§ 73
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(1) Die vertragsärztliche Versorgung gliedert sich in die hausärztliche und die fachärztliche Versorgung. Die
hausärztliche Versorgung beinhaltet insbesondere
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1.  die  allgemeine  und  fortgesetzte  ärztliche  Betreuung  eines  Patienten  in  Diagnostik  und  Therapie  bei  Kenntnis
seines häuslichen und familiären Umfeldes,
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2. die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen,
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3.  die  Dokumentation,  insbesondere  Zusammenführung,  Bewertung  und  Aufbewahrung  der  wesentlichen
Behandlungsdaten, Befunde und Berichte aus der ambulanten und stationären Versorgung,
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4. ...
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(1a) An der hausärztlichen Versorgung nehmen Ärzte für Allgemeinmedizin und Ärzte ohne Gebietsbezeichnung teil.
Kinderärzte und Internisten ohne Teilgebietsbezeichnung wählen, ob sie an der hausärztlichen oder an der
fachärztlichen Versorgung teilnehmen. Soweit sie bereits am 1. Januar 1993 an der vertragsärztlichen Versorgung
teilnehmen, treffen sie ihre Wahl bis zum 31. Dezember 1995. Der Zulassungsausschuß kann eine von Satz 2
abweichende, zeitlich befristete Regelung treffen, wenn eine bedarfsgerechte Versorgung nach Feststellung des
Landesausschusses nicht gewährleistet ist. An der fachärztlichen Versorgung nehmen die Ärzte mit
Gebietsbezeichnung teil, mit Ausnahme der Ärzte für Allgemeinmedizin sowie derjenigen Internisten und Kinderärzte
ohne Teilgebietsbezeichnung, die die Wahrnehmung hausärztlicher Versorgungsaufgaben gewählt haben. Der
Zulassungsausschuß kann Ärzten für Allgemeinmedizin und Ärzten ohne Gebietsbezeichnung, die im wesentlichen
spezielle Leistungen erbringen, auf deren Antrag die Genehmigung zur ausschließlichen Teilnahme an der
fachärztlichen Versorgung erteilen.
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...
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§ 73 Abs. 1 b SGB V konkretisiert die Dokumentationspflicht der Hausärzte und statuiert Informationspflichten der
weiterbehandelnden  Ärzte  und  früheren  Hausärzte  bei  Hausarztwechsel.  §  73  Abs.  1  c  SGB  V  ermächtigt  die
Spitzenverbände  der  Krankenkassen  und  die  Kassenärztliche  Bundesvereinigung  zu  einer  Vereinbarung  über  Inhalt
und Umfang der hausärztlichen Versorgung, die Pflicht zur gegenseitigen Information bei Überweisung sowie zur Mit-
und Weiterbehandlung und die Verpflichtung zur Weitergabe der Unterlagen bei Hausarztwechsel. Weiterhin sollen die
Vertragspartner die Bedingungen regeln, zu denen Kinderärzte und Internisten ohne Teilgebietsbezeichnung bis zum
31. Dezember 1995 noch gleichzeitig an der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung teilnehmen können.
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Der  auf  dieser  Grundlage  geschlossene  Vertrag  über  die  hausärztliche  Versorgung  (Hausarztvertrag  vom  6.
September  1993,  Deutsches  Ärzteblatt  1993,  C-1837)  sieht  über  diese  Übergangsregelung  hinaus  vor,  daß
Vertragsärzte,  die  in  der  vertragsärztlichen  Versorgung  nachweislich  vor  dem  1.  Januar  1994  regelmäßig  ärztliche
Leistungen  abgerechnet  haben,  die  nicht  mehr  von  Hausärzten  abgerechnet  werden  können,  solche  Leistungen  im
Falle  der  Teilnahme  an  der  hausärztlichen  Versorgung  noch  längstens  bis  zum  31.  Dezember  2002  erbringen  und
abrechnen dürfen.
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Die Vergütungsausschlüsse bei der hausärztlichen Versorgung sind in § 87 Abs. 2 a SGB V geregelt. Danach ist im
einheitlichen  Bewertungsmaßstab  für  die  üblicherweise  von  Hausärzten  erbrachten  Leistungen,  insbesondere  die
Betreuungs-,  Koordinations-  und  Dokumentationsleistungen  eine  auf  den  Behandlungsfall  bezogene  Bewertung
vorzusehen (hausärztliche Grundvergütung). Darüber hinaus sind weitere, nur vom Hausarzt abrechenbare Leistungen
festzulegen.
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3.  Der  Beschwerdeführer  ist  Facharzt  für  Innere  Medizin  ohne  Teilgebietsbezeichnung.  Die  Anträge  des
Beschwerdeführers auf Zulassung zur gleichzeitigen hausärztlichen und fachärztlichen Versorgung ab dem 1. Januar
1996  wurden  abgelehnt.  Auch  mit  seiner  Klage  hatte  der  Beschwerdeführer  keinen  Erfolg.  Das  Bundessozialgericht
wies die Sprungrevision des Beschwerdeführers gegen das Urteil des Sozialgerichts zurück, da die Voraussetzungen
für  eine  gleichzeitige  Teilnahme  an  der  hausärztlichen  und  fachärztlichen  Versorgung  zur  Sicherstellung  einer
bedarfsgerechten  Versorgung  nicht  vorlägen.  Die  gesetzliche  Gliederung  der  vertragsärztlichen  Versorgung  in  einen
hausärztlichen und fachärztlichen Versorgungsbereich sei auch mit dem Grundgesetz vereinbar.
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4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3, Art. 12 und Art. 14 GG.
Unabhängig davon, ob er als Facharzt einen eigenständigen Beruf ausübe, greife eine Regelung, die zur Aufgabe oder
Entwertung  der  Qualifikation  als  Facharzt  führe,  in  die  Berufsfreiheit  ein.  Das  Bundessozialgericht  habe  in  seiner
Entscheidung die Wahlpflicht des Arztes zu Unrecht auf eine bloße Vergütungsregelung reduziert. Entscheide sich ein
bisher  doppelt  qualifizierter  sowohl  hausärztlich  als  auch  fachärztlich-internistisch  tätiger  Arzt  für  die  hausärztliche
Tätigkeit,  so  ginge  ein  erheblicher  Teil  der  Weiterbildung  und  des  Vertrauensverhältnisses  zu  dem  Patientenstamm
verloren.  Entscheide  sich  ein  Arzt  hingegen  für  die  fachärztlich-internistische  Versorgung,  so  gelte  ein
Abrechnungsverbot für wesentliche Leistungspositionen.
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Es  fehle  bereits  an  einer  Gesetzgebungskompetenz  des  Bundes,  für  die  durch  das  Gesundheitsstrukturgesetz
vorgenommene  Schaffung  einer  neuen  Arztgruppe,  da  das  Recht  der  ärztlichen  Weiterbildung  den  Ländern
vorbehalten sei.
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Die  gesetzlichen  Regelungen  seien  auch  materiell  verfassungswidrig,  da  sie  unverhältnismäßig  seien.  Sie  seien
nicht geeignet, das Ziel einer Kosteneinsparung als Gemeinwohlbelang zu fördern, da ein Zusammenhang zwischen
der  bisherigen  Tätigkeit  im  hausärztlichen  und  fachärztlichen  Versorgungsbereich  und  ungerechtfertigten
Leistungsausweitungen  nicht  bestehe.  Die  Regelung  sei  auch  nicht  erforderlich  und  im  übrigen  unzumutbar,  da  die
wirtschaftlichen und berufsbezogenen Konsequenzen der Wahlverpflichtung erheblich seien und die Übergangsfrist bis
zur vollständigen Umsetzung des Abrechnungsverbotes ab dem Jahre 2003 nicht ausreiche, um diese gravierenden
Eingriffe  abzumildern.  Das  Urteil  des  Bundessozialgerichts  und  die  zugrunde  liegenden  gesetzlichen  Regelungen
griffen  auch  in  das  Eigentum  des  Beschwerdeführers  ein,  da  die  von  ihm  geführte  hausärztliche  und  fachärztliche
Praxis  in  ihrer  Kernsubstanz  Eigentum  im  Sinne  von  Art.  14  GG  darstelle.  Schließlich  werde  der  allgemeine
Gleichheitssatz  verletzt,  weil  die  internistisch  tätigen  Hausärzte  so  behandelt  würden  wie  die  als  Hausarzt  tätigen
Allgemeinmediziner  ohne  internistische  Weiterbildung,  obwohl  beide  Gruppen  -  bezogen  auf  ihre  verschiedene
medizinische Qualifikation - wesentliche Unterschiede aufwiesen.
II.
19
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist nur teilweise zulässig. Hinsichtlich der gerügten Verletzung von Art. 14 GG ist sie
unzulässig. Soweit der Beschwerdeführer nicht mehr gleichzeitig an der hausärztlichen und fachärztlichen Versorgung
in  der  gesetzlichen  Krankenversicherung  teilnehmen  und  Leistungen  abrechnen  kann,  bezieht  sich  dies  auf  die
berufliche Betätigung insgesamt und nicht auf deren Ergebnisse. Damit kommt Art. 14 GG als Prüfungsmaßstab nicht
in Betracht (vgl. BVerfGE 82, 209 <234>).
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2.  Der  Verfassungsbeschwerde  kommt,  soweit  sie  zulässig  ist,  keine  grundsätzliche  verfassungsrechtliche
Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die mit ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind
hinreichend geklärt; sie lassen sich mit Hilfe der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten
Maßstäbe ohne weiteres entscheiden.
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3. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG bezeichneten
Rechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
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Die  der  Entscheidung  des  Bundessozialgerichts  zugrunde  liegenden  Regelungen  sind  mit  Art.  12  Abs.  1  GG
vereinbar.
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Der  Bund  hat  nach  Art.  74  Abs.  1  Nr.  12  GG  die  Gesetzgebungskompetenz,  die  vertragsärztliche  Versorgung  in
einen hausärztlichen und fachärztlichen Versorgungsbereich zu gliedern. Eine solche Regelung gehört der Sache nach
zum Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Aufteilung in eine
hausärztliche und fachärztliche Versorgung konkretisiert die abrechenbaren ärztlichen Leistungen an die Versicherten
im ambulanten Bereich. Die Argumente, die von einer Kompetenzwidrigkeit des § 73 Abs. 1 a bis c und § 95 a Abs. 1
bis  3  SGB  V  ausgehen,  berücksichtigen  nicht  die  selbständige  Bedeutung  der  Sozialversicherung,  in  der
eigenständige Regelungen auf Grundlage ihres Auftrages jederzeit möglich sind.
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Die Trennung der Versorgungsbereiche ist auch in der Sache mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Heranzuziehen sind
die  für  eine  Berufsausübungsregelung  geltenden  verfassungsrechtlichen  Maßstäbe.  Dies  ergibt  sich  allerdings  nicht
bereits  daraus,  daß  nur  die  vertragsärztliche  Tätigkeit  erfaßt  wird,  denn  auch  Regelungen  des  Vertragsarztrechtes
können  als  Berufswahlregelungen  ausgestaltet  sein  (vgl.  BVerfGE  33,  125  ff.).  Es  kann  auch  offenbleiben,  ob  die
ärztliche  Spezialisierung  als  Facharzt  inzwischen  als  eigenständig  entwickelter  und  in  der  sozialen  Wirklichkeit
akzeptierter Beruf anzusehen ist, denn bei den vom Beschwerdeführer mittelbar angefochtenen Regelungen geht es
weder  um  den  reglementierten  Zugang  zu  einer  bestimmten  Arztgruppe  noch  zu  einem  Planungsbereich.  Die
Regelungen haben lediglich zur Folge, daß nach Ablauf einer Übergangsfrist bestimmte Positionen des einheitlichen
Bewertungsmaßstabes  nicht  mehr  abgerechnet  werden  können.  Einwirkungen  auf  das  ärztliche  Handeln  mit  dem
Steuerungsinstrument der Vergütungsregelung sind schon generell ein Mittel der Berufsausübung. Dies gilt erst recht,
wenn  die  Vergütungsregelung  beim  jeweiligen  Arzt  nur  einen  Teil  der  Tätigkeiten  betrifft,  die  ihm  nach  Berufsrecht
offenstehen.
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Die  Aufgliederung  des  hausärztlichen  und  fachärztlichen  Versorgungsbereichs  dient  dem  Gemeinwohl.  Durch  die
Neuordnung  werden  gesundheitspolitische  Ziele  der  Qualitätsverbesserung  für  die  Versicherten  neben
finanzpolitischen  Zielen  der  Kostendämpfung  angestrebt  (BTDrucks  12/3608,  S.  83).  Bei  der  Ausgestaltung  der
Krankenversicherung  sind  sozialpolitische  Entscheidungen  des  Gesetzgebers  hinzunehmen,  solange  seine
Erwägungen  weder  offensichtlich  fehlsam  noch  mit  der  Wertordnung  des  Grundgesetzes  unvereinbar  sind  (BVerfGE
89,  365  <376>).  Auch  die  Sicherung  der  finanziellen  Stabilität  der  gesetzlichen  Krankenversicherung  ist  als
Gemeinwohlaufgabe von hoher Bedeutung anzusehen (BVerfGE 68, 193 <218>; 70, 1 <25 f., 29>). Dies gilt auch und
gerade gegenüber den Leistungserbringern innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung, denen durch die Einbeziehung
in das öffentlich-rechtliche System des Vertragsarztrechtes besondere Vorteile erwachsen (BVerfGE 68, 193 <221>).
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Die  mittelbar  angegriffenen  Regelungen  genügen  auch  im  übrigen  den  Anforderungen,  die  aus  dem  Grundsatz  der
Verhältnismäßigkeit  resultieren  (vgl. BVerfGE  46,  246  <256  f.>).  Sie  sind  zur  Umsetzung  der  gesundheits-  und
finanzpolitischen Ziele geeignet und erforderlich. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und
dem  Gewicht  und  der  Dringlichkeit  der  sie  rechtfertigenden  Gründe  ist  vor  allem  im  Hinblick  auf  die  langen
Übergangsfristen die Grenze der Zumutbarkeit nicht überschritten.
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Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Kühling
Jaeger
Steiner